Justizpalast (eBook)

Roman
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2017 | 1. Auflage
480 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-21666-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Justizpalast -  Petra Morsbach
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Der große Gesellschaftsroman über Recht und Gerechtigkeit
Thirza Zorniger stammt aus einer desaströsen Schauspielerehe und will nichts anderes, als für Gerechtigkeit sorgen. Unter der Obhut des Großvaters und zweier ältlicher Tanten wird aus dem kleinen Mädchen eine fleißige Studentin und zuletzt Richterin im Münchner Justizpalast. Doch auch hier ist die Wirklichkeit anders als die Theorie: Eine hochdifferenzierte Gerechtigkeitsmaschine muss das ganze Spektrum des Lebens verarbeiten, wobei sie sich gelegentlich verschluckt. Und auch unter Richtern geht es manchmal zu wie in einer chaotischen Familie ...

Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. »Opernroman«, »Gottesdiener« und »Justizpalast«. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.

Die Arbeit

Thirza wurde Richterin am Landgericht München I. im Justiz­palast. Vierzig Jahre später lebte sie immer noch in Pasing, im Haus ihrer Kindheit. An diesem Sonntagnachmittag schrieb sie dort ein Urteil.

Unten im Garten blühten Schneeglöckchen, vom blattlosen Nussbaum hingen Kätzchen wie vergilbte Vorhangfransen, der Himmel wurde von dahinschießenden dunkel- und hellgrauen Wolken zerteilt. Für Februar war es viel zu warm, ein Frühling vor der Zeit mit Bildern, die nicht mehr zu Thirza passten: die erwartungsvolle nackte Haselskulptur, Frühlingsstürme, ein verwirrter Himmel.

Das Urteil war Routine, übersichtlich, nicht aufreibend, in mancher Hinsicht sogar befriedigend. Der Freistaat Bayern hatte einen Musikveranstalter namens Rock-Buam GmbH verklagt. Rock-Buam hatte seit dreizehn Jahren jeweils im Juli vom Freistaat ein Gelände für ein Rock-Open-Air gemietet, immer unterstützt von der Brauerei St. Stephan, welche die Konzerte sponserte und im Gegenzug dort ihr Bier ausschenkte. Ab dem Jahr 2009 verlangte der Freistaat im Mietvertrag von der Rock-Buam GmbH, eine andere Brauerei mit der Bewirtung zu beauftragen. Eigentümer dieser anderen Brauerei, Starkbier Strobl, war der Freistaat selbst.

St. Stephan zog sich, da sie ihr Bier auf der Veranstaltung nicht mehr ausschenken durfte, als Sponsorin zurück, worauf der Veranstalter seine Konzerte nicht mehr finanzieren konnte und alle Termine stornierte. Der Freistaat als Kläger beantragte vor Gericht die Zahlung einer Ausfallentschädigung von insgesamt 9.817 € nebst Zinsen sowie 1,80 € vorgericht­liche Auslagen und 15,- € vorgericht­liche Mahngebühr.

Thirzas Kammer hatte beschlossen, die Klage abzuweisen. Die Begründung schrieb Thirza selbst, nachdem der zuständige junge Berichterstatter sich eine Woche vor der Urteilsverkündung krankgemeldet hatte. Dieser junge Kollege Gregor hatte Rock-Buam ­verurteilen wollen und war von Thirza und dem dritten Kammerkollegen Karl überstimmt worden. Gregor schlug sich instinktiv auf die Seite des Einflussreicheren, und im vorliegenden Fall hätte er sich gern dem Staat als intelligenter Diener präsentiert, unterstellte Thirza. Gregor selbst sprach natürlich von richter­licher Unabhängigkeit und anderer Rechtsmeinung. Jedenfalls war er ­erkrankt, und Thirza hatte den von ihr selbst diktierten Urteils­entwurf nahezu unverarbeitet zurückerhalten, beheftet nur mit einem Stapel BGH-Urteile, die Gregor gern seitenweise zitierte.

