Sterne über Lissabon (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1412-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sterne über Lissabon - Manuela Martini
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Die Melodie der Sehnsucht.

Tess findet im Nachlass ihres Großvaters einen Fado-Text. Sie ist von der Melancholie und Leidenschaft, die aus den Liedzeilen spricht, so gefesselt, dass sie sich auf die Suche nach der Herkunft des Textes begibt. Die Spur des Fado führt nach Lissabon, wo ihre Mutter vor Jahren tragisch verunglückte. In der pulsierenden Metropole stößt Tess auf das Schicksal eines jungen Mannes, der vor den Nazis nach Lissabon geflohen ist: Er suchte die Freiheit und fand die große Liebe. Wird seine Geschichte sie mit der Vergangenheit versöhnen?

Ein Familienepos, so ergreifend und emotional wie die Klänge des Fado.



Manuela Martini, geboren 1963 in Mainz, hat (auch unter den Pseudonymen Lou Peabody und Fran Ray) bereits über 20 Romane, Krimis und Thriller veröffentlicht. Sterne über Lissabon ist ihr erster Familienroman. Die Autorin lebt seit vielen Jahren in Spanien.

Patagonien im Sommer


Der Wind liess die Dachrinne scheppern, ein loses Kabel schlug immer wieder an die Holzwand. Carlos atmete schwer, als er den Oberkörper anhob und sich auf die Ellbogen stützte. In der letzten Zeit schmerzte sein Herz öfter, rief sich in Erinnerung, als sollte er jetzt, am Ende seines Lebens, noch einmal über alles nachdenken. Hatte er nicht schon oft genug über alles nachgedacht, über sechzig Jahre lang? Ein Sonnenstrahl fiel durchs Fenster, ließ den Staub aufblitzen wie Flitter und brannte ein langes Rechteck auf den Holzboden vor dem Ofen.

Mühsam schob er die Beine aus dem Bett. Ganz weiß schauten die Füße unter der dunkelgrauen Schlafanzughose hervor. Er schlüpfte in seine warmen Hausschuhe und stand mühsam auf. Kaffee machen, die elektrische Heizung anstellen, Feuer im Ofen anzünden. Andere in seinem Alter zogen nach Florida und ließen es sich gut gehen. Und er? Bis ans Ende der Welt hatte seine Suche ihn geführt. Patagonien. Einst hatte man Strafgefangene hierher geschickt, heute kamen Touristen.

Er zog den warmen Morgenmantel über, knotete ihn umständlich zu und schlurfte über das warme Lichtrechteck in Richtung Küche. Beim Heizkörper drückte er auf den Knopf, der sogleich rot aufglühte. Den Ofen würde er später anmachen, erst musste er die Asche herausfegen. Ja, er konnte sich noch allein versorgen. Wer in seinem Alter schaffte das schon? Gut, das Essen brachten ihm meist Margarita oder Inez, oder er ging hinüber zu Nicolas. Ein Schmerz in der Brust ließ ihn zusammenzucken. Hatte es letztes Mal nicht auch so angefangen? Und dann war alles ganz schnell gegangen, Atemnot, Herzflimmern, Zuckungen … Er hatte Glück gehabt, dass es im Hotel passiert war und dann auch noch unten an der Rezeption. Nein, das wollte er nicht noch einmal erleben, die Schmerzen, die Todesangst, er wollte sie nicht wieder sehen, all die Bilder seines Lebens. Sie waren an ihm vorbeigezogen und hatten ihn in Panik versetzt, weil er plötzlich sich und sein Leben begriff und er nichts mehr rückgängig machen, die Zeit nicht um dreißig Jahre zurückdrehen konnte.

Diesmal war es nicht das Herz, ganz bestimmt nicht. Er drehte das Wasser auf, füllte den Elektrokocher und blickte nach draußen. Hinter dem Abbruch der Felsen, kaum dreißig Meter von seinem Haus entfernt, breitete sich das Meer bis zum Horizont aus. Der Wind fuhr in kurzen Schüben darüber hinweg. Es glänzte golden, schon bald würde er den Rand des Feuerballs brennen sehen, der sich aus dem Meer erhob, jeden Morgen wieder ein ergreifendes Schauspiel, das entschädigte für schlaflose Nächte.

