Das Leben bestehen (eBook)

Krisis und Wandlung
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
196 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75675-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Leben bestehen -  Hermann Hesse
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Die immer wieder neu zu erwerbende Erkenntnis, daß auch aus dem Negativen das Positive regeneriert werden kann, wird hier mit vielen ermutigenden Beispielen gezeigt.



<p>Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/W&uuml;rttemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines w&uuml;rttembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano.</p> <p>Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis f&uuml;r Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchh&auml;ndlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zun&auml;chst in Gaienhofen am Bodensee, sp&auml;ter im Tessin.</p> <p>Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. </p>

Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines württembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano. Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis für Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchhändlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zunächst in Gaienhofen am Bodensee, später im Tessin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. Volker Michels, 1943 geboren, studierte Medizin und Psychologie in Freiburg/Breisgau und Mainz. Zwischen 1969 und 2008 arbeitete er als Lektor im Suhrkamp- und Insel-Verlag. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag hier auf der Betreuung des Werkes Hermann Hesses, dessen literarischen, brieflichen und bildnerischen Nachlass er in über hundert Themen- sowie Materialbänden zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte erschloss. Überdies edierte er die erste Hesse-Gesamtausgabe in 21 Bänden.

Pfeifen


Klavier und Geige, die ich wahrlich schätze,

Ich konnte mich mit ihnen kaum befassen;

Mir hat bis jetzt des Lebens rasche Hetze

Nur zu der Kunst des Pfeifens Zeit gelassen.

Zwar darf ich mich noch keinen Meister nennen,

Lang ist die Kunst und kurz ist unser Leben.

Doch alle, die des Pfeifens Kunst nicht kennen,

Bedaure ich. Mir hat sie viel gegeben.

Drum hab ich längst mir innigst vorgenommen,

In dieser Kunst von Grad zu Grad zu reifen,

Und hoffe endlich noch dahin zu kommen,

Auf mich, auf euch, auf alle Welt zu pfeifen.

Es ist das Schicksal mancher Menschen, daß sie das Leben im ganzen als Leid und Schmerz empfinden, nicht bloß in der Idee, in irgendeinem literarisch-ästhetischen Pessimismus, sondern körperlich und wirklich. Diese Menschen, zu denen ich leider zähle, haben mehr Talent zum Empfinden von Schmerzen als zum Empfinden von Lust, das Atmen und Schlafen, Essen und Verdauen und alle einfachsten animalischen Verrichtungen machen ihnen eher Schmerz und Mühe als Vergnügen. Da sie nun aber trotzdem, einem Willen der Natur folgend, den Trieb in sich fühlen, das Leben zu bejahen, die Schmerzen gut zu finden, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, sind diese Menschen ungewöhnlich versessen auf alles, was ein wenig Freude machen, ein wenig erheitern, ein wenig beglücken und wärmen kann, und legen all diesen hübschen Dingen einen Wert bei, den sie für gewöhnliche, gesunde, normale und arbeitstüchtige Menschen nicht haben. Die Natur bringt auf diesem Wege sogar etwas höchst Schönes und Kompliziertes zuwege, wovor fast alle Menschen einen gewissen Respekt haben: den Humor. In jenen leidenden Menschen nämlich, in jenen allzu weichen, allzu wenig smarten, allzu vergnügungssüchtigen, auf Trost erpichten Menschen entsteht gelegentlich das, was man Humor nennt, ein Kristall, der nur in tiefen und dauernden Schmerzen wächst und der immerhin zu den besseren Erzeugnissen der Menschheit gehört. Dieser Humor, von Leidenden dazu erfunden, damit sie das mühsame Leben dennoch ertragen und sogar lobpreisen können, wirkt nun auf jene anderen, Gesunden, nicht Leidenden drolligerweise stets wie das Gegenteil, wie der Ausbruch einer ganz unbändigen Lebenslust und Lustigkeit, die Gesunden klatschen sich dabei auf die Schenkel und wiehern und sind dann immer verdutzt und ein wenig beleidigt, wenn sie von Zeit zu Zeit Nachrichten lesen wie diese, daß der sehr beliebte und erfolgreiche Komiker X. sich unbegreiflicherweise in einem Anfall von Schwermut ertränkt habe.

