An der Ostsee sagt man nicht Amore (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-16520-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

An der Ostsee sagt man nicht Amore -  Katharina Jensen
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Als Anne während ihrer Hochzeit mit dem Italiener Fabio ein schwerwiegendes Geheimnis ihres Angetrauten entdeckt, flüchtet sie Hals über Kopf nach Rügen - dem Ort ihrer Jugend. Dort trifft sie auf Fritz, der wenig begeistert über den Gast aus Berlin ist und sich störrisch gibt. Während Anne mit der Enttäuschung und Wut über ihre so schnell gescheiterte Ehe kämpft, will Fritz, seit seine große Liebe Janine ihn für einen Bänker verlassen hat, von Frauen nichts mehr wissen. Vielleicht kommen die beiden sich gerade deswegen langsam immer näher ...

Katharina Jensen, geboren 1984, verbrachte ihre Kindheit und Jugend an der Ostseeküste in Stralsund und auf der Insel Rügen, bevor sie zum Psychologiestudium und arbeiten nach Berlin zog. An die Ostsee, vor allem auf die Insel Rügen, zieht es sie nach wie vor mehrmals im Jahr: Denn was gibt es schöneres, als dort das leichte Wiegen der Dünen im Wind zu beobachten und den Sand zwischen den Zehen zu spüren?

2.
Anne und die Nacht am Strand

Als ich kurze Zeit später (inzwischen im Dunklen) die Straße zum Haus meiner Eltern entlangfahre, bekomme ich es plötzlich mit der Angst zu tun. Was soll ich meiner Mutter sagen? Was meinem Vater? Dass ich heimlich, ohne ihnen im Vorfeld auch nur ein Wort zu sagen, den falschen Mann geheiratet habe? Dass er sich schon jetzt, als die Unterschrift unter der Trauungsurkunde noch frisch geglänzt hat, als riesiger Schwindler entpuppt hat? Oder soll ich das ganze Drama vielleicht kompakt zusammenfassen und einfach nur sagen, dass ich mein Leben so richtig versaut habe? Dass ich mich von einem gut aussehenden Italiener in einen Zustand habe quatschen lassen, der mich anscheinend nicht nur denkunfähig gemacht, sondern sogar dazu geführt hat, dass ich nun ohne Wohnung, ohne meine Habseligkeiten und dafür verheiratet mit einem Blender und Lügner dastehe. Meine Eltern würden an ihrer Erziehung zweifeln und glauben, dass ich jetzt völlig durchgedreht sei. Meine Mutter würde wahrscheinlich die Hände gen Himmel strecken und sich fragen, warum ihre jüngste Tochter immer so ein Drama veranstalten muss, und mein Vater würde mich grummelnd fragen: »Mensch, wie konntest du nur so naiv sein?« Dann würde meine Mutter ihm beipflichten und mit erhobenem Zeigefinger erklären: »Ich hatte bei dem Fabio nie ein gutes Gefühl. Der ist ein Schnacker, das habe ich von Anfang an zu deinem Vater gesagt, nicht wahr, Klaus?« Und Klaus würde nicken, und dann würde Sabine (meine Mutter) ihn über meinen Kopf hinweg fragen, wie es nun weitergehen soll mit mir. Aber bevor mein Vater zu einer Antwort käme, würde meine Mutter schon weiterreden: »Du kommst einfach wieder nach Hause, mein Kind« – das würde sie einfach so beschließen. Und es würde wie eine Drohung klingen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Eltern. Wirklich. Aber mit vierunddreißig Jahren, als verheiratete, gleich wieder getrennte Frau noch einmal bei den eigenen Eltern einzuziehen klingt wie der Plot zu einem Horrorfilm.

Mit jedem Meter, den ich näher komme an das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, wird mir mulmiger zumute. In meinem Bauch zwickt und grummelt es. Das Gefühl erinnert mich an die berühmten Schmetterlinge im Bauch, nur weniger schön und romantisch. Motten im Bauch vielleicht. Oder Käfer. Fiese Käfer mit langen schwarzen, haarigen Beinen. In jedem Fall keine niedlichen Glücks-Marienkäfer.

