Das kleine Atelier der Mademoiselle Iris (eBook)

Roman
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2017 | 1. Auflage
288 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-17896-3 (ISBN)

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Das kleine Atelier der Mademoiselle Iris -  Agnès Martin-Lugand
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»Agnès Martin-Lugands Gabe liegt darin, dass wir uns in die charmanten Macken ihrer Heldinnen verlieben.« ELLE
Iris droht in ihrem kleinbürgerlichen Leben zu ersticken. Ihre Ehe verläuft schon lange nicht mehr glücklich, und ihr Job in einer Bank deprimiert sie. Einziger Lichtblick ist ihre Nähmaschine, mit der sie voller Herzblut wunderschöne Kleider schneidert. Nach einem Streit mit ihrem Mann reist sie kurz entschlossen nach Paris, um sich dort ihren Lebenstraum zu erfüllen und eine professionelle Ausbildung zur Schneiderin zu beginnen. Ihre ungewöhnliche neue Chefin Marthe ist sofort begeistert von ihrem Talent und bietet ihr ein kleines Atelier an. Iris' Glück scheint sich endlich zu wenden - bis sie Gabriel kennenlernt, der alles auf den Kopf stellt ...

Agnès Martin-Lugand ist Psychologin und war sechs Jahre im Rahmen eines Kinderschutzprogramms tätig. Seit dem Überraschungserfolg von »Glückliche Menschen küssen auch im Regen« und »Abschiedsküsse zählt man nicht« widmet sie sich nur noch dem Schreiben. Agnès Martin-Lugand lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in der Normandie. »Das kleine Atelier der Mademoiselle Iris« ist ihr dritter Roman bei Blanvalet.

1

Wie jeden Sonntagmittag wollte ich nicht hin. Wie jeden Sonntagmittag trödelte ich herum und versuchte, ein bisschen Zeit herauszuschinden. Nur …

»Iris!«, rief Pierre. »Was treibst du noch?«

»Schon gut, komme gleich.«

»Beeil dich ein bisschen, wir kommen noch zu spät.«

Warum hatte mein Mann es so eilig, zum Mittagessen zu meinen Eltern zu fahren? Während ich sonst was in Kauf genommen hätte, um diesem Essen zu entgehen. Das einzig Gute daran war, dass ich mein neustes Kleid einweihen konnte. Am Abend vorher hatte ich ihm den letzten Schliff gegeben und war nun mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Ich tat, was ich konnte, um mein Nähtalent zu pflegen und nicht aus der Übung zu kommen. Außerdem vergaß ich beim Schneidern alles: meine sterbenslangweilige Arbeit bei der Bank, die Routine meines Lebens und den Niedergang unserer Beziehung. Ich hatte dann nicht mehr den Eindruck zu verlöschen. Im Gegenteil, ich fühlte mich lebendig: Wenn ich an meiner geliebten Nähmaschine saß oder Entwürfe zeichnete, pulsierte das Leben in mir.

Ich betrachtete mich ein letztes Mal im Spiegel und seufzte.

Dann ging ich zu Pierre in die Diele, er stand da und tippte auf seinem Handy herum. Ich beobachtete ihn einige Augenblicke lang. Jetzt kannte ich ihn schon seit zehn Jahren, doch seine Sonntagskluft hatte sich um kein Jota verändert: Oxfordhemd, Baumwollhose und die ewigen Bootsschuhe.

»Da bin ich«, sagte ich.

Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn bei etwas ertappt, und steckte das Telefon in die Tasche.

»Wurde auch Zeit«, schimpfte er und zog seine Jacke über.

»Sieh mal, das hab ich gestern fertig genäht. Wie findest du es?«

»Sehr hübsch. Wie immer.«

Er hatte schon die Haustür geöffnet und war auf dem Weg zum Wagen. Mir hatte er keinen einzigen Blick gegönnt. Wie immer.

