Teich (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
224 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-21292-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Teich -  Claire-Louise Bennett
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Vom Geheimtipp zur weltweit gefeierten literarischen Sensation. Claire-Louise Bennett erzählt vom Alltag in einem einsamen Cottage an Irlands Westküste und verwandelt persönliches Erleben in soghafte Sprache. 'Eines der sensationellsten Debüts des Jahres.' (Colum McCann).

Sie lässt alles hinter sich - Freund, Job, Karriere - und zieht in ein kleines irisches Küstendorf. Sprachmächtig und fesselnd zeichnet Claire-Louise Bennett das Porträt einer jungen Frau, die allein in einem hundert Jahre alten Steincottage lebt - mitten in der Natur, abseits von den Zwängen der Gesellschaft. Ein Rückzug, der die Wahrnehmung schärft und den Blick auf die Welt verändert, dem Profanen eine besondere Schönheit entlockt. Mitreißend und kunstvoll beschreibt Claire-Louise Bennett ihren Alltag und zeigt, wie kleine Dinge mit einem Mal eine ungeahnte Tiefe gewinnen, wenn man auf alles Überflüssige verzichtet und die Welt auf sich wirken lässt.



Claire-Louise Bennett ist eine faszinierendsten Stimmen unserer Zeit. Sie wuchs in Wiltshire im Südwesten Englands auf und lebt seit vielen Jahren in Galway an der irischen Westküste. Bereits ihr Erzähldebüt »Teich« hat international für Aufsehen gesorgt. »Kasse 19« ist mehrfach als »bestes Buch des Jahres« ausgezeichnet worden und stand auf der Shortlist des renommierten Goldsmiths Prize.

Der große Tag

Aus einem Grund, der mir partout nicht mehr einfallen will, saß ich eines Nachmittags lange bei meiner Nachbarin herum, ganz allein und im Mantel, in dem Zimmer zwischen Küche und Wohnstube. Ich wusste nicht, wo die Frau war, die mir die Tür geöffnet hatte, wahrscheinlich stellte sie gerade irgendwo im Garten ein Schild auf, denn zu jener Zeit machten alle sich für den großen Tag bereit. Ich hatte ihnen die Wimpel längst gebracht, aus dem Grund konnte ich also nicht dort gewesen sein. Genau genommen hatte ich ihnen neben den Wimpeln auch eine Schachtel mit bunten Strohhalmen gebracht, die mir irgendjemand im Frühling geschenkt hatte, wahrscheinlich um meinen Geburtstag herum. Wie dem auch sei, ich konnte mich genau erinnern, die Schachtel mit den Strohhalmen neben dem Gartentor auf die Mauer gelegt zu haben, an einem schönen Nachmittag, als ich mich besonders großzügig und beschwingt fühlte. Nur deswegen war ich überhaupt in der Lage gewesen, meinen wachsenden Widerwillen zu überwinden und zum großen Tag etwas beizusteuern, das ich unter der Küchenspüle gefunden hatte. Spenden war übrigens anstrengender als gedacht, weil die Schachtel auf der Mauer nicht aufrecht stehen bleiben wollte. Im Liegen sah sie aber nicht so gut aus, was vollkommen nachvollziehbar ist, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein liegender Strohhalm ein nutzloser Strohhalm ist. Folglich wurde ich eine Weile an der Mauer festgehalten, ich haderte mit der Schachtel und suchte nach einer Möglichkeit, sie so aufzurichten, dass ihre Endposition weder die Ernsthaftigkeit meiner Geste in Frage zog, noch der schicken Verpackung schadete. In der Schachtel befanden sich rosafarbene, blaue, gelbe und vielleicht auch ein paar grüne Strohhalme. Die rosa Strohhalme waren ehrlich gesagt die hübschesten, sie leuchteten auf eine unerklärlich elegante Weise, wohingegen die anderen Farben weniger beeindruckten und die dazugehörigen Halme an jene ausgeblichenen Plastikröhren erinnerten, durch die kleine Kinder in – vorzugsweise in europäischen Binnenstaaten gelegenen – Wasserparks rutschen. In der Tat kann ich mich noch gut an ein Freibad in Bayern erinnern, wo Kinder den ganzen Tag hochkonzentriert um die Liegen schlichen und gläserne Pfandflaschen sammelten, die sie im Tausch gegen ein paar Pfennige, und damals waren tatsächlich noch Pfennige im Umlauf, an einer von düsterem Immergrün umwucherten Kioskklappe abgaben. Auch jener Tag war auf unheimliche Weise heiter gewesen, auch damals war ich allein. Ich stieg ins Wasser, war aber nicht mutig genug, bis ans andere Ende des Beckens zu schwimmen, weil es mir, wenn ich allein bin, unmöglich ist, Entfernungen richtig einzuschätzen.

