Blutwurst und Zimtschnecken (eBook)

Bester dänischer Krimi des Jahres

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-16929-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutwurst und Zimtschnecken -  Ane Riel
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Judith Behring ist eine alte Dame, eine ungemein reizende alte Dame. Im ganzen Rotkehlchenweg ist sie bekannt für ihre Gastfreundschaft und ihre Backkünste - die Nachbarn können sich glücklich schätzen, wenn sie in den Genuss von Judiths berühmten Zimtschnecken kommen. Nur einer ist nicht so nett zu Judith, wie sie das gewohnt ist: der Postbote. Wie unachtsam der immer ausgerechnet ihre Post in den Briefkasten stopft... Und Zeit für einen netten Plausch hat er auch nie... Deshalb steht für Judith fest: Der Postbote muss sterben! Gut, dass sie nicht nur früher eine preisgekrönte Metzgerin war, sondern auch Erfahrung im Loswerden ungeliebter Mitmenschen hat.

Ane Riel, Studium der Kunstgeschichte, wurde 1971 in Aarhus geboren. Ihr Debütroman »Blutwurst und Zimtschnecken« wurde als bester dänischer Krimiroman des Jahres ausgezeichnet. Für ihren zweiten Roman »Harz« hat sie gleich alle vier wichtigen skandinavischen Krimipreise bekommen: den dänischen, norwegischen, schwedischen Krimipreis sowie den Preis für den besten Kriminalroman Skandinaviens insgesamt.

Ein paar Jahre zuvor

Von drei windigen Gestalten

in einem Unterstand

April 2009

Die Einheimischen nannten sie Park. Die kleine, längliche Grünfläche, die hinter dem Marktplatz von Liseleje lag, eingepfercht zwischen einem kleineren Sommerhausgrundstück und den Parkplätzen, die zum Kaufmannsladen gehörten. Von der Straße aus konnte man, wenn man Glück hatte, den kleinen grünen Fleck im Vorbeifahren sehen, und wenn man besonders aufmerksam war, fiel einem vielleicht auch der Gedenkstein für den Gründer des Fischerdorfes hinter der niedrigen Steinmauer auf. Aber in der Regel fuhr man vorbei, ohne zu ahnen, dass dort zwischen gemähtem Rasen und gepflegten Beeten ein bedeutendes Stück der Lokalgeschichte verewigt war, alles sorgfältig arrangiert vom engagierten Bürgerverein des Dorfes.

Die asphaltierte Hauptader von Liseleje machte einen ­Bogen rund um den kleinen Platz mit dem großen Anker, bevor sie nach Süden weiterführte. Wenn man zu Fuß ging, konnte man eine Abkürzung durch den Park nehmen, wenn man vom Kaufmannsladen zur Straße nach Melby hinauswollte. In diesem Fall würde man wohl die versteinerte Erinnerung an J. F. Classen und seine bahnbrechenden Erfolge auf dem Gebiet von Schießpulver und Kanonengießen in der vorderen Ecke des Parks bemerken, aber kaum, dass weniger berühmte Seelen wie Hans, Christian und Andersen im Unterstand in der hinteren herumhingen. Im Gegensatz zu General Classen zogen die drei es auch vor, sich im Hintergrund zu halten und nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich, ihre leeren Flaschen und ihre Trunkenheit zu ziehen.

Nur eine Bretterwand trennte sie vom Leben um den Marktplatz und den Parkplatz des Kaufmanns. Aber auch eine ganze Welt.

Hans Enoksen war der Jüngste von ihnen. Und der Kleinste. Er war aus Nuuk über die Universität Århus nach Liseleje gekommen, wo er Literaturgeschichte studiert und überall mit Bestnoten brilliert hatte. »Der Fliegende Grönländer« war er von Dozenten und Mitstudenten genannt worden.

Nachdem er sich eingehend mit grönländischer Literatur beschäftigt und man ihm sogar selbst eine glorreiche Zukunft als Dichter seines Geburtslandes prophezeit hatte, war er nach ­einer zufälligen Begegnung mit den Werken des Afrikaners Ben Okri von plötzlichem literarischen Fernweh übermannt worden. Ein zerschlissenes Exemplar von »Die hungrige Straße« war auf ­einem Stuhl im Wartezimmer des Zahnarztes vergessen worden, wo Hans es aufsammelte. Er hatte erst ­einige wenige Seiten gelesen, als er das Wartezimmer mit dem Buch in der Hand und ohne die Brücke, wegen der er gekommen war, verließ.

Bald hatte er in seinem kleinen Studentenzimmer in der ­Innenstadt von Århus gesessen, vergraben in Texten und Analysen und nigerianische Geschichte, und die Welt sich in Kreisen und Mythen und Szenarien offenbaren sehen, Zeit und Raum enthoben. Währenddessen, wie sich zeigen sollte, hatte die Liebe seines Lebens sich unter der Bettdecke seines besten Freundes vergraben. Sie erklärte es damit, dass sie ihn liebte. Den Freund.

