Spiel der Hoffnung (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
512 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43612-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spiel der Hoffnung -  Heidi Rehn
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1927 scheint die ganze Welt von einem Taumel ergriffen. Zwischen Berlin und München, Monte Carlo und Paris herrscht ausgelassene Aufbruchstimmung. Niemand ahnt, wie nah am Abgrund man sich in Wahrheit befindet. In vollen Zügen genießt Ella ihr junges Eheglück mit dem gutsituierten Unternehmersohn Jobst. Ihre gemeinsamen Reisen führen sie nach Montreux und Paris sowie an die italienische und französische Riviera, in mondäne Casinos und Varietés. Einzig Jobsts rätselhafte Geschäftstermine, zu denen er immer mal wieder verschwindet, manchmal gleich für mehrere Tage, behagen Ella gar nicht. Doch verbirgt ihr Mann wirklich etwas vor ihr - oder entspringt ihr Misstrauen nur ihrem eigenen schlechten Gewissen, weil sie selbst mehr als ein Geheimnis hütet?

Heidi Rehn, Jahrgang 1966, wuchs im Mittelrheintal auf und kam zum Studium der Germanistik und Geschichte nach München. Seit vielen Jahren widmet sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 2014 erhielt sie den 'Goldenen Homer' für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Als 'Kopfkino live' bietet sie sehr erfolgreich Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der realen Historie verbunden wird. Aktuelle Infos dazu auf www.heidi-rehn.de

Heidi Rehn, Jahrgang 1966, wuchs im Mittelrheintal auf und kam zum Studium der Germanistik und Geschichte nach München. Seit vielen Jahren widmet sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 2014 erhielt sie den "Goldenen Homer" für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Als "Kopfkino live" bietet sie sehr erfolgreich Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der realen Historie verbunden wird. Aktuelle Infos dazu auf www.heidi-rehn.de

Prolog


November 1926

Die Adresse stimmte noch. Ella betrachtete das als gutes Omen und war froh, die Reise nach München unternommen zu haben. Die Haushälterin des Professors empfing sie zwar alles andere als herzlich, das aber störte sie nicht. Ihn wollte sie kennenlernen, nicht sein Personal. Und natürlich herausfinden, wieso sich im spärlichen Nachlass ihrer über alles geliebten Mutter Hannah ein vergilbter Zettel mit seinem Namen sowie der Bitte befunden hatte, ihn unbedingt über ihr Ableben zu informieren. Freundlich lächelnd trat sie an der hageren, groß gewachsenen Haushälterin vorbei in den Salon und schaute sich um.

So also sah das Heim eines alten, vermutlich seit langem alleinstehenden Professors aus. Kurz nur wunderte sie sich, wieso sie gleich davon überzeugt war, er wäre alt und lebte allein. Musste ein Hochschulprofessor dank seines ehrwürdigen Titels nicht alt, zumindest grauhaarig und im fortgeschrittenen Alter sein? Das Verhalten der Haushälterin ließ obendrein erahnen, dass sie es nur widerstrebend ertrug, eine andere Frau in seine Nähe zu lassen. Also war er unverheiratet oder verwitwet. Ebenso zeugte der angestaubte Charme des Vorkriegsmobiliars aus dunkel gebeiztem Eichenholz eindeutig vom Fehlen einer Frau Professor Constantin Lutz, die sich bei der Einrichtung gewiss längst moderneren Zeiten verschrieben hätte.

Ella hatte zwar nur rudimentäre Erinnerungen an jene Epoche, als Röcke und Haare der Frauen noch lang und das Gehabe der Männer altväterlich-gesetzt gewesen waren, dennoch war sie sich sicher, im Salon des Professors reinste Kaiserzeit wie damals in ihrem lothringischen Elternhaus zu atmen.

Ella glaubte nicht an Zufälle. Constantin Lutz musste im Leben ihrer Eltern eine besondere Rolle gespielt haben, zumindest in dem ihrer Mutter. Warum sonst hatte sie seine Anschrift über all die Jahre wie einen kostbaren Schatz in der seit der Inflationszeit gähnend leeren Schmuckschatulle aufbewahrt? Schade, dass sie zeit ihres Lebens nie ein Wort über ihn verloren hatte. Ebenso konnte Ella sich nicht erinnern, den Namen je aus dem Mund ihres Vaters gehört zu haben. Überhaupt wusste sie wenig über die Vergangenheit ihrer Eltern vor ihrer Heirat im Frühjahr 1905, kannte auch keine Namen und Anschriften etwaiger Verwandter oder Freunde. Nie hatten ihre Eltern mit ihr über ihre Vergangenheit geredet, selten hatten sie Besuche abgestattet oder empfangen.

