Die erstaunliche Familie Telemachus (eBook)

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2018 | 1. Auflage
541 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-5735-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die erstaunliche Familie Telemachus -  Daryl Gregory
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Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?

Ein umwerfender Roman über eine ganz besondere Familie und die unsichtbaren Kräfte, die uns alle zusammenhalten.



Daryl Gregory wurde für seine Romane, Erzählungen und Comics vielfach ausgezeichnet. Seine Novelle Uns geht´s allen total gut gewann 2015 den World Fantasy Award und den Shirley Jackson Award. Gregory lebt in Oakland, Kalifornien.

Daryl Gregory wurde für seine Romane, Erzählungen und Comics vielfach ausgezeichnet. Seine Novelle Uns geht´s allen total gut gewann 2015 den World Fantasy Award und den Shirley Jackson Award. Gregory lebt in Oakland, Kalifornien.

2


Teddy

Teddy Telemachus hatte es sich zum Ziel gesetzt, sich mindestens einmal am Tag zu verlieben. Nein, verlieben traf es nicht ganz; sich in die Liebe hineinzustürzen passte besser. Zwei Jahrzehnte nach Maureens Tod bestand die einzige Möglichkeit, sein leeres Herz weiterhin schlagen zu lassen, darin, ihm regelmäßig Starthilfe zu geben. An Sommerwochenenden spazierte er über den Clovers Gartenmarkt auf der North Avenue oder wanderte durch den Wilder Park, in der Hoffnung auf emotionale Defibrillation. An Wochentagen jedoch setzte er auf Supermärkte. Der Jewel-Osco war der nächstgelegene und zum Einkaufen vollkommen ausreichend, doch für Herzensangelegenheiten bevorzugte er Dominick’s.

Sie fiel ihm ins Auge, als sie sorgfältig die Bioregale durchstöberte, einen leeren Einkaufskorb am Arm; Erkennungszeichen einer Frau, die ihre Zeit mit etwas füllen will, nicht ihren Einkaufswagen.

Sie war vielleicht Mitte vierzig. Ihr Stil war auf trügerische Art simpel: ein einfaches ärmelloses Top, Caprihose, Sandalen. Würde ihr jemand ein Kompliment machen, würde sie behaupten, einfach irgendetwas angezogen zu haben, aber andere Frauen wüssten es besser. Teddy wusste es besser. Diese Kleider waren maßgeschneidert, um leger auszusehen. Die schnörkellose Ledertasche, die neben ihrer Hüfte baumelte, war eine Fendi. Die Sandalen waren ebenfalls italienisch. Doch was ihm einen Schauer durchs Herz jagte, war der perfekt abgestimmte Farbton ihrer rot lackierten Zehennägel.

Deshalb kaufte er bei Dominick’s ein. Ging man an einem solchen Dienstagnachmittag in einen Jewel, traf man dort alte Frauen in ballonseidenen Trainingsanzügen, die auf Sonderangebote aus waren und Suppendosen ins Licht hielten, hypnotisiert von Portionsgröße und Preis pro 100 Gramm. In einem Dominick’s, vor allem in den schickeren Vororten, in Hinsdale oder Oak Brook, konnte man Frauen mit Klasse treffen, Frauen, die sich mit Accessoires zu schmücken wussten.

Er schob seinen leeren Wagen nah an sie heran und tat so, als studiere er das Angebot an traditionell hergestelltem Honig.

Sie hatte ihn nicht bemerkt. Sie trat einen Schritt vom Regal zurück und stieß gegen ihn, und er ließ das Kunststoffhonigglas fallen. Es passierte beinahe versehentlich; seine steifen Finger waren an diesem Tag besonders störrisch.

»Das tut mir leid!«, sagte sie.

Sie bückte sich und er sagte, »Oh, das brauchen Sie nicht –«, und beugte sich gleichzeitig hinab, sodass sie fast mit den Köpfen aneinanderstießen. Beide lachten. Sie war schneller beim Honigglas und ergriff es mit einer Hand, an der ein Ehering mit großem Diamanten prangte. Sie roch nach Sandelholzseife.

