Das Teemännchen (eBook)

Fachbuch-Bestseller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00156-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Teemännchen -  Heinz Strunk
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Heinz Strunks Geschichten. Lange, kurze, ganz kurze. Zum Teil knüpfen sie an bekannte Strunk'sche Themenwelten an, Einsamkeit, Sexualnot, Körperverfall, Alkohol, Übergewicht. Sie sind aber anders geschrieben als Strunks vorherige Bücher: immer pointiert, aber oft nicht komisch, manchmal absonderlich, traumlogisch, düster, grotesk, so zum Beispiel die Geschichte von dem DDR-Bürger, der durch politische Verfolgung so gebrochen wird, dass er die Wende als perfides Zersetzungsmanöver des Regimes missversteht und seine graue Zonenwohnung nie mehr verlässt. In anderen Stücken verabreden sich Kleinwagen zum Aufstand gegen die Menschen, erlebt Axl Rose von Guns n' Roses auf dem Hamburger Kiez seine Höllenfahrt, verwandelt sich eine Schönheitskönigin durch Arbeit im Schnellimbiss in eine alte Vettel, wird ein Mann an der Autobahn auf einem Windrad gekreuzigt, gerät eine Wilhelm-Busch-Expertin im Radio komplett aus der Fassung. Vor einigen Jahren hat Heinz Strunk eine Sammlung mit Erzählungen von Botho Strauss herausgegeben; die kurze Form liegt ihm am Herzen. Dies ist mithin kein Nebenwerk, keine Sammlung von Gelegenheitstexten, sondern ein Buch, in dem Heinz Strunk als Autor wieder ein Stück weiter zu sich kommt.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Borstelgrilleck


Im Borstelgrilleck angefangen hatte Anja mit Mitte zwanzig, kurz nach ihrer Scheidung, nach jahrelangem, zähem Kampf. Sie und Marcel hatten sich seit dem Sandkasten gekannt und geheiratet, sobald sie volljährig war. Doch nach fünf Jahren war die Ehe am Ende, es war wohl einfach zu früh gewesen. Ob es anders gelaufen wäre, wenn sich ihr Kinderwunsch erfüllt hätte? Darüber denkt sie oft nach.

Einen anderen hatte es nicht gegeben, sie war Marcel die ganzen Jahre treu gewesen. Dabei hatte es an Angeboten weiß Gott nicht gemangelt, so, wie sie aussah. Pin-up-Girl, hübsches Mädchen von nebenan/von Seite eins, Bauernkalenderschönheit, die eine oder andere Miss-Wahl hätte sie wohl gewonnen, wenn sie denn teilgenommen hätte. Es wollten wirklich alle mit ihr ins Bett, kein Mann, der es nicht wenigstens versucht hätte. Sie war so jung. Das Wichtigste an ihr.

Als es dann endlich überstanden war mit Marcel (nach einer Stalking-Phase direkt im Anschluss an die Trennung, in der er sie so schlimm terrorisierte, dass sie das Schlimmste befürchten musste, hatte er sich zum Glück neu verliebt und von ihr abgelassen), hätte sie die freie Auswahl gehabt. Sie hätte sich austoben, das Versäumte nachholen oder sich eine gute Partie angeln können. Aber das wollte sie auf keinen Fall: sich gleich wieder in die Abhängigkeit zu einem Mann begeben. Also zurück in ihren alten Beruf als Bäckerin, lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, und dann in aller Ruhe weitersehen. Doch schon nach ein paar Tagen bekam sie allergisches Asthma. Eine Mehlstaubunverträglichkeit, wie sich herausstellen sollte, die hatte sich unbemerkt entwickelt oder so, kann man nix machen. Und nun? Ihre Eltern unterstützen sie, gerne, natürlich, sie bezieht ihr altes Zimmer, ist ja nicht für lange.

 

Montag zieht sie ein. Donnerstag besucht sie zum ersten Mal das 200 Meter entfernte Borstelgrilleck, das vor knapp zwei Jahren in den Räumlichkeiten der «Schlachterei Bruhn» eröffnet hat. Seit Ewigkeiten hat sie kein Schaschlik mit Pommes oder Wurst mit Pommes oder Grillhähnchen mit Pommes oder Salat mit extra viel Ascorbinsäure gegessen, da hätte sie mal wieder richtig Lust drauf. Sie kommt gleich mit dem Chef ins Gespräch, klagt ihr Leid mit der Allergie, und der weiß prompt die Lösung: Den dummen Wassilij, die Aushilfe aus Weißrussland, hat er gerade rausschmeißen müssen, unzuverlässig, faul, frech, Russe eben. Wie wär’s, wenn du, darf ich du sagen? – Ja klar! – hier anfängst? Vielleicht keine schlechte Idee, denkt sie, die Arbeitszeiten sind zwar doof, dafür ist der Stundenlohn ganz okay, und für lau essen kann sie auch. Wär ja sowieso nur für den Übergang, alt werde ich hier nicht. Also schlägt sie ein, high five.

