Himbeeren mit Sahne im Ritz (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-18203-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Himbeeren mit Sahne im Ritz -  Zelda Fitzgerald
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Unkonventionell, klug und witzig - der Sensationsfund aus der Feder der Stilikone.
Kaum jemand verkörpert den Zeitgeist der Roaring Twenties so wie Zelda Fitzgerald. Sie war der Prototyp des »Flappers«: frech, abenteuerlustig, extravagant. Ihre Erzählungen entführen uns in das glamouröse, schillernde Bühnenuniversum der Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen und erwecken das Gefühl dieser Ära zum Leben. Die Lichter des Broadway, Schrankkoffer voll Tüllkleider, Orchideen in onduliertem Haar: Diese hinreißend sinnlichen Erzählungen handeln von der hohen Kunst, sich selbst zu inszenieren - und von dem Preis, den man dafür zahlt.

Zelda Fitzgerald, geb. Sayre, wird im Jahr 1900 in Montgomery geboren. Sie macht eine Ballettausbildung und zieht nach der Heirat mit Francis Scott Fitzgerald 1920 nach Frankreich. Am 26. Oktober 1921 bringt sie ihr einziges Kind zur Welt, die Tochter Frances Scott ('Scottie'). Zelda Fitzgerald veröffentlicht in der 'Chicago Sunday Tribune' einige Kurzgeschichten, die allerding unter dem Namen ihres Mannes erscheinen. Sie setzt ihre mit achtzehn abgebrochene Ballettausbildung fort, parallel dazu nimmt sie Kunstunterricht. Seit 1930 Schizophrenie diagnostiziert wird, lebt sie in einer Nervenklinik, wo sie 1948 bei einem Brand ums Leben kommt.

DIE ERSTE REVUETÄNZERIN

Das Auffälligste an Gay war ihre Art; man hatte fast den Eindruck, sie spiele sich selbst. Ihre Kleider und ihre Juwelen waren von ausgezeichneter Qualität, schmückten sie jedoch nur oberflächlich wie Lametta und Kugeln einen Weihnachtsbaum. Das kam daher, dass sie selbst von unheimlich guter Qualität war und nichts zu verbergen hatte als ihre Vergangenheit. Sie hatte fraglos die beste Figur von ganz New York, andernfalls hätte sie niemals so viel Geld damit verdienen können, auf einer Bühne herumzustehen und zwei Metern grünem Tüll den Anschein von Bedeutsamkeit zu verleihen. Ihr Haar war von diesem gewissen Blond, das keine Farbe im eigentlichen Sinne ist, sondern ein Spiegel für das Licht, deswegen sparte sie sich oft die Mühe, es in Wellen legen oder sonst wie «machen» zu lassen.

Als ich sie zum ersten Mal sah, saß sie im Japanischen Garten des «Ritz» und aß Himbeeren mit Sahne. Der kühle Klang von Brunnengeplätscher und Armreifenklirren hing in der Luft, eine dunstige Hochsommerstille dämpfte alle Gespräche. Ich merkte gleich, wie gut sie hierher passte, sie war so leicht und luftig, als hätte sie schon vor langer Zeit erkannt, dass sie dekorativ und unterhaltsam war und nicht auf der Welt, um Wesentliches zum Wohl der Allgemeinheit beizutragen.

Ihre weit auseinanderstehenden Augen waren klein. Alles an ihr war klein, dabei wirkte sie kein bisschen zu knapp geraten oder so, als hätte man an ihr gespart; vielmehr sah sie aus wie auf Hochglanz poliert. Sie war ziemlich groß, und alles an ihr fügte sich mit entzückender Passgenauigkeit zusammen, wie die Kerne eines Granatapfels. Vermutlich war es diese Ähnlichkeit mit einem objet d’art, die ihr so viele Verehrer aus der besseren Gesellschaft bescherte.

Sie besaß jedoch noch andere Eigenschaften, die ihr, wie man ahnte, früher oder später zum Nachteil gereichen würden: Sie hatte eine Schwäche für intellektuelle Männer, obwohl sie, da bin ich mir sicher, kein Buch je bis zu Ende gelesen hatte und Bier jedem anderen Getränk vorzog; sie liebte Kneipen, lernte Französisch und konnte sich schlecht zwischen Theosophie und Katholizismus entscheiden.

In der Klatschpresse tauchte sie niemals auf. Die Männer, die sie umwarben, waren sehr vornehm, und so hatte sie früh gelernt, wie sehr es auf Diskretion ankam, auch sich selbst zuliebe. Im Schutz der Diskretion ließ es sich umso freier leben – ein sehr aristokratischer Standpunkt.

