Die Ärztin aus Quedlinburg (eBook)

eBook Download: EPUB
2002 | 1. Auflage
176 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-782-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Ärztin aus Quedlinburg -  Emmy Kraetke-Rumpf
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
'Die Bemühung, den Verstand zu schärfen, deutlich und gründlich zu denken, kann der Ausübung der häuslichen Verrichtungen nicht nachteilig sein, ja es ist eine studierende Frau desto geschickter, die Pflichten einer guten Hauswirtin und Ehegattin zu erfüllen, je gelehrter sie ist.' Wer ahnt heute noch den Sprengstoff, den diese Worte für die Zeit bedeuteten, in der sie geschrieben wurden? Doch ihre Verfasserin, Dorothea Christiane Erxleben, beließ es nicht bei Worten. Alles andere als ein verbiesterter Blaustrumpf, promovierte die hübsche Quedlinburgerin im Jahr 1754 als erste Frau in Deutschland zum Doktor. Die Ärztin, Mutter und Pfarrfrau lebte ihre dreifache Berufung bis zur letzten Konsequenz. Lassen Sie sich berühren vom kräftigen Farbenspiel eines Lebensbildes, das Licht und Schatten, Tragik und Triumphe einer Epoche größter Umwälzungen widerspiegelt.

Dieser letzte Satz war nicht etwa eine Redensart. Dorothea empfand ihn in seiner ganzen Tiefe und faltete unwillkürlich die Hände über der beendeten Arbeit.

„Mutter, Mutter, komm schnell!“ Die Angerufene schreckte auf und beugte sich weit aus dem Fenster.

„Was ist?“

„Onkel Christian ist da!“

Und da sah sie schon ihren Bruder heraufwinken. Sofort eilte sie nach unten.

Glückstrahlend lagen sich die Geschwister in den Armen.

Nach dem Abendbrot nahm Dorothea den Bruder mit nach oben. Sie wollte ihm gern ihre Doktorarbeit zeigen. Er las den Titel und wiegte gedankenvoll den Kopf.

„Von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deshalb öfter unsicheren Heilung der Kranken.“

„Darüber habe ich mir auch schon oft Gedanken gemacht, Dorothea, und ich bin zum Beispiel ein ausgesprochener Gegner der rasch wirkenden Abführmittel, hilft die Natur doch langsam durch heilsame Bewegung oder Mäßigung bei bestimmten Speisen dem Körper.“

Dorothea wies auf den Absatz ihrer Abhandlung hin, wo sie den gleichen Ideengang ausgeführt hatte.

„Und ebenso“, fuhr Christian fort, „denke ich über die Fieberbekämpfung. Unterdrückt man diesen Zustand des kranken Körpers zu früh, so kann das Leiden sogar schlimmer werden als zuvor.“

Dorothea nickte.

„Auch das habe ich hier erörtert und hoffe, mit diesen Gedanken vor den hohen Professoren in Halle bestehen zu können.“

„Darum ist mir nicht angst. Schon damals, als wir beide noch bei unserem Vater lernten, wusstest du meist mehr als ich, Dörte.“

„Aber bedenke, Christian, dass bei uns in Deutschland noch niemals eine Frau den medizinischen Doktorgrad errungen hat. Und ausgerechnet ich soll die Erste sein, die sich dem Urteil gelehrter Männer aussetzt. – O Christian, und wenn ich versage? Ist das dann nicht eine Schande für das ganze weibliche Geschlecht?“

„Mal dir doch so etwas nicht aus, Schwester! Übrigens ist der Dekan Junker, der seinerzeit auch mich geprüft hat, ein prachtvoller Mensch. Wie ich ihn kenne, wird er nicht wenig stolz darauf sein, als Erster eine derartige Promotion, von der die ganze Welt sprechen wird, in Halle durchführen zu können. Der liebenswürdige alte Professor bekommt es gar nicht fertig, ein weibliches Wesen schroff zu behandeln. Ich glaube, du wirst ihm gefallen, Dorothea!“

Lachend betrachtete Dr. Leporin seine zierliche Schwester von oben bis unten.

