Liebe wird aus Mut gemacht (eBook)

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2017 | 1. Auflage
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40274-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Liebe wird aus Mut gemacht -  Catharina Junk
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Dies ist die Neuausgabe des Romans «Auf Null». Ein Roman über den Tod und das Leben - und über das Glück, lieben zu können Nie wieder Sonnenblumen von van Gogh an den Wänden. Nie wieder Hähnchen Estragon. Nie wieder Krankenhaus: Nina darf zurück ins Leben stolpern. Aber sie würde eher einem Hütchenspieler vertrauen als ihrem eigenen Körper. Also lieber die Handbremse anziehen: keine Pläne machen, keinen Spaß haben, nicht verlieben. Schon gar nicht in Erik. Doch zum Leben braucht es Mut - und erst recht für die Liebe.

Catharina Junk, 1973 in Bremen geboren, studierte Deutsche Sprache und Literatur, Psychologie und Volkskunde an der Universität Hamburg, arbeitete mehrere Jahre als Redakteurin für Fernsehserien und Reihen beim NDR und ist seit 2008 erfolgreiche Drehbuchautorin für Film und Fernsehen. 2014 erhielt Catharina Junk für ihren Bestseller « Liebe wird aus Mut gemacht» den Hamburger Förderpreis für Literatur. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Catharina Junk, 1973 in Bremen geboren, studierte Deutsche Sprache und Literatur, Psychologie und Volkskunde an der Universität Hamburg, arbeitete mehrere Jahre als Redakteurin für Fernsehserien und Reihen beim NDR und ist seit 2008 erfolgreiche Drehbuchautorin für Film und Fernsehen. 2014 erhielt Catharina Junk für ihren Bestseller « Liebe wird aus Mut gemacht» den Hamburger Förderpreis für Literatur. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

1


Ab jetzt möglichst ein Leben ohne van Gogh. Ich sitze auf dem Bett, starre auf den gerahmten Druck an der Wand und hoffe, dass ich die fünfzehn Sonnenblumen nie wiedersehen muss. Hier nicht, aber auch sonst bitte nicht. Eventuell ist mein Verhältnis zu Sonnenblumen für immer gestört. Kann sein, dass ich sie für den Rest meines Lebens meiden muss. Wie lang das auch immer noch sein mag. Notiz an mich selbst: für die Familie aufschreiben, dass im Falle des Falles keine Sonnenblumen auf mein Grab sollen. Dann lieber Buchsbaum ohne Ende. So schneckenförmig gepflanzt, wie ich es mal gesehen habe. Langweilig und farblos? Bedankt euch bei van Gogh.

Die vergangenen vier Monate habe ich in Zimmer neun auf diesen Kunstdruck geguckt, und die Zeit davor, von Januar bis April, lag ich in Zimmer vier, wo der geflochtene Stuhl mit Pfeife hängt. Und ganz am Anfang, die ersten vier Monate nach der Diagnose, war ich in Zimmer elf mit den Fischerbooten am Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer untergebracht. Dabei kennt doch jeder die Geschichte mit dem abgeschnittenen Ohr. Ich sag es mal so: Wenn man über Monate mit diesen Bildern in einem Zimmer eingeschlossen wird, bekommt man irgendwann auch Lust, sich ein Ohr abzuschneiden. Oder sich die Pulsadern aufzuschneiden.

Natürlich, klar, es hätte schlimmer kommen können. Mit Matisse zum Beispiel, Der Tanz. Ganz schnell wünscht man sich dann den Stuhl mit Pfeife zurück. Plötzlich: Leukämie? Nicht ohne meinen van Gogh!

Ich warte. Obwohl ich in den vergangenen zwölf Monaten nichts anderes gemacht habe, bin ich immer noch nicht gut darin. Die Taschen stehen gepackt vor dem Einbauschrank, die Ablage am Waschbecken ist leer geräumt, und an der Wand über dem Kopfteil des Betts verraten nur ein paar Klebefilmreste, dass hier einmal meine Karten und Fotos hingen. Endlich geht die Tür auf, und Professorin Schüttler tritt ein.

«So. Dann geht’s also heute nach Hause?»

«Ja.» Ich lächle, weil wir beide wissen, dass diese Situation vor kurzem noch nicht absehbar war.

«Wird ja auch mal Zeit, oder?»

Dem kann ich nicht widersprechen.

«Das mit den Tabletten …?»

«Wurde mir gesagt.»

«Rezept?»

«Hab ich auch schon.»

«Den Brief an Ihren Internisten schicken wir heute noch raus.»

