Amanda herzlos (eBook)

Roman

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
384 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-75055-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Amanda herzlos -  Jurek Becker
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?Amanda herzlos? ist Liebesgeschichte, Zeitbild, Entwicklungsroman und Literatursatire, in dem der Niedergang eines vielgeschmähten Staates am Schicksal einer Frau mit der professionell geführten Feder ihrer Liebhaber geschildert wird. Michael Bauer, Süddeutsche Zeitung



<p>Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein. Von 1939 bis 1945 wuchs Becker im Ghetto in Lodz auf und wurde später in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über, wo er von 1957 bis 1960 Philosophie an der Humboldt-Universität studierte. 1960 wurde Becker aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen und ging an die Filmhochschule Babelsberg. Becker ist Autor zahlreicher Drehbücher. 1969 wurde sein erster Roman veröffentlicht - <em>Jakob der Lügner</em> wurde weltbekannt. Jurek Beckers Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Bundesverdienstkreuz.</p>

Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein. Von 1939 bis 1945 wuchs Becker im Ghetto in Lodz auf und wurde später in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über, wo er von 1957 bis 1960 Philosophie an der Humboldt-Universität studierte. 1960 wurde Becker aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen und ging an die Filmhochschule Babelsberg. Becker ist Autor zahlreicher Drehbücher. 1969 wurde sein erster Roman veröffentlicht – Jakob der Lügner wurde weltbekannt. Jurek Beckers Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Bundesverdienstkreuz.

LUDWIG


Ich glaube, ich verlange nichts Unmögliches. Scheidungen sind nun mal ihrem Wesen nach unangenehm, das darf auch jemand sagen, der noch nie geschieden wurde. Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, eine möglichst harmonische Sache daraus zu machen. Ich will nicht verschweigen, daß Amandas Entschluß, sich von mir zu trennen, mich hart getroffen hat, hart und vollkommen unvorbereitet. Ich werde Ihnen später von meinen Versuchen erzählen, sie umzustimmen, es waren nicht sehr viele. Ich habe schnell gespürt, wie sinnlos solche Bemühungen gewesen wären. Natürlich möchte ich die Geschichte ohne großes Blutvergießen hinter mich bringen, verstehen Sie das aber nicht als Bereitschaft, in allen Streitfragen nachzugeben. Eigentlich möchte ich von keiner einzigen meiner Forderungen abrücken, sie sind ohne Ausnahme gerechtfertigt. Ich weiß, was Sie sagen wollen: daß es ein Unterschied ist, ob man sich im Recht fühlt oder ob man recht hat. Ich habe recht. Sie werden sehen, daß wir die besseren Karten in der Hand halten.

Also: Den Wagen möchte ich behalten. Wir haben ihn mit Hilfe der Redaktion bekommen, mit Hilfe meiner Redaktion, und es wäre merkwürdig, wenn ich schon wieder hingehen und sagen müßte, ich brauche einen neuen. In meinem Beruf ist man ohne Wagen halbtot, Amanda dagegen braucht keinen. Außerdem fährt sie so, daß es einem den Magen umdreht. Wenn ich ihr Feind wäre, würde ich sagen: Nimm das Auto und fahr los.

Auf unser Wochenendgrundstück würde ich im Gegenzug verzichten. Es hat beinah auf den Pfennig so viel gekostet wie der Fiat, man könnte beides miteinander verrechnen. Auch an dem Grundstück hänge ich, nur ist mir, im Unterschied zu Amanda, bewußt, daß man nicht alles haben kann. Für mein Leben gern wäre ich in der Lage zu sagen, daß sie alles behalten und damit glücklich werden soll. Ich gönne ihr das sorgenfreiste Leben, aber doch nicht um den Preis, daß ich dafür zum Bettler werde!

Wenn ich behauptet habe, daß ich deshalb auf meinen Forderungen bestehe, weil ich sie für gerechtfertigt halte, dann ist das so nicht richtig. Ich verlange nichts, was ich nicht brauche. Zum Beispiel existiert eine Brillantbrosche von meiner Großmutter, das einzige Wertobjekt, das ich je geerbt habe. Es ist doch wohl keine Frage, daß die mir zustehen würde, aber ich käme nie auf die Idee, sie von Amanda zurückzuverlangen.

