Die Strandläuferin (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1288-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Strandläuferin -  Carin Winter
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Sonja arbeitet hart, um ihre Facharztausbildung in Chirurgie zu absolvieren. Doch dann unterläuft ihr aus Übermüdung ein folgenschwerer Fehler. Oder liegt es daran, dass Sonjas Zukunft nach der Trennung von ihrem Freund in Scherben liegt? Die Oberärztin verordnet ihr eine mehrwöchige Auszeit, und Sonja reist nach Amrum, wo ihre Jugendfreundin Anne eine kleine Pension betreibt. Die Seeluft tut Sonja gut, und mit dem so verschlossen wirkenden Landschaftsgärtner Patrick verbindet sie bald mehr als mit den anderen Sommergästen. Doch Sonja ahnt nicht, was Patrick ihr verschweigt ...

Carin Winter hat Medizin studiert und mehrere Jahre als Ärztin in einem Dorf gearbeitet; später entdeckte sie die Lust am Schreiben. Teile ihrer Familie stammen von Rügen, ein Großonkel war dort auch Arzt. Carin Winter lebt in Weil der Stadt.

Carin Winter hat Medizin studiert und mehrere Jahre als Ärztin in einem Dorf gearbeitet; später entdeckte sie die Lust am Schreiben. Teile ihrer Familie stammen von Rügen, ein Großonkel war dort auch Arzt. Carin Winter lebt in Weil der Stadt.

1

as Telefon klingelte laut und aufdringlich. Sonja setzte sich auf und stöhnte. Im Dienstzimmer der Chirurgie war das Nachtlicht eingeschaltet, so dass sie sich bei der matten Beleuchtung schnell zurechtfinden konnte. Sie blickte auf den Wecker, der neben der Liege auf dem Nachttisch stand. Zwei Uhr, um eins hatte sie sich schlafen gelegt. Gerade mal eine Stunde Schlaf war ihr vergönnt gewesen.

Sie hob ab und hörte, noch bevor sie sich meldete, die Stimme der Nachtwache unten an der Pforte: »Tut mir leid, Frau Doktor, ein Zugang für die Ambulanz, ein Mann mit Hundebissen. Die Sanitäter bringen ihn gerade hoch.«

»Danke«, erwiderte Sonja, »Sie können ja nichts dafür.« Sie legte auf, stand auf und zog sich an. Dann packte sie ihren Notrufapparat in die Tasche und trat auf den Flur, der hell erleuchtet war. Aus einem anderen Zimmer kam die Nachtschwester und nickte ihr freundlich zu. Weiter hinten ertönte eine Klingel.

Die Ambulanz lag eine Treppe tiefer, und als Sonja unten ankam, wurde gerade der ältere Mann hereingebracht, der ihr angekündigt worden war. Soweit Sonja auf den ersten Blick erkennen konnte, hatte er Bisswunden am linken Arm und linken Oberschenkel. Außerdem war er ganz offensichtlich betrunken und sehr schmutzig, und er widersetzte sich heftig den Sanitätern, die ihn ins Behandlungszimmer bringen wollten.

Es waren noch zwei zusätzliche Pfleger nötig, um ihn auf die Untersuchungsliege zu bugsieren, denn er wehrte sich mit Händen und Füßen.

Sonja brauchte über eine Stunde, um die Wunden zu reinigen, lokal zu betäuben und zu nähen. Immer wieder wand sich der Mann und versuchte aufzustehen. Das sterile Tuch fiel auf den Boden, sie musste neue Handschuhe anziehen und brauchte neues Besteck. Als sie schließlich fertig war, zitterte sie vor Erschöpfung. Sie stand auf und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, dann ging sie aus dem Zimmer und ließ die Pfleger die letzten Verbände anlegen.

Sie wollte nur noch weg, raus aus der Ambulanz, sich in einem ruhigen Zimmer verkriechen und nichts mehr hören und sehen.

Dieser Wochenenddienst, der nun bald hinter ihr lag, war besonders anstrengend gewesen. Sie und ihr Kollege waren fast dauernd im Einsatz, und bereits die Nacht zuvor hatten sie beide nur wenige Stunden Schlaf bekommen. Sie betrat ihr Zimmer und warf sich, ohne sich auszuziehen, auf die Liege. Und so blieb sie bis zum Morgen liegen.

