Die steinerne Matratze (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
304 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-7907-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die steinerne Matratze -  Margaret Atwood
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Verna hatte anfänglich nicht vorgehabt, jemanden zu töten.« Mit diesem fulminanten ersten Satz beginnt die titelgebende Erzählung und sofort befindet man sich im Atwood-Kosmos, sofort wird man hineingezogen in eine Geschichte, die hintergründig, spannend und unglaublich komisch zugleich ist. Verna begibt sich auf eine Arktisreise, um endlich alles hinter sich zu lassen, um abzuschalten. Doch statt Ruhe, Weite, Eis und Schnee trifft sie unerwartet auf den Mann, der ihr Leben für immer veränderte, als er sie vor über fünfzig Jahren zum Schultanz lud, die unscheinbare, fleißige Verna Pritchard an der Seite des begehrten Footballstars. Wie Verna nun späte Rache übt, erzählt Atwood so lakonisch und souverän, wie es nur die »Queen der kanadischen Literatur« (Literarische Welt) vermag, erzählt in einer einzigen Geschichte ein ganzes Leben. All ihre stilistische Virtuosität, die Leichtigkeit, den Witz und die Ironie legt Margaret Atwood in diesen Band, ein Glanzstück ihrer Erzählkunst.

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit. Ihr »Report der Magd« wurde für inzwischen mehrere Generationen zum Kultbuch. Zudem stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Lyrikband »Innigst«.

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr »Report der Magd« wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize und dem Nelly-Sachs-Preis. Margaret Atwood lebt in Toronto. Monika Baark, 1968 in Tel Aviv geboren, studierte Anglistik und Kunstgeschichte. Sie lebt in Berlin und übersetzt u.a. Vendela Vida, Jeanette Winterson, Amity Gaige und Miriam Toews.

WIEDERGÄNGER

Geschäftig kommt Reynolds ins Wohnzimmer, sie hat zwei Kissen dabei. Vor unbestimmten Jahren hätten diese Kissen, die aus Reys Armen quellen wie zwei üppige aufblasbare Brüste, weich, aber fest, bei Gavin die Vorstellung ihrer darunter versteckten, tatsächlichen Brüste ausgelöst, ebenso weich, aber fest. Vielleicht hätte er irgendeine schlaue Metapher zusammengeschustert, zwei Säcke mit Federn zum Beispiel und zwei sexuell aufgeschlossene Hühner. Oder womöglich – etwa wegen der Sprungkraft, der Robustheit, der elastischen Beschaffenheit – mit zwei Trampolinen.

Jetzt aber erinnern ihn diese Kissen – abgesehen von den Brüsten – an eine überzogene Avantgarde-Aufführung von Richard dem Dritten, letzten Sommer in einem Park. Reynolds hatte darauf gedrungen; das täte Gavin gut, mal raus aus seinem Trott und im Freien zu sein und sich neuen Ideen zu öffnen, und Gavin sagte, lieber wär’s ihm, ins Freie zu gehen und seine Hose zu öffnen, und Rey gab ihm einen spielerischen Rippenstoß und sagte: »Böser Gavvy!« Es gehörte zu ihren koketten Spielchen, dass sie Gavin als dysfunktionales Haustier darstellte. Ist ja auch was dran, denkt er verbittert; noch hat er nicht begonnen, auf den Teppich zu kacken und die Möbel zu zernagen und winselnd vor seinem Futternapf zu stehen, aber es fehlt nicht mehr viel.

Anlässlich ihrer Expedition in den Park nahm Reynolds eine Plastikunterlage zum Sitzen und zwei Decken mit, falls Gavin kalt würde, und zwei Thermoskannen, eine mit heißem Kakao und eine mit Wodka Martini. Ihr Plan war klar; wenn Gavin allzu quengelig wurde, würde sie ihm Alkohol einflößen und ihn zudecken und hoffen, dass er einschläft, um sich voll und ganz auf den ewigen Barden konzentrieren zu können.

Die Plastikunterlage war eine gute Idee, da es am Nachmittag geregnet hatte und das Gras noch feucht war. In der heimlichen Hoffnung, dass es erneut zu regnen anfangen würde und sie nach Hause gehen könnten, hatte sich Gavin auf seiner Decke niedergelassen und über Knieschmerzen geklagt, außerdem habe er Hunger. Reynolds hatte beide Ärgernisse vorausgesehen; prompt wurde eine Tube RUB A535 mit Antiphlogistine zutage gefördert, eines von Gavins liebsten Nonsenswörtern – sowie ein Lachssandwich. »Ich kann dieses elende Programmheft nicht lesen«, sagte Gavin – nicht dass er es gewollt hätte. Rey reichte ihm eine Taschenlampe und eine Lupe. Den meisten seiner Ausreden ist sie gewachsen.

