Der Sommer der Glühwürmchen -  Rainer Gross

Der Sommer der Glühwürmchen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
212 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7448-5023-0 (ISBN)
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Er ist achtzehn und sie fünfunddreißig. Es ist ein großer Sommer, ein Jahrhundertsommer, in dem die Glühwürmchen tanzen und eine Liebe heranwächst, die sich bald bewähren muss. Benedikt macht gerade sein Abitur, was Linda arbeitet, weiß er nicht, ihr Leben zwischen der Landeshauptstadt und dem Haus auf der Hochfläche birgt ein Geheimnis. Während Ben auf seinen ersten Sex wartet, ringt der Ich-Erzähler mit dem ewigen Versprechen des Sommers, jenem Anspruch von Fülle und Glück, der kaum zu erfüllen ist. Am Ende finden die Geschichten zueinander und vereinigen sich zur Eloge eines unvergesslichen Sommers.

Rainer Gross, Jahrgang 1962, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Bisher veröffentlicht: Grafeneck (Pendragon 2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (Pendragon 2008); Kettenacker (Pendragon 2011); Kelterblut (Europa 2012). Bei BoD u.a. erschienen: Die Welt meiner Schwestern (2014); Yûomo (2014); Haus der Stille (2014); Schrödingers Kätzchen (2015); Haut (2015); My sweet Lord (2016); Holiday (2016); Am Ende des Regenbogens (2016); Scheherazade (2017); Die sechzigste Ansicht des Berges Fuji (2017).

Und es ist Sommer ...

Ich heiße Benedikt. Alle nennen mich Benni, aber das gefällt mir nicht. Ich finde, dass Benedikt ein schöner Name ist.

Ich mache gerade mein Abitur und habe einen Motorroller, wenn ich den nicht hätte, würde ich es nicht aushalten. Oft fahre ich auf die Hochfläche hinauf, weg von der Stadt und dem ganzen Getriebe. Allein fahre ich in der Gegend herum, suche mir manchmal eine Stelle am Waldrand und setze mich dort hin. Was ich die ganze Zeit dort mache, weiß ich selber nicht. Vielleicht denke ich nach, aber eigentlich kommt nichts Besonderes dabei heraus.

Ich mag auch die Natur. Besonders im Sommer. Der Sommer ist für mich die schönste Jahreszeit. Da kann man viel mehr machen als sonst, ich habe das Gefühl, als würde die ganze Welt offen stehen und alles wäre möglich. Was ich mir unter alles vorstelle, weiß ich selber nicht. Ich denke mir dann solche Geschichten aus. Gern würde ich zum Beispiel mal auf einer karibischen Insel Ferien machen. Oder am Strand von Tahiti eine Frau kennen lernen. Solche Sachen halt.

Diesen Sommer aber ist etwas passiert. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Auch nicht dort am Waldrand. Ich habe tatsächlich eine Frau kennen gelernt. Eine erwachsene Frau, kein Mädchen in meinem Alter. Eine reife Frau, so, wie es meine Freunde sich immer ausdenken. Aber das Merkwürdige ist, dass es mir gar nicht um Sex geht. Sie ist ein sehr interessanter Mensch. Vielleicht hat sie ein Geheimnis. Sie hat mich zu sich eingeladen, in ihr Haus in einem Dorf auf der Hochfläche. Nach der Schule fahre ich oft hin.

Sie ist doppelt so alt wie ich. Glaube ich. Sie lebt allein, warum, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gefragt. Solche Dinge spielen zwischen uns keine Rolle. Sie hat auch nichts darüber gesagt, dass ich noch Schüler bin. Sie nimmt mich ernst, tut mich nicht ab wie einen frühreifen Bengel oder so.

Wie sie heißt, weiß ich auch nicht. Ich kenne nur den Nachnamen auf der Klingel. Ich soll sie Linda nennen, warum, weiß ich nicht. Nach der Schule fahre ich hin.

Die Jahreszeiten entstehen, weil die Erdrotation nicht in der Ebene der Umlaufbahn um die Sonne erfolgt, sondern um 23,4° geneigt. Dadurch wechselt der Zenitstand der Sonne im Jahreszyklus zwischen nördlichem und südlichem Wendekreis.