Die Wohnung will ich auf keinen Fall hergeben. Ich bin der Verlassene, ich bin der Leidtragende. Ich denke nicht daran, mich auch noch davonzuschleichen. Möglicherweise wird Amanda behaupten, wir hätten die Wohnung nur den Beziehungen ihrer Mutter zu verdanken, einer großartigen Frau übrigens, und das könnte ich nicht einmal abstreiten. Aber hat es nicht Sinn zu fordern, daß der Verlassene bleibt und der Verlassende geht? Wenn man Ehen aufkündigen und zugleich durchsetzen könnte, daß der andere verschwindet, was meinen Sie, was auf der Welt dann los wäre.

Ein heikler Punkt ist das Kind. Ich will offen zu Ihnen sein: Ich will den Jungen nicht haben. Ich kann ihn nicht nehmen. Wie sollte ein alleinstehender Mann, dazu in meinem Beruf, mit einem Kind leben? Daß ich bereit bin, meinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen, versteht sich von selbst. Ich will alles tun, um aus der Distanz ein ordentlicher Vater zu sein, aus einer Distanz, die ich nicht zu verantworten habe – diesen Umstand kann man nicht oft genug erwähnen. Das Peinliche besteht nun darin, daß ich zu Amanda gesagt habe, ich würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Jungen zu behalten. Was heißt gesagt, ich habe es ihr ins Gesicht geschrien, mehr als nur einmal. Unser Gesprächston war zuletzt laut und provozierend. Es sollte eine Drohung sein, ich wollte ihr Angst einjagen vor den Folgen, die sie tragen muß, wenn sie mich wirklich verläßt. Und nun verläßt sie mich, und ich will nicht klein beigeben. Mein Bedarf an Demütigungen ist gedeckt. Mit einem Wort – ich möchte vor Gericht so tun, als wollte ich Sebastian um alles in der Welt behalten, gleichzeitig müßte aber gewährleistet sein, daß wir uns damit nicht durchsetzen. Das wäre dann Ihre Aufgabe. Wenn Sie als Fachmann mir sagen, hör auf mit dem Unsinn, das Risiko ist zu groß, würde ich auf das Spiel verzichten. Aber schade wäre es. Ich bin sicher, daß Amanda ihr Kind nie hergeben würde, auch wenn sie manchmal unberechenbar ist.

Es wäre am zweckmäßigsten, wenn ich Ihnen alles der Reihe nach erzählen würde, doch das ist leichter gesagt als getan. Seit ich Amanda kenne, ist etwas so Chaotisches in mein Leben getreten, daß ich nie zur Ruhe komme. Ich meine damit in erster Linie, daß wir keine Gewohnheiten hatten. Das sagt Ihnen jemand, der sich nach nichts so sehnt wie nach Gewohnheiten. Wir haben nie diese zuverlässige Wiederholung kleiner Vorgänge gekannt, die nur nach außen hin ermüdend wirkt, die es einem in Wirklichkeit aber erlaubt, sich zurückzulehnen und Atem zu schöpfen. Gewohnheiten sind wie ein Geländer, an dem man sich in Notlagen festhalten kann, das hat mir immer gefehlt. Es stand nie fest, um wieviel Uhr Frühstück gegessen wird. Jedesmal mußte neu ausgehandelt werden, wer ein warmes Abendessen macht. Es gab keine Zuständigkeiten, außer der einen, daß ich morgens in die Redaktion mußte und am Nachmittag abgekämpft nach Hause kam. Manchmal haben wir uns Abend für Abend mit Bekannten getroffen, dann wieder monatelang nicht. Manchmal haben wir Abend für Abend miteinander geschlafen, dann wieder wochenlang nicht. Wenn Sebastian krank war, war sie die fürsorglichste Mutter, dann plötzlich hat sie von mir verlangt, daß ich Urlaub nehmen und mich an sein Bett setzen soll. Ich hätte mich nie darüber beklagt, aber jetzt, da sie mich als einen hinstellt, mit dem das Leben unerträglich ist, muß ich all das ja nicht auch noch verschweigen.