Tragende Gründe der Klageabweisung: Der Kläger hatte seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und durch sein Verbot, auf der Veranstaltung das St.-Stephans-Bier auszuschenken, den Beklagten unbillig behindert. Zwar hatte der Beklagte die Termine zu spät storniert, so dass der Kläger das Gelände nicht mehr anderweitig vermieten konnte; der hierdurch entstandene Ausfallschaden wäre dem Kläger zu ersetzen gewesen, der Anspruch war aber durch Aufrechnung mit einem kartellrecht­lichen Schadensersatzanspruch des Beklagten gem. § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB erloschen.

Weitere Aspekte, die bei der Gerichtsverhandlung vor drei Monaten erörtert worden waren: Galt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 GWB) auch für Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffent­lichen Hand standen? Ja. (Begründung.) Wurde der Mietvertrag zwischen Freistaat und Rock-Buam GmbH insgesamt unwirksam, weil die Vertragsklausel, wonach Starkbier Strobl mit der Bewirtung zu beauftragen war, gegen Kartellrecht verstieß? Nein. (Begründung.) Weiter: Wie waren die jeweiligen Geschäftsinteressen der Parteien gegeneinander aufzuwiegen? Beide wollten Gewinn machen, der Veranstalter privatwirtschaftlich, der Kläger, indem er seine eigene Brauerei begünstigte, gewissermaßen im Interesse des Staatshaushalts. Standen insofern nicht die Gewinninteressen des Klägers im Vordergrund? Nein: Eine derartige Begünstigung eigener Unternehmen war mit den Zielsetzungen des Kartellrechts nicht vereinbar. Der Beklagte musste seine Events frei ausgestalten können, ohne durch unerlaubtes machtbedingtes Verhalten des Vermieters beeinträchtigt zu werden.

Das war saubere juristische Mathematik, gerecht, grundsätzlich, dabei ohne Tragik. Kartellrecht richtet sich gegen Marktmonopole und dient der Wettbewerbsfairness. Moralisch gesprochen schützt es die Kleinen gegen die Großen. Der konkrete Fall hatte zudem einen schönen demokratischen und rechtsstaat­lichen Aspekt, indem die Justiz des Freistaats selbst den Staat, dem sie diente, am Machtmissbrauch hinderte (Gewaltenteilung). Ohne Tragik aber meint: Entscheidungen wie diese taten den Monopolisten nicht wirklich weh, während sie der schwächeren Partei effektiv halfen.

Kurz: Es war viel befriedigender, als etwa nach der Tabelle von Sanden-Küppersbusch auszurechnen, ob der Geschädigte eines Verkehrsunfalls für seinen Mietwagen am Tag 34 oder 65 Euro bekommt, während in Afrika jede Minute ein Kind hungers stirbt.

Andererseits, da wir schon von Gerechtigkeit reden: Das Kind pro Minute stirbt ebenso. Und die Richter setzten ihre Energie und ihr Fachwissen ein, um die Rechte von Leuten zu klären, denen alle Schwächeren mutmaßlich egal waren. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass jener Verwaltungsbeamte, der, wohl gemäß einer politischen Weisung, den Rock-Unternehmer unter Druck setzte und seine Veranstaltung zerstörte, über nennenswertes Mitgefühl verfügte. Woraus sich nicht ergab, dass der Rock-Bube mitfühlender gewesen wäre. Der Rock-Bube wollte Geld machen, indem er Remmidemmi verkaufte. Natürlich hätte keiner der Beteiligten das so gesagt. Man weiß nie, inwiefern einer seine Motive überhaupt kennt, und über Motive wurde auch nicht verhandelt. Thirza verhandelte hier innerhalb eines Schemas objektiver Berechtigungen (Geldforderung) einen gänzlich überflüssigen, destruktiven Vorgang.