So eine wie sie im Borstelgrilleck, das ist eine kleine Sensation, da weiß man gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Schon gehört, da arbeitet jetzt diese Sexbombe im Borstel, die Blonde in den engen Jeans, den engen Blusen, mit der schmalen Taille, Brüste, Hintern, Mund, alles, die reine Versuchung, der dralle Braten, ja leck mich am Arsch. Umsatzsteigernd, imagesteigernd, der Laden läuft gut wie nie.

 

Aus ein paar Wochen werden Monate, ein Jahr, zwei, drei. Irgendwie schafft sie den Absprung nicht. Wenn man sie fragt, sagt sie, dass sie so bald wie möglich aufhören möchte, dafür sei sie nicht gemacht. Wofür sie gemacht ist, scheint sie allerdings auch nicht so genau zu wissen.

 

Anja sieht nach vier Jahren zwar immer noch gut aus, zwei, vielleicht zwei minus, aber den lieben langen Tag im Pommesmief, Schaschlikmief, Wurstmief, Frikadellenmief, das ohrenbetäubend laute Gezischel des siedenden Fetts, die Luft gesättigt mit Sorbinsäure, Benzoesäure, Milchsäure, Geschmacksverstärkern, Natriumnitrit, Farb-, Antioxidations- und Konservierungsmitteln, das Frittierfett, das die Poren verstopft, die Nachstellungen des Chefs, die anzüglichen Sprüche der Kunden, die ungünstigen Arbeitszeiten, die Kälte in den immer schwerer werdenden Beinen, das tiefgefrorene Grillgut, das sie allein aus dem Keller wuchten muss, ihr fehlen Sonne, Luft, Natur, Land und Leute. Der Laden oder sie, so viel ist bald klar, darauf läuft es hinaus.

 

Doch das Borstelgrilleck erweist sich auf längere, auf lange Sicht als unbezwingbarer Gegner. Er wirkt auf sie wie Gift, schwach dosiert zwar, aber dafür in regelmäßigen Gaben. Nach fünf, sechs Jahren sieht sie gar nicht mehr so geil aus. Der Chef verliert das sexuelle Interesse an ihr, das findet sie an sich prima, aber dafür ist es um die Kundenzufriedenheit bald nicht mehr gut bestellt. Sie macht immer häufiger Fehler, die Pommes sind versalzen oder nicht salzig genug, das Schnitzel oder Hähnchen ist nicht durch, der Salat vergoren, Majonäse ranzig, irgendwas ist immer. Sie vergisst Bestellungen oder bringt sie durcheinander, verrechnet sich, lässt dauernd was fallen; zu oft die immer gleichen Handgriffe, Kopf und Körper kommen ganz durch den Tüddel. An manchen Tagen wollen ihre Beine nicht aufhören zu zittern, selbst dann nicht, wenn sie die Hände auf die Schenkel presst. Solange sie noch jung und schön war, hat man ihr das durchgehen lassen, jetzt nicht mehr.

Dem Chef kann das harte Imbissleben anscheinend nichts anhaben. Er ist sechzig, aber immer noch voll da. Wie Skilehrer oder Bergführer oder Fitnesstrainer oder Senioren-Bodybuilder, gesund, kernig, bombig drauf, dem Leben zugewandt. Wie macht der das bloß?

Dann kommt der auf die bauernschlaue Idee, die Putzfrau einzusparen. Anja macht das bestimmt auch noch mit, denn sie ist, wie es scheint, hier endgültig hängengeblieben, eine Wahl hat sie wohl nicht. Nach Geschäftsschluss um zehn muss sie also auch noch den Laden picobello auf Vordermann bringen; sie ist jetzt die Erste, die kommt, und die Letzte, die geht. Der Chef lehnt sich zurück, aber er kann es sich ja erlauben, zu kommen und zu gehen, wann es ihm passt. Dafür trägt er schließlich die Verantwortung, er muss sich um den Einkauf, die Buchhaltung kümmern, strategische, taktische, alle möglichen Entscheidungen treffen, usw. In der freien Wirtschaft, klärt er Anja auf, zählen Ideen. Wenn ihr das hier nicht passt, soll sie doch ihr eigenes Grilleck aufmachen, Deutschland ist schließlich ein freies Land. Viel Spaß, viel Glück und alles Gute schon mal. Seine sanft raunende Stimme ist schleimig, im wahrsten Sinne des Wortes. Darauf fällt ihr nichts ein, was soll sie da schon sagen. Also tut und macht und schuftet sie sich dumm und dümmer und krumm und krümmer, elf, zwölf Stunden täglich, sechs Tage die Woche.

