Ein Frühling im Tessin (eBook)

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2017 | 1. Auflage
240 Seiten
Refinery (Verlag)
978-3-96048-086-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Frühling im Tessin -  Christine Brückner
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Der angesehene Scheidungsanwalt Albrecht soll auf Anraten seiner klugen Frau zehn Tage im Tessin ausspannen und dort von seiner Schwäche für seine Sekretärin Lotte kuriert werden. Damit diese Kur für Susanne nicht zu anstrengend wird, hat sie sich ihren Jugendfreund eingeladen. 'Ein heiterer, pikanter, mit viel Witz, Menschenkenntnis und geistreichen Einfällen gewürzter Eheroman, dessen Autorin es versteht, die Probleme und Konflikte ohne Sentimentalität, mit liebenswürdigem Humor zu schildern und zu lösen.' - Das Bücherblatt

Christine Brückner (1921 - 1996) zählt zu den renommiertesten Schriftstellerinnen Deutschlands. Sie verfasste Romane, Erzählungen, Kommentare, Essays, Schauspiele, auch Jugend- und Bilderbücher. Besonders mit der Poenichen-Trilogie wurde sie einem großen Publikum bekannt.

Christine Brückner, am 10.12.1921 in einem waldeckischen Pfarrhaus geboren, am 21.12.1996 in Kassel gestorben. Nach Abitur, Kriegseinsatz, Studium, häufigem Berufs- und Ortswechsel wurde sie in Kassel seßhaft. 1954 erhielt sie für ihren ersten Roman einen ersten Preis und war seitdem eine hauptberufliche Schriftstellerin, schrieb Romane, Erzählungen, Kommentare, Essays, Schauspiele, auch Jugend- und Bilderbücher. Von 1980-1984 war sie Vizepräsidentin des deutschen PEN; 1982 wurde sie mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen ausgezeichnet, 1990 mit dem Hessischen Verdienstorden, 1991 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Christine Brückner war Ehrenbürgerin der Stadt Kassel und stiftete 1984, zusammen mit ihrem Ehemann Otto Heinrich Kühner, den "Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor". Christine Brückners Gesamtwerk ist im Ullstein Verlag erschienen.

Wenn es vorbei ist, weiß man nie, wann so eine Geschichte eigentlich angefangen hat. Mein Mann behauptet, alles habe seine Ursache in dem Regen gehabt. Bei gutem Wetter wäre das nicht passiert. Wie überhaupt die meisten Ereignisse und vor allem die Ungeheuerlichkeiten unter dem Einfluß der Witterung geschähen. Wenn er mit seinen Ausführungen so weit gekommen ist, pflege ich wegzuhören. Wir sind sechs Jahre verheiratet, ich kenne seine Argumentation. In diesem Falle wird er sie statistisch unterbauen, und er wird seine Beispiele aus dem Bereich der Verbrechen wählen, denn er ist Jurist; er wird sie aus dem › allgemein menschlichen Bereich‹ wählen, denn er ist Scheidungsanwalt. Der kommende Mann in unserer Stadt, sagen seine Kollegen. Ein Frauentyp und jetzt gerade im gefährdeten Alter, ein gutaussehender Endvierziger, eben im Begriff, leicht zu ergrauen.

Lotte, die ebenfalls den Dingen nicht allzusehr auf den Grund zu gehen pflegt, dafür aber ein wenig romantisch veranlagt ist, sagt: Es ist diese Landschaft. Rechts eine Felswand, links eine Felswand, in der Mitte ein Wasserfall, schäumendes Brausen und tiefhängende Wolken; ein wenig Tessiner Vegetation mit Kastanien und Nußbäumen und blühenden wilden Kirschen; der Waldboden beschneit mit weißen Anemonen – das genügt schon, um sie anfällig zu machen. Noch anfälliger macht sie der Barbera, und wenn man ihr gar den schwerfließenden, kaum vergorenen Nostrano aus dem vorigen Jahr vorsetzt, dann behauptet sie immer noch: Es ist diese Landschaft! Lotte ist die Sekretärin meines Mannes. Sie hat tiefen Einblick in das Leben genommen, sagt sie. Ich nenne sie gelegentlich ›das einfache Lottchen‹, weil sie vor ein paar Wochen, als sie wieder einmal anfällig war, fand, ich sollte sie doch ›einfach Lotte‹ nennen.

Der Vorschlag, sie in unser Ferienhaus mitzunehmen, stammt von mir. Ich vermutete damals, daß mein Mann mir in etwa zwei Monaten, vielleicht auch schon früher, so genau weiß man das ja nie, sagen würde, er habe einen dringenden Termin in London, und Lotte käme der Einfachheit halber und für alle diese Formalitäten am besten mit. Auch meine Phantasie reicht aus, mir vorzustellen, wie englische Parks auf Lotte wirken. Und mein Mann – nun, der sagt zwar, daß er genügend Gelegenheit habe, aus den Fehlern anderer zu lernen, aber warum, warum macht er dann so viele? Wer garantiert mir, daß er vor dem mit seiner Sekretärin zurückschreckt? Er ist auch sonst in seinen Einfällen nicht immer originell. Als ich vorschlug, die Praxis für zehn Tage zu schließen, dann könnten wir Lotte mitnehmen, und sie könnten unten – unten heißt im Tessin, in unserem Haus – das Nötigste arbeiten, wußte er allerdings sofort Bescheid. Er sah mich anerkennend an und sagte: »Ich habe doch nicht etwa eine kluge Frau geheiratet?«

»Aber keine raffinierte«, sagte ich. Das gab er zu.