Astronomisch beginnt der Sommer mit der Sommersonnenwende – dem Zeitpunkt, zu dem die Sonne senkrecht über dem Wendekreis der eigenen Erdhälfte steht und die Tage am längsten sind. Danach werden die Tage wieder kürzer und die Nächte länger. Der Nordsommer beginnt mit der Frühlings-Tagundnachtgleiche am 21. März und endet mit der herbstlichen Tagundnachtgleiche am 22. oder 23. September.

Die langen, matten Abende vor Mittsommer. Der Himmel ist voller Gewitterwolken, schwül drückt die Luft, erst um zehn wird es dunkel. Lange, vergeudete Zeit. Das Zetern der Amsel im Garten. Das Zerdrücken der Zigarettenstummel im Aschenbecher. Der schweißfeuchte Stoff des T-Shirts. Ein kleiner Appetit ohne Hunger. Im Kühlschrank kalter Saft. Ich liege und warte: auf das Leben, das irgendwann kommt.

Eine Liebesgeschichte.

Auf meiner Wanderschaft lernte ich ein Mädchen namens Wacholder kennen. Sie wohnte auf einem Hügel in einem kleinen Haus aus Holz. Sie saß im Schaukelstuhl auf der Veranda und schlief. Schlief sie? Ich glaube, nicht. Atmete sie? Ich glaube, sacht. Ich besuchte sie jeden Tag. Ich nannte sie June, aber das litt sie nicht. Sie ritt auf einer klapperdürren Mähre durch den Wald, pflückte Flieder und steckte ihn sich ins flachsblonde Haar. Sie hatte keine Zügel und träumte mit geschlossenen Augen, während der Gaul seinen Weg fand. Wenn sie zurück kam, lächelte sie versonnen und sprach den ganzen Abend kein Wort. Oft saß ich am Fluss, der unter dem Hügel vorbei strömte, und angelte. Tatsächlich aber stellte ich mir vor, wie Wacholder mich lieben würde. Würde ich sie lieben? Aber hallo! Magst du sie sehr? Aber ja, Sir! Wacholder wünschte sich, was ihr fehlte: eine neue Küchenuhr; einen Toilettentisch mit Spiegel; Regen für den Salat im Garten; einen getigerten Kater; einen Mann im Haus. Was willst du dafür tun, Wacholder, mein Schatz?, fragte ich sie. Aber sie saß still, regte sich nicht, mit ihrem Haar wie Flachs in ihrem kleinen Haus auf dem Hügel.

Ich brauche eine halbe Stunde, einschließlich der Steige auf die Hochfläche hinauf. Das Dorf ist klein und liegt an einem Fluss. Vom Dorfplatz aus steigt eine Straße den Hang hinauf, dort stehen lauter Einzelhäuser. Ihres ist das letzte in der Reihe. Der Garten liegt hinter dem Haus und geht auf den Wald hinaus, der den Hügel bedeckt.

Anfangs wollte sie, dass ich nicht vor dem Haus parke. Ich schob den Roller durch das Gartentor und stellte ihn in der Garage ab. Aber mittlerweile ist es ihr egal. Dass ich so oft komme, fällt im Dorf sowieso auf. Und ich bin ja achtzehn, also was soll’s?

Ich stelle an der Straße ab. Der Vorgarten liegt leer, sie ist wohl im Haus. Manchmal ist sie auch gar nicht da, obwohl wir verabredet sind. Dann ist etwas dazwischen gekommen, das gibt es immer wieder.

Es macht mir schon etwas aus. Ich freue mich die ganze Zeit auf sie, und während der Fahrt male ich mir aus, was wir gemeinsam tun werden. Wenn sie dann nicht da ist, bin ich sehr enttäuscht. Ich bin auch manchmal wütend auf sie. Es tut mir weh, dass ich ihr nicht wichtig genug bin. Aber davon erzähle ich nichts. Solche Dinge will sie nicht hören.

