Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann (eBook)

Erinnerungen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31647-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann -  Senta Berger
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Senta Bergers Erinnerungen - ein Glücksfall für den Leser Sensibel, leidenschaftlich, mit viel Witz und voller Elan erzählt Senta Berger über ihr abenteuerliches Leben - über ihre Wiener Herkunft, ihre ersten Schritte in die Welt des Theaters und des Films und über viele Etappen einer einzigartigen Karriere. Seit Langem hat man darauf gewartet: Senta Berger, Deutschlands beliebteste und populärste Schauspielerin, hat ein Buch über ihr Leben geschrieben: über ihre Kindheit und Jugend im Wien der Nachkriegszeit, über ihre Familie, über ihre Karriere als Schauspielerin in Österreich, Deutschland, in Hollywood und Italien. Über das Theater, den Film und das Fernsehen. Über Freunde und Kollegen. Aber das Schönste an diesem Buch ist: Mit Senta Berger ist eine Erzählerin zu entdecken, bei der man sofort spürt, wie sehr sie die Literatur liebt und in sich trägt. So sind ihre Geschichten etwa über ihre erste Berührung mit dem Film als Komparsin in Das doppelte Lottchen, über ihre Aufnahmeprüfung und ihren späteren Rauswurf am Max-Reinhart-Seminar nicht nur Dokumente eines höchst abenteuerlichen Lebenswegs, sondern auch ein großes Lesevergnügen. Mit Wehmut und Liebe blickt Senta Berger zurück auf das Leben ihrer Eltern und Großeltern. Mit trockenem Humor und Tempo erzählt sie, wie es ihr gelang, alle Hindernisse zu überwinden und den Traum vom Schauspielerleben zu verwirklichen. Mit scharfem Blick schaut sie hinter die Kulissen des deutschen und internationalen Filmgeschäfts und erzählt von den wunderbaren Kollegen, mit denen sie gearbeitet hat: Hans Moser und O.W. Fischer, Heinz Rühmann und Mario Adorf, Elke Sommer und Romy Schneider, Yul Brunner, Frank Sinatra und vielen anderen.

Senta Berger hat in weit über 100 Kinofilmen mitgewirkt, ist am Burgtheater, Thalia Theater und Schillertheater aufgetreten und ist seit Die schnelle Gerdi und Kir Royal heute der weibliche Fernsehstar in Deutschland. Mit ihrem Mann, dem Regisseur Michael Verhoeven, hat sie nicht nur als Schauspielerin gearbeitet, sondern auch erfolgreiche Kino- und Fernsehfilme produziert. Für ihre Arbeit hat sie zahlreiche Preise erhalten.

Senta Berger hat in weit über 100 Kinofilmen mitgewirkt, ist am Burgtheater, Thalia Theater und Schillertheater aufgetreten und ist seit Die schnelle Gerdi und Kir Royal heute der weibliche Fernsehstar in Deutschland. Mit ihrem Mann, dem Regisseur Michael Verhoeven, hat sie nicht nur als Schauspielerin gearbeitet, sondern auch erfolgreiche Kino- und Fernsehfilme produziert. Für ihre Arbeit hat sie zahlreiche Preise erhalten.

Die Geschichte der Familie Jany, wie meine Mutter sie mir erzählt hat


Der Großvater Franz Jany war ein hochgewachsener, schöner Mann. Seine Familie war Anfang des 19. Jahrhunderts aus Ungarn in die k. und k. Hauptstadt, nach Wien gezogen. Mein Großvater sah immer noch wie ein Ungar aus. Wenn er plötzlich bei uns in der Küche stand – er klopfte nie, und die Türe war immer unversperrt –, erinnerte er mich an Johann Strauss, wie er als Denkmal verewigt im Stadtpark steht.

Er hatte jahraus, jahrein einen dreiteiligen, dunklen Kammgarnanzug an, dessen Stoff im Laufe der Jahre immer abgewetzter und glänzender wurde. Im Mund hing ihm eine kalte Virginia, an der er herumkaute, in der Hand hielt er einen langen, schmalen Zweig, den er sich in der Art einer Gerte zurechtgeschnitzt hatte, oft ein Fliederzweig, dessen Spitze ein einziges Blatt schmückte. Meine Mutter sprach respektvoll und nachsichtig mit ihm. Er trank oft zu viel. Dann wurde meine Mutter eisig und setzte ihn vor die Türe. Er wohnte mit seiner zweiten Frau Marie in einer dunklen Kellerwohnung. Heute ist dieser Raum richtigerweise die Garage des Hauses in der Münichreiterstraße in Hietzing. In dem feuchten, unbeheizbaren Schlafraum hatte mein Großvater die schönsten, fremdesten grünen Pflanzen in Töpfen. Er wußte genau, welche in diesem dunklen Zimmer dennoch gedeihen würden. »Mein Schattengarten«, sagte er. In dem Kämmerchen, das als Küche diente, stand unter dem Fenster ein mannshoher Käfig mit Singvögeln. Abends kam ein großes Tuch über den Käfig. Tagsüber unterhielt er sich mit seinen »Vogerln«. Mein Großvater konnte wunderbar pfeifen und jede Vogelstimme nachmachen. Er pfiff, und aus dem Käfig antwortete der Zeisig, das Rotkehlchen, die Meise. Nach seinem Tod holte ein Wagen des Tierparks Schönbrunn den Vogelkäfig ab. Ich habe so geheult.