Mir schien, daß uns allen eine Woche Ferien im Frühling guttun würde. Vorgeführtes Eheglück kann man das natürlich auch nennen. Ich hoffte, daß es ernüchternd wirken würde auf das einfache Lottchen.

Weil man Dreiecksverhältnisse nicht gewaltsam konstruieren soll, rief ich Friedrich Georg an, der seine Unabhängigkeit gern in raschen Entschlüssen dartut. »Es wird nicht einfach sein«, sagte er, »es gibt da allerlei zu regeln.« Ich zog sofort zurück und bedauerte sehr und verstand die Wichtigkeit seiner Vorhaben augenblicklich, und deshalb mußte nun wiederum er die Taktik ändern. »Man darf sich nicht von Bagatellen abhängig machen, und es ist alles Bagatelle, was nicht –.« Hier unterbrach ich ihn, wir führten auf meine Kosten ein Ferngespräch: »Wem sagst du das, Friedrich Georg!« Was eine Bagatelle ist, das ändert sich bei ihm so oft wie bei mir. Wir haben uns darüber nie verständigen können; nur in den Details, so nennt er das, sind wir immer derselben Ansicht. Woran das liegt, weiß ich nicht. Wir kennen uns schon zehn Jahre. Friedrich Georg ist Junggeselle. Außerdem ist er ein Dichter. In erster Linie aber ist er Junggeselle, und um das zu bleiben, tut er viel und vieles nicht und kommt darüber nicht recht zum Dichten, scheint mir. Ohne das Nachtprogramm im Rundfunk ginge es ihm sicher ziemlich schlecht.

Friedrich Georg sagt – als Dichter hat er eine Vorliebe für die Metaphysik, die bei ihm ziemlich unmittelbar über der Sphäre von Lottes Wasserfall und der felsigen Schlucht beginnt –, er sagt: ›Alles ist Anfang.‹ Dann sinnt er lange und sagt: ›Alles ist Ende. Die Anemonen duften nach Moder, das welke Laub, diese Krume über unserem Planeten, was ist sie anderes als: Rosen – Tränen – Staub.‹ Wenn er so weit ist, geht man am besten. Er merkt es sowieso nicht. Er greift nach dem Stift, und man tut gut daran, ihm schnell noch eine Papierserviette zuzuschieben, damit er nicht das Tischtuch beschreibt.

Einmal, das liegt Jahre zurück, habe ich ihn gefragt, woher er das kann. Was? Was – kann? Er war irritiert, er mag direkte Fragen nicht übermäßig gern. Ich erklärte es ihm, sagte: »Nun, das Dichter-Sein. Du mußt es doch irgendwo gelernt oder jemandem abgeguckt haben.«

Er war gekränkt. Aber das hält nie lange vor. Unser Verhältnis ist jenseits von Gut und Böse. Das glaubte ich wenigstens, bevor wir auf diese Reise gingen. Nicht einmal das gesteht mir mein Mann zu. Das Fatale, so behauptet er, sei, daß ich selbst an meine Unbefangenheit glaube, und darum sei sie auf gewisse Weise eben doch existent. Mein Mann hat einen Freund, der Existenzphilosoph ist, vermutlich verdanken wir ihm, daß bei uns so vieles ›existent‹ oder ›existentiell‹ ist.

Friedrich Georg, um auf ihn noch einmal zurückzukommen, legt die Hand auf meine Schulter, wie er sie auf den ersten besten Fensterrahmen oder – wie er es noch lieber tut, weil es dekorativer ist – an den Stamm eines wilden Kirschbaums lehnt. Er lehnt sich überhaupt gern an, und das ist mehr als eine Pose. Außerdem hat er eine Vorliebe für unveredelte Bäume, für das Echte also, und darum stiegen wir aus der Promenadenzone am Lago Maggiore, weg von Palmen, Agaven, blühenden Kamelien, Rhododendronhecken und Mimosenbüschen, dorthin, wo eben erst die Wiesen grün wurden, wo Primeln an den Quellen blühten und Veilchen die moosigen Felsen überwucherten. Es war April. Aber es regnete.

Friedrich Georg erkennt Zusammenhänge, die keiner von uns wahrnehmen kann. Alles gerät bei ihm sehr bald in eine Zone, an der unsichtbar, aber keineswegs unauffällig ein Schild hängt: Zutritt nur für Befugte.

