Vincent -  Joey Goebel

Vincent (eBook)

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
448 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60803-8 (ISBN)
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Wußten Sie, daß große Popsongs und Filme von einem unglücklichen, aber genialen Künstler stammen? Und damit einem solchen die Ideen nicht ausgehen, sorgen in diesem Roman Beschützer dafür, daß ihm ständig neues Leid widerfährt. Denn das ist der Rohstoff, aus dem wahre Kunst entsteht. Bringt das Genie das Kunststück fertig, trotzdem ein glücklicher Künstler zu werden? Vincent ein Chamäleon von einem Roman, der als Satire beginnt, sich in einen bizarren Alptraum verwandelt und am Ende zu Tränen rührt. '

Joey Goebel, 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Musiker - ein weltweit gefeiertes Multitalent. Seine Romane ?Vincent?, ?Freaks? und ?Heartland? wurden in 14 Sprachen übersetzt. Joey Goebel hat einen Sohn und lebt in Henderson, wo er englische Literatur unterrichtet.

Joey Goebel, 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Musiker – ein weltweit gefeiertes Multitalent. Seine Romane ›Vincent‹, ›Freaks‹ und ›Heartland‹ wurden in 14 Sprachen übersetzt. Joey Goebel hat einen Sohn und lebt in Henderson, wo er englische Literatur unterrichtet.

{23}II. VERONICA


5


Minute für Minute, Nacht für Nacht, spukte ihr Bild durch die Köpfe von mindestens einem Dutzend liebestoller Männer. Die Erinnerung an ihre umwerfende Schönheit ließ sie nicht los und machte sie zu lüsternen, das Telefon anstarrenden Schwächlingen. Ich weiß es, denn ich war einer von ihnen.

Wie ein so unscheinbarer Ort ein so herrliches Menschenkind hervorbringen konnte, ist mir ein Rätsel. Doch irgendwie entstieg Veronica elegant einem trüben Kleinstadt-Genpool, und seither bricht sie Herzen.

Selbst ihr Name schien für ein so häßliches Kaff zu lieblich, er klang viel zu anmutig und glamourös, um unter der versauten männlichen Bevölkerung von Kramden im südlichen Illinois permanent die Runde zu machen. »Veronica. Veronica. Veronica.« Wie ein Traum schwebte der Name in den Köpfen dieser Typen und ließ sie ihre angeschlagenen, abgearbeiteten Körper für einen Augenblick vergessen. Ich nehme an, daß sie ihn vor sich hin flüsterten, nur um ihn zu hören: »Veronica.« »Fer-ron-ik-ka.«

Ihr Gesicht war genau so, wie man es sich wünschte, nichts war zu groß, nichts schief, kein Paar von irgend {24}etwas war asymmetrisch geraten. Die sinnlichen Lippen wiesen nicht den geringsten Makel auf. Kein Karies verunstaltete ihr bezauberndes Lächeln. Keine Spur von Akne auf ihrer Sahnehaut. Und das perfekte Make-up war ganz und gar überflüssig.

Es tat weh, ihren zierlichen Körper zu betrachten. Es war ein Vergnügen, ihn in Bewegung zu sehen. Veronicas betörende Gestalt entlockte ihren ergriffenen männlichen Betrachtern leise Flüche (»Donnerwetter!«) und vernehmliches Stöhnen. Sie maß nur knapp eins fünfundfünfzig, aber ihr Körper war von Kopf bis Fuß an den richtigen Stellen gerundet, und die ihr straffes Fleisch umgebende Haut schien zu schimmern.

Ihre Schönheit war so machtvoll, daß sie selbst das störrischste Glied dazu brachte, der Schwerkraft zu trotzen. Jeder mußte sie haben. Jeder wollte sie insgeheim, irgendwie sogar die Mädchen. Manche wollten sie um jeden Preis. Die lüsternen Blicke verliehen Veronicas Schönheit Autorität, die gierigen Augen sandten Strahlen unterdrückter Energie aus, die Veronicas helle Haut durchdrangen und sogar die Organe darunter erreichten.