Als mein Großvater die junge Amalie Knott zur Frau nahm, müssen sie nicht nur sehr verliebt ineinander gewesen sein, sondern auch einigermaßen wohlhabend. Amalie bekam als Aussteuer, sie war eine der vielen Töchter eines Meiereibesitzers, ein fertig eingerichtetes Friseurgeschäft geschenkt. Auf der Mariahilfer Straße. Denn mein Großvater war Friseur.

»Er war viel mehr«, erzählte meine Mutter, »er war ein Künstler! Der geschickteste Perückenmacher, den man sich nur denken kann. Für die Theater hat er gearbeitet! Frauen sind von überall herkommen für ihre falschen Knoten und Zöpfe.«

Alle eineinhalb Jahre kam ein Kind. Das erste starb bald nach der Geburt. Dann kam der Oscar, dann die Therese, »das Reserl«, meine Mutter, dann Gabriele, die Elly, dann Margarete, die Greti und dann der Fritzi, der kleine Bruder. Die Amalie wurde immer schmaler, nicht nur der vielen Geburten wegen. Sie hatte auch Kummer mit dem Franz, ihrem Mann. Der hatte zu spielen angefangen, zu wetten, Pferderennen waren seine Leidenschaft, er hatte zu trinken begonnen, er hielt seine Freunde frei. »Schöne Freunderln waren das, die waren sein Untergang, die Freund«, sagte meine Mutter.

Sie mußten aus der großen Wohnung in eine kleinere ziehen und von dort wieder in eine noch kleinere.

Und dann geschah die Tragödie. Mein Großvater bekam schwere Tuberkulose. Er lag zu Hause auf einem Sofa in der Küche und spuckte Blut. Es gab keine Krankenversicherung, kein Arbeitslosengeld, keine Überbrückungshilfe. Das Geld schmolz zusammen. Das Friseurgeschäft mußte er zu einem Spottpreis an den Gesellen verkaufen. Amalie setzte sich an die Nähmaschine und hielt die Familie über Wasser.

Sie mußten wieder einmal umziehen, es gab ja auch keinen Mieterschutz, die Familie flog innerhalb weniger Stunden aus der Wohnung, wenn Amalie nicht pünktlich bezahlen konnte. Die Hausherrin der nächsten Wohnung, einer Erdgeschoßwohnung, fragte: »Wie viele Kinder?«, und die schmale Amalie, an der Hand die jüngsten Kinder, Greti und Fritzi, sagte: »Zwei.« Die anderen drei durften sich erst nach Einbruch der Dunkelheit sehen lassen, wenn man gewiß sein konnte, daß die Hausbesitzerin sich schon zurückgezogen hatte. Die ausgesperrten Kinder schlichen gebückt an der Wohnung der Vermieterin vorbei und stiegen durchs Fenster in die elterliche Wohnung ein. »Manchmal war uns schon so kalt«, erzählte meine Mutter.

Gott sei Dank hatte die Hausbesitzerin ein Herz. »Gehen’s, Frau Jany, lassens die Tanz. Man ist doch kein Unmensch.« Mein Großvater lag auf der Küchenbank und spuckte sein Blut in einen Kübel.

Er steckt seine beiden kleinen Kinder mit Tuberkulose an. Die Greti hat es überlebt. Auch dank eines jüdischen Arztes, der durchsetzte, daß sie, Geld oder nicht, in ein Lungenheim kam.

»Jüdischer Arzt? Resi, was redest du da? Würdest du auch sagen ›katholischer‹ Arzt, ›protestantischer‹ Arzt?«

»Nein, würd ich nicht sagen, hast recht, Senta, aber ich würd’ immer betonen ›jüdischer‹ Arzt. Ist das schlecht, Senta?« »Ach nein, Resi, es ist nicht schlecht.«

 

Fritzi, der kleine Bruder, ist gestorben. Sein geschwächter kleiner Körper hatte eine Grippe und die darauf folgende Lungenentzündung nicht überlebt.

»Am Ostersonntag in der Früh ist er gestorben, der Fritzi. Fünf Jahr war er alt. Alle Glocken haben geläutet, weil ja Ostern war. Wir haben zwei Küchenstühle zusammengeschoben und ihn aufgebahrt. S’ ganze Haus ist kommen, alle haben ihn ja so geliebt. Wir haben die Gebete gesprochen und gesungen. Ich hab geglaubt, meine Mutter überlebts nicht.«

Dem Vater geht’s langsam besser. Er bekommt eine Stelle als Schulwart angeboten im Dritten Bezirk Landstraße-Hauptstraße. Die Familie zieht in die Schulwartswohnung der Schule hinter der Rochuskirche. Wenn ich mit der »Resi«, wie ich als erwachsene Frau meine Mutter oft nannte, durch Wien fuhr, kam alle Viertelstunde: »Da hamma gewohnt. Und da … und da auch …« Penzing, Meidling, Mariahilf, Landstraße-Hauptstraße, das waren die Bezirke, in denen die Familie bei jedem Umzug noch tiefer steigen mußte.