Sie aber drohte ihm errötend mit dem Finger.

„Du bist doch immer noch derselbe Schlingel wie damals. Komm jetzt, Johannes und die Kinder warten unten.“

* * *

In der letzten Woche vor der Prüfung kam eines Nachmittags Mutter Leporin mit Dorotheas Schwester ins Pfarrhaus, sie brachten noch die Schneider-Jette mit. Frau Anna war nämlich der Meinung, dass Dorothea nicht fein genug für eine so feierliche Gelegenheit gekleidet sei.

„Die Jungen brauchen nötiger neue Hosen als ich ein Staatsgewand. Jettchen soll lieber für Magdalene bald ein schönes Brautkleid nähen, statt mich jetzt aufzutakeln.“

Mutter Leporin machte Einwendungen, aber Dorothea ließ sich nicht beirren.

„Die Professoren wollen doch nicht wissen, was meine Schneiderin kann, sondern ob ich ihre Fragen zu beantworten verstehe.

Es ist selbstverständlich, dass ich so würdig und so ordentlich wie nur möglich in Halle antreten werde, aber dazu brauche ich eure Modejournale nicht.“

Heiter legte Dorothea einen Arm um die Mutter, den anderen um die Schwester und führte sie zu ihrem Kleiderschrank. Sie öffnete und wies auf ein braunes Marinokleid mit hellblauen Paspeln.

„Das will ich auf der Reise tragen.“

Maria Elisabeth Kramer lobte den guten Stoff und den Faltenwurf, meinte dann aber: „Ein bisschen zu jugendlich, diese hellblaue Verzierung, du bist doch immerhin neununddreißig Jahre alt.“

Dorothea überhörte die spitze Bemerkung und nahm das schwarze Seidenkleid aus dem Schrank.

„Die echten Spitzen hier am Ausschnitt hat mir die Frau Äbtissin geschenkt, als ich im Winter ihr krankes Bein behandelte. Sind sie nicht schön?“

Statt zu antworten, fragte die Krämerin: „Hast du noch ein Stück davon übrig? Ich könnte es gerade gebrauchen.“

Dorothea verneinte und schloss die Kleider wieder weg.

Unverrichteter Sache verließen die drei Frauen bald darauf die Pfarrei.

Frau Erxleben atmete auf, als sie gingen.

* * *

Strahlender Sonnenschein weckte Dorothea am Morgen des 4. Mai. Sie rieb sich die Augen.

Heute sollte sie also zum ersten Mal ihre Vaterstadt verlassen!

Als sie sich im Bett hochsetzte, wachte auch Johannes auf. Bewegt nahm er sie in seine Arme.

„Komm mir glücklich wieder, Liebste!“

Das Frühstück verlief ungewöhnlich still. Die Kleinen sahen mit erstaunten Augen auf die Mutter und verstanden ihren Ernst nicht, während die Großen kaum wussten, was sie der Scheidenden zuliebe tun sollten.

Langsam nur tropfte das Gespräch.

Da tönte von der „Goldenen Sonne“ her das Posthorn.

Dorothea erhob sich schnell und umarmte jedes Kind, auch an Hänschens Bett trat sie noch einmal und beugte sich über das schlafende Bübchen.

Johannes Erxleben hieß alle zu Hause bleiben und ging mit der Reisetasche etwas vor.

„Also recht brav sein und dem Vater Freude machen! Bald bin ich ja wieder daheim!“

Dorothea wandte sich in der Haustür noch einmal um und sah, wie Lore und Hanna weinend ihre Schürzenzipfel an die Augen führten.

Am liebsten hätte sie die beiden erst mal getröstet, aber der Pfarrer mahnte zur Eile.

Schon zum zweiten Mal blies der Postillion.

Wenige Fahrgäste saßen in der Postkutsche, als Dorothea einstieg.

„Nur gut, dass Fritz in Halle ist, sonst wäre mir doch etwas angst vor der fremden Stadt.“

Sehr fest drückte der Pfarrer die Hand seiner Frau und setzte sich auf den freien Platz ihr gegenüber.