Seit dem Tod ihres Vaters im August 1918 hatte sie mit ihrer Mutter noch zurückgezogener gelebt, zuerst noch einige Wochen in ihrer Geburtsstadt Metz, nach Kriegsende dann in Berlin, von wo aus sie jetzt an die Isar gefahren war. Der unbekannte Name in der bescheidenen Hinterlassenschaft ihrer Mutter war ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen, dass es jenseits der trauten Zweisamkeit doch noch jemand anders im Leben ihrer Eltern gegeben haben musste. Dass noch Hoffnung bestand, sie wäre nach dem viel zu frühen Tod ihrer Eltern nicht völlig allein und der einzige Mensch ohne Familiengeschichte.

Verstohlen wischte sich Ella die feuchten Augenwinkel. Ihre Hände zitterten, als sie den Mantel auszog und sich über den linken Arm hängte. Bedächtig zupfte sie die feinen schwarzen Lederhandschuhe von den Fingern und nahm den Hut vom dunkelblonden Bubikopf. Das anthrazitfarbene Reisekostüm und die unauffälligen schwarzen Schuhe fand sie angemessen, um einem gelehrten Hochschulprofessor gegenüberzutreten. Ebenso taugte es als Zeichen der Trauer um ihre vor kurzem verstorbene Mutter.

Durch die gerüschten Vorhänge vor den bodentiefen Fenstern fiel das Nachmittagssonnenlicht deutlich abgemildert in den großzügig geschnittenen Salon. Das Gemälde über der Kommode gleich links von der Tür wurde so zum einzigen Lichtblick. Ella legte Mantel, Hut und Handschuhe auf einem Sessel ab und stellte sich nah vor es hin, um es zu betrachten. Dabei wurde ihr klar, wie fahrlässig sie gehandelt hatte. Sie wusste gar nichts über den Professor! Bevor sie sich auf den Weg zu ihm gemacht hatte, hätte sie Erkundigungen einholen müssen. So schien er ihr ähnlich schemenhaft wie die drei Bauerngestalten auf dem Bild mit der Voralpenlandschaft aus grünbraunen Feldern, schneebedeckten Bergen und weißblauem Himmel. Ein Gemälde wie jedes andere, belanglos und ohne besondere Eigenheiten, dachte sie. Dann aber sah sie noch einmal hin. Vermutlich täuschte der erste Eindruck. Der schwere Goldrahmen ließ auf ein wertvolles Kunstwerk schließen, ebenso die ausgeklügelte Hängung vis-à-vis der Fensterfront. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne trafen exakt das Gesicht des vorderen der drei einfach gekleideten Männer auf dem Feldweg. Plötzlich wirkte er jünger und frischer, schien sogar aufrechter auszuschreiten als seine beiden Gefährten.

»Gefällt es Ihnen? Das ist ein echter Spitzner«, hörte Ella von der Tür her eine kräftige Stimme sagen. »Er gehört zum Umfeld des Leibl-Kreises. Mich begleitet das Gemälde schon fast mein ganzes Leben.«

Langsam drehte Ella sich um und war angenehm überrascht. Wie die kräftige Stimme bereits hatte vermuten lassen, war Professor Constantin Lutz seinem fortgeschrittenen Alter zum Trotz von eindrucksvoller Gestalt. Sein fast kahler Schädel mit den Altersflecken und dem von Furchen und Kanten geprägten Gesicht war in jedem Fall das, was man einen Charakterkopf nannte. Davon blieb weitaus mehr als die hohe Stirn und der wache Blick der stahlblauen Augen hinter der randlosen Brille im Gedächtnis. Ganz Gentleman der alten Schule, war er selbst in den eigenen vier Wänden mit perfekt sitzendem Anzug, weißem Hemd, dunkler Krawatte und blank polierten Schuhen ausstaffiert. Allerdings ging er, das rechte Bein nachziehend, auf einen Stock gestützt, was seiner energischen Art sichtlich widersprach.

Plötzlich stolperte er über eine Falte im Teppich. Gerade noch rechtzeitig konnte Ella ihm die Hand reichen, um ihn vor dem Hinfallen zu bewahren. Ob seines beachtlichen Gewichts gerieten sie beide ins Taumeln. Er klammerte sich so fest an sie, dass es weh tat. Trotzdem hielt sie es aus. Es tat gut, diesem Fremden, der ihr auf einmal so nahe war, beizustehen.