Vor drei Jahren haben wir uns zum erstenmal getroffen, in der Kantine der Zeitung, bei der ich noch heute beschäftigt bin. Man hatte ihr eine Reportage über irgendwelche polnischen Denkmalspfleger in Aussicht gestellt. Seit sie ihr Studium hingeworfen hatte, jagte sie kleinen Aufträgen nach, ohne feste Anstellung. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, welches Ansehen die Freiberufler in den Redaktionen genießen: das niedrigste. Obwohl Amanda einen Termin hatte, war sie von einer Sekretärin abgewimmelt worden, dementsprechend war ihre Laune. In die Kantine war sie nur gegangen, weil dort das Essen billiger ist. Sie wäre mir wahrscheinlich nicht aufgefallen, hätte sich nicht der größte Weiberheld der Redaktion an ihren Tisch gesetzt. Ich setzte mich dazu, weil ich ihn ärgern wollte, oder weil ihre Bluse so grün war, oder weil wirklich kein anderer Platz frei war, ich weiß es nicht mehr.

Sie verhielt sich abweisend gegenüber Pückler, so hieß der Schönling, das gefiel mir, noch unfreundlicher aber war sie zu mir. Die wenigen Blicke, die ich ergattern konnte, hießen nichts anderes als: Versuch es gar nicht erst. Jedesmal wenn ich daran denke, geht mir die Frage durch den Sinn, ob sie nicht einen Mann geheiratet hat, den sie von Anfang an nicht ausstehen konnte. Damals hat mich ihre Schroffheit eher angespornt, ich war wie der Esel, der nur deshalb vorwärtsgeht, weil man ihn am Schwanz zieht. Der Verdacht, daß ich ihr unsympathisch, bestenfalls gleichgültig sein könnte, hat mich schon früh beschäftigt. Natürlich muß sie Gründe gehabt haben, mich zu heiraten, Liebe jedenfalls war es nicht. Vielleicht haben ihr die hundertfünfzig Liegestütze imponiert, die ich ihr vorführen konnte, vielleicht gefiel es ihr, daß ein paar hübsche Frauen hinter mir her waren. Vielleicht hatte sie es auch satt, von Redaktion zu Redaktion zu hasten und überall als Bittstellerin behandelt zu werden. Sie müssen wissen, daß mein Gehalt das erste regelmäßige Einkommen ihres Lebens war.

Vor ein paar Wochen habe ich sie gefragt, warum sie mich bloß geheiratet hat, kurz nachdem sie zum Anwalt gegangen war. Sie hat geantwortet, daß sie sich kaum mehr erinnert, wahrscheinlich weil sie sich einen Zustand versprochen habe, der nie eingetreten sei. Das einzige, was sie mit Gewißheit sagen könne, sei, daß ich auf dem steinigen Weg zum Märchenprinzen schon auf den ersten Metern steckengeblieben bin. Manchmal drückt sie sich etwas blumig aus. Ich habe den Hohn weggesteckt und mich nach ihrer Vorstellung von Märchenprinzen erkundigt. Ein anderer hätte seine Witze gemacht, ich nicht, ich war auf Verständigung aus. Wollen Sie wissen, mit welchem Ergebnis? Sie hat aufgelacht wie über eine Obszönität und dann gesagt, sie werde sofort nach unserer Trennung eine Liste mit den Haupteigenschaften der Märchenprinzen für mich ausarbeiten, davon könnte dann meine nächste Frau profitieren. Ich sollte aber vorab wissen, daß nicht jede hirnlose, empfindungsschwache Jammergestalt sich zum Märchenprinzen qualifizieren könne. Wie gesagt, manchmal war ihre Sprache reichlich blumig.

Ein halbes Jahr nach jenem Kantinentreffen haben wir geheiratet. Ich hatte mir die erste und, wie ich damals dachte, einzige Hochzeit meines Lebens als rauschenden Tag zwischen Blumenbergen und Glückwunschtelegrammen vorgestellt, inmitten feiernder Gäste, die Ansprachen halten, uns hochleben lassen und sich um den Verstand trinken. Und wie sah es wirklich aus? Auf dem Standesamt unterschrieben wir ein Formular, dann wollten wir im Hotel Unter den Linden Mittag essen, fanden aber keinen Platz, also gingen wir zu mir nach Hause und aßen, was zufällig im Kühlschrank lag. Damit war die Sache erledigt. Amanda duldete kein Fest. Sie sagte, sie kenne niemanden, mit dem sie feiern möchte, bis auf eine Freundin, eine gewisse Lucie,...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alltag • Belletristische Darstellung • DDR • Deutschland • Liebe • Liebesgeschichte • Muttertag • Republikflucht • ST 2295 • ST2295 • suhrkamp taschenbuch 2295
ISBN-10 3-518-75055-0 / 3518750550
ISBN-13 978-3-518-75055-1 / 9783518750551
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