Ich fahre an die Auffahrt heran und sehe, dass davor, unter einer der hohen Kastanien, schon ein silberner Mercedes geparkt hat. Oh Gott, fährt es mir durch den Kopf, bitte nicht! Das ertrage ich jetzt nicht auch noch! Eine A-Klasse, das spießigste aller Autos – das habe ich bei meiner PR-Arbeit für einen großen Autohersteller gelernt – steht vor der Garage und guckt meinen roten Mini verächtlich an. Ich trete so panisch auf die Bremse, als sei mir ein Einhorn vor das Auto gelaufen, und stoppe mitten auf der Straße. Nein, das kann doch wohl jetzt nicht wahr sein! Die Besitzerin dieser A-Klasse nämlich steht ihrem Wagen, was die Spießigkeit betrifft, in nichts nach. Sie ist der Inbegriff des Moralapostels und sitzt auf einem ach so hohen Ross, dass man meint, ihre kurzen aschblonden Haare müssten ständig den Himmel berühren. Gemeint ist meine Schwester Sonja. Sie ist vier Jahre älter als ich – tut aber gerne so, als hätte sie mir ein ganzes Leben an Weisheit voraus. In unserer Kindheit waren wir noch ein Herz und eine Seele, aber je älter wir wurden, desto größere Abgründe taten sich vor uns auf. Sonja, Lehrerin für Deutsch und Geschichte, hat unsere Heimat nie verlassen und mit siebenundzwanzig den Bankangestellten Christian Ahrens geheiratet. Der ist ein solch langweiliger Ja-Sager, dass Moni und ich ihn nur »Gähn« nennen. Er hat Sonja, unseren groben Schätzungen zufolge, seit der Hochzeitsnacht genau zweimal nackt gesehen: einmal für Lukas, acht, und einmal für Emilia, fünf.

Bei diesen beiden Monstern kann man sich kaum entscheiden, wer verzogener ist. Ich erinnere da nur an das vorletzte Weihnachten: Tatsächlich hatten die beiden Gören am Heiligabend nichts Besseres zu tun, als ihre Geschenke zu zählen und dann in Tränen auszubrechen, weil angeblich die Nachbarskinder viel mehr von ihren Großeltern bekommen hätten. Während meine Mutter ihre Wut darüber an der Gans ausließ und diese maximal brutal auseinandersäbelte, schaute mein Papa so traurig drein, dass ich die undankbare Brut am liebsten an Ort und Stelle vermöbelt hätte. Währenddessen hatten Sonja und Göttergatte Gähn nichts Besseres zu tun, als mit stolzgeschwellter Brust zu loben, wie gut ihre Kinder doch schon rechnen könnten. Und natürlich prompt am ersten Tag, an dem die Geschäfte wieder offen hatten, die lieben kleinen Monster in den nächsten Spielzeugladen zu fahren, um endlich für noch mehr Geschenke zu sorgen.

Und trotzdem tut Sonja so, als hätte sie die perfekten Kinder, den perfekten Mann, ja, eben das perfekte Leben. Mich hingegen vergleicht sie gerne mit dem armen, dicken Kind, das im Sportunterricht als Letztes in das Volleyballteam gewählt wird: Noch immer kein Ehemann. Noch immer keine Kinder. Noch immer eine Karriere ohne jede Sicherheit. Und dann auch noch das »oberflächliche« Leben in der Großstadt! Es ist wirklich völlig egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit ich mit Sonja spreche, sie hat immer einen bissigen Kommentar auf ihren schmalen Lippen. Kann es sich nie verkneifen, zu werten und abzuwerten.

Was ist denn mit deinen Haaren passiert? Soll das so?

Ach Anne, stimmt ja, ich vergesse immer, dass du keine Kinder hast. Du, das kannst du dir nicht vorstellen, so etwas merkt man erst, wenn man jahrelang mit demselben Mann zusammen ist.

Wie, du hast dieses Jahr schon wieder keine Gehaltserhöhung bekommen? Und das bei den vielen Überstunden! Na ja, zu Hause wartet ja eh niemand auf dich.

Anne, Anne, so langsam wird es aber mal Zeit, dein Leben auf die Reihe zu bekommen.

