Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste (eBook)

Ein Karl-May-Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
608 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31766-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste -  Philipp Schwenke
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Karl Mays erste Reise in den Orient - »eine Abenteuergeschichte voller Witz und Übermut!« Frankfurter Allgemeine Zeitung. Jahrelang hat Karl May behauptet, er selbst sei Old Shatterhand: unbesiegbarer Abenteurer, bärenstarker Fährtenleser und Winnetous Blutsbruder. Hunderttausende Leser glaubten ihm, obwohl er Sachsen praktisch nie verlassen hat. 1899 aber bricht er zum ersten Mal wirklich in den Orient auf. Monatelang reist Karl - der angeblich 800 Sprachen spricht, alle Kontinente durchstreift hat und Gegner mit einem Fausthieb niederstreckt - mit dem Reiseführer in der Hand durch den Orient. Doch alles ist ihm eine Enttäuschung. Die Länder, die Sehenswürdigkeiten und am allermeisten der Mann, den auch er für Old Shatterhand gehalten hat: er selbst. Dann aber blasen die Zeitungen daheim zur Jagd auf ihn, und unterwegs muss Karl May plötzlich ein noch größerer Held werden als der, den er immer gegeben hat. Denn vielleicht kann er so noch seinen Ruf retten. Oder zumindest die Welt.

Philipp Schwenke, geboren 1978, arbeitet als Journalist und Autor in Berlin. Er ist Textchef beim Wirtschaftsmagazin Capital und war jahrelang Kolumnist beim Monatsmagazins Neon. »Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste« ist sein erster Roman.

Philipp Schwenke, geboren 1978, arbeitet als Journalist und Autor in Berlin. Er ist Textchef beim Wirtschaftsmagazin Capital und war jahrelang Kolumnist beim Monatsmagazins Neon. »Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste« ist sein erster Roman.

Prolog


12. Februar 1862
Chemnitz, Königreich Sachsen, Deutscher Bund


Der Angeklagte musste sich erheben. Auch Wachtmeister Uhlig, der sich trotz seines überaus breiten Mundes bei der Zeugenvernehmung bislang als wenig redselig erwiesen hatte, stand für seine Antwort auf. Er ging durch das Verhandlungszimmer, und zwischen dem Tisch des Richters und jenem für den Zeugen knarzte laut eine Diele, als er darauftrat. Vor dem Angeklagten blieb Uhlig stehen und deutete mit zackig ausgestrecktem Arm auf dessen Hosenstall.

»Dort«, sagte er.

Dann setzte er sich wieder, um weitere Fragen abzuwarten.

Durch die eisumkränzten Fenster fiel frostige Sonne in das Gericht, und in einer Ecke des Zimmers hatte sich ein zu kleiner Ofen beim Kampf gegen die Kälte übernommen. Unter dem Richter seufzte das Polster seines Stuhles in die Stille, als er sich vorlehnte und mit klammen Fingern die letzte Antwort des Wachtmeisters in die Akte schrieb. Oben trug sie den Briefkopf des Gerichtsamtes Chemnitz, darunter gab sie Auskunft über den Angeklagten: Karl May, geboren am 25. Februar 1842 in Ernstthal, Lehrer an der Fabrikschule von Altchemnitz.

Der Richter musterte ihn. In zerschlissenem Mantel stand dort ein Jüngling mit haflingerblondem Haar; ein harmlos wirkender Bursche, dem Kind gerade entwachsen. Aber solche waren ja oft die Schlimmsten. Keinesfalls durfte man sich täuschen lassen.

»Ein Vorsatz ist aus der ganzen Aussage des Wachtmeisters eindeutig herzuleiten«, sagte der Staatsanwalt.

Ernst schaute der Richter zu ihm hinüber, dann notierte er auch das.

Karl war verloren vor seinem Stuhl stehen geblieben und hoffte weiter, dass sich das Missverständnis, um das es sich hier doch offensichtlich handelte, rasch aufklären würde.

Der Richter wies ihn an, sich zu setzen.

