Die Fäden des Glücks (eBook)

Roman
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2018 | 1. Auflage
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45121-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Fäden des Glücks -  Julia Fischer
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Ein zauberhafter Sommer-Roman von der Autorin und Sprecherin Julia Fischer über große Gefühle, Italien, die große Liebe und große Oper. Sie kennt die Magie opulenter Stoffe und leuchtender Farben. Carlotta Calma, Damenschneiderin in Turin, hat sich ganz der subtilen Kunst verschrieben, Menschen durch Kleidung zu verändern, so wie ihre Mutter, Gewandmeisterin an der Turiner Oper. Carlotta entwirft Kleider für jede Lebenslage und stickt heimliche Botschaften unters Futter, die ihre Kundinnen auf eine Reise zu sich selbst schicken sollen. Denn für Carlotta ist eines klar: Es gibt keine hässlichen Frauen, jede Frau ist auf ihre Art schön und begehrenswert. Auch Carlotta hat sich seit ihrer Jugend verändert, ist vom hässlichen Entlein zu einer barocken Schönheit geworden. Ihr Jugendschwarm Daniele ist fasziniert von ihr, und sie glaubt sich am Ziel ihrer Träume. Doch ist der Schwarm von einst wirklich ihre große Liebe?

Julia Fischer (geb. 1966) ist Schauspielerin und lebt mit Mann und drei Kindern in München. Sie arbeitet auch als Sprecherin und hat zahlreiche Hörbücher eingesprochen.

Julia Fischer (geb. 1966) ist Schauspielerin und lebt mit Mann und drei Kindern in München. Sie arbeitet auch als Sprecherin und hat zahlreiche Hörbücher eingesprochen.

Prolog


Turin, Piemont, Mai 1997

Die Nacht war mit dem feinen Stoff verwoben, der Mond aus Kristallen gemacht, Hunderte Pailletten glänzten im kalten Licht der Deckenlampe wie blitzende Sterne. Carlotta zwang die schillernden Plättchen in Schlaufen und weinte, aber nur leise, denn ihre Mutter war schon auf dem alten Sofa eingeschlafen. Das prächtige Kleid bauschte sich auf ihrem Schoß – nachtblaue Marquisette, schwarze Gaze und Duchesse, Lage um Lage – und deckte sie zu. Eben noch hatte Mimi Calma einen Ärmel eingefasst, dann waren ihr die Augen zugefallen. Sie wurde schnell müde in letzter Zeit.

»Im neuen Schuljahr muss ich auf ein Internat, Lola«, hatte Daniele heute zu Carlotta gesagt. »Mein Vater war da früher auch.«

»Bist du wenigstens noch in den Sommerferien da?«, hatte sie ihn gefragt und sich an der Hoffnung festgehalten, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Fünf Jahre waren sie jetzt zusammen auf der scuola primaria, fünf Jahre, und nun ging ihr einziger Freund einfach fort.

»Nein. Wir fliegen wieder nach Neuseeland, auf die Schaffarm.«

Carlotta saß bei ihrer Mutter, den Rocksaum in der Hand, und ihre Tränen liefen unaufhörlich. Sie tropften auf die funkelnden Glasperlen und versanken in dem edlen Stoff. Morgen war am Teatro Regio, der Turiner Oper, die erste Hauptprobe der Zauberflöte, und die Kostüme mussten fertig werden. Carlotta half gerne dabei. Sie war geschickt und liebte die Näharbeiten, die ihre Mutter manchmal auch mit nach Hause brachte. Doch heute war sie abgelenkt und dachte wieder und wieder an die Schule. In der dritten Klasse hatte sie sich dort in Danieles Mantel verliebt und ein bisschen auch in ihn. Der Mantel war schwarz und mit nachtblauer Seide gefüttert, nachtblau wie das Kleid, an dem sie gerade nähte. Sie hatte an der Garderobe ihr Gesicht darin vergraben und vom schützenden Fell der Schafe geträumt. Fast glaubte sie den Herzschlag der sanften Tiere zu spüren, vermischt mit dem Beben der Erde unter dem Stampfen einer Haka der Maori. Aber es waren nur die lauten Schritte ihrer Klassenkameraden, die den Flur entlangstürmten und sie überraschten. »Lola ist verlie-hiebt, Lola ist verlie-hiebt …«, riefen sie, und Daniele wandte sich ab, weil es ihm peinlich war. Aber als sie ihr dann auch noch das Pausenbrot wegnahmen, »damit die fette Lola-Qualle nicht platzt«, teilte er seines mit ihr und legte ihr den Mantel um, als es zu schneien begann. Carlotta strich mit den Fingerspitzen vorsichtig darüber und prägte sich das Gefühl für immer ein – die Geborgenheit und wollweiche Wärme der anschmiegsamen Zuflucht. Der Schnee fiel an diesem Tag auf Danieles dunkle Locken und schmolz, weil im richtigen Leben alles vergeht und nur die Illusionen überdauern. »Das ist ja wie in La Bohème«, sagte Carlotta zu ihm.

