Der Mond und die Feuer -  Cesare Pavese

Der Mond und die Feuer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
216 Seiten
Rotpunktverlag
978-3-85869-723-3 (ISBN)
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Der Roman führt ins Piemont, Ende der Vierzigerjahre. Der Erzähler, gut zwanzig Jahre zuvor aufgebrochen, sein Glück in Amerika zu machen, kehrt in sein Dorf zurück. Die Landschaft der Kindheit liegt vor ihm, die Rebhügel, der Fluss mit dem abschüssigen Ufer, die Eisenbahnlinie. Hier ist er, als angenommenes Kind, in einer Kleinbauernfamilie aufgewachsen, hier geschah die Entdeckung der Welt. Aber viel ist seither passiert. Von Nuto, seinem einzigen verbliebenen Freund, erfährt er, wie der Faschismus das Dorf gespalten hat, dass der Kampf auf der Seite der Partisanen den Weggefährten das Leben gekostet hat und nicht Freudenfeuer, sondern Feuer der Wut und Verzweiflung auf den Höhen entfacht wurden. In Der Mond und die Feuer, Paveses letztem Roman, leuchtet mit der mythischen Hügellandschaft der Langhe auch die Schönheit des Erzählens auf. Urbilder menschlicher Erfahrung - der Baum, das Haus, die Reben, der Abend, das Brot, die Frucht - erzeugen eine magische Melancholie. Virtuos verdichtet verhandelt Pavese große, auch in unserem Jahrhundert relevante Themen der Weltliteratur: Auswanderung und Rückkehr, Verwurzelung und Entwurzelung, Widerstand.

Cesare Pavese, 1908 geboren, wuchs in Santo Stefano Belbo, Piemont, und in Turin auf. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Philologiestudium Übersetzung von englischer und amerikanischer Literatur. 1935 Verbannung nach Kalabrien. 1938 Eintritt in das Verlagshaus Einaudi, Turin; 1943 Übernahme der Leitung des Büros in Rom. Pavese gilt als wichtiger Vertreter des Neorealismo. 1950 erhielt er den Premio Strega. Im August desselben Jahres, auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs, nahm er sich in einem Turiner Hotelzimmer das Leben.

Cesare Pavese, 1908 geboren, wuchs in Santo Stefano Belbo, Piemont, und in Turin auf. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Philologiestudium Übersetzung von englischer und amerikanischer Literatur. 1935 Verbannung nach Kalabrien. 1938 Eintritt in das Verlagshaus Einaudi, Turin; 1943 Übernahme der Leitung des Büros in Rom. Pavese gilt als wichtiger Vertreter des Neorealismo. 1950 erhielt er den Premio Strega. Im August desselben Jahres, auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs, nahm er sich in einem Turiner Hotelzimmer das Leben.

II.


Diesen Sommer bin ich im Albergo dell’Angelo am Dorfplatz abgestiegen, wo mich keiner mehr kannte, so groß und dick wie ich bin. Auch ich kannte im Dorf niemanden; zu meiner Zeit kam man selten her, man lebte auf der Straße, an den Ufern, auf den Tennen. Das Dorf liegt weit oben im Tal, das Wasser des Belbo fließt an der Kirche vorbei und braucht eine halbe Stunde, bis sich der Fluss unter meinen Hügeln verbreitert.

Ich war hergekommen, um mich vierzehn Tage auszuruhen, und nun ist gerade Mariä Himmelfahrt. Umso besser, in dem Kommen und Gehen der Leute von auswärts, dem Durcheinander und dem Radau auf der Piazza wäre selbst ein Neger nicht aufgefallen. Ich habe Rufen, Singen, Fußballspielen gehört; mit einbrechender Dunkelheit Feuer und Böller; die Leute tranken, lachten hemmungslos, gingen in der Prozession mit; drei Nächte lang wurde die ganze Nacht auf der Piazza getanzt, und man hörte die Drehorgeln, die Hörner, das Knallen der Luftgewehre. Die gleichen Geräusche, der gleiche Wein, die gleichen Gesichter wie damals. Die Buben, die den Leuten zwischen den Beinen herumliefen, waren die gleichen; die großen Halstücher, die Ochsengespanne, der Geruch, der Schweiß, die Strümpfe der Frauen an den gebräunten Beinen, alles war wie eh und je. Auch die Fröhlichkeit, die Tragödien, die Versprechen am Ufer des Belbo. Neu war, dass ich mich damals, das bisschen Geld meines ersten Lohns in der Hand, Hals über Kopf in den Trubel gestürzt hatte, am Schießstand, auf der Schaukel, wir hatten die kleinen Mädchen mit Zöpfen zum Weinen gebracht, und noch wusste niemand von uns, warum Männer und Frauen, Burschen mit Pomade im Haar und prächtige Mädchen, sich trafen, sich ineinander vernarrten, sich anlachten und miteinander tanzten. Neu war, dass ich es jetzt wusste, und dass jene Zeit vorbei war. Ich war aus dem Tal weggegangen, als ich gerade anfing, es zu wissen. Nuto, der geblieben war, Nuto, der Schreiner vom Salto, mein Komplize bei den ersten Fluchten nach Canelli, hatte dann zehn Jahre lang auf allen Festen, bei allen Tanzveranstaltungen im Tal Klarinette gespielt. Für ihn war die Welt zehn Jahre lang ein ununterbrochenes Fest gewesen, er kannte alle Trinker, alle Gaukler, alle Fröhlichkeit der Dörfer.