Karl nahm wieder die Haltung ein, in der er der ersten Viertelstunde der Verhandlung gefolgt war: Eingefallen auf seinem Stuhl, die gefalteten Hände zwischen die Oberschenkel geklemmt, wippte er nervös mit dem Bein. Egal wo er hinschaute – nach rechts in Richtung des Wachtmeisters, links in die des Richters oder geradeaus, wo der Staatsanwalt saß –, immer strafte ihn der strenge Blick eines der drei Herren. Also starrte Karl auf die Tischplatte vor ihm, während das Schlottern seines Beines auch den Rest des Körpers antrieb. Bis zur Nasenspitze wackelte Karl, und genauso oft wie sein Knie wechselten auch seine Gedanken die Richtung: ein Missverständnis, dachte er zum hundertsten Male, nichts als ein leicht aufzuklärendes Missverständnis. Es sprach doch, dachte er, trotz allem vieles für ihn. Dass er, zum Beispiel … – oder wussten sie von seiner Entlassung? Das konnten sie nicht wissen, dachte Karl, nein, es musste doch alles gut ausgehen, weil … – oder es ging eben nicht gut aus. Konnte der Diebstahl der Kerzen gegen ihn verwendet werden? Wussten sie davon? Es war kaum möglich. Oder? Aber selbst wenn: Es blieb doch alles ein Missverständnis. Ein Missverständnis ohne böse Absicht, und diese hohen Herren würden den Irrtum doch sicher einsehen können, ganz bestimmt, oder jedenfalls durfte man es hoffen.

»Eindeutig spricht es für Vorsatz«, sagte der Richter und sah Karl streng an.

Oder man würde ihn ins Gefängnis werfen, dachte Karl. Wenn man es wirklich darauf anlegte, wäre es ein Leichtes, ihn ins Gefängnis zu werfen.

Auf dem Tisch des Staatsanwaltes lag die Taschenuhr als Beweis.

Karl rang mit sich.

Noch könnte er versuchen, sich zu retten, indem er die Frau des Wachtmeisters opferte.

 

Es war an diesem Tag keine drei Monate her, dass Karl seine zweite Stelle im sächsischen Schuldienst angetreten hatte. Im November hatte die Fabrikschule von Altchemnitz ihn aufgenommen, dort sollte er die Kinder unterrichten, die in der Baumwollspinnerei Julius Friedrich Claus und der Kammgarnspinnerei C.F. Solbrig arbeiteten. Die Arbeit war leicht, und nach dem unschönen Ende seines ersten Lehramtes musste der Dienst durchaus glücklich genannt werden. Täglich stellte sich der magere Karl also vor die Schüler, denen die Arbeit in der Textilfabrik die Hände schwarz und die Augen mit Entzündungen rot gefärbt hatte, und brachte ihnen Schreiben und Rechnen bei. Die Ältesten unter ihnen waren kaum fünf Jahre jünger als er, und so bemühte sich Karl, größer und erwachsener zu erscheinen, indem er seinen Rücken noch aufrechter spannte als gewöhnlich. Das jährliche Salär betrug 200 Taler, 25 mehr als auf seinem ersten Posten, und vielleicht war seine Entlassung also doch für etwas gut gewesen.

Auch für Logis hatte er nichts zu bezahlen. Eine der Dienstwohnungen auf dem Gelände der Kammgarnspinnerei war noch nicht vollständig belegt, dort konnte er einziehen. In der Küche standen ein Tisch und ein Ofen, in der Stube zwei Betten, und im zweiten davon schlief der Mann, der Karl vor Gericht bringen würde.

Bis zu Karls Einzug hatte Julius Herrman Scheunpflug jene Räume allein bewohnt. Er war ein überaus pingeliger Zimmergenosse, der die Scheiben abwog, die Karl vom gemeinsamen Brot schnitt, um am Ende der Woche genau abzurechnen. Scheunpflug stammte, wie er Karl nicht müde wurde zu erläutern, aus gutem Hause. Aufgrund einer glücklichen Erbschaft hatte er die meisten Jahre seines Lebens als Privatier verbracht, und lange war er einem geregelten Tagesablauf gefolgt, der aus Zeitungslektüre und Einladungen zu Gesellschaften bestand. Bloß trieb ihn die Langeweile – die alle langweiligen Menschen stets am schnellsten befällt – schließlich zum Trinken, und das Trinken trieb ihn zum Kartenspiel, und das Spiel wiederum trieb ihn in den Bankrott. Mit 40 Jahren hatte er doch noch eine Arbeit annehmen müssen und übersah nun den Warenversand in der Kammgarnspinnerei. Das Quartier auf dem Werksgelände war eine Zumutung, verglichen mit seiner vorherigen, äußerst komfortablen Wohnung in Chemnitz – die er aber hatte verlassen müssen, als er schon keine Möbel mehr besaß, die sich hätten zu Geld machen lassen. Trotzdem gelang es Scheunpflug meist, Karl zu überzeugen, dass er im Grunde ein wohlhabender Mann sei, der nur vorübergehend in Schwierigkeiten gekommen war.

