Buch der Zahlen (eBook)

Roman

(Autor)

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2018 | 2. Auflage
752 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6134-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Buch der Zahlen -  Joshua Cohen
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Ein gescheiterter Autor verliert am 11. September alles, was ihm am Herzen liegt: Seine Frau verlässt ihn, sein Buch floppt, der Buchladen, in dem er sein Geld verdient, liegt in Trümmern. Da erhält er den lukrativen Auftrag, die Memoiren eines Mannes zu schreiben, der genauso heißt wie er und ansonsten sein genaues Gegenteil ist: Ein Internetmogul, Erfinder des Algorithmus, der die totale überwachung ermöglicht und unser aller Leben verändert.Autobiografie, Familiengeschichte, Ghostwriting für Anfänger, Silicon-Valley-Historie, internationaler Thriller, Sexkomödie - Buch der Zahlen ist ein überschäumendes Buch und in Amerika Kult.

Joshua Cohen wurde 1980 in New Jersey geboren und hat vielfach ausgezeichnete Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für seinen Campusroman Die Netanjahus erhielt er den National Jewish Book Award for Fiction und den renommierten Pulitzer Preis 2022. Er lebt in New York.

Joshua Cohen wurde 1980 in New Jersey geboren und hat mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Pushcart Prize (2012) und den Matanel Prize in Jewish Literature (2013). Die Zeitschrift GRANTA wählte ihn zu einem der zehn besten jungen amerikanischen Autoren der letzten zehn Jahre. Im Wintersemester 2017/2018 ist Joshua Cohen Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität Berlin. Für seinen Campusroman »Die Netanjahus« – erscheint im Frühjahr 2023 bei Schöffling & Co. – erhält er den National Jewish Book Award for Fiction und den renommierten Pulitzer Preis 2022. Robin Detje, geboren 1964 in Lübeck, lebt als Autor, Übersetzer und Teil der Künstlergruppe "bösediva" in Berlin. Er ist ausgebildeter Schauspieler, hat lange als Feuilletonist gearbeitet und wurde für seine Literaturübersetzungen mehrfach preisgekrönt, zuletzt mit dem Preis der Leipziger Buchmesse (2014) und dem Preis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung (2017).

Diesen September ist es zehn Jahre her, dass zehn arabische Muslime zwei Flugzeuge entführten und sie in die Twin Towers meines Lebens & Buches flogen. Mein Buch wurde zerstört – mein Leben hat sich nie wieder davon erholt.

Und so kam das Ende vor dem Anfang: Zwei Düsenflieger, befeuert von völlig Fremden, von Terroristen – zwei davon aus den Emiraten – bombardierten meine Karriere, bombardierten mich persönlich. Und nun will ich alle Verschwörungstheorien widerlegen: George W. Bush hat die Türme nicht durch kontrollierte Sprengungen zerstören lassen, die Luftfahrtbehörde hat ihre Satelliten nicht abgeschaltet, damit die Flugzeuge ungehindert in den New Yorker Luftraum eindringen konnten, die israelische Regierung hat keine Erkenntnisse über die bevorstehenden Ereignisse verschwiegen (um einen Vorwand für den nächsten Golfkrieg zu haben), und was die Theorie angeht, bei dem Angriff seien keine Juden ums Leben oder zu Schaden gekommen – was bin dann ich? was sollte das Ganze?

Jener Tag war meine letzte Seite, mein letztes Wort, Auslassungszeichen … Auslassungszeichen … Punkt – ich schließe den Buchdeckel über alles Geschriebene aus meiner Hand, alles Umgeschriebene, alle Investitionen mit all dem Geld, das mein Vater mir vererbt und meine Mutter mir geliehen hatte für Reisen, Computerausrüstung/-reparaturen, Übersetzungshilfe und Recherchematerial (Mama hat mir nie erlaubt, die Darlehen zurückzuzahlen).

Monatelang hatte ich mich abgeplagt, jahrelang hatte ich mich gequält, in Wörterbüchern nach neuen Verben gesucht, war auf und ab getigert. Konnte weder schlafen noch wachen, malte mir Szenarien für den besten, den schlimmsten oder den Normalfall aus. Die Arbeit an dem Buch war wie eine Schwangerschaft gewesen oder wie der Aufmarsch für den Einmarsch in Polen. Um schreiben zu können, hatte ich einen Teilzeitjob in einem Buchladen angenommen, hatte ich mir von meinem Teilzeitjob im Buchladen freigenommen, hatte ich sparsam in Ridgewood gelebt und meine Freunde geschnitten, hatte ich mich von meinen Freunden schneiden lassen, hatte ich mir die Mittagszeit im Battery Park vertrieben und allein auf einem Findling gesessen, vor mir eine wunderschöne blasse schwarzhaarige junge Mutter, die mit einem Fetischstiefel einen Buggy in Bewegung hielt und dabei ein Buch las, von dem ich mir einbildete, es wäre meines, und ich hatte gehofft, ihr Baby würde ewig schlafen oder wenigstens, bis ich fertig war mit dem Teil, den die Mutter las – ich war schon ewig dabei, damit fertig zu werden – ich war gerade fertig geworden, war gerade fertig geworden und hatte es abgegeben.