Sobald sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatten, lächelte er sie dankbar an. Von neuem zuckte er zusammen, krächzte verwundert »Hannah?«, bevor er sich besann und mit der von milchkaffeebraunen Malen übersäten Hand einladend auf die Sessel um den runden Tisch in der Mitte des Salons wies.

»Sie sind also Hannahs Tochter. Willkommen in München. Eigentlich hatte ich schon viel früher mit Ihnen gerechnet. Wie geht es Ihrer verehrten Frau Mama? Ach was, lassen wir die Förmlichkeiten. Marianne?«, rief er nach der Haushälterin.

Sie musste im dämmrigen Flur gewartet haben. Schon tauchte sie im Türrahmen auf. Ella blieb weder Zeit, den Professor über den Tod ihrer Mutter zu informieren, noch nachzufragen, warum er sie längst erwartet hatte. Wieder begannen ihre Hände zu zittern. Rasch verschränkte sie sie ineinander.

»Holen Sie bitte die schwarze Ledermappe aus der mittleren Schublade meines Schreibtischs«, beauftragte er die Haushälterin. Gerade wollte die salopp mit Marianne Angesprochene Luft holen, um etwas einzuwenden, da fügte er hinzu: »Hier ist der Schlüssel. Machen Sie schnell.«

Ella und der Professor hatten kaum in den wuchtigen Sesseln Platz genommen, als Marianne mit der besagten Mappe wieder auftauchte und sie ihm wortlos reichte. »Danke.« Ohne sie länger zu beachten, machte sich der Professor daran, die Mappe mit seinen alterskrummen Fingern zu öffnen.

Ein verräterischer Anflug von Enttäuschung huschte über Mariannes streng beherrschtes Antlitz, dann spitzte sie den schmalen Mund und strich das hochgeschlossene, dunkelblaue Kleid glatt. Ohne Ella noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie den Salon.

Das Läuten an der Wohnungstür ließ den Professor die gerade erst geöffnete Mappe sofort wieder zuschlagen. Außer einem Konvolut eng mit Zahlen und Berechnungen gefüllter Seiten hatte Ella nichts erkennen können.

»Um diese Zeit kann das nur einer sein.« Nach einem knappen Blick auf seine goldene Armbanduhr rappelte sich Constantin Lutz umständlich aus dem Sessel hoch und tappte, auf den Stock gestützt, Richtung Flur. Ella folgte ihm mit den Augen, unschlüssig, ob sie ebenfalls aufstehen sollte.

»Jobst, mein Lieber! Nur herein mit dir«, rief der Professor munter, bevor ihn der Neuankömmling herzlich umarmte.

»Ich habe einen unerwarteten Gast«, erklärte er dann und zeigte auf Ella.

Jobst war nur wenige Jahre älter als sie, also Mitte, höchstens Ende zwanzig. Das dunkle Haar lässig nach hinten frisiert, strahlte er Ella mit ebenfalls dunklen Augen aus einem fein gezeichneten, glatt rasierten Gesicht offen an. Einen Moment verharrte er neben dem Professor. Gerade aufgerichtet waren sie in etwa gleich groß, bestachen beide mit einer hohen Stirn und einem neugierigen Blick und waren von ähnlich schlanker Figur. Wie der Professor trug auch Jobst einen eleganten, tadellos sitzenden Nachmittagsanzug in gedeckten Brauntönen, dazu ein helles Hemd, statt der Krawatte allerdings ein dezent gemustertes Seidentuch um den Hals.

So viel sie gemeinsam hatten, so viel unterschied sie auch voneinander. Schnell war Ella überzeugt, nicht Vater und Sohn vor sich zu haben. Jobst hatte etwas weniger Hartes in seinen Zügen. Zugleich entdeckte sie eine kaum kaschierte Verlorenheit in seinen Augen, die ihr von sich selbst allzu vertraut war. Sie fühlte sich davon angezogen wie von einem Magnet, am liebsten wäre sie ihm auf der Stelle um den Hals gefallen. Das aber verbat der Anstand. Ihm schien es ähnlich zu gehen, wie ein flüchtiges Aufflackern in seinen Augen verriet....

Erscheint lt. Verlag 25.8.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20er Jahre • 20er Jahre Berlin • Berlin • Deutschland • Ella von Weißenheim • Erpressung • Frauenschicksal • Freundin • Genfer See • Goldene 20er • Historische Romane • historische romane 20. jahrhundert • historische Romane Deutschland20er Jahre Romane/Erzählungen • Hochzeitsreise • Jobst von Weißenheim • Romane für Frauen • Vorführdame • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-426-43612-4 / 3426436124
ISBN-13 978-3-426-43612-7 / 9783426436127
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