»Wie aufregend!«, sagte sie, ganz das Fräulein Sonnenschein. »Es wird dir gefallen!« Das versetzte Gavin einen Stich: Sie hatte einen so rührenden Glauben an seine angestammte Fähigkeit, sich zu amüsieren. Er müsste sich nur Mühe geben, behauptete sie: Er sei zu negativ, das sei sein Problem. Dieses Gespräch führten sie nicht zum ersten Mal. Er wird ihr entgegnen, sein Problem sei, dass die Welt bis zum Himmel stinke, und sie solle sich doch viel lieber darauf konzentrieren, anstatt ihn zurechtbiegen zu wollen. Und sie wird entgegnen, der Gestank liege in der Nase des Riechenden oder irgendeine andere Übung in kantianischem Subjektivismus – nicht dass sie den erkennen würde, selbst wenn man ihn ihr vor die Nase hielte –, und er solle es doch mal mit buddhistischer Meditation versuchen.

Und Pilates, sie drängt ihn dazu, unbedingt mit Pilates anzufangen. Sie hat schon eine junge Pilates-Lehrerin am Start, die bereit wäre, ihm Privatstunden zu geben, entgegen ihrer Gewohnheit, denn sie bewundert seine Arbeit. Die Vorstellung hat etwas Erschreckendes: dabei zusehen zu müssen, wie irgendeine östrogenstrotzende Kindfrau seine langen knorrigen Gliedmaßen verknotet und dabei den verwegenen, vor Sextrieb und sardonischem Witz kaum zu bändigenden Protagonisten seiner früheren Gedichte mit dem kümmerlichen Bündel aus Schnüren und Stöckchen vergleicht, zu dem er geworden ist. Seht her auf dies Gemälde und auf dies. Warum ist Reynolds so versessen darauf, ihn auf die Streckbank legen zu lassen, bis sein Körper auseinanderreißt wie ein poröses Gummiband? Sie will die Gewissheit, dass er leidet. Sie will ihn demütigen und sich dabei gleichzeitig tugendhaft vorkommen.

»Hör auf, mich an diese Groupies zu verhökern«, sagte er zu ihr. »Du kannst mich doch einfach an einen Stuhl fesseln und Eintritt verlangen.«

Der Park wimmelte von Aktivität. Junge Leute spielten im Hintergrund Frisbee, Babys schrien, Hunde bellten. Gavin studierte grübelnd das Programmheft. Prätentiöser Mist, wie immer. Und das Stück begann später als angekündigt: irgendeine Panne mit der Beleuchtung, hieß es. Immer mehr Mücken umschwirrten sie. Gavin schlug um sich; Reynolds zog das extrastarke Mückenspray hervor. Irgendein Trottel in einem roten Ganzkörperstrumpf und mit Schweinsohren auf dem Kopf trötete auf einer Trompete, um die Leute zur Ruhe zu bringen, und nach einer kleineren Explosion und dem Sprint einer Gestalt mit Halskrause in Richtung Erfrischungsstand – auf der Suche wonach? Was hatten sie vergessen? – begann das Stück.

Es gab ein Vorspiel, einen Film über das Skelett Richards des Dritten, das unter einem Parkplatz ausgegraben worden war – tatsächlich so geschehen, wie Gavin aus den Nachrichten wusste. Es war in der Tat Richard, komplett mit DNA-Beweismaterial und allerlei Schädelverletzungen. Der Vorfilm wurde auf ein Stück weißen Stoff projiziert, das aussah wie ein Bettlaken und wahrscheinlich auch eins war – klar, die Kunstbudgets von heute, wie Gavin in gedämpftem Ton zu Reynolds sagte. Reynolds stieß ihn mit dem Ellenbogen an. »Deine Stimme ist lauter, als du denkst«, flüsterte sie.

Der Soundtrack gab – durch einen knisternden Lautsprecher und in lausigen pseudoelisabethanischen jambischen Pentametern – zu verstehen, dass das gesamte bevorstehende Stück posthum im Innern von Richards zertrümmertem Schädel spiele. Die Kamera zoomte durch eine Augenhöhle bis ins Innere des Totenschädels. Dann wurde alles schwarz.

