Mein Sommer mit Mémé (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
304 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-95967-606-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Sommer mit Mémé - Élaine Briag
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Großmutters Château im Burgund zu renovieren, passt überhaupt nicht in die Pläne der jungen Antiquitätenhändlerin Paula. Denn sie wollte sich in Paris mit ihrem Verlobten Jakob treffen. Aber ihre Großmutter, Mémé genannt, setzt die liebevollen Daumenzwingen an und versammelt nach langer Zeit wieder die ganze Familie an einem Tisch. Zwischen köstlichem Essen, Familienzwist und einigen Gläsern Wein findet Paula heraus, welches Geheimnis Mémé verbirgt - und was das für Paulas Zukunft bedeutet.



Élaine Briag, 1960 geboren, hat Romanistik sowie Literatur- und Kulturwissenschaften studiert. Viele Jahre verbrachte sie in Frankreich, wo das Schreiben zu ihrer Passion wurde. DieLiebe zu Land, Menschenund der französischen Sprache bildet das Salz in ihren Geschichten. Élaine Briag lebt heute mit ihrer Familie am Bodensee.

KAPITEL 2


Innen roch es nach altem Gemäuer. Von einem rechteckigen, großzügigen Flur führte eine breite Treppe ins erste Stockwerk. Im Erdgeschoss lag hinter einer Flügeltür der Salon, über eine andere Tür erreichte man die Küche. Mama öffnete sie und trat ein. Das zwischen den Sprossen der Läden eintretende Abendlicht verlieh dem Raum eine südländische Atmosphäre. Ich erkannte den alten Steinboden im Schachbrettmuster, aber in meiner Erinnerung hatte die Küche einem Saal geglichen; jetzt schätzte ich sie auf knappe zwanzig Quadratmeter. Eine einfache Holztischtafel mit mehreren verschiedenen Stühlen bildete den Blickfang. Darauf stand mittig in einer bauchigen lavendelblauen Vase ein Wiesenstrauß mit Butterblumen, Margeriten und Gräsern. Ein Buffet stach mir ins Auge, unter dessen Lackschicht ich eine Holzstruktur vermutete. Darauf ein altmodisches Radio aus den Sechzigerjahren, ein großer Kasten, an den ich mich genau erinnerte. In der Ecke war ein Herd neben einem gelbstichigen Kühlschrank, der aufdringlich surrte, unter dem Fenster noch immer die Spüle aus Speckstein. An der Wand hing eine Tafel in der Form eines überdimensional großen Schweinekopfs. Die Uhr daneben zeigte kurz vor halb acht. Ich stellte meine Reisetasche ab und öffnete das Fenster, das zum Garten zeigte.

„Ich muss mich in der Tat ein bisschen hinlegen“, sagte Mama, nachdem sie ein Glas Leitungswasser getrunken hatte. „Sagst du Mémé bitte, dass wir bereits gegessen haben?“, bat sie an mich gewandt. Sie wirkte auf einmal sehr erschöpft. „Weckt mich bitte, sobald sie hier ist. Ganz egal, wann das sein wird.“

Marcel machte sich auf, das Gepäck zu holen, und folgte dann Mama mit zwei Koffern in die erste Etage. Ich nahm Gläser aus der Vitrine, fand zwei Flaschen Weißburgunder im Kühlschrank, öffnete eine davon und setzte mich an die Tafel. Nach all den Turbulenzen rund um die Anreise genoss ich die Stille im Haus und legte meine Beine auf einen Stuhl. Der Wein war eiskalt, leicht und schmeckte vorzüglich. Während ich mich allmählich entspannte, kamen mir Bilder in den Sinn. Gerüche und Stimmungen, die mit diesem Haus verbunden waren: Obwohl unsere Großmutter unsere ganze Kindheit lang nur jeweils einige Wochen im Sommer und die Weihnachtsfeste hier verbracht hatte, war sie präsent wie der Geist einer Schlossbesitzerin. Vor meinem inneren Auge sah ich Mémé, wie sie heiße Madeleines aus dem Ofen zog, die nach Orangenöl und warmer Butter dufteten; Mémé im Dezember bei sibirischer Kälte mit einem Buch nebenan im Salon am Kaminfeuer. Mémé mit Schlapphut und Korb auf einer Leiter beim Kirschenpflücken. Und an warmen Sommerabenden zusammen mit ihrer Mutter Sophie im Garten an einem improvisierten Esstisch, der mit weißen Leintüchern unter dem Kastanienbaum zur Festtafel wurde. Es soll Zeiten gegeben haben, da beherbergte das Schlösschen drei Generationen. Mémés Vater Antoine hatte ich nie kennengelernt, er war 1943 im Krieg gefallen. Mémés Großmutter Albertine soll eine stille Frau gewesen sein, die selten ihre Stimme erhob und wenn, dann muss sie Sätze gesagt haben wie: „Mon Antoine, Gott hab ihn selig, hätte seine wahre Freude an dieser Kirschernte.“ Oder: „Antoine schaut vom Himmel herab auf die Gaben des Herrn.“

