All die Jahre (eBook)

Eine lebenslange Sehnsucht und ein großes Wunder. Die wahre Geschichte einer Mutter, die niemals die Hoffnung aufgab.
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2016 | 1. Auflage
376 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-096-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

All die Jahre -  Cathy LaGrow,  Cindy Coloma
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Es ist fast achtzig Jahre her, seit sie ihre Tochter in fremde Hände geben musste. Geblieben war Minka all die Jahre nur ein einziges Foto. Muss sie nun endgültig die Hoffnung auf ein Lebenszeichen begraben? Alles beginnt im Sommer 1928, als die 16-jährige Minka mit anderen Mädchen einen Ausflug ins Grüne unternimmt. Für ein paar Stunden kann sie der schweren Arbeit auf dem elterlichen Hof entkommen. Doch was dann geschieht, verändert ihr ganzes Leben. Unbemerkt von der Gruppe vergeht sich ein fremder Mann an ihr. Ein paar Monate später stellt sich heraus, dass sie schwanger ist. Da sie dem Baby keine Zukunft bieten kann, gibt sie es schweren Herzens zur Adoption frei. Allerdings vergeht kaum ein Tag, an dem Minka nicht in Gedanken bei ihrer Tochter ist. Ob es ihr gut geht? Und ob es jemals zu einem Wiedersehen kommt? Diese wahre Geschichte erzählt von festem Glauben, befreiender Vergebung und der Liebe einer Mutter, die über viele Jahrzehnte nicht an Kraft verliert.

Cathy LaGrow ist Minkas Enkelin. Nachdem sie erst im Jahr 2006 alle bis dahin geheim gehaltenen Teile aus dem Leben ihrer Großmutter erfahren hat, entschied sie sich 2012, diese in einer Biografie aufzuschreiben. Cathy lebt mit ihrer Familie in Oregon.

Cathy LaGrow ist Minkas Enkelin. Nachdem sie erst im Jahr 2006 alle bis dahin geheim gehaltenen Teile aus dem Leben ihrer Großmutter erfahren hat, entschied sie sich 2012, diese in einer Biografie aufzuschreiben. Cathy lebt mit ihrer Familie in Oregon.

2. Kapitel

Farmarbeit unter anderen Umständen

Kommt, Mädchen!“

Honus stand unten an der Treppe und rief gar nicht laut. Aber mehr brauchte es auch nicht. Nach drei Jahren auf der Milchfarm fiel es den Schwestern nicht mehr schwer, morgens früh wach zu werden.

Draußen war es noch dunkel und die Luft im Zimmer war eiskalt. Gegen Jahresende würde es nachts auch Frost im Zimmer geben, aber unter den mit Gänsedaunen gefütterten Decken war es mollig warm. Die einzige Heizung im Zimmer war das Ofenrohr, das in einer Ecke des Raumes von unten durch den Boden kam und durchs Dach nach draußen führte.

Zwischen den Mädchen lag der Kater, der von seinem nächtlichen Streifzug zurückgekehrt war. Wegen ihm bestand Jane darauf, dass das Fenster immer einen Spalt breit offen blieb, selbst bei Schnee. Wenn es noch kälter war, dann waren seine feucht-warmen Fußabdrücke auf den Decken bis morgens zu Eis gefroren. Doch auch von ihm ging etwas Wärme aus und die Mädchen duldeten ihn deshalb gern auf ihrem Bett.

Es war der 10. November, Minkas 17. Geburtstag, aber bei den Vander Zees wurden Geburtstage nicht gefeiert. Deshalb dachte Minka beim Aufstehen gar nicht daran. Für sie war es ein Tag wie jeder andere auch, ganz im Gegensatz zu jenem Morgen vor drei Monaten, dem Tag, nachdem ES geschehen war. Damals spürte sie beim Erwachen als Erstes die wunden Stellen unter ihrem Nachthemd. Sofort erinnerte sie sich und das Ereignis des vergangenen Tages baute sich meterhoch vor ihr auf.

Gestern war ES passiert.

Sie wollte ES aus ihrem Gedächtnis verbannen, doch die Bilder kamen ständig zurück, oft in den unpassendsten Momenten. Wenn sie auf dem Melkschemel saß oder an der Wäscheleine stand, war plötzlich alles wieder lebendig. Besonders schlimm erfasste die Erinnerung sie samstagabends in der Badewanne, während der Teil ihres Körpers, den er gesehen und verletzt hatte, im Wasser entblößt war. Manchmal kam mit der Erinnerung auch eine tiefe Angst, so unerträglich, dass sie am liebsten aus dem Leben geflohen wäre. Eine Tasche packen, einen Zug besteigen, weit wegfahren und eine andere Person sein – sie konnte nur noch an Flucht denken, wenn die Panik aufstieg. An anderen Tagen wäre sie am liebsten zum Haus des Onkels gelaufen und hätte sich in seinem kühlen, dunklen Erdkeller versteckt, dort, wo kein Mensch nach ihr suchen würde.