»Die Oper?«

»Ja. Meine Mutter ist Schneiderin am Teatro Regio, weißt du. Ich gehe jeden Tag nach der Schule rüber und mache dort meine Hausaufgaben. Da kann man überall spielen, und es gibt richtig gute Verstecke.«

»Hast du La Bohème gesehen?«, fragte Daniele interessiert. »Kennst du die Geschichte?«

»Klar.«

»Erzählst du sie mir?« Er schenkte Carlotta noch seinen Apfel und seinen schönsten Sternenblick.

»Also, die Hauptfigur heißt Mimi, so wie meine Mutter«, begann sie, »und Mimi ist die Nachbarin von Rodolfo, einem armen Schriftsteller. Sie klopft bei ihm, weil ihre Kerze ausgegangen ist und sie Feuer braucht.«

»Und dann?«

»Na, dann singen sie zusammen, weil ihnen kalt ist, weil’s draußen schneit, so wie jetzt. Aber auf der Bühne ist das kein richtiger Schnee, nur Schnipsel aus Seidenpapier.«

Daniele war begeistert. Zu Hause erzählte ihm niemand Geschichten, und er hatte auch keinen zum Spielen. Seine Mutter erlaubte ihm nicht, seine Freunde aus der Schule mitzubringen, denn sie waren kein passender Umgang. Schließlich war Danieles Vater ein bekannter Webereibesitzer. Die Lanificio Giordano produzierte mit die besten Stoffe der Welt. Dass Daniele auf eine öffentliche Schule ging, war der Wunsch seines Vaters gewesen, ein bescheidener Mann, der sich gerne unter seine Arbeiter mischte. »Mimi ist krank«, erzählte Carlotta weiter, »sehr krank. Sie hustet dauernd.«

»Muss sie sterben?« In der Oper ging es immer tragisch zu, das wusste Daniele, weil sein Vater auch oft Opern hörte.

»Du bist ja wie Peter Pan«, erwiderte Carlotta da und lachte. Sie saß auf dem Schulhof, vor dem sie sich sonst immer so fürchtete, und lachte! »Dem muss Wendy auch ständig Geschichten erzählen, so wie ihren Brüdern.«

»Ja, ich bin Peter«, stimmte Daniele ihr zu, denn dieses Theaterstück kannte er, »und du bist Wendy, mit der er ins Nimmerland fliegt, damit sie ihm und den verlorenen Jungs dort Geschichten erzählt.« Einmal um den Mond und weiter Richtung Nimmerland …

 

Am Ende des Winters fragte Carlotta Daniele, ob er sie nach der Schule einmal in die Oper begleiten wolle. »Ich weiß nicht, ob meine Mutter das erlaubt«, zögerte er.

»Aber Gino meint, er kennt deinen Vater, und er passt auf dich auf.«

»Wer ist Gino?«, wollte Daniele wissen.

»Er ist Schlosser und arbeitet in der Rüstmeisterei. Da machen sie Waffen und Feuerwerk.« Und den Flügel mit den Pfauenfedern, den die Königin der Nacht zu dem Kleid tragen würde, an dem Carlotta noch immer nähte. »Außerdem ist Gino so was wie mein Vater, mein Stiefvater. Er kümmert sich um meine Mutter, Rosina und mich.« Rosina war Carlottas kleine Schwester. Sie war erst eineinhalb. Ihre Mutter brachte sie tagsüber in die Kinderkrippe, damit sie arbeiten konnte, und Carlotta passte abends auf sie auf, wenn Mimi bis zum letzten Vorhang in der Oper bleiben musste. Dann sang sie für Rosina Lieder und verscheuchte schlechte Träume mit warmer Milch und Honig. »Ich glaube, Gino ist in meine Mutter verliebt«, verriet Carlotta ihrem Freund, »aber er traut sich’s nicht zu sagen.«

Daniele lächelte verlegen. »Und dein richtiger Vater?«, fragte er. »Wo ist der?«

Carlotta zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht.« Sie tat so, als wäre es ihr egal, doch hin und wieder vermisste sie ihn. Es war nur eine unbestimmte Sehnsucht und der Wunsch, so zu sein wie die anderen.