„Meine Gedanken und meine Gebete gehen mit dir, Liebste. Gott schütze dich!“

Die Kehle war Dorothea wie zugeschnürt, mühsam kam es über ihre Lippen: „Leb wohl, Johannes, bleibt gesund, du und die Kinder!“

Noch einmal zog der Pfarrer seine Frau an sich, dann stieg er aus.

Der Postillion schloss den Schlag, die Pferde zogen an, und mit Trari, Trara ging es über den Steinweg dem Öringer Tor zu.

Aus einem Fenster des Leporinschen Hauses flatterte ein weißes Tuch. War die Mutter also doch so früh aufgestanden?

Es wurde Dorothea ganz warm ums Herz.

Wie viel Liebe ließ sie hinter sich!

Und was mochte in der fremden Stadt auf sie warten!

* * *

Fritz Erxleben, Student der Theologie in Halle, hatte den Postmeister bereits mehrere Male gefragt, wann die Kutsche aus Quedlinburg da sein könnte, ohne eine befriedigende Antwort zu bekommen.

„Machen Sie sich keine Sorge, junger Mann, wir haben hier öfter Verspätung. Der Schatz wird schon bis heute Abend da sein.“

Fritz Erxleben nickte lachend und nahm seine Wanderung um den Marktplatz wieder auf. Er wollte, nachdem er eine halbe Stunde rechts und dann wieder ebenso lange links herumgeschlendert war, gerade in eine Seitenstraße einbiegen, als er das Horn des Postkutschers hörte.

Schnell machte er kehrt und kam noch zur Ankunft des Wagens zurecht.

Der Postmeister stand im Torbogen und beobachtete neugierig, wen der Student wohl in Empfang nehmen würde. Also doch etwas Weibliches, dachte er und sah zu, wie der junge Mann einer Dame heraushalf und sie herzlich umarmte. „Nur zu alt, viel zu alt“, wandte er sich an den herzutretenden Postillion, der die beiden auch mit den Blicken verfolgte.

„Was geht das uns an“, meinte dieser, „das muss der Junge selber wissen.“

Unterwegs erzählte Fritz, nachdem er die Grüße vom Vater und den Geschwistern entgegengenommen hatte, von seiner Behausung, die die Mutter nun einige Tage mit ihm teilen sollte.

„Damit du dich nicht wunderst, Madame Groot, meine Wirtin, ist die Tochter eines türkischen Arztes und hat eine höchst eigenartige Geschichte, die sie dir sicher noch ausführlich erzählen wird.“

„Also auch eine Arzttochter wie ich, da werden wir sicher gut zueinander finden.“

„Das denke ich auch, Mutter, zumal sie große Kenntnisse in der Heilkunde hat. Auch habe ich sie öfter mit gelehrten Leuten ausgezeichnet lateinisch sprechen hören. Nur ihr Aussehen wird dich in Erstaunen setzen. Du wirst wie eine Zwergin neben ihr wirken, so groß und stark ist sie. Auf den ersten Blick sieht man ihr das Fremdländische an: die Gesichtsfarbe ist braun, das dunkle Haar gelockt. Nie trägt sie es in einer richtigen Frisur, sondern lässt es, kurzgeschnitten, ungebunden hängen.

An ihrem Anzug merkst du gleich, dass es eine Türkin ist, wenn sie auch keinen Schleier trägt.“

„Du machst mich ordentlich neugierig auf die Frau, Fritz. Wie hält sie es denn mit ihren Kuren?“

„Wie ich beobachtet habe, kommen sehr viele Leute zu ihr; vor allen Dingen kauft man ihre Arzneien, die sie selbst präpariert und in einem kleinen Laden, den sie den Türkenladen nennen, verkauft.

...

Erscheint lt. Verlag 1.1.2002
Sprache deutsch
Gewicht 175 g
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biografie • erste Ärztin • Quedlinburg
ISBN-10 3-86827-782-X / 386827782X
ISBN-13 978-3-86827-782-1 / 9783868277821
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 798 KB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99