Das Laken wurde weggezogen, und da stand Richard im Flutlicht, startbereit, um zu singen und zu springen, zu suggerieren und zu denunzieren. Auf seinem Rücken prangte ein Buckel von groteskem Ausmaß unter rot-gelb gestreiftem Narrenkostümstoff – wie Mr Punch, erklärte das Programm, der seinerseits vom Pulchinello abstamme; denn die Vision des Regisseurs gehe dahin, dass Shakespeares Richard nach Vorbild der commedia dell’arte entstanden sei, einer Schauspieltruppe, die damals in England auftrat. Der große Buckel war gewollt: der innere Kern des Stücks (»Im Gegensatz zum äußeren Kern«, lästerte Gavin) drehe sich um Requisiten. Sie symbolisierten Richards Unterbewusstsein, daher ihr aufgeblähtes Format. Solange das Publikum auf übergroße Throne und Buckel und Gottweißwas starrte und sich fragte, was zur Hölle das alles sollte, würde es sich weniger daran stören, kein Wort vom Text zu verstehen – so in etwa musste der Regisseur sich das gedacht haben.

Zusätzlich zu seinem gigantischen zweifarbigen metonymischen Buckel hatte Richard auch noch eine königliche Robe mit einer meterlangen Schleppe an, getragen von zwei Pagen mit übergroßen Eberköpfen, da auf Richards Wappen ein Eber dargestellt war. Es gab ein riesiges Fass Madeirawein, in dem Clarence ertrinken konnte, und ein paar Schwerter, die so groß waren wie die Schauspieler selbst. Zum Ersticken der Prinzessin im Tower, pantomimisch dargestellt wie das Stück im Stück bei Hamlet, wurden zwei riesige Kopfkissen auf Bahren hereingetragen, wie Leichen oder Spanferkel, in farblich auf Richards Buckel abgestimmten Kissenbezügen, nur falls das Publikum zu blöd war, ums zu kapieren.

Tod im Lotterbett, denkt Gavin und beäugt die anrückenden Kissen in Reynolds’ Armen. Welch ein Schicksal. Reynolds als Erste Mörderin. Aber es würde passen, im Großen und Ganzen; und das Große und Ganze pflegt Gavin immerhin zu bedenken. Die Zeit dazu hat er.

»Bist du wach?«, fragt Reynolds munter, während sie klappernd durchs Zimmer läuft. Sie trägt einen schwarzen Pullover und einen silber-türkisfarbenen Gürtel um die Taille, und enge Jeans. Ihre Oberschenkel, die ansonsten die Konturen eines Eisschnellläufers haben, werden außen langsam schwabbelig. Sollte er sie auf diesen Schwabbel aufmerksam machen? Nein; sowas wollte er sich für einen strategisch günstigeren Augenblick aufheben. Und vielleicht ist es ja gar kein Schwabbel, vielleicht sind es nur Muskeln. Genug Sport macht sie schließlich.

»Wenn nicht, wäre ich’s spätestens jetzt«, sagt Gavin. »Du hörst dich an wie ne Holzeisenbahn.« Er mag diese Clogs nicht, was er ihr auch schon gesteckt hat. Sie machen unschöne Beine. Aber was er über ihre Beine denkt, ist ihr nicht mehr so wichtig wie früher. Die Clogs seien bequem, und Bequemlichkeit sei wichtiger als Mode. Gavin versuchte es mit einem Zitat von Yeats, dass Frauen für die Schönheit hart arbeiten müssten, aber Reynolds – einst leidenschaftlicher Yeats-Fan – ist inzwischen der Meinung, Yeats könne denken, was er wolle, das war damals und damals dachte man eben anders, und außerdem sei Yeats schon lange tot.

Reynolds schiebt Gavin ein Kissen in den Nacken und eins in seinen Rücken. Mit diesem Kissenarrangement, behauptet sie, wirke er größer und somit eindrucksvoller. Sie zupft die karierte Decke, die sie partout seine Schläfchendecke nennen muss, über seinen Beinen und Füßen zurecht. »Mein kleiner Brummbär«, sagt sie. »Jetzt lächel doch mal!«

Sie hängt ihm neuerdings Namen an, je nachdem, wie sie seine Tageslaune oder momentane Laune interpretiert: Ihrer Meinung nach ist er launisch. Jede Laune wird personifiziert und bekommt einen Ehrentitel, also ist er der kleine...

Erscheint lt. Verlag 2.11.2016
Übersetzer Monika Baark
Sprache deutsch
Original-Titel Stone Mattress
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alice Munro • Arktisreise • Arthur Conan Doyle • Begierden • Charles-Bonnet-Syndrom • Eifersucht • fabulierfreudig • Fabulierlust • Gedichte • Heiratsschwindler • Laune der Natur • lusus naturae • Margaret Atwood • nachtseite • Pablo Neruda • Queen der kanadischen Literatur • Robert Louis Stevenson • Schwindler • Wiedergänger • Wunder der Natur
ISBN-10 3-8270-7907-1 / 3827079071
ISBN-13 978-3-8270-7907-7 / 9783827079077
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 401 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99