Außerdem war sie, eine zurückhaltende, aber fraglos abenteuerlustige Frau, finanziell abgesichert, was sie vor jener Hysterie bewahrte, in die ihre Kolleginnen regelmäßig verfielen. Natürlich hatte es nicht immer zum Leben gereicht, doch zu Beginn ihrer Karriere, als die Produzenten noch nicht gemerkt hatten, dass sie die Tänzerinnen neben sich aussehen ließ wie Mortadellawürste, hatte es einen weitsichtigen Ehemann gegeben, der ihr bis an ihr Lebensende jährlich fünftausend Dollar zahlen musste. Kein Zweifel, sie war in der Lage, auf dem Blumenpfad der Lust2 zu wandeln.

In den ersten Jahren war sie kurz davor gewesen, ihren Ruf zu ruinieren. Sie hatte sämtliche in der Sonntagsbeilage aufgeführten Partys besucht, und die Pressefotos waren so spektakulär, dass ihre rätselhafte Bekanntheit ins Ordinäre umzuschlagen drohte. Doch sie lernte, Cocktails mit Absinth zu mögen und die Bühnenkarriere wirklich zu wollen, was sie die Nähe erfolgreicher Menschen suchen ließ und sie vor dem nicht seltenen Schicksal der ins Lotterleben abgerutschten Geschiedenen bewahrte.

Sie war sehr kaleidoskopisch. Manchmal saß sie nur da, trank Unmengen und verfiel gegen Ende des Abends in einen britischen Akzent; bei anderen Gelegenheiten rührte sie keinen Alkohol an, aß einen Teller Spargel mit Sauce hollandaise nach dem anderen und schwor, ins Kloster zu gehen. Einmal, als es ihr besonders ernst war damit, den Schleier zu nehmen, fragte ich sie nach dem Grund, und sie antwortete: «Weil ich das noch nie ausprobiert habe.»

Damals lebte sie in einer Wohnung mit silbernen Tapeten, rostrotem Teppich und jeder Menge bauschigem Taft in Delfter Blau; kein Wunder, dass sie sich zwischen ihrem Louis-XVI-Teeservice, dem Flügel, der riesigen Silbervase – in die unbedingt Zimmercallas gehörten – und dem weißen Bärenfell zu Tode langweilte.

Gay versank im alles verschlingenden Pastell der Einrichtung. Ihr war klar, dass sie die Wohnung nicht mochte, aber aus Eitelkeit blieb sie eine ganze Weile dort – es war zu schön, Freunde in ein Zuhause einzuladen, das offensichtlich so viel Geld gekostet hatte.

In der Eingangshalle verbarg sich ganz bescheiden das einzige französische Telefon3 von New York. Der Aufzug war selbst zu bedienen, was in Gays Kreisen als sehr recherché4 galt und von vornehmer Verachtung für amerikanisches Kommerzdenken zeugte. In der sorgsam verblassten Pracht ihrer Wohnung verbrachte sie wahrscheinlich Ewigkeiten mit Warten, obwohl sie einen Terminkalender führte und sich, wenn man sie zum Tee einlud, auf die Suche nach einer Lücke am Mittwoch oder Sonntag machen musste. Auf dem marmornen Kaminsims lag ein lila Adressbüchlein, übervoll mit Telefonnummern und Vorwahlen von Neapel bis Nantucket. Sie kannte couturières und Exilanten, Millionäre und Friseurinnen, Restaurants in Rom und die Ferienvillen der Produzenten. Ihre Bemühungen um Struktur vermittelten ihr das Gefühl, ein geregeltes Leben zu führen. Wer einmal in dieses Büchlein eingetragen war, zählte fortan zu Gays Freunden, stand rein theoretisch für Bridge-Abende und Atlantiküberquerungen zur Verfügung und konnte bei unvorhergesehenen Notfällen angerufen werden, beispielsweise wenn zur Feier des 4. Juli in Timbuktu noch ein Teilnehmer fehlte.

Doch trotz der vielen Namen und Nummern lebte sie meistens allein, und um die schmerzliche Einsamkeit zu lindern, lebte sie an mehreren großartigen Orten gleichzeitig. Ein Jahr lang stand sie in London auf der Bühne, währenddessen leistete sie sich ein möbliertes Apartment in Paris und unzählige Reisen nach New York. Sie war immer in Eile und schwer zu fassen, was sie umso geheimnisvoller machte.