Sie war zweiundzwanzig und im dritten Monat mit ihrem fünf‌ten Kind schwanger. Um ihr ungeborenes Kind loszuwerden, dröhnte sie sich gerade mit Alkohol und Ecstasy zu. Ihr war nicht nach Schwangersein. Sie wollte nicht wieder Wehen durchmachen, denn allmählich lohnte das Gebären die Schmerzen nicht mehr. Die Schmerzen waren seit ihrer dritten Geburt, die nicht komplikationslos verlaufen war, schlimmer geworden. Den Ärzten fiel es schwer, Vincent aus ihr herauszubekommen.

{25}6


IUI/Globe-Terner wurde zum absatzträchtigsten Medienkonzern der Welt, als in den Neunzigern die International United Internet Company mit der Globe Terner Entertainment Corporation fusionierte. IUI war seinerseits das Resultat eines Zusammenschlusses zweier mächtiger Computerfirmen, und Globe-Terner entstammte dem Zusammenschluß zweier Medienkonzerne. Da kleinere Firmen in der neuen globalisierten Wirtschaft nicht so lebensfähig waren, betrat IUI/Globe-Terner die Bühne als Konzern, in dem wir Konsumenten uns zwangsweise wiederfanden. Daraus wurde ein Medienimperium, das wir unterstützten, ohne es zu wissen, und das für uns so allgegenwärtig und doch so unauf‌fällig war wie Kohlendioxid in der Atmosphäre.

Ab einem bestimmten Punkt erzielte der Konzern Einnahmen, die mehr als fünfzig Prozent über denen seiner größten Konkurrenten lagen. Zu seinem allumfassenden Imperium gehörten eines der weltgrößten Verlagshäuser, der größte Musikkonzern der Welt, die Mehrheit der Kabelfernsehkanäle (einschließlich der meisten Nachrichtensender), Fernsehshows bei allen großen Sendern, mehr als eintausendzweihundert Radiostationen, mehr als einhundert Konzerthallen und ein beliebtes Videospielsystem. Der Konzern wirkte bis in die US-Regierung hinein, denn im Kongreß vertraten sowohl demokratische wie republikanische Abgeordnete die Unternehmensinteressen.

Und obwohl der Konzern eine gigantische Geldmaschine ist, die von Tausenden und Abertausenden Managern und {26}Angestellten am Laufen gehalten wird, war eigentlich nur ein einzelner dafür verantwortlich, daß der Konzern zu dem Geschäftsimperium wurde, das er heute ist. Anfangs träumte jener findige Raubritter namens Foster Lipowitz vom Aufbau eines globalen Satellitenimperiums; am Ende des Jahrhunderts war er soweit.

Als Vincent geboren wurde, hielt Mr. Lipowitz einen so großen Anteil an IUI/Globe-Terner, daß niemand ihn mehr feuern konnte. Und dank des von ihm aufgebauten globalen Oligopols war er so mächtig, wie ein einzelner Mensch nur sein kann. Er konnte tun, was er wollte, was gewöhnlich bedeutete, in seinem riesigen Büro mit Plasmafernsehschirmen an den Wänden zu sitzen und Pläne zu schmieden – unerreichbar, wenn man nicht Monate vorher einen Termin mit ihm vereinbarte.

Als Mr. Lipowitz siebzig wurde, hatte der Krebs bereits begonnen, seine Eingeweide wegzufressen, und dabei seine Sichtweise verändert, was Tausenddollarscheine und teure Nutten anging. Dies galt auch für die Tricks, mit denen er bisher buchprüfende Bundesbehörden und klagende Anteilseigner hingehalten hatte, und auch für das jahrzehntelange Betrügen und brutale Abschlachten seiner Konkurrenten. Er begann eine umfassende Inventur seines großen Unternehmens, und was er sah, gefiel ihm gar nicht. Er machte sich allmählich Sorgen, was er hinterlassen würde, und aus dieser Sorge, aus Schuld und Ekel, erwuchsen die Ideen, aus denen schließlich New Renaissance entstehen sollte (eine Tochtergesellschaft von IUI/Globe-Terner).

{27}7


Als ich Vincent kennenlernte, hatte er erst drei Geschwister, und alle lebten sie unter demselben rußgeschwärzten Dach, spielten mit Plastikkauzeug für Hunde und aßen Erdnußbutter, die ihre Mom vorsorglich auf dem untersten Regalbrett aufbewahrte.

