Die Schwestern vom Ku'damm: Wunderbare Zeiten (eBook)

Wunderbare Zeiten
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
480 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20049-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schwestern vom Ku'damm: Wunderbare Zeiten -  Brigitte Riebe
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Teil 2 der packenden 50-er-Jahre-Trilogie von Bestsellerautorin Brigitte Riebe. Berlin, 1952: Während für Rike das Kaufhaus an erster Stelle steht, will die mittlere Schwester Silvie nach den dunklen Jahren des Krieges nur eins: das Leben in vollen Zügen genießen. Die Geschäfte laufen ohnehin bestens, das Kaufhaus bietet das Neueste vom Neuen an: Petticoats, Nylonstrümpfe und Perlonhemden, dazu feine Stoffe und Waren, die nach angesagter italienischer Mode angefertigt werden. Doch nun, da die Wunden des Krieges verheilt sind, weigern die Männer sich plötzlich, die Geschäfte allein den Frauen zu überlassen. Als dann auch noch Florentine, mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen, gegen alles und jeden rebelliert und die Familie zu entzweien droht, wird Silvie klar, dass sie Verantwortung für das Kaufhaus Thalheim und ihre Familie übernehmen muss.

Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin und arbeitete zunächst als Verlagslektorin. Sie hat mit großem Erfolg zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen sie die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte lebendig werden lässt. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in München.

Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin und arbeitete zunächst als Verlagslektorin. Sie hat mit großem Erfolg zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen sie die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte lebendig werden lässt. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in München.

1


Berlin, Mai 1952

Die Höhle war seit jeher ein Geheimnis, das nur sie beide teilten. Im Schutz des kuschligen Federbetts schrumpften kindliche Nöte und Ängste auf Miniaturformat, bis sie sich schließlich ganz auflösten, denn die vertraute Nähe des anderen schenkte Trost und Mut. Zusammen fühlten sie sich stark genug, um der ganzen Welt die Stirn zu bieten. Irgendwann konnte man dann wieder gemeinsam auftauchen – verschwitzt, aber gelöst.

Heute, in der Dämmerung, als im Hof bereits die Vögel zu zwitschern begannen, war es beinahe wie früher: Oskars Kopf ruhte in Silvies Armbeuge; seine Lider waren geschlossen, die Wimpern bewegten sich leicht. Die alte Narbe auf der Stirn vom Rolltreppensturz im Kaufhaus Thalheim war kaum noch sichtbar. Sein Gesicht wirkte entspannt; für den Moment schienen alle Albträume besiegt, auch wenn er kein kleiner Junge mehr war, der Schutz bei seiner Zwillingsschwester suchte.

Er war ihr Alter Ego, ihr Herzensmensch, der Nächste vor allen anderen. Nicht einen Augenblick hatte sie daran geglaubt, dass er tot sein könnte. Silvie hatte in den Jahren nach dem Krieg auch dann noch auf den Suchdienst des Roten Kreuzes gehofft, als die anderen Thalheims längst die Hoffnung aufgegeben hatten, weil jede Nachricht ausblieb. Oskar lebt, das hatte sie die ganze Zeit über gespürt. Als grünen Jungen hatten die Nazis ihn nach dem Notabitur an der Ostfront verheizt, als erwachsener Mann, versehrt an Körper und Seele, war er vor einem knappen Jahr endlich nach Berlin zurückgekehrt.

Sie strengte sich an, bloß nicht zum Bettende zu schauen. Ihr Bruder hatte immer die schönsten Füße der ganzen Familie gehabt: schmal, perfekt geformt, mit einem eleganten Spann, der jedem Balletttänzer Ehre gemacht hätte. Jetzt fehlten ihm links vier Zehen, erfroren in den eisigen Wintern Russlands, und später im Lagerlazarett wüst abgesäbelt, ohne Narkose, wie er einmal scheinbar nebenbei erwähnt hatte.

Immerhin hatte Oskar Thalheim drei Jahre Krieg und fast sieben endlose Jahre russische Gefangenenlager überlebt. Andere hatte es schlimmer getroffen, viel, viel schlimmer.

Was bedeuteten da schon vier verlorene Zehen?