Ich gab es meinem Agenten, Aaron, der es las und toll fand und meinem Lektor gab, Finnity, der es las und zwar nicht toll fand, es aber wenigstens annahm und einen buchseitengroßen Scheck ausstellte – auf Ron, der seine Prozente abzog, bevor er den Rest an mich weiterreichte –, bevor er, Finnity, den Erscheinungstermin auf »die Feiertage« (Weihnachten) festlegte, was im Verlagswesen heißt: auf die Zeit vor den »Feiertagen« (Weihnachten), auf dass es im Herbst ganz vorne liege in all den unabhängigen Buchläden, die da gerade von Ketten geschluckt wurden, die bald von unser aller Lieblings-Onlinehändler geschluckt werden würden. Das Buch, mein Buch, sollte in einem Strumpf landen, der so nah am Kaminfeuer hing, dass es verbrennen würde, bevor jemand Gelegenheit hätte, es zu lesen, und so kam es im Großen und Ganzen ja auch.

Dann lektorierte Finnity – es war noch nicht das Buch, erst ein Manuskript –, nahm es in seinen Würgegriff und gab es mir zurück. Seine Änderungen galt es nun anzufechten, zu diskutieren. Ich war entsetzt, widersetzte mich, entlektorierte den Text auf eine Weise, die endlich meine Absichten widerspiegelte, dann, als alles wieder entvervollkommnet und ganz neu fertig war, meine Prosa und meine geistige Gesundheit gerettet, reichte ich das Ms. an Finnity zurück, der es an die Herstellung schickte (an Rod?), der es in Druckfahnen verwandelte und selbige Finnity schickte, der sie ausdruckte und mir schickte, worauf ich sie entfehlerte, hier ein Wort subtrahierte, dort ein Kapitel hinzufügte, bevor ich sie wieder Finnity schickte, der sie einem Korrektor schickte (Henry?), der Korrektur las (Henri?), sie dann der Herstellung schickte (Rod?), der die Änderungen übertrug und die Fahnen dann drucken, binden und mit dem Umschlag versehen ließ, mit Foto (zum Kornspeicher umgewandelte Synagoge bei Chełm, 1939, anonym, © United States Holocaust Museum), Text für Klappe und Umschlagrückseite, von mir selbst verfasst, von der Bio ganz zu schweigen, auch von mir selbst verfasst, und dem Autorenfoto für die hintere Klappe (© I. Raúl Lindsay), für das ich unter einem düsteren Bogen der Manhattan Bridge posiert hatte, die Hände schwermütig in den Taschen vergraben. All das wurde vier Monate vor dem Erscheinungstermin an die Kritiker verschickt (von Kimi!, meiner PR-Frau!), inklusive der bei Elie Wiesel und Dr. Ruth Westheimer bestellten Jubeltexte, wobei vier Monate allgemein als ausreichend galten, damit die Kritiker es lesen oder nicht lesen und ihr Gallenbitter in Prosa fassen konnten, sodass die Fahnen also ungebunden im Frühjahr in die Post gingen und meine mir etwa Mitte Mai geliefert wurden – ich stolperte über das Paket, das ein Kurier in einem Anfall von Faulheit oder Weltvertrauen in meinem Hauseingang deponiert hatte –, nachdem ich darauf bestanden hatte, noch einmal mit spitzen Fingern durch den Text zu gehen, weil ich noch mehr Gedankenstriche entfernen wollte – auch wenn ich erst Mitte August ein fertiges Exemplar in Händen hielt – als Ron zwei Krankenschwestern nach Ridgewood entsandte, die ihre Uniformen abstreiften, um aneinander Wiederbelebungsversuche vorzunehmen und mir einen Lapdance samt Herzmassage und dann mein buchgedeckeltes Werk zu verabreichen.

