Moonglow (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
496 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31663-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Moonglow -  Michael Chabon
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein alter Mann auf dem Sterbebett beichtet seinem Enkel die unglaubliche Geschichte seines Lebens. In seinem gefeierten Roman erzählt Michael Chabon die unglaublichen Abenteuer seines unkonventionellen Großvaters, der einst Wernher von Braun in Deutschland jagte und ein in vielerlei Hinsicht leidenschaftliches Leben führte. Während in Deutschland die Mauer fällt, sitzt Michael am Bett seines Großvaters, der in der letzten Woche seines Lebens plötzlich gesprächig geworden ist. Der Enkel erfährt, wie der Großvater einmal seinen Chef fast mit einer Telefonschnur erdrosselt hätte, warum er eine Brücke in Washington in die Luft sprengen wollte, wie er in Deutschland den verhassten Wernher von Braun jagte, warum von Braun und er dieselbe Leidenschaft teilten und wie er nach dem Tod seiner Frau eine neue Vertraute fand. Mit sprachlicher Eleganz erzählt Michael Chabon Episoden aus der Lebensgeschichte seines Großvaters, in denen sich die großen Themen der amerikanischen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts - von der Mondraumfahrt bis zum Mauerfall - spiegeln.

Michael Chabon wurde 24. Mai 1963 in Washington, D.C., geboren und wuchs in Columbia, Maryland, auf. Er besuchte die Carnegie Mellon University und wechselte bald zur University of Pittsburgh, wo er 1984 den Bachelor of Arts erlangte. Für den Master of Fine Arts im Fach Creative Writing ging er an die University of California, Irvine. Er erhielt für sein umfangreiches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Pulitzer-Preis für »Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay«. Er lebt heute mit seiner Frau, der Schriftstellerin Ayelet Waldman, und den vier Kindern in Berkeley, Kalifornien.

Michael Chabon wurde 24. Mai 1963 in Washington, D.C., geboren und wuchs in Columbia, Maryland, auf. Er besuchte die Carnegie Mellon University und wechselte bald zur University of Pittsburgh, wo er 1984 den Bachelor of Arts erlangte. Für den Master of Fine Arts im Fach Creative Writing ging er an die University of California, Irvine. Er erhielt für sein umfangreiches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Pulitzer-Preis für »Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay«. Er lebt heute mit seiner Frau, der Schriftstellerin Ayelet Waldman, und den vier Kindern in Berkeley, Kalifornien. Andrea Fischer, 1969 in Osnabrück geboren, machte 1988 dort Abitur, um anschließend nach Düsseldorf zu ziehen und ihren Traumberuf Literaturübersetzen zu studieren. Nach einem Aufenthalt als Assistant Teacher in Südengland und dem Diplom 1996 erhielt sie den ersten Übersetzungsauftrag. Nebenbei arbeitete sie seit 1995 erst als studentische, dann als wissenschaftliche Hilfskraft und später als Institutsangestellte am Romanischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unterbrochen von einem Volontariat 1996 im Lektorat von Kiepenheuer & Witsch in Köln. Seit 1996 ist sie freiberuflich als Übersetzerin tätig, seit Ende 2000 ausschließlich. Sie überträgt eine Vielzahl von Autoren aus dem amerikanischen und britischen Englisch für Verlagshäuser wie Kiepenheuer & Witsch, Suhrkamp, marebuch, Arche Atrium, Frankfurter Verlagsanstalt, Hoffmann und Campe, S. Fischer Verlage, Random House, Ullstein u.a.

 

Ich kenne die Geschichte so: Als Alger Hiss aus dem Gefängnis kam, hatte er Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden. Er hatte Jura in Harvard studiert, war Assistent des Bundesrichters Oliver Wendell Holmes gewesen und hatte am Entwurf der Charta der Vereinten Nationen mitgearbeitet, war aber wegen Meineids verurteilt und galt als Handlanger des internationalen Kommunismus. Hiss veröffentlichte eine Biografie, die allerdings so langweilig war, dass niemand sie lesen wollte. Seine Frau verließ ihn. Er war pleite und verzweifelt. Am Ende hatte einer seiner verbliebenen Freunde Mitleid mit dem armen Kerl und ließ seine Kontakte spielen. Daraufhin wurde Hiss von einer New Yorker Firma eingestellt, die extravagante Haarspangen aus Klaviersaiten herstellte und vertrieb. Feathercombs Inc. war erfolgreich gestartet, dann aber unter Druck geraten, als ein größerer Konkurrent die Idee abkupferte, gegen das Patent verstieß und den Preis unterbot. Die Verkaufszahlen gingen zurück. Die Gehälter waren gefährdet. Um Platz für Hiss zu schaffen, musste ein anderer Mitarbeiter vor die Tür gesetzt werden.