Die Humoristen haben, sie mögen schreiben, was immer sie wollen, alle ihre Überschriften und Themata stets nur zum Vorwand, in Wahrheit haben sie alle und immer nur ein einziges Thema: die wunderliche Traurigkeit und, man erlaube den Ausdruck, Beschissenheit des Menschenlebens und das Staunen darüber, daß dies jämmerliche Leben trotzdem so schön und köstlich sein kann.

Ausflug in die Stadt


Wenn ein Einsiedler nach langen Jahren seine Klause verläßt und sich in eine Stadt und in die Nähe der Menschen begibt, dann hat er meistens für sein Tun vortreffliche Gründe anzuführen, das Ergebnis dagegen ist meistens ein lächerliches. Der Eremit soll Eremit bleiben wie der Schuster Schuster. Daß das Eremitentum kein Beruf sei oder ein minderwertiger, ebenso wie das Betteln, ist eine europäische Mode-Meinung, welche niemand ernst nehmen wird. Einsiedler ist ein Beruf, ebenso wie Schuster, ebenso wie Bettler, ebenso wie Räuber, ebenso wie Krieger, es ist ein viel älterer, wichtigerer, heiligerer Beruf als etwa solche Pseudo-Berufe wie Gerichtsvollzieher, Professor der Ästhetik und dergleichen. Und wenn ein Mensch aus seinem Beruf, aus seiner Maske und Rolle herausfällt, so mag er dies aus den begreiflichsten und liebenswürdigsten Gründen tun, es kommt doch gewöhnlich nur eine Dummheit dabei heraus.

So ging es auch mir, als ich, mit mir und meinem Leben unzufrieden, meine Klause am Berge hinter mir abschloß und für eine Weile unter die Menschen und in die Stadt ging. Ich tat es aus Neugierde und aus Lust nach neuen Erlebnissen und Beziehungen, ich tat es in der schwachen Hoffnung, vielleicht wieder ein wenig Freude, Spaß und Zufriedenheit zu erleben, nachdem ich lange nur Überdruß und Schmerz gekostet hatte. Ich hatte die Hoffnung, es möchte mir vielleicht glücken, mich wieder an anderen Menschen zu messen, die Menschen und mich selbst wieder ernst nehmen zu können. Ich war gewillt, die Stadt, die Menge, die Öffentlichkeit, die Kunst, den Handel, kurz – alle Zauber dieser Welt, auf mich wirken zu lassen, mich von der Schwere und eingebildeten Weisheit des Einsiedlers und Denkers zu befreien, wieder Mensch, wieder Kind zu werden, wieder an den Sinn und die Schönheit des Menschenlebens glauben zu können. Ein Mensch von meiner Art, der im Grunde an den Wert des Menschenlebens nicht glauben kann, dem aber auch die gewohnten Auswege der Naiven, in den Selbstmord und in den Wahnsinn, verbaut und unmöglich sind, der also eigens von der Natur dazu erfunden zu sein scheint, sich und den anderen an seinem Beispiel die Unsinnigkeit und Aussichtslosigkeit dessen zu erweisen, – was die Natur unternahm, als sie sich auf das Experiment ›Mensch‹ einließ, ein solcher Mensch hat natürlich ein etwas schwieriges Leben und fühlt daher von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, ein andres Register zu ziehen und dies oder jenes an seinem Leben zu verändern, damit es vielleicht etwas erträglicher und hübscher werde.