 

Und wie sie mittlerweile aussieht! Dauernd lösen sich ihre Haare und hängen im heißen Fett, das Gesicht ist schrundig, faltig, seltsam starr, dreifach gestaffelte Tränensäcke, Haut gedunsen und rotfleckig, Wasser in den Beinen, Figur ruiniert vom Imbissfraß. Ihr Anblick ist den Kunden auf Dauer nicht zuzumuten, entscheidet der Chef, die muss weg vom Verkauf, vom Tresen, hinter die Frontlinie. Also wird sie verbannt, versetzt, zu Grill und Fritteuse, mit dem Rücken zur Kundschaft Pommes braten, Würste braten, Frikadellen, Schaschlik, Jäger- und Paprikaschnitzel, Hähnchen drehen. In ihrer Ecke herrschen mörderische Temperaturen, 40, 50, 60 Grad, vielleicht mehr. Als sie sich einmal umdreht, dem Chef die fertigen Portionen zu reichen, bekommt der einen Schrecken. Mein Gott, die sieht ja noch mal anders aus: rote, zitternde Nasenlöcher, verhedderte Augenbrauen, Wimpern, zwischen denen winzige Tuscheklümpchen haften. Ein dickes schmutziges Pflaster um die Daumen, blauschwarz aufgewölbter Nagel. Schlimm sieht das aus! Eklig. Wenn sich der Chef, der ihren Anblick ja gewohnt ist, schon erschrickt, wie soll es dann den Kunden gehen?

Auch hinten ist sie nicht mehr tragbar, die Leute können sie ja sehen. Jetzt ist guter Rat teuer. Entlassen will der Chef sie aber auch nicht. Die treue Seele, hat sich nun schon fast zwanzig Jahre aufgeopfert, aufgerieben, die kann er nicht rausschmeißen wie seinerzeit Wassilij oder die anderen Taugenichtse, trotz Chefsein ist er Mensch geblieben, harte Schale, weicher Kern. Aber er muss auch – und dann doch in erster Linie – ans Geschäft denken. Unten, der Keller, das wäre eine Lösung, das könnte man als letzte Chance mal probieren. Vorbereiten könnte sie alles: den hausgemachten Kartoffelsalat, Dressing anrühren, Ware stapeln, verschieben, kühlen, haltbar machen, Frikadellen und Schnitzel für den Ansturm am nächsten Tag anbraten, vorbraten, nach Ladenschluss sauber machen ja sowieso, danach, nachts, Ware in der Auslage mit Petersilienstengeln und Tomatenachteln appetitlich anrichten.

 

Ihre Eltern, beide schwerkrank, müssen ins Pflegeheim. Jetzt lebt sie ganz alleine in der großen, renovierungsbedürftigen Wohnung. Sie weiß, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, sie beobachtet jeden Tag im Spiegel, wie ihr Körper, nachdem er zunächst dicker und breiter wurde, nun den umgekehrten Weg nimmt und allmählich verschrumpelt. Wie ein Regenwurm, der beim Überqueren der glühend heißen Straße vertrocknet. Sie mag auch kaum noch was trinken, auf der Arbeit nimmt sie aus ihrer kleinen Mineralwasserflasche während der Schicht nur ein paar Schlucke. Trocken, trocken wie ein Schmetterlingsflügel, knochentrocken auch zwischen den Beinen, das früher so dichte Haar brüchig wie getrocknetes Gras und fein wie Spinnweben.

Wie lange hat sie mit niemandem mehr gesprochen? Drei Wochen, vier Wochen? Und, vermisst sie was? Nein. Ihr Mitteilungsbedürfnis ist...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2018
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Botho Strauß • Erzählungen • Humor • Kurzgeschichten
ISBN-10 3-644-00156-1 / 3644001561
ISBN-13 978-3-644-00156-5 / 9783644001565
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