In der Daily News vom 25. Mai 1957 findet sich ein Bericht über die Verhaftung meines Großvaters, der von einem nicht namentlich genannten Kollegen als »ruhiger Typ« beschrieben wird. Für die anderen Vertreter von Feathercombs war er wie ein Herrenhut am Garderobenständer. Er war das am schwersten schuftende, aber erfolgloseste Mitglied der Verkaufsmannschaft von Feathercombs. In der Mittagspause zog er sich gerne mit einem Sandwich und der neuesten Ausgabe einer Fachzeitschrift für Astronomie oder Luftfahrt zurück. Es war bekannt, dass er einen Crosley fuhr, eine ausländische Frau und eine jugendliche Tochter hatte und mit ihnen irgendwo im tiefsten Bergen County im Osten von New Jersey wohnte. Vor seiner Verhaftung waren die Kollegen nur zweimal auf meinen Großvater aufmerksam geworden: einmal beim fünften Spiel der World Series 1956, als das Radio im Büro ausfiel und er es mit einer Elektronenröhre aus dem hintersten Winkel der Telefonzentrale reparierte. Außerdem wusste ein Texter zu berichten, dass er meinen Großvater einmal zufällig im Paper-Mill-Theater in Millburn getroffen habe, wo seine ausländische Frau ausgerechnet als Serafina in Die tätowierte Rose auftrat. Abgesehen davon war nicht viel über meinen Großvater bekannt, und so schien es ihm auch am liebsten zu sein. Längst hatten die Kollegen aufgegeben, ihn in Gespräche zu verwickeln. Man kannte ihn lächelnd, aber nicht lachend. Falls er politische Überzeugungen hatte – falls er überhaupt eine Meinung hatte –, so blieben sie im Büro von Feathercombs ein Geheimnis. Man hatte das Gefühl, ihn ohne Gefährdung des Betriebsfriedens feuern zu können.

Um kurz nach neun am Morgen des 24. hörte der Direktor von Feathercombs einen Tumult in seinem Vorzimmer, wo ein junges Mädchen mit schneller Auffassungsgabe platziert worden war, um Gläubiger und Steuerprüfer abzuwimmeln. Eine Männerstimme redete dort mit einer Dringlichkeit, die rasch in Erregung umschlug. Die Sprechanlage auf dem Schreibtisch des Direktors summte in kurzen Abständen. Er hörte ein Klirren von splitterndem Glas. Es klang, als würde der Hörer aufs Telefon geknallt. Bevor sich der Direktor von seinem Sessel erheben konnte, um nachzusehen, was los war, stürmte mein Großvater in sein Büro. Er fuchtelte mit einem schwarzen Telefonhörer herum (damals ein klobiger Gegenstand), der an einem ein Meter langen, zerfransten Kabel hing.

In den späten Dreißigerjahren hatte mein Großvater, wenn er nicht gerade Billard spielte, vier Jahre Studium an der Drexel Tech finanziert, indem er für das Kaufhaus Wanamaker’s Klaviere auslieferte. Seine Schultern nahmen den gesamten Türrahmen ein. Die widerspenstigen Haare wippten, befreit von der täglichen Portion Pomade. Sein Gesicht war so rot, als hätte er einen Sonnenbrand. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so wütend war«, erzählte ein Augenzeuge später der Zeitung. »Man konnte fast riechen, wie er qualmte.«

Der Direktor von Feathercombs seinerseits war überrascht festzustellen, dass er die Kündigung eines Verrückten abgesegnet hatte. »Was ist hier los?«, fragte er.

Es war eine sinnlose Frage, mein Großvater würdigte sie keiner Antwort; er hielt nichts davon, Offensichtliches festzustellen. Die meisten Fragen hatten seiner Meinung nach lediglich den Zweck, toten Raum zu füllen, das Gegenüber zu maßregeln, dessen Energie und Aufmerksamkeit fehlzuleiten. Zwischen meinem Großvater und seinen Gefühlen herrschte sowieso quasi Funkstille. Er griff nach dem zerfransten Ende des Telefonkabels und wickelte es sich zweimal um die linke Hand.

Der Direktor wollte aufstehen, doch seine Knie verkanteten sich in der Beinöffnung des Schreibtischs. Der Stuhl schoss unter ihm hervor und kippte um, die Rollen klackerten. Er stieß einen Schrei aus. Es war ein weibischer Ton, fast schon ein Jodeln. Als sich mein Großvater auf seinen Chef stürzte, drehte der sich zum Fenster, das auf die East 57th Street ging. Er konnte gerade noch sehen, dass sich unten auf dem Bürgersteig Passanten sammelten.

Mein Großvater schlang das Kabel um den Hals des Direktors. Ihm blieben vielleicht zwei Minuten, ehe die Rakete seiner Wut ihren Treibstoff verbraucht haben und zurück auf die Erde fallen würde. Zeit satt. Im Zweiten Weltkrieg hatte er gelernt, wie man mit einer Garrotte [1] umgeht. Er wusste, dass Strangulation, fachmännisch ausgeführt, eine Angelegenheit von wenigen Sekunden war.

»O mein Gott«, stieß die Sekretärin Miss Mangel aus, die erst jetzt am Ort des Geschehens auftauchte.