Und so kam es, dass das Château immer eine Residenz der Frauen war, obwohl die Männer, selbst nachdem sie längst gestorben waren, sonderbarerweise das Sagen hatten. Ein Bild vom Burgund aber hatte sich besonders in mein Gedächtnis eingebrannt: das gemeinsame Essen in dieser Küche an jener einfachen Tafel mit Mémé im Mittelpunkt, die lachend die Tischgesellschaft mit Geschichten verwöhnte. Am Kopf der Küchentafel, mit dem Blick hinaus zur Veranda, war ihr Lieblingsplatz. Hier hatten Marcel und ich als Kinder an ihren Lippen gehangen und gelernt, dass diese Küche ein ganz besonderer Ort war, einer, an dem die Familie zusammenrückte und selbst das Brot viel besser als zu Hause schmeckte.

„In der Küche schlägt das Herz eines Hauses“, pflegte Mémé zu sagen.

Jetzt brauchte es einen Herzschrittmacher.

Von oben war das Schließen einer Tür zu hören. Dann näherten sich auf der knarrenden Treppe Schritte, und mein Bruder betrat die Küche.

„Schenk mir bitte auch von dem Wein ein“, bat er und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber sinken. Ich stellte meine Füße auf den Boden, richtete mich auf und befüllte ein weiteres Glas. Trotz des gedämpften Lichts bei den geschlossenen Klappläden konnte ich Marcels Erschöpfung wahrnehmen. Sein schmales Gesicht wirkte eingefallen, die Hautfarbe fahl, die blauen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Womöglich hatte er noch bis mittags in seinem Steuerbüro geschuftet und war anschließend in einem Rutsch durchgefahren. Seit einigen Monaten gab es Probleme mit seiner pubertierenden Tochter. Und heute dann die Sorge um Mémé. War er wirklich nur ihretwegen so kurz angebunden gewesen am Telefon mit Helen? Ich spürte, dass ihn etwas bedrückte. Aber in ihn zu dringen hatte keinen Sinn. Im Laufe von sechs Tagen würde sich der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch unter Geschwistern ergeben.

Er nahm einen kräftigen Schluck, stellte das Glas zurück auf den Tisch und drehte an dessen Fuß.

„Was hältst du davon?“

Er sah mich fragend an.

„Vom Wein? Fruchtig. Frisch. Angenehme Säure.“ Marcel nahm die Flasche, schob seine Brille auf die Stirn und studierte das Etikett. „Hier aus der Region. 2013. Ein Jahrgang, mit dem man nichts falsch machen kann.“ Dann fragte er leise: „Hast du dich schon entschieden?“ Seine Stimme klang, als sei er um einen neutralen Ton bemüht.

„Ich verstehe nicht …“

„Wie lange wirst du bleiben?“

„Sechs Tage.“

„Sie wünscht es sich so sehr, Paula. Es sind nur drei Wochen deines Lebens. Ihr bedeuten sie alles.“

Subtiler Druck war keine Spezialität unserer Familie, und Marcel zeigte sich in dieser Hinsicht als würdiger Nachfahre von Mémé. Hinzu kam eine Art Hundeblick, den er schon als Kind aufgesetzt hatte, wenn er etwas unbedingt haben wollte.