Am Montag früh nach der Übergabe trat Sonja durch die Drehtür der Klinik an der Alster nach draußen. Nur ganz nebenbei bemerkte sie die neue Dekoration im Türinneren. Sie war so müde, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Aber dann blieb sie doch stehen.

Ostern, dachte sie bestürzt, Blumen, bunte Eier, ein Hase. Ist es schon wieder so weit? Hatte sie den Frühling verpasst in den letzten Wochen? Ja, sie hatte ihn verpasst wie so vieles andere, und sie fühlte sich schon lange am Ende ihrer Kräfte. So konnte es nicht weitergehen. Aber sie war viel zu erschöpft, um irgendeinen Entschluss zu fassen.

Sie ging Richtung Parkplatz, atmete tief die laue Luft ein, die ihr mit einem leichten Wind entgegenblies, blieb stehen und schloss die Augen. Ja, es war Frühling, und er war schon fast wieder vorbei. Und sie hatte es kaum mitbekommen.

Die vielen Nachtdienste, die Wochenenden, die Arbeit in der Ambulanz der Chirurgie, auf der Station und vor allem im OP, all das hatte sie allmählich regelrecht aufgefressen. Und wenn sie dann zu Hause in ihrer kleinen Wohnung war, hatte sie sich vor dem Fernseher eingeigelt, vom Sofa ins Bett geschleppt und am nächsten Tag wieder in die Klinik.

Sie dachte daran, dass sie schon lange nicht mehr mit ihren Eltern telefoniert hatte, auch zum Briefeschreiben war sie meist zu müde, und der letzte Besuch hatte vor fast zwei Jahren stattgefunden.

All das ging ihr durch den Kopf, als sie langsam zu ihrem Auto lief. Es stand am Ende des Ärzteparkplatzes, neben den großen Limousinen der Oberärzte und der Chefärztin. Es war ein grauer Golf, ein Allerweltsauto. Passend für eine Assistenzärztin, dachte sie leicht spöttisch. Die Chefin fuhr einen Mercedes, aber sie war auch keine Assistentin mehr, die für wenig Geld viel arbeiten musste und die man beliebig zu den Operationen zum Hakenhalten einteilen konnte. Die meisten Kollegen waren Männer, und Hakenhalten war nicht gerade beliebt.

Nein, dachte Sonja, ich will keine Karriere machen und auch nicht das große Geld verdienen. Ich möchte den Menschen helfen, die nicht die Chance haben, einfach in ein Krankenhaus zu gehen und sich behandeln zu lassen, wenn es nötig ist. Schon immer war es ihr Entschluss gewesen, nach Ende der Ausbildung in Afrika zu arbeiten, um den Ärmsten der Armen zu helfen. Das war ihr Ziel, und das hatte sie nie aus den Augen verloren.

Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel. Er fiel auf den Boden, und als sie ihn aufhob, geriet ihr der Schlüssel von Steffens Wohnung in die Finger. Ich muss ihn endlich mal vom Schlüsselbund entfernen, dachte sie unwillig, und irgendwo ablegen, wo ich ihn nicht mehr zu sehen bekomme – genauso wie unsere Liebe und die gemeinsame Zukunft. Steffen hatte es so gewollt mit seiner plötzlichen Entscheidung, eine eigene Praxis zu eröffnen und ihre gemeinsamen Afrika-Pläne einfach fallenzulassen. Und er war nicht bereit gewesen, für Sonja seine Meinung zu ändern.

Sie schloss die Tür ihres Wagens auf und setzte sich aufatmend hinters Steuer. Die nächsten vierundzwanzig Stunden konnte sie schlafen, solange sie wollte, und sie würde sich von niemandem stören lassen.

Natürlich hatte sie während der ganzen Jahre in der Klinik auch Freizeit gehabt und Urlaub, das letzte Mal über Silvester. Aber das war nun schon wieder fast vier Monate her. Damals war sie noch mit Steffen zusammen gewesen. Die Erinnerung daran war schön und schmerzhaft zugleich.

Denn nun war alles vorbei. Seit vier Wochen herrschte Funkstille zwischen ihnen, zornige, erbitterte Funkstille. Sonja war nicht bereit, ihm einen Schritt entgegenzukommen, den musste Steffen tun, nachdem er so rücksichtslos nur seine eigenen Interessen verfolgt hatte.