Er wiederholte diesen Satz ständig, offenbar in der Hoffnung, irgendwann selbst daran zu glauben. Dass es bestenfalls ein Teil der Wahrheit war, wussten sie beide. Silvie spätestens seit seiner ersten Nacht in Oma Fridas einstiger Wohnung in der Bleibtreustraße, in der sie bis vor kurzem zusammen mit ihrer Schwester Rike gelebt hatte. Oskars gellende Schreie aus dem Nachbarzimmer hatten sie im Morgengrauen aus dem Schlaf gerissen; für ein paar Augenblicke war sie wie gelähmt gewesen. Dann stand er schon im Türrahmen, die blonden Haare zerrauft, das Gesicht angstvoll verzerrt.

«Sie kommen, Silvie, all die Toten sind auf dem Weg!»

Unwillkürlich schlug sie die Decke zurück, so wie sie es immer getan hatte, und er kroch zu ihr ins Bett, am ganzen Körper zitternd, bis ihre Wärme ihn schließlich beruhigte.

«Niemand kommt, Brüderchen», flüsterte sie, die Arme fest um ihn geschlungen. «Und wenn doch, dann können sie was erleben, das versprech ich dir! Immerhin bin ich ja acht Minuten älter als du …»

Sie mussten lachen, alle beide, danach begann er zu weinen, und sie hielt ihn fest, bis seine Tränen versiegt waren. Irgendwann schlief Oskar ein, doch sie blieb noch lange wach. So viele Jahre Leben hatte man ihm gestohlen.

Wie sollte er sich jemals davon erholen?

Genauso hatte es sich auch vor ein paar Stunden wieder abgespielt, und Silvie war froh, dass Oskar endlich eingeschlafen war. Keiner würde je von seinen Albträumen erfahren, das hatte sie sich geschworen.

Tagsüber war er zwar übermüdet, aber charmant und schlagfertig wie eh und je. Seine Rolle im Modekaufhaus Thalheim nahm er allerdings leider noch immer nicht so ernst, wie ihr Vater es von ihm erwartete. Sein einziger Sohn, auf dessen Rückkehr Friedrich Thalheim all seine Hoffnungen gesetzt hatte, spielte den Juniorchef nach außen hin famos. Schaute man allerdings genauer hin, sah es anders aus. Oskar vergaß Termine, hielt sich nicht an Vereinbarungen, und auf seinem Schreibtisch türmte sich Unerledigtes. Gäbe es nicht «Hildi», wie er ihre Sekretärin Hildegard Stutzke liebevoll nannte, die ständig rettend eingriff, um das Schlimmste zu verhindern, wäre die Liste der kleinen und größeren Pannen sicherlich noch länger.

Silvie machte sich Sorgen um ihren Zwillingsbruder.

Er fuhr Auto wie ein Verrückter, aß unregelmäßig und verbrachte zu viele Nächte in Etablissements wie der Charlottenburger Ciro-Bar, dem Nachtclub Vagabund oder dem berüchtigten Schöneberger Jazzlokal Badewanne, als würde er regelrecht vor dem Schlaf fliehen, der ihm so böse Träume brachte. «Pandabär», zog sie ihn auf, weil seine Augenschatten immer tiefer wurden. Oskar jedoch wollte keine guten Ratschläge oder gar Ermahnungen hören, nicht einmal, wenn sie von seiner Zwillingsschwester kamen.

«Früher warst du irgendwie anders, lustiger, nicht auf den Mund gefallen und vor allem nicht so grässlich angepasst», hatte er einmal prompt gekontert, als sie es schließlich doch nicht lassen konnte und ihn zur Rede stellte. «Damals ließ sich köstlicher Unsinn mit dir anstellen – und das fand ich wunderbar.»

«Früher war ich auch ein verwöhntes Gör, das vom Leben keine Ahnung hatte», gab Silvie zurück.

Dass sie ihre einstige Leichtigkeit manchmal selbst schmerzlich vermisste, würde sie ihm nicht auf die Nase binden. Oskar hatte Entsetzliches durchgemacht, aber die ersten Nachkriegsjahre in Berlin waren auch kein Zuckerschlecken gewesen. Silvie hatte gehungert, gefroren, für die Familie illegale Geschäfte auf dem Schwarzmarkt getätigt, dreimal ihr Herz verschwenderisch verschenkt und dreimal eine bittere Enttäuschung kassiert – das hatte sie geprägt.

«Heute bin ich die Radiostimme Berlins und schon lange kein Kind mehr», fügte sie hinzu.