Eine Woche, nachdem ES passiert war, fiel ihr die Vesperdose aus der Hand. Sie war in der Fleischfabrik, wo sie nachmittags arbeitete. Zusammen mit vielen erwachsenen Männern formte sie dort Würste. Einer ihrer Kollegen kniete sich neben sie und half ihr, den Inhalt der Dose wieder aufzusammeln. Während er ihr alles zurückgab, sagte er freundlich: „Immer schön vorsichtig, Minnie!“ Obwohl seine Stimme sanft und seine Absichten gut waren, erschreckte diese Nähe sie zutiefst. Sie roch seinen Schweiß und ihre Hände zitterten auch eine halbe Stunde später noch.

Damals versank sie oft unwillkürlich in eine Art von Starre, in der sie alles ausblenden konnte, was um sie herum geschah. Jane nahm es persönlich, wenn Minka nicht auf sie reagierte. So kannte sie ihre Schwester nicht. „Was ist nur los mit dir?“, ärgerte sie sich dann. Während die Wochen verstrichen, heilte Minkas Körper allmählich. Sie hatte niemandem etwas gesagt. Hüteten nicht die meisten Menschen irgendwelche Geheimnisse? Ihre Mutter zum Beispiel hatte die Hochzeit mit Honus heimlich gefeiert. Bis heute wusste keines der Kinder, wann und wo ihre Mutter geheiratet hatte – sie hatten eines Tages einfach all ihre Sachen eingepackt und waren zu ihm gezogen.

„Beeil dich“, ermahnte Jane ihre Schwester an diesem Morgen, von dem beide nicht wussten, dass es Minkas Geburtstag war.

Minka streckte schwerfällig ihre Beine aus dem Bett. Normalerweise trieb sie morgens ihre Schwester an. Doch heute war schon der dritte Tag in Folge, an dem Jane zuerst aufgestanden war. Alles kam Minka so furchtbar anstrengend vor.

Sie hatten kein Licht im Zimmer, aber die beiden Mädchen kannten sich auch im Dunkeln aus. Es gab schließlich nicht viel, über das man hätte stolpern können. Sie nahmen ihre Arbeitshosen und die dicken Hemden, die über Nacht an dem eisernen Bettgestell gehangen hatten, und kletterten die steile Treppe hinunter.

Im Winter zogen sie sich immer im Wohnzimmer an, dort stand der Kohleofen, der eine wohlige Wärme verströmte und etwas Licht gab. Plötzlich begann sich alles zu drehen. Minka lehnte sich gegen die Wand. Das passierte ihr öfter in letzter Zeit. Ob sie zu wenig aß? Sie hatte auch kaum Appetit und bat ihre Mutter immer wieder um die Medizin, die gegen Übelkeit half.

Als sie fertig angezogen waren, gingen die Mädchen in die Küche, wo ihre Mutter schon am Kartoffelschälen war. Das Feuer brannte im Herd und vertrieb allmählich die Kälte aus dem Raum. Die Mädchen schlüpften in ihre Lederschuhe und gingen hinaus.

Die frische Morgenluft vertrieb die letzte Müdigkeit. Frost bedeckte die Erde, glitzerte im Mondlicht und knirschte unter den Schritten der Mädchen. Dann wurde die Stille von dem Zug unterbrochen, der stampfend und keuchend von Milwaukee kam. Vorbei an dem Hühnerhaus, wo noch alles ruhig war, gingen die Mädchen zum großen Stall, durch dessen Planken schon Licht nach draußen drang. Honus hatte die Laternen am Eingang angezündet. Bei den Kühen war es warm. Ihre Euter waren wie jeden Morgen prall gefüllt. Runde braune Augen wandten sich den Mädchen zu und die Ungeduldigeren unter den Tieren begrüßten die beiden lautstark.

Jane übernahm die eine Seite des Stalls, Minka die andere. Zuerst füllten sie frisches Futter in die Tröge vor den Köpfen der Tiere. Dann fixierte Minka das Bein der ersten Kuh mit einer Kette. Sie verdankte ihren Tritten schon einige blaue Flecken. Erst vor einer Woche hatte das Tier Minkas Bein eingeklemmt und einen Eimer voller Milch verschüttet. Das war ein echter Verlust für den Betrieb, der so sparsam wirtschaften musste.