Er nahm das Glas übertrieben förmlich entgegen, was sie wiederum zum Lachen brachte. Ihm gefiel, wie ihre Augen inmitten dieser freundlichen Fältchen leuchteten. Er schätzte ihr Alter auf fünf- oder sechsundvierzig. Das war gut. Er hatte sich eine feste Regel gesetzt, gegen die er nur selten verstieß: sich nur in Frauen zu verlieben, deren Alter mindestens die Hälfte seines eigenen plus sieben Jahre betrug. Aktuell war er zweiundsiebzig, was hieß, dass das Objekt seiner Zuneigung mindestens dreiundvierzig sein musste.

Ein junger Mann hätte sie nicht für schön gehalten. Er hätte die Oberschenkel einer reiferen Frau gesehen und dabei ihre perfekt geformten Waden und zarten Fesseln übersehen. Er hätte sich auf die markante, römische Nase konzentriert, und dabei wären ihm die leuchtend grünen Augen entgangen. Er hätte die Streifen an ihrem Hals bemerkt, als sie beim Lachen den Kopf schief hielt, und es dadurch verpasst, eine Frau zu schätzen, die sich ganz dem Moment hinzugeben vermochte.

Kurz gesagt, junge Männer waren Idioten. Hätten sie überhaupt den Funken gespürt, als sie ihn berührte, so wie er es getan hatte? Ein paar Finger an seinem Ellbogen, zart und scheinbar beiläufig, als wollte sie sich abstützen.

Er verbarg sein Vergnügen und setzte einen überraschten, besorgten Blick auf.

Sie nahm die Hand von seinem Arm. Sie war bereit, ihn zu fragen, ob etwas nicht stimme, doch dann zog sie sich zurück, vielleicht, weil ihr wieder einfiel, dass sie sich überhaupt nicht kannten. Also sprach er zuerst.

»Sie machen sich Sorgen um jemanden«, sagte er. »Jay?«

»Wie bitte?«

»Oder Kay? Nein. Jemand, dessen Name mit ›J‹ beginnt.«

Ihre Augen weiteten sich.

»Bitte, ich muss mich entschuldigen«, sagte er. »Es ist jemand, der ihnen sehr nahesteht. Das geht mich nichts an.«

Sie wollte fragen, wusste aber nicht, wie sie es formulieren sollte.

»Na gut«, sagte er und hielt das Honigglas hoch. »Danke, dass Sie das aufgehoben haben, auch wenn der Inhalt ganz sicher nicht so süß ist wie Sie.« Diese letzte Portion Schmalz wurde mit der genau richtigen Menge Selbstironie serviert, um noch als Flirt durchzugehen.

Er schlenderte davon, ohne sich umzusehen. Spazierte durch einen Gang und betrat dann den offenen Bereich der Obst- und Gemüseabteilung.

»Mein ältester Sohn heißt Julian«, sagte sie. Er sah auf, als habe er sie nicht kommen gesehen. Ihr Korb war immer noch leer. Nach einem kurzen Augenblick nickte er.

»Er hat eine Lernschwäche«, sagte sie. »Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren, aber seine Lehrer scheinen das nicht ernst zu nehmen.«

»Keine leichte Angelegenheit«, sagte er. »Wirklich nicht leicht.«

Doch sie wollte gar nicht über den Jungen reden. Ihre Frage hing zwischen ihnen in der Luft. Schließlich sagte sie: »Woher wussten Sie von ihm?«

»Ich hätte nichts sagen sollen«, sagte er. »Es ist nur so, als Sie meinen Arm berührt haben –« Er neigte den Kopf. »Manchmal habe ich Eingebungen. Bilder. Aber das heißt nicht, dass ich alles aussprechen muss, was mir durch den Kopf geht.«

»Wollen Sie mir erzählen, Sie sind eine Art Hellseher?« Es war deutlich zu erkennen, dass sie nicht an so etwas glaubte.

»Das Wort hat einen schlechten Ruf«, sagte er. »Diese Hellseher im Fernsehen, mit ihren neunhundert Zahlen? Das sind Hochstapler und Scharlatane, meine Liebe. Betrüger. Allerdings …« Er lächelte. »Ich muss zugeben, dass auch ich Sie in einem Punkt hinters Licht geführt habe.«

Sie hob eine Augenbraue, ermunterte ihn weiterzusprechen.

Er sagte: »Ich brauche diesen Honig gar nicht.«

Ihr tiefes, kehliges Lachen war ganz anders als Maureens – Mos hatte wie die Glocke einer Ladentür geklungen –, doch er genoss es trotzdem. »Das war mir klar«, sagte sie.