«Ich soll jeden Montag zum Blutbild in die Praxis kommen.»

«Okay, und wir hatten ja besprochen, dass wir den Port erst noch einmal drin lassen.»

Damit ist der implantierte Katheter gemeint, der unter meinem linken Schlüsselbein sitzt und über den ich meine Chemotherapie bekommen habe. Eine kleine Kammer mit einer Silikonmembran unter meiner Haut, von der aus ein Schlauch bis zum rechten Vorhof meines Herzens führt. Ich verziehe den Mund zu einem schiefen Lächeln und nicke. «Für den Fall, dass wir ihn wieder brauchen.»

Professorin Schüttler will das Gespräch sofort wieder in positive Bahnen lenken und ergänzt schnell: «Mit jedem Tag, den Sie gesund sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie es auch bleiben.»

«Aber die Rückfallquote ist ja jetzt auch nicht so niedrig.» Irgendetwas in mir sperrt sich gegen dieses «Das wird schon».

Die Ärztin sieht mich ernst an. «Die Statistik soll uns jetzt mal gar nicht interessieren. Wir schauen nur auf Sie und sehen eine gesunde junge Frau.»

«Mit Hamsterbacken.»

Sie lacht über meinen lahmen Witz. «Die bleiben auch noch eine Weile. Wir können das Cortison nicht abrupt absetzen, es muss langsam reduziert werden. Dauert ein bisschen, aber in ein paar Monaten werden die Schwellungen zurückgehen.»

Ich nicke. Okay. Ich weiß, dass Eitelkeit in meiner Situation geschmacklos, undankbar und lächerlich ist, aber ich sehe nicht gern wie ein Nagetier aus, das sämtliche Wintervorräte in seinen Proviantbacken mit sich herumträgt.

«Denken Sie daran, was Sie schon geschafft haben.»

Wann gehen der armen Frau die Motivationssprüche aus? Und schäbig fühle ich mich auch. In den anderen Zimmern liegen Menschen im Sterben, und ich halte die Ärztin mit einem Gespräch über mein Aussehen auf. «Ja, ich weiß.»

«Na dann …», Professorin Schüttler nickt freundlich, «alles Gute für Sie.»

«Für Sie auch. Und noch mal vielen, vielen Dank.» Das ist von Herzen so gemeint, reicht aber gar nicht für das, was ich eigentlich gerne sagen würde. Deswegen wiederhole ich: «Wirklich. Vielen Dank für alles. Ehrlich. Ohne Sie alle hier …» Ich mache mit dem Arm eine ausholende Bewegung wie ein römischer Kaiser, aber dann kippt meine Stimme, und ich bin schnell still. Jetzt nicht heulen. Sie macht schließlich nur ihren Job. Beim Bäcker weint man ja auch nicht, wenn die Brötchen gut schmecken. Andererseits: Bäcker retten keine Leben. Der Vergleich ist also völlig unpassend. Obwohl ich mich so anstrenge, rollen Tränen meine Wangen hinunter.

Professorin Schüttler lächelt. «Das, was jetzt kommt, ist die schöne Seite des Lebens.»

Die Ärztin gibt mir die Hand, drückt richtig fest zu und zeigt mir damit ihre Zuversicht. Keine Ahnung, ob sie die wirklich empfindet oder ob sie nur so tut. Kann ich jetzt aber auch nicht fragen.

Die Professorin sieht den Karton mit dem Schokoladen-pudding von Pit auf der Fensterbank stehen und lacht überrascht auf. «Oh! Da meint es aber jemand ganz besonders gut mit Ihnen!»

Ich lächle und widerspreche nicht, obwohl sie natürlich völlig falschliegt. Sowohl den Pudding als auch Pit werde ich hier für immer zurücklassen.

Die Ärztin verlässt mit einem Nicken das Zimmer, lässt die Tür offen stehen und macht sich auf, andere Leben zu verlängern.

Meine Mutter wartet unten vor dem Haupteingang zwischen all den rauchenden Kranken, die zombiehaft in Rollstühle gegossen, auf Krücken gestützt und an Infusionsständer gekabelt nicht anders können.

Als sie mich sieht, breitet sie ihre Arme aus und strahlt: «Nina! Endlich!»

Ich stelle die Taschen ab und lasse mich drücken. Es ist so ungewohnt, andere Luft einzuatmen als die durch die Klimaanlage surrende auf der Station. Die Sonne scheint, aber wir stehen im großen Schatten des Gebäudes, und es weht ein kühler Wind. Ich friere, doch das kann auch die Aufregung sein.