Als das erste Licht durch die halb offene Stalltür fiel, lehnte Minka sich erschöpft gegen die warme Seite einer Kuh, während sie weiterarbeitete. Der Melkschemel war unbequem und der Staub des Strohs juckte in ihrer Nase. Doch ihre Hände arbeiteten gleichmäßig und fest, zogen und drückten in dem Rhythmus, der die Milch aus dem Euter fließen und den Eimer voll werden ließ.

Die Kuh trat von einem Bein auf das andere und hätte sich fast auf Minkas Zehen gestellt. Mit der Schulter schob Minka sie zurück. Das Tier drehte den Kopf, sah gelangweilt nach hinten und steckte das Maul wieder in den Futtertrog. Als der Milchstrahl versiegte, stand Minka auf, nahm den Eimer und schüttete die gewonnene Milch in die große Milchkanne aus Metall. Dann ging sie weiter zum nächsten Tier.

Zumindest war heute Samstag. Auch die Kinder, die zur Highschool gehen durften, blieben heute zu Hause. Der Gedanke, dass andere in ihrem Alter zur Schule gingen, quälte Minka mehr denn je. Sie hätte sich lieber mit ihrer Lage abgefunden, doch es ging einfach nicht. Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, sich selbst Dinge beizubringen. Aber in ihrem Haus gab es keine Bücher. In Aberdeen war eine Bücherei, die Minka liebend gerne öfter besucht hätte. Schon der auf Säulen ruhende Eingang war wunderschön, ganz zu schweigen von den riesigen Räumen, die voller Bücher waren. Aber dafür gab es in ihrem Leben keine Zeit.

Honus nahm sie manchmal mit, wenn er die Milch ausfuhr. Das begründete er damit, dass sie die Strecke kennenlernen solle. Dabei kamen sie jedoch an der Highschool vorbei, dem schönen roten Backsteinbau, dessen Fenster in drei Reihen übereinander angeordnet waren. Für Minka war es, als stünde über dem Eingang in riesigen weißen Buchstaben: Nicht für dich!

Als sie noch bei dem Onkel lebten, für den Jennie arbeitete, hatte Minka vor der Schule Angst. Der Unterricht fand für alle Altersstufen gemeinsam statt. Es war entsetzlich laut in dem einen Raum. Sie konnte dort einfach nicht nachdenken. Niemand ahnte, dass sie kurzsichtig war und die dauerhafte Überanstrengung der Augen zu ständigen Kopfschmerzen führte. Das damals noch kleine Mädchen nahm an, Kopfschmerzen wären etwas ganz Normales, das alle Menschen hätten. Wenn sie die Augen zusammenkniff, weil sie die Schrift an der Tafel kaum entziffern konnte, dann schrie der Lehrer sie ungeduldig an. Hielt sie das Buch vor die Nase, um besser sehen zu können, schimpfte er auch.

Das Schönste an der Schule war damals der lange Weg hin und zurück. Sie schritt über die Felder und kletterte über morsche Zäune. Über ihr wölbte sich die unendliche Weite des Himmels, der Wind strich über die Gräser der Prärie, und sie spürte eine wunderbare Freiheit, ein herrliches Alleinsein, obwohl zwei andere Kinder plaudernd neben ihr herliefen. Ganz anders ging es ihr dann in dem Klassenzimmer, das ihr wie eine Gefängniszelle vorkam.

Als ihre Schulzeit dann aber nach der achten Klasse abgebrochen wurde, vermisste Minka das Lernen sehr. Für ihren stillen Charakter war die Schule herausfordernd gewesen, aber nun sehnte sie sich danach, wieder denken und lernen zu dürfen. Es hatte ihr Selbstbewusstsein gestärkt und ihr das gute Gefühl gegeben, im Leben etwas erreichen zu können.

Sie hatte etwas Kostbares verloren und hätte alles dafür gegeben, es wiederzubekommen.

Die zwölf Kühe waren gemolken, aber die Arbeit auf dem Hof war noch lange nicht getan. Waren die großen 40-Liter-Milchkannen gefüllt, mussten die Mädchen sie zum Kühlraum karren. Dieser...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2016
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adoption • Glaube • Hoffnung • Kraft • Vergebung • Verlust • Wiedersehen
ISBN-10 3-96122-096-4 / 3961220964
ISBN-13 978-3-96122-096-0 / 9783961220960
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