Seine Augen waren immer noch gut, er konnte nicht nur die Boote der Fischer erkennen, sondern auch weit draußen die Frachter, die Containerschiffe, die nach Südafrika fuhren oder nach Australien.

Dampf stieg auf, und die Fensterscheibe beschlug. Der Holzrahmen war an der rechten Seite schon ziemlich morsch. Noch einen Winter würde er wohl kaum überstehen. Er müsste Inez fragen, ob sie da was machen könnte. Sie hatte ihm auch das Dach repariert und neue elektrische Leitungen gelegt. Ja, auch den Boiler im Bad hat sie ihm eingebaut, erinnerte er sich. Wie hatte es hier ausgesehen, als er das Haus kaufte! War das wirklich schon siebzehn Jahre her?

Mit einem Klicken schaltete sich der Kocher ab. Er schüttete einen Löffel Instantkaffee in den Becher und goss das kochende Wasser auf, bis der Schaum fast den Becherrand erreichte. Es war ein dünner Kaffee, längst schon trank er keinen starken mehr.

Alles herauskratzen, was sich innen festgesetzt hatte, wie den Ölschlick aus den alten Tanks, weil er sehen wollte, woraus er selbst gemacht war, das hatte er nach seinem Herzinfarkt gewollt. Bis ans Ende der Welt war er gegangen, wollte sehen, was dahinter lag, Gewissheit erlangen und keine Sehnsucht mehr haben. Ein dummer Gedanke. Ein Tank ist ein Tank ist ein Tank. Nicht mehr und nicht weniger. Und die Erde ist nun mal eine Kugel. Eine Kugel. Eine Kugel. Ohne Anfang und ohne Ende. Das war ihm klar geworden, und es war ernüchternd. Die Menschen erwarteten zu viel vom Leben. Nun, vielleicht nicht alle. Aber er.

Heiß lief der Kaffee die Kehle hinunter, fühlte sich einen Augenblick lang an wie früher der Whisky. Er schlurfte zurück ins Zimmer und setzte sich auf den Stuhl mit dem grünen Lederpolster. Es störte ihn schon lange nicht mehr, dass es eingerissen war und der Schaumstoff hervorquoll, im Gegenteil, das war ein Zeichen von Leben. Nicht nur Menschen trugen Wunden vom Leben davon. Er stützte die Ellbogen auf die schwere Schreibtischplatte und blickte wieder aufs Meer hinaus.

Überall ist Licht, doch ich sehe nichts.

Der glühende Sonnenball stieg höher, die Schatten der Felsen wurden kürzer. Ein Fischerboot näherte sich den Klippen. Genug gefangen für heute oder kein Glück gehabt und aufgegeben, dachte Carlos.

Ein Klopfen ließ ihn hochschrecken.

»Ich bin’s, Inez!«

»Ist offen!« Er schloss niemals ab, Inez wusste das, aber sie wollte ihn nicht einfach überfallen.

Mit einem Ruck sprang die von der Feuchtigkeit verzogene Holztür auf, und Inez, in Jeans, grobem Rollkragenpulli, dicker Daunenweste und schweren Arbeitsstiefeln, eine blaue Baseballkappe tief in die Stirn gezogen, trat polternd ein.

»Du bist früh dran heute.« Er zeigte auf die Kappe. »Neu?«

»Gefällt sie dir? Hab ich machen lassen.« San José – Mecanicos war in goldenen Buchstaben aufgestickt.

Er nickte.

»Dachte, du willst vielleicht was in deinen Kaffee tunken.« Inez hielt eine Tüte hoch, weiß mit kleinen Fettflecken. Croissants. Die von Margarita mochte er besonders gern.

»Schon überredet.« Merkwürdigerweise hatte er oft Lust auf Croissants, vielleicht hing das mit Paris zusammen.

Sie legte die Tüte auf den Schreibtisch, stemmte die Arme in die Hüften und sah schweigend aufs Meer hinaus. »Ich wette, heute ziehen Wale vorbei.«

Er nickte nur.