Seit einem Jahr besuche ich ihn jedes Mal, wenn ich auf einen Sprung herkomme. Sein Haus liegt auf halber Höhe am Salto, geht auf die freie Landstraße hinaus; es riecht nach frischem Holz, nach Blumen und Hobelspänen, in den ersten Zeiten auf der Mora schien es mir, der ich von einem Gehöft und einer Tenne kam, eine andere Welt zu sein: Es war der Geruch der Straße, der Musikanten, der Villen von Canelli, wo ich noch nie gewesen war.

Jetzt ist Nuto verheiratet, ein gestandener Mann, er arbeitet und gibt anderen Arbeit, sein Haus ist immer noch dasselbe und duftet in der Sonne nach Geranien und Oleander, die in Töpfen am Fenster und an der Vorderseite stehen. Die Klarinette hängt am Schrank; man geht auf Hobelspänen; sie kippen sie körbeweise ans Ufer unterhalb des Salto – ein Ufer voller Akazien, Farne und Holunder, das im Sommer stets trocken ist.

Nuto hat mir gesagt, dass er sich entscheiden musste – entweder Schreiner oder Musiker –, und so hat er nach zehn Jahren voller Feste beim Tod seines Vaters die Klarinette an den Nagel gehängt. Als ich ihm erzählte, wo ich gewesen war, sagte er, von Leuten aus Genua habe er schon etwas davon erfahren, und im Dorf heiße es mittlerweile, vor meiner Abreise hätte ich unter dem Brückenpfeiler einen Topf voll Gold gefunden. Wir scherzten. »Vielleicht«, sagte ich, »kommt jetzt auch noch heraus, wer mein Vater war.«

»Dein Vater«, sagte er, »bist du selbst.«

»Das Schöne an Amerika«, sagte ich, »ist, dass dort eigentlich keiner weiß, wo er hingehört.

»Auch das«, erwiderte Nuto, »muss anders werden. Warum soll es Leute geben, die weder einen Namen noch ein Haus haben? Sind wir nicht alle Menschen?«

»Lass die Dinge, wie sie sind. Ich habe es geschafft, auch ohne Namen.«

»Du hast es geschafft«, sagte Nuto, »und niemand wagt es mehr, dich darauf anzusprechen. Aber was ist mit denen, die es nicht geschafft haben? Du weißt nicht, wie viele kümmerliche Existenzen es noch auf diesen Hügeln gibt. Als ich mit der Musik umherzog, sah man überall vor den Küchen den Trottel, den Schwachsinnigen, den Landstreicher sitzen. Kinder von Trunkenbolden und unwissenden Mägden, dazu verurteilt, von Kohlstrünken und Brotkanten zu leben. Es gab auch Leute, die ihre Scherze mit ihnen trieben. Du hast es geschafft«, sagte Nuto, »weil du ein, wenn auch bescheidenes Zuhause gefunden hast; beim Padrino bekamst du wenig zu essen, aber gegessen hast du. Man darf nicht sagen, die anderen sollen es selber schaffen, man muss ihnen helfen.«

Ich unterhalte mich gern mit Nuto; jetzt sind wir Männer und kennen uns gut; aber damals, zu den Zeiten der Mora, der Arbeit auf dem Bauernhof, konnte er, der drei Jahre älter ist als ich, schon pfeifen und Gitarre spielen, er war beliebt und man hörte auf ihn, er redete vernünftig mit den Großen und mit uns Buben, zwinkerte den Frauen zu. Schon damals lief ich ihm hinterher, und manchmal rannte ich vom Feld davon, um am Ufer oder im Belbo Jagd auf Vogelnester mit ihm zu machen. Er sagte mir, was ich tun musste, um auf der Mora respektiert zu werden; am Abend kam er dann auf den Hof, um mit uns zusammenzusitzen.