Das älteste der drei Geschwister hieß Dylan. Sein Vater war ein mutmaßlicher Drogendealer, seinerzeit zwanzig, als Veronica dreizehn gewesen war.

Samenspender Nr. 2 war entweder ein Footballstar an der örtlichen High-School oder einer seiner besten Freunde. Ein kränklicher Sohn namens Vincent starb keine zwei Wochen nach der Geburt.

Wer sich hinter Samenspender Nr. 3 verbirgt, bleibt ein Rätsel, allerdings geht Veronicas Vermutung dahin, daß das Kind »irgend so einem Gefälligkeitsfick« entstammt, den sie als Fünfzehnjährige gewährt hatte. Dieser Säugling, obwohl ebenfalls kränklich, überlebte, und Veronica versuchte es noch einmal mit dem Namen Vincent.

Samenspender Nr. 4 war vermutlich ein wohlhabender Chirurg, Ehemann und zweifacher Vater. Dieser uneigennützige Spender war so gütig, der achtzehnjährigen Veronica und seinem neugeborenen Töchterchen Sarah ein kleines Eigenheim zu spenden. Ein Haus, in dem Vincent aufwachsen und das ich später bis auf die Grundmauern niederbrennen sollte. Es lag so weit draußen auf dem Lande wie möglich.

Samenspender Nr. 5 war möglicherweise ein wortgewandter fünfunddreißigjähriger Einwanderer auf {28}Durchreise, der Veronica heiratete, bevor er die Kleinstadt fluchtartig verließ. Er lieferte Veronica nicht nur einen dritten Sohn, Ben, sondern seinen Namen gleich mit: Djapushkonbutm.

Veronica Djapushkonbutm.

8


Jahrzehnte unersättlicher Gier und sündiger Geschäftspraktiken machten nur einen Bruchteil dessen aus, was Mr. Lipowitz so beschämte. Was den älteren, weiseren, kränkeren Mann an sich selbst wirklich anwiderte, das waren jene Schandtaten, die er durch seine Gier erst ermöglicht hatte – wertlose Werke, die für immer öffentlich zugänglich waren, nur weil sie wahrscheinlich massenweise Geld einbringen würden.

In einem Jahr zum Beispiel wurden mehr als zwei Drittel der Kinoeinnahmen von IUI/Globe-Terner mit nur drei Filmen erwirtschaftet, die im Juni oder Juli anliefen. Alle drei waren opulent ausgestattete Special-Ef‌fects-Streifen, nur gelegentlich von Dialogen unterbrochen: Death 2, dem ein nicht totzukriegender Comic zugrunde lag, Auf dem Highway ist die Hölle los 2069, eine futuristische Version des Siebzigerjahrefilms mit Ashton Kutcher in Burt Reynolds alter Rolle, und Extremers 3 über verführerische Vampiragentinnen mit einem Hang zu Extremsportarten.

In den Jahren bevor die Genies von New Renaissance die Märkte infiltrierten, gab es auch im Fernsehen nichts, worauf Mr. Lipowitz hätte stolz sein können. Reality-Shows {29}beherrschten den Bildschirm. Diese Shows waren billig zu machen, weil sie weder Drehbuchschreiber noch Schauspieler benötigten. Sie waren oft unmoralisch, dümmlich und abartig, dennoch sah ich sie mir ganz gern an. Dank der Reality-Shows konnte ich miterleben, wie junge Leute sich allein und untereinander verhalten, ohne mich wirklich mit ihnen abgeben zu müssen. Doch abgesehen davon, daß ich mich über die Teilnehmer lustig machen konnte, ohne daß sie sich wehren konnten, waren diese Shows fast sinnfrei.

Eine dieser Sendungen (von Empire Television produziert, ebenfalls eine IUI-Tochter) verfolgte...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2017
Übersetzer Hans M. Herzog, Michael Jendis
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alptraum • Freundschaft • Genie • Hochbegabt • Kino • Kultur • Kummer • Kunst • Künstler • Leid • Medienimperium • Musiker • Nachwuchskünstler • Popkultur • Popmusik • Roman • Satire • Schule • Vincent
ISBN-10 3-257-60803-9 / 3257608039
ISBN-13 978-3-257-60803-8 / 9783257608038
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