Sie nahm die Mütze ab und fuhr sich durch ihr kurzes schwarzes Haar. »Wenn ich alt bin, sehen wir zusammen aufs Meer hinaus, ja?«

»Abgemacht.«

Mit niemandem redete er so wie mit Inez, so normal, so ohne den ganzen Ballast eines langen Lebens, ohne die Zweifel, die ihn immer wieder überfielen. Ob Inez wohl nie Zweifel hatte, überlegte er manchmal, ob sie sich wohl nie in Wünschen und Sehnsüchten verlor?

Sie setzte die Mütze wieder auf und zog den Schirm in die Stirn. »Margarita kommt heute ein bisschen später. Arzttermin.«

»Was hat sie?«

»Nur ’ne lästige Zahngeschichte.«

»Sag ihr, sie braucht mir heute nichts zu bringen.«

»Bist du auf Diät?«

Er nahm die Tüte und hielt sie hoch. »Das reicht für einen alten Mann.«

»Auch ein alter Mann muss essen.«

Manchmal war es ihm peinlich, dass sie sich so um ihn sorgten, und er hatte das schon öfter gesagt, aber sie winkten jedes Mal ab und meinten, sie machten es gern. Er könnte sich nie um einen fremden Menschen kümmern, die Nähe würde ihm Angst machen, die Erwartungen des anderen, die Enttäuschung, die man erleben konnte, den Verlust.

»Also, dann genieß den Tag, hombre!« Inez legte ihm kurz die Hand auf die Schultern, und er spürte ihre Tatkraft, das Leben, das in ihr pulsierte.

An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Am nächsten Wochenende gibt’s bei uns ein Fest, mit Essen und Musik. Margarita hat Geburtstag. Also such deine Tanzschuhe raus!«

Er zeigte auf seine Pantoffeln.

»Hombre, ich wette, du hast die richtigen nur versteckt«, sagte sie lachend.

»Ich überleg’s mir.«

»Und bring deine Schallplatten mit.«

Er hob die Hand. »Adios!«

Wie er so dasaß, immer wieder ein Stück vom Croissant abbrach, es in den Kaffee tauchte und in den Mund steckte und dabei aufs Meer hinaussah, dachte er, dass er sich in seinem Leben nur selten entschieden hatte, er hatte immer so lange gewartet, bis das Leben die Entscheidung getroffen hatte und ihn in die eine oder andere Richtung mitriss. Sein Leben war ein langer Fluss, der sich den Weg zum Meer nicht zielstrebig gegraben hatte, sondern der von anderen Landschaften geträumt und sich unterwegs verirrt hatte und irgendwo, in unbestimmter Ferne, zu versickern drohte. Sogar jetzt, so kurz vor dem Ende, als er endlich das Meer sehen konnte, hielt irgendetwas ihn zurück. Vielleicht sollte er wieder warten, warten auf irgendetwas, das ihn mitriss.

Ein Schwarm Möwen kam über die Klippen heran, ließ sich auf den rauen Felsen, die später, in der Mittagssonne, knochenbleich schimmern würden, nieder, kaum zehn Meter von seinem Haus entfernt, große weiß-graue Vögel, die weit und lange fliegen konnten. Jetzt ruhten sie sich aus, und schon bald, auf ein mysteriöses Kommando hin, würden sie sich wieder erheben und aufs Meer hinausfliegen.

Carlos steckte sich den Rest des Croissants in den Mund. Ein Fest, hatte Inez gesagt. Er begriff nicht, warum er noch immer hier saß und atmete. Schon längst war er zu nichts mehr nütze. Ach, war er überhaupt irgendwann einmal in seinem Leben zu etwas nütze gewesen? Und als er endlich Klarheit schaffen wollte, hatte es in einer Katastrophe geendet. Nie war von Nicolas ein Vorwurf gekommen, nie eine Anschuldigung. Was hast du ihr damals erzählt? Diese Frage hatte er nie gestellt. Dabei litt Nicolas vielleicht noch mehr als er. Durch das Fenster konnte er dessen blau gestrichenes Haus sehen. Um...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2017
Sprache deutsch
Original-Titel Die Handschuhmacherin
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte dunkles Geheimnis • Fado • Familienepos • Familiengeheimnis • Frauen • Geheimnis • Generationenroman • Großeltern • Liebe • Lissabon • Patagonien • Portugal • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-1412-6 / 3841214126
ISBN-13 978-3-8412-1412-6 / 9783841214126
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