«Papperlapapp, verehrtes Fräulein Neunmalklug! Alles ein wenig spielerisch anzugehen, hat noch keinem geschadet. Lieber interessant verlebt, als öde verspießert. Außerdem habe ich, wie du weißt, so einiges nachzuholen …»

Jetzt betrachtete sie Oskar, der noch immer tief und fest schlief. Er sah aus, als könne er kein Wässerchen trüben, und Silvie konnte ihm ohnehin nicht lange böse sein. Ganz im Gegensatz zu Rike, der Erstgeborenen in der Thalheim-Familie. Zwischen ihr und Oskar herrschte dicke Luft, seitdem Friedrich Thalheim den Sohn im vergangenen Herbst ohne langes Federlesen zum Mitgeschäftsführer ernannt und damit ihre Befugnisse drastisch beschnitten hatte. Jahrelang hatte Rike für die Wiedererrichtung des Modekaufhaus Thalheim am Ku’damm gekämpft, das alliierte Bomber 1943 in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie hatte den Vater aus russischer Haft freigekauft und schließlich sogar ihre Erbschaft von Opa Schubert in das Familienunternehmen investiert, um nun erleben zu müssen, wie der Bruder ihr vorgezogen wurde, obwohl ihm Fachkenntnisse, Erfahrung und offenbar auch Motivation fehlten. Silvie hatte sich immer wieder aufs heftigste mit Rike gestritten und Oskar verteidigt, doch inzwischen kam Silvie die drei Jahre ältere Schwester oft so bedrückt vor, dass sie ihr richtig leidtat.

Silvie hatte sich nie besonders für das Kaufhaus interessiert und war froh über ihren Job beim RIAS – fernab aller beruflichen Familienzwistigkeiten. Sie hatte sich eine begeisterte, ständig wachsende Hörerschaft in West und Ost herangezogen, egal, ob sie Musik auflegte oder mit eigenen Reportagen aus dem Berliner Alltag auf Sendung war. Ihr neustes «Baby», an dem sie schon lange tüftelte, existierte bislang nur in ihrem Kopf, aber es würde bei ihren Vorgesetzten und den anderen Kollegen in der Redaktion Begeisterung auslösen, das wusste sie. Wie eine Bombe könnte es einschlagen und die bereits mehr als erfreulichen Quoten noch weiter in die Höhe schnellen lassen …

Ihr Blick glitt zum Schrank. Dort hing es, das Kleid, das sie zu Rikes kirchlicher Trauung anziehen würde. Wenn ihre Schwester in wenigen Stunden mit Alessandro Lombardi vor den Altar trat, dürfte Silvie darin für Aufsehen sorgen, möglicherweise sogar einen kleinen Skandal auslösen.

Rike schien in dem italienischen Stoffhändler die große Liebe gefunden zu haben, während sie selbst die ihre vor sechs Monaten verloren hatte. Mit jeder Faser fühlte Silvie sich als Ralf Heigers legitime Witwe, auch wenn er offiziell mit einer anderen Frau verheiratet gewesen war. Silvie träumte oft von ihm, nicht von dem herzkranken Gefangenen, den sie kein einziges Mal besuchen durfte und der die Torturen in der JVA Weißensee am Ende nicht überlebt hatte, sondern von dem klugen, wortgewandten Journalisten, der ihr kurz nach dem Krieg die Liebe zum Rundfunk eingepflanzt hatte. Durch ihn war sie auch zur begeisterten Leserin geworden, für Silvie zu Schulzeiten noch unvorstellbar. Inzwischen jedoch wusste sie, welch Wunderwelten sich zwischen gedruckten Seiten auftaten, und ihr Hunger nach Büchern war schier unersättlich. Ralfs Bassbariton, der schnell ins Spöttische umschlagen konnte, hatte sie bis heute im Ohr, und sie sehnte sich nach dem erfahrenen, zärtlichen Geliebten, der so aufregend küssen konnte.

Manchmal hatte Silvie Angst, dass sie nun für immer allein bleiben würde, denn welcher Mann könnte schon an einen wie Ralf heranreichen? Unwillkürlich schüttelte sie sich, um diese negativen Gedanken wieder loszuwerden –...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2019
Reihe/Serie Die 50er-Jahre-Reihe
Die 50er-Jahre-Trilogie
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • Berlin • Das Haus der Träume • Familensaga • Frauenroman • Geschichte • Kaufhaus • Ku'damm • Mode • Muttertagsgeschenk • Nachkriegszeit • Roman • Saga • Schwestern • Wirtschaftswunder • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-644-20049-1 / 3644200491
ISBN-13 978-3-644-20049-4 / 9783644200494
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