Ich starre auf den Heckaufkleber des Mercedes (»Lukas und Emilia fahren mit« – als ob das irgendjemand wissen will) –, und mein Blick wandert weiter zum Haus meiner Eltern. Terrakotta, im mediterranen Stil, so hatte meine Mutter das Haus vor einigen Jahren streichen lassen. Drinnen sieht es jetzt aus wie in der Toskana – was irgendwie nicht so richtig passt. Denn die Toskana könnte hier im rauen Norden nicht weiter weg sein.

Ich sehe, dass im pseudotoskanischen Wohnzimmer Licht brennt und frage mich, was Sonja um diese Zeit bei meinen Eltern sucht. Warum ist die nicht in ihrem perfekten Spießer-Haus, mit ihrem perfekten Luschi-Mann und den perfekten Rotzgören? Verwirrt schaue ich auf die Uhr. Um diese Zeit gucken meine Eltern normalerweise immer »Das große Fest der Volksmusik«. Meine Vorstellung von »Suizid-Musik«. Aber mein Vater hat vor einer Weile auf fast rührende Altherren-Art seine Leidenschaft für Volksmusik entdeckt und lässt sich darin auch von niemandem beirren. Meine Mutter macht das Gedudel, ja, allein der Anblick von Florian Silberheini natürlich wahnsinnig, sie ist immerhin gute zwölf Jahre jünger als mein Vater und hört am liebsten Andreas Bourani oder alten DDR-Rock. Manchmal außerdem Peter Maffay und besonders gerne Herbert Grönemeyer.

Meine Eltern – sie waren für mich immer das Ideal der großen Liebe. Denn als die beiden sich verliebt haben, hatte keiner so recht daran geglaubt, dass ihre Beziehung lange halten würde. Meine Mutter war damals gerade achtzehn und mein Vater schon dreißig – aber sie hatten sich rettungslos verknallt. Das Ganze auch noch bei der Arbeit, als Mama als Sekretärin in Papas Rohr-Firma anheuerte. Und zusätzlich zu ihrem Altersunterschied waren sie damals schon so gegensätzlich, wie man es sich nur vorstellen konnte. Mama stets quirlig, voller Ideen und mit tausend Plänen, Papa ganz ruhig und immer mit vollem Einsatz bei seiner Arbeit (seiner zweiten großen Liebe, was sogar Mama akzeptieren musste). Aber trotzdem: All ihre Unterschiede schienen sie noch stärker zusammenzuschweißen, und als dann zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung erst meine Schwester und vier Jahre später ich kam, war ihr Glück perfekt. Bis heute – und ich wollte ihnen immer ein bisschen nacheifern, wollte auch dieses ganz große Glück finden. Was ja nun bei Fabio so rein gar nicht geklappt hat.

Und der unterschiedliche Musikgeschmack meiner Eltern scheint bis heute ihr einziges größeres Problem zu sein – meine Mutter weiß allerdings auch, dass mein Vater sowieso spätestens um neun Uhr abends grunzend vor dem Musikantenstadl einpennt und sie dann ungestört den Sender wechseln kann. Ich stelle mir vor, wie sie dort oben, nur wenige Meter entfernt, durchs Programm zappt, bis sie irgendwo einen Krimi findet. Ihr bevorzugtes Unterhaltungsprogramm für einen Samstagabend, das hat sie mir definitiv vererbt. Obwohl … wenn Sonja da ist, machen sie vielleicht etwas ganz anderes.

Ich seufze laut auf und erschrecke mich kurz selbst über diese Unterbrechung der Stille. Wie sehr ich mich nach einer festen Umarmung meiner Mutter sehne – und gleichzeitig schaffe ich es einfach nicht, aus dem Mini zu steigen. Denn daheim müsste ich erzählen, was passiert ist. Und wenn ich einmal erzähle, was passiert ist, dann wäre es Wirklichkeit. Dann kann ich nie wieder so tun, als wäre nichts passiert. Ich weiß auch nicht, woher dieses Bedürfnis kommt, meinen Eltern zu beweisen, dass ich alles im Griff habe. Dass ich erwachsen bin. Kompetent. Sollte zu Hause nicht der Ort sein, an dem man sich guten Gewissens wie ein Kind verhält? Wenn auch eins von vierunddreißig...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Frauenromane • Liebesroman • Liebesromane • Meer • Ostsee • Romane für Frauen
ISBN-10 3-641-16520-2 / 3641165202
ISBN-13 978-3-641-16520-8 / 9783641165208
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