Tante Be, die in unserer Geschichte eine viel größere Rolle gespielt hat, als ich zunächst vermutet habe, Tante Be ist imstande zu sagen: »Kindchen, das ist Schicksal, Ich bin in einem Alter, in dem man wieder an das Schicksal glaubt und drüber reden kann, ohne Angst zu haben, daß man sich lächerlich macht. Alles, die Situation, die Geschehnisse oder die Dinge, oder wie ihr das nun nennt, hatte sich zugespitzt, verdichtet – daran allerdings wart ihr schuld und ich natürlich auch, aber dann haben sie sich selbständig gemacht, die Fäden glitten uns aus der Hand, und was dann kam, das war Schicksal, Suschen.« Und wie sie das sagt, gar nicht etwa bedeutungsvoll und ernst, sondern heiter und beiläufig; wie andere Frauen in ihrem Alter ein Strickmuster erklären – am Rand mußt du Knötchen stricken, Kind, dann wird die Naht glatter –, so redet Tante Be über das Schicksal.

Übrigens finde ich, daß ein gut Teil schuld an alldem das Haus hat. Es gibt da so etwas, das ich die übernommene Hypothek nenne. Simonetti, unser Vorgänger, hatte viel mehr zurückgelassen als einen Teil des Inventars, mehr als alte Regenmäntel und Schaukelstühle, aber davon wird noch oft die Rede sein.

Das Haus gehört mir. Mein Mann versäumt keine Gelegenheit, das zu betonen. Es ist das Hochzeitsgeschenk einer großzügigen Tante, jener Tante Be, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Schweiz lebt und nie wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist. Sie bedauert jeden, der dort zu leben gezwungen ist. Ihr Geschenk entstammt dem Mitleid; sie denkt, daß ich – wie sie – eines Tages meine Zuflucht ins Tessin nehmen werde, nicht zuletzt, weil es in Deutschland kalt in jeder Hinsicht sei und weil man dort zu tüchtig sei und niemals etwas von der Kunst zu leben lernen werde. Außerdem richtete sich dieses Geschenk unmißverständlich gegen Albrecht. Das Haus soll meine Zuflucht sein, wenn es mit meiner Ehe schlecht ausgeht, wovon sie offensichtlich vom ersten Tage an überzeugt war. Sie hat eine Abneigung gegen Juristen, sie mag ja auch meinen Vater nicht. Es sei denn, es handelt sich um Notare, mit denen sie viel zu tun hat, da sie sich auf dem Schweizer Immobilienmarkt betätigt. Vielleicht hatte sie wirklich für dieses Haus keinen Käufer finden können, wie Albrecht behauptet, und in uns hatte sie wenigstens jemanden, der die Unkosten trug. Und wenn schon! Man darf hier so wenig nach den Motiven forschen wie bei anderen Geschenken.

Auf dem Immobilienmarkt ist sie heimlich tätig. Offiziell malt sie. Sie bezeichnet sich als Malerin; sie hat uns damit überrascht, daß sie das Haus ausgemalt hatte, bevor wir es zum erstenmal sahen. Das war auf unserer Hochzeitsreise. Sie hat eine sanfte Palette, die Farben tun einem nicht weh, ihr Strich ist behutsam, und das ist schon etwas Positives für einen Maler, mit dem man verwandt ist. In ihren Motiven hat sie sich beschränkt – auf Naturalien, wie mein Mann das zu nennen beliebt. Drei blühende Magnolienzweige an der Kaminwand. Ein Stückchen Lago mit zwei Palmen in der Diele. Die gemalten bunten Poccalinos und Bastflaschen an der weißgekalkten Wand in der kleinen Küche sind sogar sehr hübsch. Albrecht kann die Kuh...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-96048-086-5 / 3960480865
ISBN-13 978-3-96048-086-0 / 9783960480860
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3 Beziehungs-Wirrwarr

von , am 22.10.2017

Der Roman ist 1960 erschienen und ziemlich in seiner Zeit verhaftet, insbesondere was die Beziehungen angeht. Dabei ist der Roman nicht so humorvoll wie erwartet, man spürt bei der Icherzählerin Susanne, wie sie darunter leidet, wie gut sich ihr Mann Albrecht mit seiner attraktiven Sekretärin Lotte versteht. Ihre Idee mit der gemeinsamen Reise ins Ferienhaus im Tessin, dazu noch den Exfreund Friedrich Georg eingeladen, erweist sich als riskant, da die Situation eskalieren könnte.
Tatsächlich scheint sich Albrecht sehr um Lotte zu bemühen. Suzanne verfügt über genug Humor, um das Beziehungs-wirrwarr mit Ironie zu behandeln.

Teilweise ist der Roman zu bemüht, einige Passagen sind ganz gut gemacht. Mit dem Ende bleibt man etwas ratlos zurück, die letzte Konsequenz fehlt.

Ich hatte schon öfter den Eindruck, als würde Christine Brückner in ihrer Prosa zwischen ernsthafter und Trivialliteratur schwanken. Eine Figur wie Tante B. ist schon an der Grenze, aber das nur nebenbei.
Was jedoch gestern wie heute funktioniert sind die schönen Landschaftsbeschreibungen des Tessin.
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,5 MB

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