Und jetzt erzählte er mir von seinem Leben als Musikant. Die Dörfer, wo er gewesen war, umgaben uns, tagsüber hell und waldig unter der Sonne, nachts Sternennester am schwarzen Himmel. Am Samstagabend probte Nuto mit den Mitgliedern der Kapelle unter einem Schutzdach am Bahnhof, und anschließend begaben sie sich leichtfüßig und rasch aufs Fest; dann schlossen sie zwei, drei Tage lang weder Mund noch Augen – nach der Klarinette kam das Glas, nach dem Glas die Gabel, dann wieder die Klarinette, das Horn, die Trompete, dann wurde wieder gegessen, dann wieder getrunken, dann das Solo, danach der Nachmittagsimbiss, das große Abendessen, der Tanz bis zum Morgen. Es gab Feste, Prozessionen, Hochzeiten; oft spielten konkurrierende Kapellen um die Wette. Am Morgen des zweiten, des dritten Tages stiegen sie benommen vom Podium herunter, es war ein Genuss, das Gesicht in einen Eimer Wasser zu tauchen und sich, wenn möglich, auf den Wiesen zwischen Fuhrwerken, Karren und dem Mist von Pferden und Ochsen ins Gras zu werfen. »Wer bezahlte?«, fragte ich. Die Gemeinden, die Familien, die Aufsteiger, einfach alle. Und beim Essen, sagte er, waren immer dieselben da.

Was sie aßen, wollte ich hören. Dabei fielen mir die großen Essen ein, von denen man auf der Mora erzählte, Festessen in anderen Dörfern und in anderen Zeiten. Aber die Gerichte waren immer die gleichen, und während ich zuhörte, schien mir, als käme ich wieder in die Küche auf der Mora, als sähe ich die Frauen wieder reiben, kneten, Füllungen zubereiten, Deckel abnehmen und das Feuer schüren, und ich schmeckte die Speisen im Mund und hörte das zerbrochene Reisig knacken.

»Es war deine Leidenschaft«, sagte ich zu ihm. »Warum hast du aufgehört? Weil dein Vater gestorben ist?«

Und Nuto sagte, erstens bringe Spielen wenig ein, und außerdem all die Verschwendung und nie zu wissen, wer bezahlt, das widert einen am Ende an. »Und dann kam der Krieg«, sagte er. »Die Mädchen juckte es vielleicht noch in den Beinen, aber wer hätte mit ihnen tanzen sollen? In den Kriegsjahren amüsierten die Leute sich anders.«

»Doch die Musik gefällt mir«, fuhr Nuto nachdenklich fort, »das Problem ist nur, dass sie ein schlechter Herr ist … Sie wird zum Laster, deshalb muss man aufhören. Mein Vater sagte immer, dann lieber das Laster mit den Frauen …«

»Tja«, sagte ich, »wie ist es dir mit den Frauen ergangen? Früher gefielen sie dir. Beim Tanz kommen sie ja alle vorbei.«

Nuto hat diese Art, wenn er lacht, leise zu pfeifen, auch wenn er es ernst meint.

»Hast du dem Findelhaus in Alessandria nichts geliefert?«

»Ich hoffe nicht«, sagte er. »Auf einen wie dich kommen so viele arme Teufel.«

Dann sagte er mir, ihm sei von beiden die Musik lieber. Als Gruppe losziehen in den Nächten, in denen sie spät heimkehrten – manchmal kam das vor –, und spielen, spielen, er das Horn und die Mandoline, während sie im Dunkeln die Straße entlangwanderten, fern von den Häusern, fern von den Frauen und den Hunden, die zur Antwort wie verrückt bellten, einfach nur spielen. »Einer ein Ständchen zu bringen, war nie meine Sache«, sagte er. »Wenn ein Mädchen hübsch ist, will sie keine Musik. Sie will von den Freundinnen beneidet werden, sie sucht den Mann. Ich habe noch nie ein Mädchen getroffen, die begriffen hätte, was Spielen bedeutet …«

Nuto bemerkte, dass ich lachte, und sagte sofort: »Ich erzähle dir was....

Erscheint lt. Verlag 7.10.2016
Reihe/Serie Edition Blau
Übersetzer Maja Pflug
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auswanderung • Dorfleben • Heimkehr • Langhe • Piemont • Resistenza
ISBN-10 3-85869-723-0 / 3858697230
ISBN-13 978-3-85869-723-3 / 9783858697233
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