»Wie es aussieht, haben Sie auch einiges gefunden.«

Sie sah auf den Korb an ihrem Arm, dann stellte sie ihn auf dem Boden ab. »In dieser Mall gibt es ein Diner«, sagte sie.

»Das hab ich auch gehört.« Er hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Teddy.«

Sie zögerte, fürchtete vielleicht einen weiteren Stromschlagmoment übersinnlicher Intuition. Dann gab sie nach. »Graciella.«

Teddy konvertierte im Sommer 1962 zur Kirche der Liebe auf den Ersten Blick, an dem Tag, an dem er jenen Seminarraum der University of Chicago betrat. Ein Dutzend Menschen befand sich in diesem Raum, und sie war die Einzige, die er sah, eine junge Frau im Spotlight, die mit dem Rücken zu ihm dastand, als würde sie sich jeden Moment umdrehen und anfangen, in ein Mikrofon zu singen.

Maureen McKinnon, neunzehn Jahre alt. Sie haute ihn um, ohne ihn auch nur anzusehen.

Ihren Namen kannte er natürlich noch nicht. Sie stand zehn Meter von ihm entfernt und sprach mit der Sektretärin, die hinter dem Dozentenschreibtisch am anderen Ende des großen Seminarraumes saß, der in diesem pseudo-gotischen Gebäude nicht mehr als ein Zimmerchen darstellte. Diese Höhle des Akademischen machte ihn nervös – er hatte sich nie von den zwei üblen Jahren auf einer katholischen Highschool erholt –, doch diese junge Frau war ein Licht, von dem er sich gerne leiten ließ. Er schlenderte den Mittelgang hinunter, ohne sich der Bewegung seiner Füße bewusst zu sein, und sog sie auf: eine zierliche, schwarzhaarige Elfe in einem ausgestellten Kleid, olivgrün mit dazu passenden Handschuhen. Oh, diese Handschuhe. Sie zog sie Finger für Finger aus, jedes einzelne Zupfen brachte sein Herz zum Schwingen.

Die Sekretärin reichte ihr einen Stapel Formulare. Die junge Frau drehte sich um, den Blick auf das oberste Blatt gerichtet, und lief fast in ihn hinein. Erschrocken sah sie auf, und damit war es um ihn geschehen: blaue Augen unter einem schwarzen Pony. Welcher Mann wäre dagegen gefeit?

Sie entschuldigte sich, während er den Hut zog und darauf bestand, dass es sein Fehler gewesen sei. Sie sah ihn an, als würde sie ihn kennen, was ihn zugleich erregte und verunsicherte. Hatte er sie irgendwann einmal übers Ohr gehauen? Diese süße, schwarzhaarige Irin hätte er sicher nicht vergessen.

Er meldete sich bei der Sekretärin an, einer Frau um die fünfzig, die das leuchtend rote, aufgebauschte Haar einer jüngeren Frau trug – offensichtlich eine Perücke. Sie reichte ihm seinen Formularstapel, und er schenkte ihr ein breites Lächeln und ein »Danke, meine Liebe«. Es konnte nie schaden, sich mit der Sekretärin gut zu stellen.

Er setzte sich an einen Tisch ein Stück hinter der jungen Frau in dem olivfarbenen Kleid, damit er sie beobachten konnte. Er nahm an, dass sie wegen derselben Zeitungsannonce hier war, die auch ihn zum Campus geführt hatte:

TESTPERSONEN FÜR STUDIE ZU
PSI-PHÄNOMENEN...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2018
Sprache deutsch
Original-Titel Spoonbenders
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Arizona • Außenseiter • Chicago • cook county • dysfunktional • exzentrisch • Familie • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Familienporträt • Familienroman • Familiensaga • fantastisch • Frauenroman • Gesellschaftsroman • Illinois • Krankenschwester • Liebesgeschichte • Liebesroman • Liebesromane • Litcom • maricopa county • Michael Chabon • Michael Sugar • Nordamerika • Paramount • Phoenix • romantisch • Schicksal • skurril • Sonstige Belletristik • Steve Golin • Stranger Things • Superheld • Superhelden • Superkräfte • Tannenbaum • Tannenbaums • Telekinese • Telepathie • Unterhaltungsliteratur • USA • Wes Anderson • World Fantasy Award • X-Men
ISBN-10 3-7325-5735-9 / 3732557359
ISBN-13 978-3-7325-5735-6 / 9783732557356
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