So war ich also mit meinem Koffer in eine Stadt gereist und hatte mir dort, mitten zwischen den Menschen, ein Zimmer genommen. Es war nicht leicht, sich an das Leben hier zu gewöhnen. Zu erstaunlichen, unglaublichen Tageszeiten standen diese Leute in der Frühe auf, kamen in der Nacht nach Hause, spielten Klavier und Violine, nahmen Bäder, liefen auf und ab. Die meisten waren Geschäftsleute oder Angestellte von solchen, und alle hatten ganz irrsinnig viel zu tun. Die einen nämlich hatten in der Tat viel Arbeit, weil ihre Geschäfte schlecht gingen, waren überanstrengt durch die Bemühungen um deren Verbesserung. Überanstrengt waren sie alle, und beinahe alle fabrizierten Dinge oder trieben Handel mit Dingen, welche der Mensch zum Leben nicht braucht und welche lediglich erfunden wurden, um dem Hersteller und dem Händler Geld einzubringen. Ich versuchte manchen dieser Gegenstände aus Neugierde. Da ich in dem Lärm und Getriebe wenig schlafen konnte, tags- über aber oft müde war und Langeweile hatte, kaufte ich von einem dieser Händler ein Schlafmittel, von einem andern einige Bücher, deren Zweck es war, den Leser angenehm zu unterhalten. Aber das Schlafmittel, statt mich schlafen zu machen, machte mich aufgeregt und nervös, und die Bücher, statt mich zu unterhalten, machten mich am hellen Tag einschlafen. Und so war es im Grunde mit allem. Es wurde da ein Spiel getrieben, das allen Mitspielern, Händlern wie Käufern, sichtlich großen Spaß machte, welches aber ernst zu nehmen niemand einfiel. Es war die Zeit vor einem großen jährlichen Feste, das den Sinn hat, einesteils die Industrie zu fördern und einige Wochen lang den Handel zu beleben, andererseits aber durch das Ausstellen von abgesägten jungen Bäumen in allen städtischen Wohnungen eine Art von Erinnerung an die Natur und den Wald zu erwecken und die Freuden des Familienlebens zu feiern. Auch dies war ein Spiel und Übereinkommen, das ich bald durchschaute. Weder gab es jemand, dem die Erinnerung an Natur und Wald ein Bedürfnis gewesen oder der doch so töricht gewesen wäre, diese Zimmertannen für ein geeignetes Mittel zur Pflege der Naturfreude zu halten, noch auch wurde Familie, Ehe und Kindersegen von der Mehrzahl des Volkes sehr verehrt, sondern nahezu allgemein als eine Last empfunden. Aber das Fest beschäftigte vier Wochen lang Millionen von Angestellten und machte zwei Tage lang der gesamten Bevölkerung sichtlichen Spaß. Sogar mir, dem Fremden, bot man süßes Backwerk an und wünschte frohe Feiertage, und einige Stunden lang wurden in Häusern, denen dies recht ungewohnt war, Orgien von Familienglück begangen.

In dieser Zeit sah übrigens die Stadt reizend aus. In den breiten Geschäftsstraßen strahlte Tag und Nacht Haus an Haus und Fenster an Fenster von Lichtüberfluß, von ausgestellten Waren, von Blumen, von Spielzeug, und es schien das ganze so schwere und ernste Arbeitsleben all der Millionen in der Tat ein witziges und gut ausgedachtes Unterhaltungsspiel zu sein. Störend freilich für den Fremdling war die Sitte der Gastwirte, auch an jenen Stätten der Betäubung, wo man Natur, Familie, Geschäft und alles für Stunden zu vergessen und in wohlschmeckenden Getränken wegzuspülen sucht – auch an diesen stillen Trink- und Rauchstätten Lichterbäume mit oder ohne Musik aufzustellen, welche hier noch mehr als in den Privathäusern einen Glanz und eine Sentimentalität ausstrahlten, in welcher das Atmen schwer wurde.

Eines Abends, noch ehe die Festtage begonnen hatten, saß ich bei einer Eierspeise und einem halben Liter Rotwein leidlich zufrieden in einem Wirtshause, da fiel mir die Ankündigung einer Zeitung ins Auge, die mich sofort fesselte. Es war da ein Hermann-Hesse-Abend von einem literarischen Verein veranstaltet, dessen Besuch sehr empfohlen wurde. Schleunigst ging ich hin, fand das Haus und den Saal und an der Saaltüre einen Kassierer, den fragte ich, ob Herr Hesse selber auftrete. Er verneinte und suchte sich zu entschuldigen, aber ich...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2017
Mitarbeit Ausgewählt von: Volker Michels
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Hermann • Hesse • Hesse, Hermann • insel taschenbuch 2858 • IT 2858 • IT2858 • Lebenskrisen • Wandlung
ISBN-10 3-458-75675-2 / 3458756752
ISBN-13 978-3-458-75675-0 / 9783458756750
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