„Sieh mich nicht so an“, mahnte ich. „Ich habe meine Gründe, die ich dir bereits erklärt habe. Und es fällt mir nicht leicht, glaube mir.“

„Sechs Tage reichen ihr nicht.“ Marcel schüttelte entschieden den Kopf. „Denk bitte auch an das Erbe.“ Er flüsterte jetzt, als ob Mémé eine Abhöranlage in der Küche installiert hatte. „Und an deine Familie. An unser aller Wohl. Eine knappe Million ist kein Pappenstiel. Dabei habe ich dieses Anwesen hier minimalst kalkuliert. Geld, das Mémé nie mehr ausgeben kann. Rechne doch mal nach! Dein Laden wäre für die nächsten zehn Jahre gesichert. Du kennst Mémés Dickschädel doch. Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, wird sie etwas herausrücken.“

Das hieß also im Familienjargon Mit warmen Händen geben?

„Aber es ist ihr Vermögen“, sagte ich empört. „Sie kann damit machen, was sie will. Wir haben nicht das Recht, uns einzumischen, solange sie lebt. Und selbst wenn, dann wäre es Mamas Angelegenheit. Nicht unsere.“

Marcel hatte vor zwei Jahren sein Büro vergrößert. Hatte er sich übernommen?

„Nicht so laut“, zischte er. „Sie hat es angeboten. Und sie wird achtzig. Und was ist mit deinen komischen Louis-Möbeln? Tu nicht so uneigennützig.“

Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, schwieg dann aber. Marcel hatte recht: Auch der Möbel wegen war ich hier. Beschämt senkte ich die Augen. Marcel stand auf, strich mir eine Strähne von der Wange und drehte sich in Richtung Tür.

„Wie lange musste sie auf dieses Haus hier warten?“ Er sah sich um und hielt die Handflächen in Richtung Decke. „Fast ein ganzes Leben. Sie hat mehr als diese drei Wochen verdient, Paula. Du hast deine Gründe? Es gibt keinen einzigen, der es rechtfertigt, Mémé diesen vielleicht letzten Wunsch zu verweigern. Denk noch einmal in Ruhe darüber nach. Ich gehe jetzt unter die Dusche. Bis später.“

Ich blieb mit meinem schlechten Gewissen zurück.

Wie lange musste sie auf dieses Haus warten? Fast ein ganzes Leben lang.

Ich erinnerte mich gut daran, wie sich nach Valentins Einzug vor fünfundzwanzig Jahren alles für Mémé verändert hatte. Bereits zwei Jahre später gehörten unsere Familienferien im Burgund der Vergangenheit an. Mama hatte uns damals erklärt, dass Mémé und Valentin wegen des Erbes Streit bekommen hätten, und obwohl wir noch klein waren, traf uns Mémés Kränkung, als gelte sie uns. Mémés letzte Verbindung zu Frankreich war nach dem Tod ihrer Mutter abgeschnitten, und mit dem Château hatte sie ein Stück unbeschwerte Kindheit verloren. Es war ihr Elternhaus, in dem fortan Valentin den Schlossherrn spielte, ein Mann, der immer nur zu großen Familienfesten aufgetaucht war. Später dann, als Mémés Wunden verheilt waren, war sie ausgewichen, wenn wir Fragen stellten.

„Warum lebt Valentin denn ganz allein in dem großen Haus? Warum fahren wir nicht mehr dorthin?“

„Weil es nun einmal so ist“, hatte sie dann geantwortet, und über ihre Augen hatte sich ein Schleier von Traurigkeit gelegt. „Vergessen und vorbei.“

Aber wir alle wussten, dass eine Kränkung derartigen Ausmaßes für Mémé niemals vergessen war. Mémés Forderungen mochten verjähren, ihr Stolz kannte keine Verjährungsfristen.

Als ich von draußen das Geräusch eines Rasenmähers zu hören glaubte, waren Mama und Marcel immer noch auf ihren Zimmern. Ich ging hinaus in den Flur, öffnete die Tür und sah meine Großmutter auf einer Mobylette die Einfahrt hochkommen. Sie trug einen altmodischen beigen Sturzhelm, der die Form einer halben Melone besaß....

Erscheint lt. Verlag 7.11.2016
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Burgund • Chateau • Familie • Familiendrama • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Familienroman • Fernbeziehung • Frankreich • Freundschaft • Gefühle • Großmutter • Liebe • Probleme • Roman • Schloss • Sommerroman • Urlaub • Urlaubsbücher • Urlaubslektüre • Vergangenheit • Wein
ISBN-10 3-95967-606-9 / 3959676069
ISBN-13 978-3-95967-606-9 / 9783959676069
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