Sie dachte an die freien Wochenenden nach ihrem großen Streit, in denen sie es nicht geschafft hatte, entspannt und in Ruhe allein etwas zu unternehmen. Sie hatte zweimal Freunde besucht, was nicht gerade erholsam war, weil alle Themen, über die gesprochen wurde, für sie weit weg von ihren eigenen waren. Abends hatte sie sich in medizinische Lektüre für die Facharztausbildung vertieft, hatte die Wohnung aufgeräumt, war auch einmal in die Oper gegangen. All das hatte sie zwar ein wenig abgelenkt, aber nicht wirklich belebt.

Mit Steffen war sie immer ins Grüne gefahren. Er hatte sie einfach an die Hand genommen, ins Auto gesetzt und war mit ihr rausgefahren, an die Elbe, ins Alte Land, nach Friedrichstadt, dem Städtchen in holländischem Stil mit den Grachten, der flachen wunderbar grünen Landschaft und mit den vielen Radwegen. Sie waren gelaufen, bei Wind und Wetter, über Feldwege und am Wasser entlang, durch Wiesen und kleine Wälder. Und abends waren sie beide angenehm müde gewesen, aber gleichzeitig erholt, nicht so wie jetzt, wo sie nur noch Erschöpfung spürte.

Drei Jahre lang war sie mit Steffen zusammen gewesen. Steffen war Facharzt für Gesichts-und Kieferchirurgie – ist es noch, verbesserte Sonja sich in Gedanken – und sechzehn Jahre älter als sie, aber das machte ihn gerade so anziehend.

Sie legte die Hände in den Schoß und schaute in Gedanken versunken aus dem Fenster ihres Autos …

»Dr. Steffen Barenthin« hatte auf der Einladung zur Fortbildung gestanden, die sie vor drei Jahren auf ihrem Schreibtisch vorgefunden hatte. Und da sie an dem Thema interessiert war, hatte sie beschlossen hinzugehen. Er würde über Operationsmöglichkeiten bei Kindern mit Kiefer-Lippen-Gaumenspalten, sogenannten Hasenscharten, sprechen.

Es war ein lauer Sommerabend, und Sonja fuhr nach einem langen Tag in der Klinik gleich zum Seminar. Sie hörte dem Vortrag des Arztes aufmerksam zu. Er hatte die Gabe, seine Zuhörer eine Stunde lang zu fesseln, ohne dass Langeweile aufkam. Außerdem sah er gut aus mit den dichten dunklen Haaren, den braunen Augen und seinem sympathisch wirkenden Gesicht.

Nach seinem Vortrag gab es kleine Häppchen, und da Sonja seit dem Mittag nichts mehr gegessen hatte, legte sie sich eines dieser raffinierten belegten Schnittchen nach dem anderen auf einen Teller.

Erst als sie ein Lachen neben sich vernahm, wurde ihr bewusst, dass sie einen regelrechten kleinen Turm auf ihrem Teller aufgebaut hatte. »Endlich mal jemand, der ungeniert richtig zulangt«, sagte der Mann, der sich jetzt ebenso seinen Teller vollpackte. Und dieser Mann war Dr. Steffen Barenthin.

Er nahm mit einer leichten Bewegung ihren Arm und schob sie auf eine Sitzecke zu. »Leisten Sie mir doch Gesellschaft«, bat er. »Und wenn unsere Teller leer sind, holen wir Nachschub.«

Er wollte wissen, was für eine Ausbildung sie machte, und Sonja erzählte ihm von ihren Plänen.

Da einige Kollegen auf ihn zukamen, die noch Fragen an ihn hatten, verabschiedete Sonja sich und fuhr nach Hause.

Zwei Tage später rief er bei ihr in der Klinik an und fragte, ob sie Lust hätte, mit ihm in ein Musical zu gehen.

Und sie hatte Lust. Vier Wochen danach waren sie ein Paar.

Und nun war ihre Liebe gescheitert an den verschiedenen Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft.

Eigentlich an Steffens Verrat meiner Pläne, dachte sie, und der Zorn kam wieder hoch. Die Enttäuschung schmerzte immer noch, und das Gefühl, auf einmal...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amrum • Ärztin • Auszeit • Buch 2016 • Freundschaft • Insel • Liebe • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Nordsee • Urlaub
ISBN-10 3-8437-1288-3 / 3843712883
ISBN-13 978-3-8437-1288-0 / 9783843712880
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