Kroatisches Roulette (eBook)

Mein zweiter Fall
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
288 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-21747-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kroatisches Roulette -  Miroslav Nemec
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Psychoterror oder Erpressung? Die Spur führt in die alte Heimat.
Wer will Tatort-Kommissar Miroslav Nemec ins Verderben stürzen? Und warum? Miroslav Nemec führt ein glückliches Leben, bis ein vermeintliches Zimmermädchen ihn in eine unangenehme Situation bringt. Geraten jetzt kompromittierende Fotos an die Öffentlichkeit? Ein dummer Scherz? Eine Verwechslung? Erpressung? Nemec muss es ganz allein herausfinden. Die Spur führt in seine alte Heimat. In Rijeka findet er das Zimmermädchen, das in Wahrheit eine Stuntfrau ist, ermordet vor. Leider sprechen alle Indizien dafür, dass ausgerechnet er der Mörder sein muss. Doch das ist erst der Anfang einer Abwärtsspirale, die droht, Nemec ins Verderben zu stürzen. In seinem »zweiten Fall«, der größtenteils in Kroatien spielt, gelingt Miroslav Nemec ein raffinierter Kriminalroman in eigener Sache.

Miroslav Nemec, 1954 in Zagreb geboren, kam mit zwölf Jahren nach Deutschland und ist Schauspieler und zugleich ausgebildeter Fachlehrer für Musik. Von 1981 bis 1986 war er festes Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater. Schon damals arbeitete er immer wieder fürs Fernsehen. Die großen Erfolge kamen allerdings erst mit den Krimiserien Tatort, Derrick und Der Alte. 1997 und 2001 wurden er und sein Kommissarkollege Udo Wachtveitl mit dem Goldenen Löwen und dem Bayerischen Filmpreis als beste Darsteller ausgezeichnet, 2011 erhielt Miroslav Nemec den Adolf-Grimme-Preis sowie den Bayerischen Verdienstorden.

2

Dienstag, 10. Oktober

In München war Föhnwetter. Die Alpen, die wir eben überflogen hatten, lagen glasklar am Horizont, und ein warmer Wind, der eher zu einem Mai- als zu einem Oktobertag gepasst hätte, empfing mich, als ich aus dem Flughafengebäude trat.

Schon mein Wagen, der auf dem Parkplatz auf mich wartete, fühlte sich an wie ein Stück Heimat. Ich fuhr den Umweg über die Autobahnen und sparte mir so den Innenstadtverkehr. Als ich zu Hause meine Lieben in die Arme nehmen konnte, war mein Leben wieder in Ordnung. Vorläufig jedenfalls.

Immer wieder machte mir eine innere Stimme klar, dass noch was kommen konnte, aber je länger es ausblieb, desto wahrscheinlicher erschien mir die Theorie mit der Verwechslung. Das jedenfalls versuchte ich, mir zu suggerieren, wann immer die Erinnerungen an das Zagreber Ereignis in mir hochstiegen. Einen ganz bestimmten Gedanken verdrängte ich. Ich ließ ihn einfach nicht bis hinter meine Stirn kommen. Irgendwo, tief drin, am Rande meiner Wahrnehmung, geisterte er zwar herum, aber bis zu mir, bis in mein Bewusstsein, ließ ich ihn nicht vor.

Um mich abzulenken, spielte ich mit Mila mehr als sonst, bekochte meine beiden Lieben ein wenig üppiger als üblich. Und ich verbat mir, ans iPad zu gehen und meinen Namen zu suchen. Hatte ich in Kroatien noch »Miroslav Nemec« zusammen mit »Vergewaltigung« und »sexueller Belästigung« eingegeben, so hatte ich jetzt auf meinen bloßen Namen umgestellt. Es war mir nämlich eingefallen, dass ich gelesen hatte, Suchmaschinen speicherten Kombinationen, die häufig gesucht wurden. Hatte nicht Bettina Wulff Google verklagt, weil bei der Suche nach ihrem Namen dieser zusammen mit »Prostituierte« angeboten worden war? Der Algorithmus würde im schlimmsten Fall, also wenn ich zu oft »Nemec« und »Vergewaltigung« eingab, diese Kombination allen anbieten, die nur meinen Namen suchten.