Gay en route – das bedeutete zahllose Hutschachteln, Berge von Taschentüchern, hektische, in einer fremden Sprache geführte Telefonate, Besuch von überraschten Freunden, die sie ewig nicht gesehen hatten und nichts von ihren Reiseplänen wussten, und immer auch von Zeitungsreportern; sie mochten Gay und dachten sich kleine, wichtig klingende Geschichten über sie aus. Über den Texten fand sich stets ein Foto von ihrem frisch frisierten Kopf, denn seinerzeit war es Mode, ganz bescheiden nur Köpfe abzubilden, und immer stand vor ihrem Namen ein «Miss».

In Paris lebte sie aus einem mit blauem Samt ausgeschlagenen Schrankkoffer. In einer Ecke des bankettsaalgroßen Badezimmers stand eine ungemütlich kalte Wanne, deren fein ziselierte Zerbrechlichkeit an verlorene französische Glanzzeiten erinnerte, und Gay schaffte es nicht einmal mit ihrer Sammlung aus Fläschchen und Zerstäubern und bunten Morgenmänteln, so etwas wie Gemütlichkeit zu verbreiten. Neben dem Bad lag das in Grau und Gold gehaltene Wohnzimmer, in dem sich eine Gruppe von Südamerikanern scheinbar dauerhaft eingerichtet hatte. Auf den Marmortischplatten drängten sich Champagnercocktails und Vasen mit riesigen purpurfarbenen Rosen, mit Blüten wie aus Papier und Stängeln so dick wie Pfeifenstiele.

Neben Gays Bett stand ein Foto ihrer Nichte; das kleine Mädchen hatte Gays weit auseinanderstehende Augen und wirkte im riesigen Rechteck des roten Lederrahmens ein wenig verloren.

Die Hotelsuite fand Gay weniger erdrückend als ihre New Yorker Silberzimmer, denn hier gehörte ihr nichts. Sie konnte Fettcreme in die Handtücher schmieren und sich die Schuhe auf der Badematte abtreten.

Zu der Zeit war sie krampfhaft bemüht, an etwas festzuhalten, was niemals klar umrissene Form angenommen hatte – die Vergangenheit. Sie sehnte sich nach etwas Greifbarem, sie wollte sich sagen: «Das ist wirklich passiert, das habe ich erlebt, es fällt in diese oder jene Kategorie, diese Erfahrung besteht in meiner Erinnerung fort.» Doch die Ereignisse, die zusammengenommen ihr Leben ergaben, ließen sich nicht miteinander in Verbindung bringen, und wenn sie ans Altern dachte, fühlte sie sich, als wäre sie eben erst geboren worden; aber nicht in eine Familie oder ein sicheres Zuhause hinein, in dem man sich hätte einrichten oder gegen das man hätte rebellieren können. Die Zusammenhanglosigkeit ihrer Tage machte es ihr unmöglich, von etwas wirklich überrascht zu sein oder den Dingen mit etwas anderem zu begegnen als maßloser Toleranz. Mit anderen Worten: Ihr Geist litt an Langeweile.

Auf dem mit blauem Samt ausgeschlagenen Schrankkoffer hatten sich bald so viele Hotelaufkleber angesammelt, dass er abgeschliffen und neu lackiert werden musste. Danach füllte Gay ihn abermals mit hauchfeinem, sonnenbrandrotem Crêpe Georgette im Wert von dreitausend Dollar und einer Statue, für die sie einmal bis nach Florenz gereist war, und machte sich auf den Weg nach Biarritz. Sie war mutig und beherzt; sobald sich in den Ecken ihres Lebens zu viele Waschzettel und Zigarettenkippen angesammelt hatten, brach sie zu neuen Orten auf. Begleitet wurde sie dabei von ständig wechselnden steif gestärkten Dienstmädchen, deren jeweils aktuelle Vertreterin Gay seit vielen Jahren zu beschäftigen vorgab.

Sie war der Meinung, dass man sich an seine Umgebung anpassen und das Alte wertschätzen sollte. Der zwanghafte Drang, Dinge...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2016
Nachwort Felicitas von Lovenberg
Übersetzer Eva Bonné
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Booktok • Broadway • eBooks • Flapper • F. Scott Fitzgerald • Glamour • Goldene Zwanziger • Klassiker für Anfänger • kleine geschenke für frauen • New York • Read in a day • Roaring Twenties • Scott F. Fitzgerald • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-641-18203-4 / 3641182034
ISBN-13 978-3-641-18203-8 / 9783641182038
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