»Wir kommen in die Schulwartswohnung und machen die Tür auf, es war dunkel, wir habens Licht nicht gefunden, war noch Gaslicht – und ich spür, wie auf mich was runterregnet, der Vater finds Licht, und stell dir vor, waren das alles Wanzen, die aus dem Türrahmen gefallen sind! Meine Mutter hat so geschrien und so geweint. Sie war doch auch so etepetete. So schlecht hat’s uns gar net gehen können, daß wir net mit gestärkte Schürzen in die Schule gegangen sind. Der Schuldirektor hat sich entschuldigt und g’sagt, wir sollen im Lehrerzimmer schlafen, bis der Kammerjäger da war. Also haben wir dort geschlafen. Die Kinder auf’m Konferenztisch, die Eltern drunter am Fußboden.«

Die Töchter halten das Schulhaus sauber, die Mutter näht Tag und Nacht. »Wenn die Mutter nicht mehr die Nähmaschin hat treten können, weil sie einfach keine Kraft mehr gehabt hat, dann haben wir das gemacht, der Oskar und ich, sie hat genäht, und wir haben getreten.« Der Vater geht wieder ins Wirtshaus. »Und wenn er dann heimkommen ist, spät, und er hat was trunken g’habt, dann hat die Mutter mit ihm schlafen müssen. Sie hat immer leise g’sagt: ›Bitte nicht, Franz, bitte nicht‹, ganz leise, sie hat Angst gehabt, wir Kinder wachen auf. Wir haben ja alle in einem Zimmer geschlafen. Aber ich war schon wach und hab net gewußt, wie ich ihr helfen kann, meiner Mutter. Und ihn, ihn hab ich gehaßt.«

Und dann kommt der Tag, an dem die Mutter dem Reserl sagt: »Mußt mich begleiten, hinüber zur Nachbarin, mußt dort warten auf mich, weil ich nicht weiß, ob ich dann alleine nach Hause gehen kann.«

Wenn meine Mutter mir diesen Tag und die nächsten erzählte, und sie tat es oft, weinte sie manchmal dabei, lautlos und ohne es zu merken. Immer wieder trocknete sie sich die Augen mit ihrem verknüllten Taschentuch, das sie immer in ihrer Schürzentasche hatte.

»Wir sind also zu der Nachbarin gegangen. Es war nicht zum ersten Mal. Ich war vierzehn, aber ich hab gewußt, was die Nachbarin mit der Mutter macht, nur damit wir in unserem Unglück nicht noch ein Kind zu Hause haben. Die Nachbarin war eine ›Engelmacherin‹, wie man in Wien sagt.

Ich hab auf die Mutter gewartet, vor der Wohnung. Das war so ein kalter Steinboden. Dann ist sie gekommen und war so weiß wie die Wand. Sie hat kaum stehen können. Ganz langsam sind wir nach Hause. Sie hat sich ganz schwer auf mich gestützt und immer gesagt: ›Hilf mir bitte. Hilf mir.‹ Aber ich weiß gar nicht, ob sie mich damit gemeint hat oder den Herrgott. Vierundzwanzig Stunden später war sie tot. Der Vater hat den Arzt viel zu spät geholt, weil er sich geschämt hat, weil er ja hätt sagen müssen …, erklären … Blutvergiftung. Sepsis.

Wie sie tot war, meine Mutter, vierzig Jahre ist sie gerade geworden, da sind’s dann alle gekommen, die ganze Verwandtschaft, die sich längst um uns hätten kümmern müssen, und haben uns über’m Kopf gestrichen. Wir haben’s aber gar nicht glauben können, daß sie nicht mehr da sein soll, unsere Mutter. Erst wie sie den Sarg hinunterlassen haben in die Grube – da war so viel Wasser drin, daß es nur so geklatscht hat –, da haben wir begriffen und zum Weinen angefangen. Und die Greti, die war ja grad erst elf, die hat geschrien, daß ihre Mutter da unten keine Luft bekommt, und der Vater hat sie wegtragen müssen.

Wie dann alles vorbei war und wir wieder in der Wohnung waren, da war’s ganz still. Keiner hat geredet. Wir Kinder sind am leeren Tisch gesessen, und der Vater ist am Fenster gestanden und hat seinen Kopf immer wieder gegen das Fensterkreuz geschlagen. Das war das einzige furchtbare Geräusch.«

Nach ein paar Tagen ist die kleine Resi,...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2017
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autobiographisch • Erinnerungen • Film-Schauspielerin • Herkunft • Kollegen • Leben • Prominente • Rückblick • Senta Berger • Theater
ISBN-10 3-462-31647-8 / 3462316478
ISBN-13 978-3-462-31647-6 / 9783462316476
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