Sie hatte sofort reagiert, als mein Großvater in ihr Büro platzte. Später würde sie sich erinnern, dass er nach Holzqualm roch. Sie hatte es gerade noch geschafft, zweimal auf den Summer zu drücken, bevor mein Großvater ihr den Hörer entwendete, nach der Gegensprechanlage griff und das Kabel aus dem Apparat riss.

»Dafür werden Sie bezahlen«, sagte Miss Mangel.

Als mein Großvater diese Geschichte zweiunddreißig Jahre später erzählte, setzte er ein bewunderndes Ausrufezeichen hinter Miss Mangels Namen, doch da die Rakete seiner Wut den höchsten Punkt ihrer Parabel noch nicht erreicht hatte, waren ihre Worte eine Provokation für ihn. Er warf die Sprechanlage aus dem Fenster von Miss Mangels Büro. Das Klirren, das der Direktor gehört hatte, entstand, als die Anlage durch ein Spinnengewebe aus Glas auf die Straße segelte.

Als Miss Mangel einen erzürnten Ruf von unten hörte, trat sie ans Fenster und schaute hinab. Auf dem Bürgersteig saß ein Mann in einem grauen Anzug und blickte zu ihr hoch. Auf dem linken Glas seiner runden Brille war Blut. Er lachte.[2] Passanten blieben stehen und kümmerten sich um ihn. Der Portier verkündete, er werde die Polizei rufen. In dem Moment hörte Miss Mangel ihren Chef schreien. Sie wandte sich vom Fenster ab und lief in sein Büro.

Auf den ersten Blick schien es leer zu sein. Dann hörte sie einen Schuh über den Linoleumboden scharren, ein zweites und ein drittes Mal. Der Kopf meines Großvaters tauchte hinter dem Schreibtisch auf und verschwand wieder. Die tapfere Miss Mangel lief um den Tisch herum. Ihr Chef lag bäuchlings auf dem glänzenden Boden, alle viere von sich gestreckt. Mein Großvater hockte auf dessen Rücken, vornübergebeugt, und probierte sein Glück mit der improvisierten Garrotte. Der Direktor wand sich, schlug um sich, versuchte, sich auf den Rücken zu drehen. Man hörte nur, wie die Spitzen seiner Ziegenlederschuhe Halt auf dem Linoleum suchten.

Miss Mangel schnappte sich einen Brieföffner vom Schreibtisch und stieß ihn meinem Großvater in die linke Schulter. Viele Jahre später bedachte er diese Tat noch mit einem zweiten wohlwollenden Ausrufezeichen.

Die Spitze des Brieföffners sank nur einen guten Zentimeter tief ins Fleisch, doch der Stich des Metalls blockierte einen Meridian der frei fließenden Wut meines Großvaters. Er grunzte. »Es war, als würde ich aufwachen«, sagte er, als er mir diese Geschichte in der letzten Woche seines Lebens zum ersten Mal erzählte. Er löste das Kabel vom Hals des Direktors und zog es aus den Furchen, die es in seine linke Hand geschnitten hatte. Polternd fiel der Hörer zu Boden. Mein Großvater setzte einen Fuß rechts und einen links neben den Direktor, stand auf und trat zurück. Der Direktor drehte sich auf den Rücken und setzte sich schwerfällig auf, dann rutschte er auf dem Hintern rückwärts in eine Nische zwischen zwei Aktenschränken. Er rang nach Luft. Als sein Gesicht auf den Boden geschlagen war, hatte er sich auf die Unterlippe gebissen. Nun waren seine Zähne rosa gefärbt.

Mein Großvater drehte sich zu Miss Mangel um, nahm ihr den Brieföffner aus der Hand und legte ihn auf den Schreibtisch des Direktors. Wenn ein Wutanfall bei ihm abebbte, sah man Reue wie Wasser in seine Augen schwappen. Er ließ die Hände sinken.

»Verzeihung«, sagte er zu den beiden. Ich vermute, dass er es auch zu meiner Mutter sagte, damals vierzehn, und zu meiner Großmutter, obwohl sie unter Umständen ebenso viel Schuld trug wie mein Großvater. Es bestand nicht viel Hoffnung, dass ihm verziehen würde, aber er klang auch nicht so, als würde er es erwarten oder überhaupt wollen.

Am Lebensende verschrieb der Doktor meinem Großvater ein starkes Hydromorphon gegen die vom Knochenkrebs verursachten Schmerzen. Zu der damaligen Zeit waren viele Deutsche damit beschäftigt, Löcher in die Berliner Mauer zu schlagen, und ich tauchte...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2018
Übersetzer Andrea Fischer
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • 2. Weltkrieg • Enkel • Großvater • Großvater • Judentum • Lebensgeschichte • Mond-Raumfahrt • New York Times Bestseller • Wernher von Braun • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-462-31663-X / 346231663X
ISBN-13 978-3-462-31663-6 / 9783462316636
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99