Punkt 12 Uhr 30 parkte er unseren Wagen vor dem Haus meiner Eltern. Mein Vater machte uns die Tür auf. Das Rentnerdasein bekam ihm nicht gut, sein Bauch wurde stetig dicker, und sein Sonntagsschlips schien ihn immer mehr zu beengen. Er schüttelte seinem Schwiegersohn die Hand und gab seiner Tochter einen flüchtigen Kuss, bevor er Pierre ins Wohnzimmer zog, um den traditionellen Portwein zu trinken. Ich begrüßte kurz meine beiden älteren Brüder, die schon beim zweiten Glas waren. Einer lehnte am Kamin, der andere saß Zeitung lesend auf dem Sofa, allgemeines Gesprächsthema war die aktuelle politische Lage. Dann ging ich zu den Frauen in die Küche. Meine Mutter, die Schürze um die Taille gebunden – und das nun schon seit vierzig Jahren –, überwachte die sonntägliche Lammkeule und öffnete Dosen mit grünen Bohnen, während meine Schwägerinnen sich um das Mittagessen ihrer Sprösslinge kümmerten. Die Kleinsten bekamen die Brust. Die Größeren unterbrachen ihr Festmahl – Dauphine-Kartoffeln mit einer Scheibe kaltem Braten –, um ihre Tante auf die Wange zu küssen. Ich half meiner Mutter ein wenig, schleuderte den Salat und rührte die Salatsoße an, während ich allen dreien zuhörte, wie sie über Madame X schwatzten, die einen Aufruhr in der Apotheke veranstaltet habe, und über Monsieur Y, bei dem Prostatakrebs diagnostiziert worden sei. Und meine Mutter kommentierte je nachdem: »Sie sollte sich schämen, sich so aufzuführen, das gehört sich wirklich nicht.« Oder: »Das ist schon traurig, er ist noch so jung …« Ich für meinen Teil schwieg, ich hasste solchen Tratsch.

Ich schwieg auch während des Essens, bei dem wie immer mein Vater den Vorsitz führte. Hin und wieder warf ich einen Blick auf Pierre, der jedoch fühlte sich pudelwohl in meiner Familie, die doch so langweilig war und das genaue Gegenteil meiner Wünsche und Hoffnungen. Um mich abzulenken, machte ich mich nützlich wie früher, als ich noch »die Tochter des Hauses« war. Natürlich, wir waren ja auch die einzigen Kinderlosen. Als ich die Käseplatte brachte, sprach mich eine meiner Schwägerinnen an.

»Iris, dein Kleid ist toll! Wo hast du es aufgetrieben?«

Ich lächelte ihr zu und spürte endlich Pierres Blick auf mir ruhen.

»Auf meinem Speicher.«

Sie runzelte die Stirn.

»Ich habe es selbst genäht.«

»Stimmt, ich hatte vergessen, dass du ab und zu ein bisschen nähst.«

Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass sie nicht die Einzige war, die es vergaß, aber ich schwieg. Ich hatte keine Lust, gerade jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen.

»Du hast wirklich Talent, ich bin ganz hin und weg. Glaubst du, du könntest mir auch eins nähen?«

»Gern, wenn du möchtest. Lass uns noch mal darüber sprechen.«

Es grenzte an ein Wunder, dass sie ernsthaft daran dachte, ein Kleid zu tragen. Dabei hätte ich die Herausforderung, meine Schwägerin umzustylen, nur zu gern angenommen, denn sie versteifte sich darauf, ihre üppigen Formen – eine Folge ihrer Schwangerschaften – zu verstecken, indem sie nur Hosen und Schlabberpullis trug.

Das daraufhin eintretende Schweigen kühlte die Atmosphäre deutlich ab. Ich zog es vor, mich wieder auf meinen Platz zu setzen und das Thema nicht zu vertiefen. Es war hart, wieder einmal mit meinem geplatzten Traum konfrontiert zu werden.

»Trotz allem schade, dass Iris diese Schule nicht besuchen konnte«, sagte mein ältester Bruder.

Ich stellte mein Glas wieder ab, noch bevor ich einen Schluck Wein getrunken hatte. Mit schief gelegtem Kopf schaute ich ihn an. Er sah aus wie jemand, der sich gerade einen Lapsus geleistet hat. Dann wandte ich mich meinen Eltern zu, die unbehaglich auf ihren Stühlen herumrutschten.

»Von welcher Schule redest du?«

»Du hast ihn missverstanden«, antwortete meine Mutter. »Dein Bruder wollte bloß sagen, du hättest auf diesem Gebiet mehr Erfolg haben können.«

Ich lachte bitter auf.

»Stimmt, Maman. Ihr habt mich wirklich sehr unterstützt. Wie konnte ich das vergessen.«

Ich fühlte mich um mehr als zehn Jahre zurückversetzt, damals hatte ich ihr eine komplette Festgarderobe geschneidert. An jenem Tag hätte es mir weniger wehgetan, wenn sie mich geohrfeigt hätte, doch:

»Iris, erwartest du etwa ernsthaft, dass ich diesen Fetzen auf der Hochzeit deines Bruders trage?« Mit diesen Worten hatte sie das Kleid auf einen Stuhl geschleudert.

