Vater des Regens (eBook)

Roman

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
399 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-69806-4 (ISBN)
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Lily Kings subtiler und herzzerreißender Roman über die tragischunverrückbare Liebe einer Tochter zu ihrem manipulativen Vater zeigt, wie unentrinnbar Bindungen in der Familie sind.
Daley Amory erlebt als Elfjährige die Trennung ihrer Eltern und wie vor allem der charismatische, aber weltanschaulich in den 50er Jahren stecken gebliebene und selbstzerstörerische Vater seine alte Familie schnell durch eine neue ersetzt. Daley gelingt es, ein eigenes Leben, eine Liebesbeziehung aufzubauen, und bleibt doch auf eine gefährliche Weise auf ihren Vater fixiert, auf die Vorstellung, ihm helfen zu müssen. Mühsam muss sie sich aus dieser Verstrickung befreien.
Lily Kings dritter Roman mit seinen faszinierenden und aufwühlenden Charakteren zeigt das ganze psychologische und sprachliche Können der Autorin, die es den Lesern unmöglich macht, sich dem Sog dieser Geschichte zu entziehen.



<p>Lily King, geboren 1963, lebt mit ihrer Familie in Maine. Sie veröffentlichte die Romane "The Pleasing Hour", "The English Teacher" und "Father of the Rain" und erhielt u. a. den <i>New England</i> <i>Book Award for Fiction</i>, den <i>Whiting</i> <i>Writers' Award </i>und den <i>Maine</i> <i>Fiction Award</i>. Ihr vierter Roman "Euphoria" wurde mit dem neu geschaffenen <i>Kirkus</i> <i>Prize </i>ausgezeichnet und von der New York Times unter die fünf besten literarischen Bücher des Jahres 2014 gewählt. Die deutsche Übersetzung wurde zu einem Bestseller.<br> <br> Sabine Rothist seit 1991 als Übersetzerin tätig und zu den von ihr übersetzten Autoren gehören Jane Austen, Henry James, Agatha Christie, John Le Carré, V.S. Naipaul und Lemony Snicket.</p>

I


1


Mein Vater singt.

Hoch an Lake Cayugas Ufern stinkt es schauerlich.

Mancher sagt, das ist der See: das ist Cornell, sag ich!

Beim Autofahren singt er immer. Seine Stimme ist tief und verkratzt, vom Rauchen und weil er so oft so laut rumschreit. Sein großer, spitzer Adamsapfel hüpft auf und nieder und drückt sich weiß durch die braune Haut ab.

Er langt herüber zu dem Welpen auf meinem Schoß. «Na, du kleiner Racker? Na, du kleiner Strolch?», sagt er mit seiner Hundestimme, einer freudigen, hoffnungsvollen Stimme, die er nicht oft bei Menschen macht.

Der Hund war eine Überraschung für mich zum elften Geburtstag, der gestern war. Ich habe mir den hässlichsten im ganzen Laden ausgesucht. Mein Vater und der Verkäufer haben mir die reinrassigen Neufundländer hingehalten, lauter wuschlige schwarze Fellbündel, die sie eins nach dem anderen hochgehoben haben, um mich mit ihren breiten, dicken Köpfen an der Backe zu kitzeln. Aber ich bin nicht weich geworden. Bei so einem Hund wäre das Fortgehen nur noch viel schwerer. Ich habe sie weggeschoben und auf den struppigen Mischling für fünfundzwanzig Dollar gezeigt, der schon seit dem Winter in dem Käfig hinten im Eck saß.

Mein Vater hat den letzten Neufundländer zurück in seine Sägespäne gesetzt. «Sie hat Geburtstag», sagte er mit beleidigter Stimme wie ein kleiner Bruder, der selbst nicht Geburtstag hat.

Bis wir im Auto saßen, kam kein Wort mehr von ihm. Dann, bevor er den Motor anließ, hat er den Hund zum ersten Mal angefasst, ihm die Stummelohren fest an den Kopf gedrückt. «Mann, bist du hässlich. Richtig potthässlich bist du. Aber ganz ein Braver, hmm?»