Im kalten Licht des kleinen Zimmers fädelte Carlotta gerade den letzten Faden ein. Sie war fast fertig, die Glasperlen und Pailletten waren aufgebraucht, und Tränen hatte sie auch keine mehr. Daniele würde fortgehen. Sie würden nie wieder mit Gino in der Rüstmeisterei Peter Pan spielen – Gino war der allerbeste Kapitän Hook! –, nie wieder zwischen stumpfen Speeren, Lanzen und Piratensäbeln umherjagen, zusammen an der Drehbank stehen, sägen und hämmern. Einmal hatten sie mit Gino sogar eine Krone gemacht – für König Lear! Mit wem suchte sie denn jetzt Geheimverstecke, wer blies mit ihr Sternenstaub vom Schnürboden auf die Bühne hinunter oder verkleidete sich mit ihr im Fundus? Wer plante mit ihr Abenteuer? Und wer würde sie in der Schule beschützen?

Mit letzten flinken Stichen befestigte Carlotta das kleine Etikett mit dem Namen der Sängerin und dem Vermerk Zauberflöte im üppigen Mieder. »Du musst immer die Atmung berücksichtigen, Lotta-Schatz«, hatte ihre Mutter ihr bei der ersten Anprobe des prächtigen Kleides erklärt, »denn jeder Sänger atmet anders«, und die Königin der Nacht im Gewühl der Schneiderwerkstatt zwischen ratternden Nähmaschinen und glühenden Bügeleisen eine Arie anstimmen lassen, bis die Stoffzugabe aufgebraucht war. Ihre Stimme war eine Naturgewalt, rund, weich und hypnotisch, genau wie ihr Körper, dachte Carlotta, genau wie meiner. Doch auf den Brettern, die die Welt bedeuten, durften Frauen Raum einnehmen, und ihre Stimmen fanden Gehör. Hier spielten Hautfarben keine Rolle, denn die Sänger des Regio kamen aus der ganzen Welt, und wie alt jemand war, war auch ganz egal. Manchmal spielten sogar Frauen Männer, und pummelige Mädchen wurden irgendwann zum Star.

Carlotta suchte nach einem Kleiderbügel, schob einen Stuhl an die Wohnzimmertür und kletterte hinauf. Sie hängte das schwere Kleid ans Türblatt, damit es nicht knitterte, deckte ihre Mutter mit einer Wolldecke zu und betrachtete sie noch eine Weile. Sie war so schön. Sie trug ihr blondes Haar aufgesteckt und mit reichlich Schmuck darin, lilafarbenen Lidschatten und kräftigen mauvefarbenen Lippenstift. Ihre engen, spektakulären Röcke und Kostümjacken schneiderte Mimi selbst und kombinierte sie mit reichlich Accessoires und hohen Schuhen. »Alles ist erlaubt, solange es fantastisch ist«, hatte der Architekt der Turiner Oper einmal gesagt, und das war auch ihr Motto. Doch jetzt würden die Kleider ihrer Mutter bald wieder weiter werden, überlegte Carlotta. »Du wirst noch ein kleines Schwesterchen bekommen«, hatte sie am Abend erzählt, »im September, wenn Rosina zwei wird. »Ich möchte sie Susa nennen, was denkst du, Schätzchen?«

»Susa ist gut«, hatte Carlotta erwidert und geschluckt, weil sie dann bald zu viert alleine wären, ohne Vater.

»Freust du dich?«

Carlotta hatte nur genickt, denn das war kein Tag zum Freuen, nicht für sie. Daniele ging doch fort.

Sie löschte leise das Licht und schlich in ihr Zimmer unter der Dachschräge hinüber, wo Rosinas Bettchen neben ihrem stand. Die Kleine schlief und saugte an ihrem Schnuller. Carlotta legte sich zu ihr und verscheuchte die Schatten. Der schmale Mond vor ihrem Fenster schimmerte wie Strass am brokatgewirkten Himmel, die Sterne über Turin funkelten. In ihrem Traum fing Carlotta sie mit Nähgarn ein und säumte...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Cinque Terre • Frauen-Roman • Frauenschönheit • Große Gefühle • Große Liebe • Italien • Julia Fischer • Liebesroman • Liebesromane 2018 • Mode • Neuerscheinungen 2018 • Neuerscheinungen Belletristik 2018 • Oper • Piemont • Starke Frauen • Stoffe • Turin • Urlaubslektüre • Urlaubsromane
ISBN-10 3-426-45121-2 / 3426451212
ISBN-13 978-3-426-45121-2 / 9783426451212
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