Ich habe sie natürlich gefragt, wieso sie nicht da ist. Wieso das so kurzfristig kommt. Sie hat nicht wirklich etwas heraus gelassen. Sie hat mich nur um Verständnis und Vertrauen gebeten, dass sie wirklich nicht anders könne und dass das nichts darüber sage, wie wichtig ich ihr bin. Das habe ich nicht ganz geglaubt. Aber ich will die Dinge nicht komplizieren, sie scheinen verwickelt genug zu sein.

Ich schließe den Roller ab, nehme den Helm und gehe zur Haustür. Manchmal öffnet sie nicht auf das Klingeln, dann ist sie hinten auf der Terrasse und sonnt sich oder arbeitet im Garten. Sie hat zwei Bäume, eine Johannisbeer- und eine Stachelbeerhecke, Blütenbüsche und einen verwilderten Rasen. Sie lässt das Laub liegen für die Glühwürmchenlarven, seit ich ihr erzählt habe, dass die Larven Schnecken fressen. Sie hasst Schnecken. Ein Salatbeet hat sie nicht.

Diesmal ist sie im Haus. Sie öffnet und lässt mich herein. Sie zeigt anfangs keinerlei Gefühl, keine Wiedersehensfreude oder so. Daran habe ich mich gewöhnt. Sie scheint eine Weile zu brauchen, bis sie sich darauf eingestellt hat, nicht mehr allein zu sein. Sie gibt mir auch kein Küsschen oder so.

Ich tue anfangs so, als wäre ich bei einer Bekannten zu Besuch, bei einer Lehrerin oder einer Freundin meiner Mutter. Das hilft mir, nicht enttäuscht zu sein.

Erst wenn sie zum ersten Mal lacht und mich am Arm berührt, ist sie aufgetaut, und dann sagt sie auch, dass sie froh ist, dass ich da bin.

Manchmal ist sie sehr offiziell und führt mich an die Teetafel, die sie gedeckt hat. Dann gibt es parfümierten Tee mit Kandis und einen selbst gebackenen Kuchen. Ich sitze am Esszimmertisch mit Silberlöffel und Serviette und habe das Gefühl, dass noch jemand eingeladen ist, der aber nicht kommt. Ich fühle mich wie ein Lückenbüßer. Aber im Lauf des Nachmittags vergesse ich das.

Linda ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.

Linda: weiblicher Vorname. Im englischen Sprachraum häufig Kurzform von Namen wie Melinda oder Belinda. Im germanischen Sprachraum hingegen die Kurzform von Namen mit dem Bestandteil lind, so etwa Gerlinde, Sieglinde oder Lindgard.

Als erster Bestandteil geht lind zurück auf den Baumnamen Linde, ahd. linta, die wegen ihres weichen Bastes so benannt wurde. Aus dem Holz des Baumes stellte man Schilde her, was für den Personennamen wohl bestimmend gewesen ist.

Als zweiter Bestandteil leitet sich –lind ab von ahd. lind(i) sanft, weich, mild, daher auch das Wort →Linderung; vgl. hierzu lat. lentus biegsam.

Die langen Tage vor Mittsommer bereiten mir vergeblich ihre Junifreude, die Käfer halten Hochzeit, die Eremiten, schwarz schimmernd mit Zangen, die im Lindenholz hausen und unterm Schutzbrief der Ökologen stehen, die Eremiten, die den Schlag der Alleebäume verhindern, und am Ende hat vor lauter Schutz niemand etwas davon. Siehe, der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen: Wirfst du einen Stein hinein, sag, wie willst du ihn wieder herauf bekommen? Also sprach Zarathustra. Ich weiß nicht, wo das Licht hin will, das gleißende Licht aus dem Wolkenhimmel, das die Erde in den Scheinwerfer Gottes rückt. Aufmerksam sollten wir sein auf die unscheinbaren Dinge, die Vermählung des Unscheinbar-Wunderbaren mit sich selbst, und hell leuchten die Herzblätter im Mittag.

Am Anfang der Hitzewelle steht eine klassische Omega-Wetterlage. Dabei lässt das Hochdruckgebiet über Mitteleuropa, flankiert von Tiefdruckgebieten auf dem Atlantik und über Osteuropa, in Europa subtropische Heißluftmassen aus...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7448-5023-4 / 3744850234
ISBN-13 978-3-7448-5023-0 / 9783744850230
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