«Von den Hallen Montezumas», schmettert er jetzt zu den Granitblöcken hinaus, die den Highway nach Hause begrenzen, «bis zur Küste Tripolis!»

Das Genesis-Projekt haben wir beide völlig vergessen. Der blaue Bus steht in unserer Einfahrt und versperrt meinem Vater den Weg zur Garage.

«Jesus, Maria und Josef», sagt er mit gespieltem Schluchzen und schlägt die Stirn ans Lenkrad. «Womit hab ich das verdient?» Er schielt zu mir herüber, um sicherzugehen, dass ich lache, dann wimmert er wieder: «Womit hab ich das bloß verdient?»

Wir hören sie, bevor wir sie sehen. Kreischen, Rumsen, Platschen, ein Mädchen quiekt in einer Tour «William! William!», es ist ein einziges Durcheinandergeplärre: «Schau her! Guck mal, was ich kann!»

«Ich sein dein neua Nachba!», sagt mein Vater zu mir mit Grunzstimme.

Ich trage den Welpen, und mein Vater folgt mit dem Hundekorb, den Näpfen und dem Futter. Mein Pool ist nicht wiederzuerkennen. Er ist voll kabbeliger Wellen, wie draußen auf dem Meer, mit Schaumkronen. Die Betonplatten am Rand, die normalerweise heiß und trocken sind und zischen, wenn man sich mit dem nassen Bauch drauflegt, schwimmen von dem ganzen Wasser, das über die Kante geschwappt ist.

Es ist mein Pool, weil ihn mein Vater für mich gebaut hat. An meinem fünften Geburtstag wollte er mit mir in unserem Club schwimmen gehen. Ich hatte meine Füße gerade auf die erste breite Stufe am flachen Ende gesetzt und sah auf die dicken blauen und roten Striche am Grund und das dunkle, tiefe Wasser dahinter, da rief der Bademeister von seinem Hochsitz, Kinder dürften erst in einer Viertelstunde ins Becken. Mein Vater, der schon zwanzig Jahre Mitglied war und bis heute sämtliche Tennisturniere organisiert und gewinnt, erklärte ihm, dass ich Geburtstag hätte.

Der Junge, Thomas Novak, schüttelte den Kopf. «Tut mir leid, Mr Amory», rief er herunter, «sie muss die Viertelstunde warten wie alle anderen auch.»

Mein Vater lachte sein Ich-glaub-ich-spinne-Lachen. «Aber es schwimmt doch keiner!»

«Tut mir leid. So sind die Vorschriften.»

«Weißt du was?», sagte mein Vater. Sein Hals hatte rote Flecken. «Dann bau ich mir eben meinen eigenen Pool!»

Den Nachmittag über hing er mit den Gelben Seiten und einem Block auf den Knien am Telefon, verhandelte mit Bauunternehmern, schrieb Zahlen auf. Als ich abends im Bett lag, drang seine Stimme aus dem Fernsehzimmer herauf. «Die Vorschriften, die Vorschriften!», hörte ich ihn mit Babystimme greinen; wenn dieser Novak-Bengel nicht den Job dort hätte, würden sie ihn im Club gar nicht reinlassen, erklärte er meiner Mutter mehrmals und äffte das «Hallöchen!» nach, mit dem Mrs Novak, die im Drugstore an der Kasse saß, die Leute begrüßte. In den Wochen danach wurden Bäume gefällt, ein Loch wurde gegraben, mit Zement ausgegossen, gestrichen und mit Wasser gefüllt. Daneben entstand ein Häuschen mit Umkleidekabinen, einem Technikraum und einem Klo. An die Klotür hängte mein Vater ein Schild: WIR SCHWIMMEN NICHT IN EUREM KLO – PINKELT IHR NICHT IN UNSEREN POOL!