*

In den nächsten Tagen musste ich mich mit der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens beschäftigen. Im Dezember würde ich mit meinem Kollegen Udo Wachtveitl damit auf Tournee gehen. Außerdem hatte meine Agentin mir ein Drehbuch geschickt. Die Figur, die ich spielen sollte, ein Fischer an der Nordsee, hat ein Problem damit, dass sein Sohn schwul ist. Dann verletzt er sich bei der Arbeit, sodass er nicht mehr rausfahren und den Kredit für den neuen Bootsmotor nicht mehr bedienen kann. Ein junger Syrer springt ein, der als Flüchtling Arbeit sucht, und rettet ihn vor dem Bankrott. Schließlich verliebt sich der Syrer in den Sohn des Fischers, und die beiden werden ein Paar. Die spießigen Nachbarn haben natürlich was dagegen, aber dann brennt ihr Hof ab, und die Fischersfamilie nimmt sie auf. Schlussendlich kocht der Syrer ganz toll für alle, und man liegt sich in den Armen. Ich wusste, das war ein Buch, über das mein Freund Hallhuber gesagt hätte: Miro, damit kommst du ganz groß raus … – aus dem Geschäft.

Als meine Agentin mich anrief und fragte, ob ich schon Zeit gefunden hätte, das Drehbuch vom »Fischer und seinem Sohn« zu lesen, sagte ich: »Ja, hab ich. Aber wenn ich nicht den Sohn spielen darf, dann sag bitte ab.«

Sie lachte. »Ich weiß schon«, sagte sie, »aber ich wollte es dir nicht vorenthalten. Was ich dir auch nicht vorenthalten will, ist ein Angebot für eine Werbekampagne.«

»Und worum geht’s?«

»Lach nicht, es geht um Treppenlifte.«

Ich lachte. »Um was?«

»Treppenlifte für ältere Menschen. Ein kommendes Riesengeschäft. Die sogenannten Senioren sitzen millionenfach in ihren zweistöckigen Häuschen, wollen nicht ins Altersheim und können nicht mehr treppauf, treppab gehen. Also brauchen sie was?«

»Einen Treppenlift. Okay. Aber was hat das mit mir zu tun?«

»Ganz einfach. Bei all diesen Altersprodukten nimmt man Grauhaarige, die fit und jung aussehen, damit identifiziert sich der Treppenliftkäufer – meint jedenfalls die Werbeagentur, die mich kontaktiert hat.«

»Verstehe. Und wie viel Schmerzensgeld gibt’s dafür?«

»Magst du’s wirklich wissen?«

Ich zögerte. »Lieber nicht.«

»Es geht um viel Geld, Miro.«

»Ja, ich versteh dich schon, Claudia. Solange ich im Tatort noch über Zäune springe, möchte ich nicht der Opa sein, der pfeifend im Treppenlift gen Himmel fährt. Außerdem möchte ich auch für meine Kinder noch eine Weile der energiegeladene Kroate sein.«

»Alles klar, mein Lieber«, sagte sie, und wir verabschiedeten uns.

Und plötzlich dachte ich wieder an den Überfall in Zagreb. Der war jetzt schon fast eine Woche her, und ich hatte bei meinen allmorgendlichen und allabendlichen Recherchen nichts gefunden. Die Bedrohung war langsam, aber sicher in immer weitere Ferne gerückt. Meine Ängste hatten nachgelassen. Ich schlief wieder gut. Und auch der Gedanke, den ich aktiv verdrängte, war immer leiser und kleiner geworden, und irgendwann hatte ich ihn fast vergessen. Der blöde Treppenlift entfachte für einen kurzen Moment wieder dieses Strohfeuer der Angst. Als Mila bald darauf nach Hause kam und mich an der Hand nahm, damit ich mit ihr Pferde-Ranch spielte, fiel dieses Strohfeuer wieder in sich zusammen. An diesem Abend und danach veranstaltete ich auch keine Recherchen mehr im Internet.

*

Dann lag dieser Umschlag im Briefkasten. DIN A4, hellbraun mit Kartonrückwand, nur mein Name vorne drauf, NEMEC, in Druckbuchstaben, keine Briefmarke, kein Absender, und der Gedanke, den ich so erfolgreich verdrängt hatte, war wieder da: Es kann auch Erpressung sein.

Meine Frau war in der Filmhochschule, die Kleine im Kindergarten, ich musste also niemandem erklären, wieso ich mich kreidebleich im Gesicht ans Klavier setzte und wie abwesend improvisierte.

Dann ging ich in die Küche, warf mir ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht und überlegte, ob ich den Umschlag ungeöffnet entsorgen sollte. Das schaffte ich natürlich nicht.