»Maman, probier es wenigstens an«, hatte ich sie angefleht. »Ich bin sicher, du siehst darin wunderschön aus, und ich habe so lange daran gearbeitet …«

»Wenn man sieht, was dabei rausgekommen ist, hättest du wohl besser für die Schule gelernt!«

Die Stimme meines Bruders holte mich in die Gegenwart zurück. Er musterte meine Eltern und schien jetzt sehr mit sich zufrieden, weil er dieses Thema, das während meiner ganzen Jugend ein Streitthema zwischen ihnen und mir gewesen war, zur Sprache gebracht hatte.

»Also wirklich: Sagt es ihr. Es ist doch alles längst verjährt. Es kann ihr Leben nicht mehr ändern!«

»Würde mir vielleicht mal jemand erklären, worum es hier geht?« Ich stand wütend auf. »Papa? Maman?«

Meine Schwägerinnen warfen ihrem jeweiligen Mann einen fragenden Blick zu und standen ebenfalls auf. Rein zufällig brauchten die Kinder gerade ihre Mutter. Auch Pierre stand auf, trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern.

»Beruhige dich«, murmelte er mir ins Ohr, bevor er sich an meine Familie wandte: »Was ist das für eine Geschichte?«

»Schon gut, ich erkläre es dir«, mischte sich mein ältester Bruder ein, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Kinder außer Hörweite waren. »Iris, du hast dich doch nach der Schule an einer Schneiderschule beworben, ohne jemandem etwas davon zu sagen, oder?«

»Woher weißt du das? Und außerdem haben sie mich ja sowieso nicht genommen.«

»Das hast du geglaubt, weil du nie eine Antwort bekommen hast … Aber da irrst du dich eben.«

In meinem Hals bildete sich ein Kloß, ich begann zu zittern.

»Du bist angenommen worden, du hast es nur nie erfahren.«

Wie durch einen Nebel hörte ich meinen Bruder erzählen, dass unsere Eltern meine Post geöffnet und so entdeckt hatten, was ich hinter ihrem Rücken unternommen hatte. Ich hatte damals geglaubt, sobald ich diese verdammte Handelsschule hinter mir hätte, auf die sie mich gegen meinen Willen geschickt hatten – denn ich träumte nur von Nähmaschinen und Modehäusern –, wäre ich frei zu tun, was ich wollte. Schließlich war ich endlich volljährig, also konnten sie mir keine Vorschriften mehr machen. Doch die Wahrheit war anders, ganz anders, und heute erfuhr ich sie: Sie hatten beschlossen, diesen Brief aus der Welt zu schaffen, und hatten ihn verbrannt. Sie hatten mich betrogen. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade von einer Dampfwalze überrollt worden. Meine eigenen Eltern hatten mir mein Leben gestohlen. Ich schwankte und musste die Übelkeit niederkämpfen, die in mir hochstieg. Doch das Schwächegefühl verflüchtigte sich schnell, der Zorn gewann die Oberhand.

»Tut uns leid, wir hätten damals eingreifen sollen.«

Die Entschuldigungen meiner Brüder waren mir egal, sie hatten nie unter der autoritären Knute meiner Eltern leiden müssen. Schon weil sie Jungen waren. Und dann, weil sie Jura und Medizin studiert hatten. Das passte natürlich besser zur Vorstellung unserer Erzeuger. An die wandte ich mich jetzt, bereit, sie zu beißen, ihnen an die Kehle zu gehen.

»Wie habt ihr mir das antun können? Ihr seid … Es ist … Es ist widerlich!«

»Dein Nähfimmel war immer nur lächerlich«, erwiderte mein Vater kühl. »Wir konnten dich doch...

Erscheint lt. Verlag 27.11.2017
Übersetzer Doris Heinemann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Entre mes mains le bonheur se faufile
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anna Gavalda • Atelier • eBooks • Frankreich • Frauenromane • Gilles Legardinier • Kleider • Liebe • Liebesromane • Mode • Nähen • Nicolas Barreau • Paris • Romane für Frauen • Romantik • Schneiderin
ISBN-10 3-641-17896-7 / 3641178967
ISBN-13 978-3-641-17896-3 / 9783641178963
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