Was ich liebe - und was nicht (eBook)

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2016 | 1. Auflage
512 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-12523-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was ich liebe - und was nicht -  Hanns-Josef Ortheil
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Ein Buch über die Lebenskunst - und über die Kunst, sein Leben zu führen.
»Was ich liebe - und was nicht« ist ein Buch über die literarische Lebenskunst Hanns-Josef Ortheils: über seine Vorlieben beim Wohnen und Reisen, beim Essen und Trinken, beim Hören von Musik und dem Anschauen von Filmen. Und es ist zugleich weit mehr: ein Buch über die Kunst, ein Leben zu führen.

In seinem neuen Buch erzählt Hanns-Josef Ortheil von seinen Lebensthemen. Entlang zentraler Stichworte wie Wohnen, Reisen, Essen und Trinken, Film, Jahreszeiten oder Musik geht er den vielfältigen Facetten einer literarischen Lebenskunst auf den Grund, die so etwas wie die Basis für seine literarischen Werke bildet. In kurzen, erzählenden und essayistischen Texten werden diese Passionen nicht nur beschrieben, sondern auch nach ihrer Herkunft und vor allem danach befragt, was sich hinter ihnen verbirgt. Warum hasst Ortheil Frühstückbüffets, und warum hört er beim Schreiben ausschließlich Klaviermusik aus den Zeiten vor 1750? Wieso gefällt ihm eine so spröde TV-Sendung wie das »Alpenpanorama«, und warum wird er wohl nie nach Japan reisen, vielleicht aber einmal ein Buch über Japan schreiben?

»Was ich liebe - und was nicht« steht in der Tradition der klassischen Bekenntnisliteratur, der »Confessiones«. Es ist ein Buch, das - fast zeitgleich zum 65. Geburtstag des Autors im November 2016 - auf besonders intensive Lebensmomente zurückblickt, aber auch Pläne, Wünsche und Träume für die Zukunft entwirft.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Reisen

Autofahren 1

Ich fahre nicht gern mit dem Auto. Obwohl ich seit Jahrzehnten eines besitze, gehe ich vor jeder Fahrt mit leichtem Widerwillen darauf zu, während das Fahrzeug mit sturer Geduld auf mich wartet. Eigentlich will ich nicht einsteigen, nein, ich will mich nicht in einen unbequemen Autositz pressen und stundenlang in peinlicher Bewegungsstarre festhalten lassen.

Sitze ich dann doch, mache ich oft etwas verkehrt und tue so, als hätte ich vergessen, wie man überhaupt Auto fährt. Ich bin nicht der routinierte Autofahrer, der sich längst an alles gewöhnt hat, sondern der ewige Anfänger, der noch darüber nachdenken muss, wie er für die richtige Innentemperatur sorgt und die Lüftung perfekt einstellt. Dabei weiß ich doch genau, dass ich die Lüftung nie richtig werde einstellen können, denn alles, was mein Wagen an Technik und Komfort zu bieten hat, erschließt sich nur über Gebrauchsanweisungen der Hersteller. Diese dicken Bücher mit all ihrem penetranten Technikerempfehlungsdeutsch lese ich aber nicht. Die Technik sollte sich leicht erschließen. Sie will jedoch beachtet, bedient und laufend neu eingestellt werden. So etwas ist nicht nur lästig, sondern auch unverschämt. Schließlich sollte die Technik auf mich und meine Wünsche eingehen und sich daraufhin von selbst einstellen, anstatt von mir immer wieder neu mit hilflos herumtastenden Fingern bedient zu werden.

Fahre ich dann endlich los, erscheinen mir die nächsten Stunden, die ich wie ein Gefängnisinsasse in meinem Wagen verbringe, als reinste Zeitverschwendung. Alle Vergnügen, die ich sonst liebe, sind streng verboten. Ich kann weder etwas Gescheites essen noch trinken, ich kann weder lesen noch Klavier spielen, ich darf lediglich Musik hören oder eine der chic gewordenen Hörbuchkassetten einlegen, um der 13. Fortsetzung von Theodor Fontanes »Effi Briest« ergeben zu lauschen.

Immerhin, die Hörbuchkassetten sind eine gute Erfindung und für einen Autofahrer wie mich eine gewisse Wohltat. Allerdings verleiten sie dazu, das Autofahren nun vollends zu ignorieren und sich ausschließlich auf den gehörten Text zu konzentrieren. Meist wird mir viel zu spät klar, dass ich mich zwar im zehnten Kapitel von »Effi Briest«, gleichzeitig aber auch auf der Autobahn zwischen Darmstadt und Frankfurt und damit auf einem Autobahnstück befinde, auf dem ich mich gar nicht befinden sollte.