Meine Mutter schaut mich glücklich an. «Und?»

«Irgendwie seltsam.» Ich zucke mit den Achseln und lache ratlos.

Meine Mutter zieht mich noch einmal an sich. «Ach, ich bin so froh! Jetzt hast du es geschafft!»

«Ja, mal abwarten.» Wir lösen die Umarmung, und weil ich nicht weiß, wo ich hingucken soll, drehe ich mich um und schaue den hohen Bettenturm der Klinik hinauf, der ein ganzes Jahr lang meine Welt war. Meine Mutter folgt mit den Augen meinem Blick. Zusammen stehen wir da, die Köpfe in die Nacken gelegt, und gucken nach oben. Elfter Stock mit Blick über Münster. Die Stadt, in die ich zum Studieren gezogen war und in der ich krank geworden bin, bevor ich überhaupt das Bezahlsystem in der Mensa verstanden hatte. «Was für ein Wahnsinn», sage ich.

«Ja, aber das liegt jetzt alles hinter dir!» Meine Mutter knufft mich liebevoll in die Seite.

Ich nicke. «Nie wieder Hähnchen Estragon, alle vierzehn Tage mittwochs!»

Meine Mutter lacht, legt den Arm um meine Schultern und zieht mich zu sich heran. «Nie wieder Chemo!» Ganz feierlich sagt sie das.

Einen Moment erlaube ich mir die Hoffnung, sie könnte recht haben. «Lass uns bloß weg hier.»

 

Auf der Autobahn schweigen wir. Ich merke, dass meine Mutter unsicher ist, ob sie mit mir sprechen oder mich lieber in Ruhe lassen soll. Da ich es selber auch nicht weiß, kann ich da jetzt gar nicht weiterhelfen. Ich spüre ihre Erleichterung, ihr Glück darüber, dass ich lebendig neben ihr sitze, wir zusammen nach Hause fahren und jetzt alles wieder gut werden kann. Immer wieder atmet sie tief ein, und wenn sie ausatmet, zittert ihre Brust. Ich halte das kaum aus.

Wenn ich einen Rückfall bekomme, wird es doppelt hart für sie, weil sie jetzt in diesem Moment so voller Hoffnung ist. Meine Mutter mag Sprichwörter wie «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende», und ich weiß, dass sie so was zwar nie in Bezug auf mich sagen würde, aber mir selbst geht der Satz im Kopf herum wie ein lebensmüder Ohrwurm. Dabei will ich nichts anderes, als gesund zu bleiben. Ich will nicht mit zwanzig sterben und dass die Chemos, die Schmerzen, das Kotzen, das Hähnchen Estragon alle vierzehn Tage mittwochs und der ganze andere Scheiß im Krankenhaus umsonst waren.

Trotzdem: Wäre ich vor einem Jahr einfach gestorben, hätte meine Familie sich jetzt vielleicht schon wieder ein bisschen von dem Schock erholt und sich langsam an ein Leben ohne mich gewöhnt. Ein paar Sonnenblumen stünden auf meinem Grab, und es wäre okay. Stattdessen bin ich aber wieder gesund geworden und sitze hier mit meinen Cortison-Hamsterbäckchen und meinem neu gewachsenen, albern gelockten Pudelhaar auf dem Beifahrersitz, während mein unberechenbarer Körper ein großes Geheimnis aus der Heilungssache macht.

Vielleicht ja, vielleicht nein. Lasst euch überraschen.

Ich schließe die Augen, als würde ich ein wenig schlafen. Es fühlt sich falsch an, dass Bahar an einem Tag wie diesem nicht dabei ist. Eigentlich müsste sie jetzt hinten im Auto sitzen und gemeinsam mit meiner Familie und mir meine Krankenhausentlassung feiern. Bahar und ich würden uns in mein altes Jugendzimmer legen und die ganze Nacht zusammen How I Met Your Mother gucken. Stattdessen weiß ich nicht einmal genau, wo sie jetzt wohnt.

Nach knapp zwei Stunden Fahrt sind wir in Varrendorf angekommen.

Eine Kleinstadt in...

Erscheint lt. Verlag 19.5.2017
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte #aufnull • aufnull • Chemo • Erik • Humor • Krebs • Leukämie • Liebesgeschichte • Münster • Niedersachsen • Nina • Provinz • Sonnenblumen • Tod • Van Gogh
ISBN-10 3-644-40274-4 / 3644402744
ISBN-13 978-3-644-40274-4 / 9783644402744
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