Meine Mutter, die mit einem rosa Hänger und Sonnenbrille mit ihrem Freund Bob Wuzzy, dem Leiter des Genesis-Projekts, im Gras sitzt, macht mir Zeichen, dass ich herkommen soll. Aber ich halte den Welpen hoch und gehe weiter zum Haus. Ich bin wütend auf sie. Wegen ihr konnte ich keinen Neufundländer nehmen.

«Wuzzy, der Wutz», sagt mein Vater, als er seine Ladung auf der Küchentheke absetzt. «Der Wutzi-Fuzzi.» Er sieht durch das Fenster zum Pool hinaus. «Schau ihn dir an, diesen Fuzzi.»

Mein Vater hasst alle Freunde meiner Mutter.

Charlie, Ajax und Elsie wittern den neuen Hund sofort. Sie umkreisen uns mit peitschenden Schwänzen, und mein Vater scheucht sie ins Esszimmer und drückt die Tür zu. Dann eilt er mit komischen Stelzschritten durch die Küche und schließt auch die Tür zum Wohnzimmer, bevor die Hunde ganz herumgelaufen sind. Sie kratzen an der Tür und winseln, dann lassen sie sich davor auf den Boden plumpsen. Ich setze meinen Hund auf dem Linoleum nieder. Er kommt nicht gleich hoch und flüchtet dann pfeilschnell in die Ritze zwischen Kühlschrank und Wand. Es ist ein warmes Plätzchen. Früher, als ich mich noch hineinzwängen konnte, habe ich mich dort oft versteckt und Spion gespielt. Das Fell des Hündchens steht ab wie Stacheln, seine Haut schlackert, so sehr zittert es.

«Armer kleiner Kerl.» Mein Vater hockt sich vor den Kühlschrank, die langen Beine rechts und links hochgewinkelt wie Froschbeine, seine Knie spitz und knochig durch die Khakihose. «Ist ja gut, du kleiner Strolch. Ist ja gut.» Er dreht sich zu mir um. «Wie soll er heißen?»

Durch das zitternde Hündchen in dem Spalt bekommt das, was ich mit meiner Mutter abgemacht habe, eine ganz neue Realität. Adios, denke ich. Nenn ihn Adios.

Vor drei Tagen hat mir meine Mutter gesagt, dass sie für den Sommer zu meinen Großeltern nach New Hampshire zieht. Wir standen in unseren Nachthemden in ihrem Bad. Mein Vater war schon in die Arbeit gefahren. Ihr Gesicht war ganz glänzig von der Mondtau-Lotion, mit der sie sich jeden Morgen und Abend eincremt. «Ich möchte gern, dass du mitkommst», sagte sie.

«Und was ist mit meinem Segelkurs und dem Mal-Camp?» Ich bin für alle möglichen Sachen angemeldet, die nächste Woche anfangen sollen.

«Segeln kannst du dort auch lernen. Sie wohnen an einem See.»

«Aber nicht mit Mallory und Patrick.»

Sie biss sich auf die Lippen, und in ihren Augen, die braun und rund sind, kein bisschen wie Dads gelbgrüne Schlitze, glitzerten Tränen, also sagte ich Ja.

Mein Vater langt in den Spalt und hebt das Hündchen heraus. «Wir warten erst mal ab, was du für einer bist, und geben dir dann einen Namen, einverstanden?» Das Hündchen kuschelt sich in seine Halsbeuge, schnüffelnd und leckend, und mein Vater lacht sein hohes Kitzellachen, und ich wünschte, er wüsste alles, was passieren wird.

Ich stelle das Hundebett an die Tür und die Näpfe daneben. In einen schütte ich Wasser, den anderen lasse ich leer, weil mein Vater alle Hunde...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2016
Übersetzer Sabine Roth
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Hilfe • Konservativ • Liebe • Liebesbeziehung • loslösen • Manipulation • Roman • Selbstzerstörung • Tochter • Trennung • Vater
ISBN-10 3-406-69806-9 / 3406698069
ISBN-13 978-3-406-69806-4 / 9783406698064
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