Vor lauter Zuhören und gedanklichem Mitgehen bin ich von meiner eigentlichen Route abgewichen und treibe nun auf Gegenden zu, auf die ich nicht zutreiben dürfte. In solchen Fällen hilft alles nichts, ich muss auf einen Parkplatz fahren, den Wagen einige Minuten zur Ruhe kommen lassen, »Effi Briest« sofort aus meinem Kopf wegblenden, um dann wieder (scheinbar gelassen) einzusteigen und (wie das Navigationsgerät empfiehlt) »wenn möglich bitte (zu) wenden«.

Hätte ich bloß früher auf dieses Gerät gehört, aber ich höre darauf nicht, wenn eine Hörbuchkassette läuft und erst recht nicht, wenn ich Musik höre, die mich begeistert. Eigentlich höre ich fast nie auf das Navigationsgerät, ich lasse es reden und Strecken empfehlen und verkünden, dass soeben eine neue Routenberechnung vorgenommen wurde – all das ist mir gleichgültig, denn ich empfinde eine gewisse Schadenfreude, wenn ich anders fahre, als das Gerät empfiehlt. Aus eigenem Antrieb, mit eigenem Willen, strikt gegen alle noch so tüchtigen Empfehlungen für eine »dynamische Route«!

Ich mag weder »dynamische« noch »sportliche« noch »effiziente« Routen, am liebsten würde ich stets auf den entlegensten, langsamsten fahren und natürlich am allerliebsten nicht auf Autobahnen, sondern auf Landstraßen ohne Mittellinie. Ganz im Abseits, im Nirgendwo zwischen Brumpfdorf und Rumpfdorf an Feldern und Wäldern entlang – das ist gerade noch erträglich, denn es lässt einem Zeit, auch auf die Umgebung zu achten. Ein Habicht auf einem Feldzaun! Die kleine Schar Kühe vor einem Unterstand! Wie sich die Wolkenmassen über den nahen Hügeln herumlungernd ausbreiten, als warteten sie auf den richtigen Zeitpunkt, endlich all das Wasser abzulassen, das sich gerade in ihnen staut! So etwas zu sehen und sich ihm zu widmen, macht seltsam ruhig und führt oft dazu, dass ich anhalte, aussteige und ein Stück spazieren gehe. Ist ein Gasthof in der Nähe? Oder wo gäbe es sonst etwas an guten, ländlichen Freuden?

Es kommt gar nicht so selten vor, dass ich wirklich einen Gasthof finde, der etwas Überraschendes, ländlich Fernes hat. Keine Anbindung an die neusten Gastromoden. Einfach Schwein, Rind, Kalb oder Lamm von der nächsten Weide geschlachtet und schlicht zubereitet! Und dazu die genau passenden Getränke, eisgekühltes Bier oder einen Grauburgunder vom Weinberg gerade hinter dem Haus! Sind keine freundlichen Einheimischen für ein Gespräch da, reichen notfalls auch ein paar Tageszeitungen aus dem ländlichen Umkreis. Ich sitze, esse, trinke und lese – wie schön vergehen doch solche Stunden, so schön, dass ich den Wagen vollends stehen lasse und mich danach erkundige, ob in dem entlegenen Gasthof noch ein Zimmer frei ist.

Meist ist eines frei. Wie gut! Wie entgegenkommend! Ich hole meinen kleinen Allerweltskoffer aus dem Auto und lasse dem Wagen wie einem müden Gaul seine nächtliche Ruhe, soll er doch weiter geduldig und apathisch dreinschauen und warten: ich kann ihm einfach nicht helfen – wir sind nicht füreinander gemacht.

Aufbruch

Ich: Wo ist die Brille?

B: Welche Brille?

Ich: Die Sonnenbrille, Du weißt schon.

B: Die steht Dir nicht, Du siehst furchtbar damit aus.

Ich: Wo ist sie? Ich sehe fast nichts.

B: So schlimm ist es doch gar nicht.

Ich: Schaust Du jetzt bitte mal im Handschuhfach nach.

B: Dass es dieses Wort überhaupt noch gibt.

Ich: Welches Wort?

B: Handschuhfach!

Ich: Schaust Du jetzt bitte mal nach? Die tief stehende Sonne blendet.

B: Tief stehende Sonne … auch so eine altertümliche Wendung.