Immer im September liegt in der Stadt eine nervöse Frische in der Luft, das Prickeln der neuen Saison: Neue Filme kommen in die Kinos, und nach dem Donnergetöse des Sommers landen überraschenderweise doch ernsthafte schwarze und weiße Schauspieler miteinander im Bett (Rahmenhandlung: untergehendes Apartheidregime), während aufregende neue Dirigenten mit wilden Mähnen und großen goldüberkronten Zähnen ein neues Repertoire zur Premiere bringen und die Debüts aufregender neuer Solisten obskurer Nationalitäten präsentieren (ein aschkenasisch-bangladeschischer Pianist begleitet eine indonesische Violinistin mit feuerroten Haaren in Fiddler on the Hurūf), neue Galerien zeigen in neuen Ausstellungen klobige Mixed-Media-Installationen (Climate Change Up: Stanzabfall von Wahlzetteln bringt eine Wolke zum Abregnen), neue Choreografien bringen neue Themen zum Tanzen (La danse des tranches, ou pas de derivatives), in neuen Stücken am Broadway und Off-Broadway spielen Fernsehschauspielerinnen, die sich Bühnenlorbeeren verdienen und ihrer Karriere neuen Schwung geben wollen, Figuren, die an AIDS sterben oder an Legasthenie.

Im September erscheinen auch die neuen Bücher, werden in neuen Lounges und neuen Event-Locations Buchpremieren gefeiert. Und so versammelte mein Verleger meine Freunde, meine Freundfeinde, sämtlich Autoren, in jener Art von demnächst hippem Viertel, das hochzujubeln sie von Zeitungen und Zeitschriften stets unterbezahlt wurden.

Sie müssen wissen, bei meinen ersten Besuchen in New York war das Village nur in East und West geteilt. Soho ging unter, also eins rauf mit Noho! Als ich dann in die Stadt zog, machten die Immobilienhaie die Redakteure zu Helfershelfern bei der Neudefinition der Außenbezirke, Brooklyn wurde umgekrempelt, Queens auf den Kopf gestellt, und die Redakteure sahen keinen Cent dafür, stattdessen lief die Entmietung von Minderheiten an, die eigentlich in der Mehrheit waren. Zur Zeit meiner Party sollte am Broadway gerade Silicon Alley entstehen, von verglastem Stahl über dem Flatiron Building aus – jeder neue Wolkenkratzer warf seine Schatten zunächst sprachlich voraus (sarkastischer Einwurf von mir).

Nennen wir es also, wie ich es nannte, TriPackPark: Das Dreieck aus vier Blocks nördlich des Meatpacking Districts, südlich der für Parkplätze reservierten Parzellen. Oder Teneldea: diese fiese graue Gegend, die dort anfängt, wo der Verkehr auf der Tenth Avenue nicht mehr nach Süden, sondern nach Norden rollt, und an der EL, der Eisenbahnhochbrücke aufhört, die gleich hinter der New Yorker Dienststelle der Drogenpolizei, der DEA, die Avenue überspannt.

Eine Landungsbrücke, genau dort, wo einst die Lusitania ablegte und die Titanic nie eintraf, wo Dampfer und Schoner vor Anker gegangen waren, um die alten Reichtümer der Alten Welt anzulanden, güldene, silberne und kupferne Sklaven zum Beispiel, als Waren noch zum Anfassen waren, als noch günstige Handelswinde zu Wohlstand führten und nicht ein paar Mausklicks wie heute – wo die neuesten Lagerhäuser mit »Kulturkapital« gefüllt sind –, wo money, das auf Französisch noch Silber heißt (argent), auf Deutsch noch Gold (Geld), eine gentrifizierte Abstraktion geworden ist.

Ein Wrack an den Hudsonufern, bewusst unrenoviert, das Image aufpoliert – das Interieur ruinenhaft, eine verrostete, halb ausgeweidete Masse, hangargroß, fabrikmäßig. Vormals Trockendock, einst Seilerei. Als Neubau ein Wunderwerk – die Art von modernem Design, das Architekten und Ingenieure sich so gerne abquälen, Zerfall als Mittel zum Zweck des natürlichen Laufs der Dinge: Fundament instabil, Dach unlösbar,...

Erscheint lt. Verlag 23.1.2018
Übersetzer Robin Detje
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 11. September • Amerikanisch • Amerikanische Literatur • Autobiografie • Biografie • Buchladen • Cohen • Daten • Digitalisierung • Erfindung des Internets • Familiengeschichte • Foster Wallace • Internet • Joshua Cohen • Kult • Lektor • Memoiren • Milliardär • Philip Roth • Religion • Sexkomödie • Technik • Thomas Pynchon • Thriller • Überwachung • Wahrheit
ISBN-10 3-7317-6134-3 / 3731761343
ISBN-13 978-3-7317-6134-1 / 9783731761341
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