Nicht bloß, dass ich bei meiner Nachbarin den Mantel nicht ausgezogen hatte, ich trug auch immer noch meinen Rucksack. Wahrscheinlich fühlte sein Gewicht sich tröstlich an. Ich hatte mich vielleicht einfach nur in seine gepolsterte Umklammerung sinken lassen. Ich saß also auf einem altmodischen Küchenstuhl und war schon recht ausgelaugt vom Tag, vermutlich kam ich von Erledigungen in der Stadt zurück. Danach taten mir Nacken und Schultern oft weh. Vielleicht wollte ich der Nachbarin auch bloß ihre Post vorbeibringen. Das kommt regelmäßig vor; keiner meiner Nachbarn kontrolliert den Briefkasten so oft wie ich, was verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass sie alle ziemlich regelmäßig interessante Dinge geschickt bekommen. Manchmal nehme ich kleine, handgefertigte Schachteln und prallvolle Briefumschläge an mich und lege sie auf den Nachtspeicherofen in meinem Haus, wo sie nicht selten bis zu einer Woche bleiben, bevor ich dazu komme, sie dem eigentlichen Empfänger zu überbringen. Im Briefkasten sammelt sich die Feuchtigkeit, die Umschläge werden wellig oder reißen ein. An manchen Tagen leere ich pflichtbewusst den Kasten, an anderen lässt meine Verfassung kein Interesse an der Post anderer Leute zu. Natürlich standen im Haus meiner Nachbarin jede Menge Dinge herum, die vom unmittelbaren Bevorstehen des großen Tags zeugten, ich hatte mich ehrlich gesagt überhaupt nur dort hingesetzt, um die von der Vermieterin zur Verfügung gestellten historischen Dokumente zu studieren. Es gab zum Beispiel eine rudimentäre Landkarte mit Rechtecken drauf, allesamt mit Namen versehen, das waren die verschiedenen Cottages, in denen zum Zeitpunkt der damaligen Volkszählung, vor rund hundert Jahren also, die unterschiedlichsten Menschen gewohnt hatten. Dieser Umstand ist besonders hervorzuheben, weil manche Gebäude nicht nur Menschen Unterschlupf gewährten. Mein Haus zum Beispiel wurde eine Zeit lang als Heuschober genutzt, und wahrscheinlich hatte sich die eine oder andere trächtige Kuh hineingeflüchtet. Zu der Landkarte gehörte eine Statistik mit Informationen zu allen zweibeinigen Bewohnern und den genauen Daten, wann sie hier gelebt hatten. Ich fand die Zahlen langweilig. Und auch die Namen waren nichts Besonderes, Allerweltsnamen, wie man sie überall lesen kann, auf Apothekenfenstern und Kneipenschildern und den Plastikverpackungen von Frühstücksspeck, um nur einige Beispiele zu nennen. Vielleicht hatte ich auch einfach nur meine Schlüssel verlegt und war auf die Nachbarin angewiesen, wenn ich in den Hauswirtschaftsraum gehen, die Wäsche aus der Maschine holen, sie in einen Korb legen, in den Garten tragen und zum Trocknen auf die Leine hängen wollte.

Muss man unbedingt wissen, warum ich mich im Haus meiner Nachbarin aufhielt? Mir ist schleierhaft, warum ich darüber rede oder warum es mich so irritiert, den Grund für meinen Besuch vergessen zu haben. Was hätte ich davon, plötzlich doch wieder zu wissen, was mich dorthin führte? Die Wimpel vielleicht oder die Strohhalme, oder vielleicht wollte ich einfach nur zu der Waschmaschine, in der meine Wäsche lag. Möglicherweise wollte ich Post abliefern, einen Löffel zurückbringen, um ein Glas Marmelade bitten oder mich nach dem Verbleib meines Schlafsacks erkundigen, der zwei Monate unauffällig hinter dem Wäschetrockner gelegen hatte und plötzlich verschwunden war; vielleicht wollte ich auch über den hässlichen Schäferhund lästern, der jeden Morgen aufs Grundstück kommt und zwischen Schuppen und Anbau eine notdürftig herausgepresste Kotwurst hinterlässt. Nicht auszuschließen, dass die Nachbarin mich draußen gesehen und ein Gespräch über den großen Tag begonnen hatte, und ich war darauf eingegangen, ja, natürlich komme ich kurz rein und sehe mir das historische Material an, das die Vermieterin extra zur Verfügung gestellt hat.