Als Richterin hast du immer nur mit dem zu tun, was vorgestern schiefgelaufen ist. Glück­liche Menschen ziehen nicht vor Gericht. Die, die zu uns kommen, sind unglücklich, unzufrieden oder rücksichtslos, oder sie werden von unglück­lichen, unzufriedenen Menschen vor Gericht gezerrt und werden dadurch ebenso unglücklich. Etwas ist schiefgelaufen und wurde nie geklärt; einer speist sein Selbstgefühl aus der Schädigung anderer; ein weiterer verrechnet sich und kann nicht zurück; und Fehler einzugestehen ist sowieso wenigen gegeben. Kurz: alles fruchtloses Zeug von gestern. Wir sind die Müllabfuhr der Gesellschaft.

Tja. Urteil fertigschreiben.

Nachmittäg­liche Dämmerung.

Jener Verwaltungsbeamte, der – in Urteil oder Verhandlung dürfte man das so nicht aussprechen, um nicht für befangen zu gelten, doch zu Hause am Sonntagsschreibtisch darf man’s: Jener Bürokrat also, der hier ganz nebenbei die Rock-Buam plattmachte, war beim Prozess nicht persönlich erschienen, sondern hatte für den Freistaat dessen Rechtsanwalt sprechen lassen, der bereits angekündigt hatte, dass man gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen werde. Fast alle wollten sämt­liche Rechtsmittel ausschöpfen, die Anwälte leckten sich bereits die Finger, weil mit jeder Instanz die Kostennote steigt. Das war keine Besonderheit dieses Falls, sondern ein Kummerthema am Landgericht: Wir sind nur Durchlauferhitzer.

Und nebenbei hatte man noch seine Lebensabschnittsaufgaben zu lösen: Verantwortung übernehmen, sein Leben erwirtschaften, ja, aber auch sich freuen und ausruhen. Ohne Scham in den Spiegel blicken. Vielleicht lieben. Wenn Max noch lebte, wäre es einfach: Er wäre zu dieser Stunde hinaufgekommen und hätte gefragt, ob er Thirzas Burgundertopf vom letzten Sonntag auftauen solle.

Thirza fröstelte. Sie heizte ihr Büro nicht, weil sie sich einbildete, mit kühlem Kopf besser denken zu können. Sie trug Pulswärmer und einen flauschigen Umhang aus Alpaka und balancierte auf einem Fitnesshocker ohne Lehne. Max also hätte sich mit seiner warmen Brust an ihren Rücken gepresst, die Arme um ihre Schultern verschränkt: »Meine ausgekühlte Durchlauferhitzerin!« Sie hätte bis hier herauf das Knistern des Kaminfeuers gehört und sich eingebildet, die aromatische Buchenholzwärme zu spüren. Unter uns: Es gibt Schlimmeres, als Durchlauferhitzer im Justizpalast zu sein.

Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit Freistaat Bayern – Kläger – gegen Rock Buam GmbH – Beklagte – hat die 44. Zivilkammer des Landgerichts M. durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Zorniger sowie die Richter am Landgericht Eppinger und Lenz für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung von 1.800 € vorläufig vollstreckbar.

Thirza schaltete den Computer aus, ging hinunter ins Wohnzimmer, zog die Vorhänge zu und schaltete das Licht ein. Was jetzt – Kamin anzünden? Allein? Und was tun? Max war ein starker, anspruchsvoller Leser gewesen. Thirza hätte sich auf dem Sofa an ihn gekuschelt, und er hätte ihr vorgelesen. Wenn sie einnickte, hätte er stumm weitergelesen, bis sie erwachte, die Arme um ihn schlang und rief: »Ach, Schatz! Du bist so süß!«

Thirza wickelte sich in die Daunendecke und las allein. Seit Max’ Tod war sie auch literarisch verwaist, doch hatte sie etwas für ihre einsamen Abende gefunden: Rosamunde Pilcher, na und? Mühelos zu genießen und schnell wirkend wie eine leichte, schaumige Medizin. Leiden, und Reetdach, und Schneesturm, und ­Heilung.

*

Thirzas...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Deutsches Rechtswesen • Dichterliebe • eBooks • Familienroman • Gerechtigkeit • Gottesdiener • Justiz • Justizroman • München • Opernroman • Richter
ISBN-10 3-641-21666-4 / 3641216664
ISBN-13 978-3-641-21666-5 / 9783641216665
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