Das Bild war großformatig und gestochen scharf. Und farbig. Und es sah genau so aus, wie ich es befürchtet hatte. Ich wirkte aggressiv, die Frau verängstigt, und jeder Betrachter wäre sich sicher, dass ich ihr das Kleid aufreiße und sie sich dagegen wehrt.

Ich saß da wie gelähmt und starrte auf das Bild, das auf meinen Knien lag. Das Kuleschow-Experiment, dachte ich. Wie oft hatte ich darüber mit meiner Frau diskutiert, wenn wir über unsere Filmarbeit sprachen. Denn für Kuleschow bedeutete die Schauspielkunst nichts, der Filmschnitt alles. Kuleschow hatte schon in den Zwanzigerjahren in Moskau herausgefunden, wie das menschliche Gehirn bei einer Bildmontage einen Sinn erzeugt, der eigentlich gar nicht da ist. Man hatte das immer gleiche, ausdrucksarme Gesicht eines Schauspielers mit Bildern eines Tellers Suppe, einer verführerischen Frau und eines Sarges kombiniert, und die Zuschauer hatten dem Schauspielergesicht im ersten Fall Hunger, im zweiten Begierde und im dritten Trauer zugesprochen. Mir würde man, auch wenn das hier keine Montage war, eben nicht Abwehr der Frau zusprechen, sondern das Gegenteil: einen Übergriff.

Sonst war nichts in dem Umschlag gewesen, keine Drohung, keine Forderung. Nach einer kleinen Ewigkeit nahm ich den Abzug widerwillig in die Hand und drehte ihn um.

Das ist die Hälfte des Plans stand da.

Der Satz war mit dem Computer geschrieben, ausgeschnitten und als Papierstreifen auf die Rückseite des Bildes geklebt.

Wie ein Roboter, der sein Programm abarbeitet, setzte ich Kartoffeln auf, schnitt Zwiebeln und Petersilie und bereitete alles für Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat vor. Meine Frau würde mit der Kleinen gegen halb fünf nach Hause kommen, und da wollte ich das Essen vorbereitet haben.

Das Bild hatte ich in den Umschlag zurückgeschoben und in meine Schreibtischschublade gelegt. Denken konnte ich nicht, ich machte einfach alle Handgriffe, die es zum Kochen, dann zum Spielen mit Mila und später zum Servieren und Essen brauchte. Ich tat so, als hörte ich zu, als meine Tochter vom Kindergarten erzählte, sagte irgendwas, wenn ich den Eindruck hatte, dass das von mir erwartet wurde, und erst, als Mila viel später im Bett war, erlöste meine Frau mich aus diesem Zustand. Sie sagte: »Was ist los mit dir?«

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir noch sicher gewesen, dass ich ihr die Geschichte verheimlichen musste, auch wenn ich nicht wusste, wie das gehen sollte und was es helfen würde, wenn das Bild doch jederzeit in der Zeitung oder im Internet auftauchen konnte.

»Jemand will mich ruinieren, und zwar so richtig, so, dass ich nie mehr ein Bein auf den Boden kriege.«

»Dich ruinieren? Wer?«

»Keine Ahnung.«

»Und wie? Und warum?«

Ich ging zu meinem Schreibtisch, nahm den Umschlag heraus, dann das Bild, hielt es noch so, dass sie nicht sehen konnte, was drauf war, und sagte: »Es ist nicht so, wie es scheint.«

Dass ich diesen Satz schon in Hunderten von Komödien gehört hatte, fiel mir erst in diesem Moment auf, aber ich konnte es nicht witzig finden. Nichts daran war witzig.

»Dann erzähl mir, was los ist, und ich schau das Bild erst hinterher an?«

Ich erzählte.

Sie hörte schweigend zu, sah in den dunklen Garten hinaus, während ich redete, und nahm schließlich das Bild, das ich ihr reichte, legte es vor sich auf die Tischplatte und sagte nach einem nicht allzu langen Blick darauf: »Wenn man es weiß, sieht man vielleicht, dass du versuchst, ihre Arme zusammenzudrücken. Oder? Ein Experte müsste das doch sehen können.«

Sie reichte mir das Bild.

»Vielleicht hast du recht.« Ich zog meinen Pullover aus....

Erscheint lt. Verlag 15.10.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Die Toten von der Falkneralm • eBooks • in eigener Sache • Ivo Batic • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Miroslav - Jugoslav • Opatija • Rijeka • Sommerkrimi • Tatort • Zagreb
ISBN-10 3-641-21747-4 / 3641217474
ISBN-13 978-3-641-21747-1 / 9783641217471
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