Ich: Ich hätte jetzt gern mal meine Sonnenbrille …

B: Du siehst damit aus wie ein Zuhälter aus Köln-Mülheim …

Ich: Wieso denn das?

B: Als hättest Du was zu verbergen …

Ich: Was sollte ich schon verbergen …

B: Lassen wir das … (schaut im Handschuhfach nach) … Da ist sie nicht.

Ich: Aber da war sie immer …

B: Manchen steht sie … manchen aber kein bisschen.

Autofahren 2

Vielleicht hat meine Abneigung gegenüber dem Autofahren auch damit zu tun, dass ich als Kind nicht frühzeitig daran gewöhnt worden bin. Anders als die Eltern meiner Klassenkameraden besaßen meine Eltern nämlich sehr lange kein Auto, und als sie sich endlich eins anschafften, waren diesem Kauf lange Debatten darüber vorausgegangen, ob wir denn wirklich ein Auto brauchten. Viele Jahre sind wir nur mit der Bahn gefahren – was hatte nähergelegen, als genau das zu tun, arbeitete mein Vater doch als Vermessungsingenieur für dieses alte, stolze Unternehmen und konnte uns daher in den schönsten Abteilen mitbefördern.

Wir gingen sehr viel zu Fuß, fuhren nie Bus, sondern höchstens Straßenbahn und bewältigten längere Strecken ausschließlich im Zug. Kein einziges Auto konnte ich als Kind an der Marke erkennen, Lokomotiven dagegen erkannte ich auf den ersten Blick. Nie kam es uns seltsam vor, ausschließlich mit der Bahn zu fahren, vielmehr hielten wir das für »natürlich« oder »normal«, als wäre die Bahn ganz selbstverständlich für uns da, wie ein uraltes Fuhrunternehmen, das zur Familie gehörte.

Als wir uns schließlich doch ein Auto gekauft hatten, parkte dieses Auto oft tagelang vor der Haustür. Kürzere Strecken gingen wir weiter zu Fuß, etwas längere fuhren wir mit der Straßenbahn – und für noch längere Strecken taugte das Auto nicht, weil es (wie mein Vater sagte) »zu unbequem« sei. Wann also konnte das Auto überhaupt zum Einsatz kommen? Ausschließlich, um etwas schwerere Waren aus der Innenstadt in unsere Wohnung zu befördern! So wurde das Auto zu unserem Gepäckträger und hatte außerhalb dieser Dienste frei.

Erst nach langem Stillstehen kam es häufiger zum Einsatz, und das auch nur, weil ein Kollege meines Vaters behauptet hatte, ein Auto müsse »dann und wann auch gefahren oder bewegt werden«. Mein Vater glaubte solchen Behauptungen sofort. Im Grunde verstand er nicht viel von Autos, wohl aber von Lokomotiven – und natürlich war in seinen Augen das Lokomotivwissen ein weitaus interessanteres, anspruchsvolleres als das Autowissen. Lokomotiven fuhren nur aufgrund schwer zu verstehender, komplizierter Gesetze, Autos dagegen fuhren einfach von selbst, man musste nur etwas Gas geben!

Und so nahm mich mein Vater als seinen Beifahrer und Begleiter mit auf kleine Touren durch die nähere Umgebung. Diese Fahrten dauerten meist nicht mehr als eine Stunde und führten zu irgendeinem Aussichtspunkt in der Nähe von Köln, von dem aus man »die halbe Welt auf einen Blick« (Vater) überschauen konnte. Oft gingen wir in der Umgebung eines solchen Höhenpunkts noch etwas spazieren, um schließlich am Rand eines Waldes auf eine Bushaltestelle zu treffen und mit dem Bus wieder nach Köln zurückzufahren.

Dort fiel uns dann auf, dass wir unseren Wagen in der Nähe des Aussichtspunkts stehen gelassen hatten. Wir hatten ihn einfach vergessen, denn wir waren nicht daran gewöhnt, ihn im Auge oder in Erinnerung zu behalten. An einem der folgenden Tage mussten wir den irgendwo abgestellten Wagen zurückfahren, manchmal hatte er während seiner...

Erscheint lt. Verlag 24.10.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestsellerautor • Confessiones • Deutsche Gegenwartsliteratur • eBooks • Essen • Lebenskunst • Musik • Preisgekrönter Autor • Reisen • Tagebuch • Wohnen
ISBN-10 3-641-12523-5 / 3641125235
ISBN-13 978-3-641-12523-3 / 9783641125233
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