Karl selbst erschien die Dienstwohnung als unerhörter Wohlstand. Er war eines von 13 Kindern eines armen Webers und unter den fünfen davon, die ihr erstes Jahr überlebten, der einzige Sohn. Die Familie bewohnte ein kleines Haus am Markt von Ernstthal. Sie teilte es mit einem Webstuhl, an dem der Vater zehn Stunden am Tag saß und nicht gestört werden durfte, mit einer alten Wäscherolle, die für zwei Pfennige pro Stunde an andere Leute vermietet wurde, und mit Karls geliebter Großmutter. Die Hoffnung der gesamten Familie ruhte auf ihm. Ein Medizinstudium, wie von allen gewünscht, hatten die Eltern nicht bezahlen können, doch war Karl immerhin Lehrer geworden. Lang hatte er zwar eine leise Enttäuschung darüber in sich getragen – aber dass er nun schon in Lebensumstände gelangt war, in denen auf jeden Bewohner eines Heims durchschnittlich ein Zimmer kam, ließ ihn froh in die Zukunft blicken.

Scheunpflug dagegen beschwerte sich recht bald bei der Fabrikleitung über den Eindringling: Sich die Wohnung mit einem Proleten teilen zu müssen, das sei eine Zumutung, gerade für jemanden wie ihn, der nun immerhin in der Verwaltung der Fabrik arbeite und ja – das müsse er bei dieser Gelegenheit betonen – aus gutem Hause stamme; aus sehr gutem Hause sogar!

Die Fabrikleitung hörte ihn an und beschied ihm dann, dass an diesem Arrangement leider gar nichts zu ändern sei. Er könne sich jedoch gern auf eigene Kosten wieder eine Wohnung in der Stadt nehmen. Scheunpflug also musste bleiben. Und Karl blieb auch.

Von der Beschwerde bei der Fabrikleitung ahnte dieser nichts. Wohl aber sah Karl das Benehmen seines Zimmergenossen, aus dem er nicht recht schlau werden mochte. An manchen Tagen genügte schon ein Husten Karls, um Scheunpflug zu einem Zornesausbruch zu reizen, ein Rascheln von Papier oder ein früheres Heimkehren vom Dienst. An anderen Tagen, meist jenen, an denen Scheunpflug weniger Schnaps getrunken hatte, schien er sich um übergroße Freundlichkeit zu bemühen. So besaß Karl beispielsweise keine Uhr. In einer jener guten Stunden bot Scheunpflug ihm also mit an Herablassung grenzender Großzügigkeit an, seine alte Taschenuhr zu benutzen, damit Karl seinen Unterricht pünktlich enden lassen konnte. Auch bei seinen alten Tabakspfeifen, sagte Scheunpflug, dürfe er sich bedienen. Karl ließ sich gern auf dieses Friedensangebot ein, und so ging der November herum. Bald wurde es Weihnachten.

Am Morgen des 23. Dezembers erwachte Karl früh. Die Stube lag stockfinster, und Karl kauerte sich noch einmal unter der Decke zusammen, um Wärme zu sammeln, die er mit hinausnehmen konnte. Scheunpflug schlief noch, wie jeden Morgen, und bald fürchtete Karl, zu spät zu sein, also zwang er sich in die Kälte.

Im Ofen in der Küche war die Glut längst erloschen, und Karl paffte Dampfwolken, als er einheizte. Sein Frühstück bestand aus dünnem Malzkaffee, in den er Stücke trockenen Brotes schnitt, so hatte man es zu Hause stets gehalten. Während er aß und auf die Wärme des Ofens wartete, schaute er immer wieder zur Tür. Dort hing Scheunpflugs alte Uhr an einem Nagel neben dem Rahmen. Eilig hatte er es noch nicht.

Karl stand auf, nahm die Uhr ab und setzte sich wieder. Mit aufgestützten Ellenbogen ließ er sie an ihrer Kette über den Tisch pendeln. Er rechnete.

Es war der letzte...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2018
Zusatzinfo 1 Karte
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Affäre • Historischer Roman • Humor • Indonesien • Karl-May-Roman • Old Shatterhand • Orient-Reise • Sex-Skandal • Winnetou
ISBN-10 3-462-31766-0 / 3462317660
ISBN-13 978-3-462-31766-4 / 9783462317664
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