Anscheinend hatte sie mir einen Tee gekocht, bevor sie hinausgegangen war, um das Warnschild neben dem Teich aufzustellen. Der Teich ist übrigens gar nicht tief. Wenn es nach mir ginge, würde neben dem Teich kein Schild mit der Aufschrift Teich aufgestellt. Ich persönlich würde entweder etwas anderes auf das Schild schreiben, Schweinetränke zum Beispiel, oder es ganz lassen. Ich weiß, zu welchem Zweck sie das Schild aufstellt: Es soll Kinder davon abhalten, zum Teich zu rennen und hineinzufallen. Ich bin dennoch dagegen. Nicht, dass ich per se Kinder in den Teich fallen sehen möchte, obwohl ich wirklich nicht verstehe, welchen Schaden sie nehmen würden; es ist eher so, dass ich nicht anders kann, als die Situation aus der Kinderperspektive zu betrachten. Ehrlich gesagt wäre ich empört und zu einem sofortigen Racheakt angestachelt, wenn man mich an einem Nachmittag im späten September an einem vermeintlich magischen Ort ganz allein zu einem Teich rennen lassen würde, neben dem auf einem schiefen, schimmeligen Sperrholzschild das Wort Teich geschrieben steht. Im Ernst, ich wäre stinkesauer. Wichtigtuerischer Erwachsenenschwachsinn dieser Art durchzieht ganze Kindheiten und ist einfach nur ärgerlich. Da macht man sich auf, etwas Neues zu entdecken, seine Beobachtungsgabe zu schulen, durch viel Übung die in die Erde eingebetteten Zeichen zu erkennen und sich in einem unmittelbaren Einklang mit den Dingen durch die Welt zu bewegen, und dann wird dieser wichtige Prozess durch die idiotische Überlagerung von wörtlichen Zuschreibungen und hirnrissigen Warnungen abrupt unterbrochen. Am Ende erscheint das gesamte Gelände rätselhaft und unzugänglich, wo es doch in Wahrheit wunderbar ist. Als wäre die ganze Welt eine kolossale, raffinierte Todesfalle. Wie soll ich mich hier jemals zu Hause fühlen, wenn ich überall auf aufdringliche Panikmacheschilder stoße?

Sie war im Garten, und ich saß auf dem Küchenstuhl, den Rucksack auf dem Rücken und den Mantel bis ans Kinn zugeknöpft, und ganz bestimmt habe ich Tee getrunken, denn warum sonst wäre ich so lange geblieben? Denn ich bin ziemlich lange geblieben. Ehrlich gesagt hat es mir wohl gefallen, dort herumzusitzen, womöglich war es für mich so ähnlich wie an einem Donnerstag nach der Schule: von niemandem beachtet und dennoch in der tröstlichen Gewissheit, dass irgendwo anders etwas Gutes für mich getan wird. Ich glaube, auf der Bandbreite der menschlichen Emotionen ist das eines meiner Lieblingsgefühle.

Folgendes war passiert: Sie hatten eine Collage aus vielen verschiedenen Fotos gebastelt und auf Pappen geklebt, die später unten im Gartenzimmer, nach meinem Dafürhalten das Epizentrum des großen Tags, aufgehängt werden sollten. Die Fotos waren nicht sonderlich alt, mit anderen Worten stammten sie aus den frühen neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als meine Vermieterin und ihre Schwester das Land erworben und die anspruchsvolle Aufgabe in Angriff genommen hatten, den siechen Immobilien und ungepflegten Gärten neues Leben einzuhauchen. Höchstwahrscheinlich waren einige der Fotos am selben Tag entstanden, andere ein paar Monate und wieder andere erst Jahre später, so muss es gewesen sein, denn man sieht beachtliche Veränderungen; anhand der...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2018
Übersetzer Eva Bonné
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Pond
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleinstehende Frau • Debüt • eBooks • Einsamkeit • Entschleunigung • Geheimtipp • Irland • Karl Ove Knausgård • Natur • Roman • Romane • Rückzug
ISBN-10 3-641-21292-8 / 3641212928
ISBN-13 978-3-641-21292-6 / 9783641212926
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99