Hans Enoksen war wenige Seiten vor dem Abschluss seiner Examensarbeit gewesen, als er sich eines späten Abends während der Århuser Festwoche aus dem dritten Stock stürzte. Er traf eine schlafende Seele in einem Kinderwagen und eine junge, müde Mutter. Das Kind war auf der Stelle tot und die junge Frau behindert fürs Leben. Der Fliegende Grönländer überlebte wie durch ein Wunder ohne besondere physische Folgen außer einem leichten Hinken, das ihn seitdem begleiten sollte. Sein Geist dagegen war unwiderruflich in die Brüche gegangen, und er entschied sich dafür, ihn in Alkohol zu ertränken, von dem er bis dahin nie einen Tropfen angerührt hatte.

Eines Tages hatte er sich in irgendeinen x-beliebigen Zug ­gesetzt. War über Brücken gefahren, durch Tunnels. War ausgestiegen und hatte sich in einen anderen x-beliebigen Zug ­gesetzt. War auf dem hintersten Sitz eines Busses geendet, der ihn über Felder und durch Wälder fuhr, vorbei an bescheidenen Häusern und grasenden Pferden und Schafen. Er erinnerte sich nicht, weshalb und wie. Nur dass er einen Schimmer von Hoffnung gehabt hatte, ein Raubtier zu treffen, das seine hungrigen Jungen mit ihm füttern wollte.

Ein verständnisvoller Landwirt hatte ihn im Hafen von Hundested aufgesammelt, bevor er hineinfallen konnte. Der Landwirt hatte ihn in einem Zimmer auf seinem Hof am Rand von Liseleje einquartiert. Der Grönländer bekam freie Kost und ­Logis, solange er sauber machte, mithalf und sich zwischendurch der Libido des Landwirts zur Verfügung stellte. Und im Übrigen das Maul hielt.

Hans Enoksen beugte sich gehorsam den Wünschen des Landwirts. Wenn er schon einmal dazu verurteilt war zu überleben, fand er eine merkwürdige Linderung darin, sich dem Willen eines anderen zu fügen, der zumindest niemanden umgebracht hatte, außer den Tieren, die ohnehin geschlachtet werden sollten. Er wartete geduldig darauf, dass das Schicksal ihm gnädig sein und sein Leben beenden würde. Er selbst konnte es nicht.

Jetzt saß Der Fliegende Grönländer im Unterstand im Park, seine glorreiche Zukunft hinter sich. In nüchternem Zustand wurde er von Bildern seiner früheren Zukunft geplagt. Aber wenn er genug trank, konnte er das grüne Gras vor dem Unterstand sehen, sich den Text auf dem Gedenkstein in Erinnerung rufen, die Sommergäste hören, die dort draußen mit Eiswaffeln und Sonnencreme und smarten Sandalen aus buntem Gummi vorübergingen.

Er konnte außerdem seltsame Lachanfälle bekommen. Ganz ohne Vorwarnung. Dann saß er in all seiner Unseligkeit da und presste die dünnen Glieder zusammen, als müsse er pinkeln, während die Tränen die eingefallenen Wangen hinabliefen. Ein paarmal musste er sogar wirklich pinkeln, und das brachte ihn nur dazu, noch mehr zu lachen, sodass er zum Schluss auf der Holzbank in Hosen, die das schon gewohnt waren, der Natur nachgeben musste. Christian und Andersen verhöhnten ihn liebevoll für diese sonderbaren Anfälle und versuchten sogar, sie hervorzurufen, aber das zügellose Gelächter tauchte in der Regel nur ganz von selbst auf. Aus dem Nichts. Vielleicht geschah es in Momenten, in denen das Gewissen und die Trauer sein Herz gleichzeitig losließen. Um es wieder besser in den Griff zu bekommen.

Christian Kramshøj war der Glücklichste von den dreien. Er hatte niemanden verloren, aber dafür auch nie jemanden zu verlieren gehabt. Die beiden anderen hatten den starken Verdacht, dass er Jungfrau war, aber das leugnete er hartnäckig, und wenn das Thema zur Sprache kam, fing er immer an, fieberhaft von seinen Eroberungen zu erzählen. Das erheiterte sie. Sie wussten, dass er sich eigentlich ausschließlich auf seinem Mofa zwischen seinem Haus in Melby, dem Park in Liseleje und dem Kiosk in Asserbo bewegte. Nichtsdestotrotz ­waren die Mädchen, mit denen er sich nach eigener Aussage im Umkreis verlustiert hatte, immer aufregende Frauen mit exotischen ­Namen wie Sharon und Wendy und Cherokee und Jada. Wenn er von ihnen sprach, konnte man auf den Gedanken kommen, dass er die Namen nie ausgesprochen gehört hatte, sondern eher in einem Pornoheft auf sie gestoßen war.

Er war bei seiner Mutter in ihrem Elternhaus in Melby aufgewachsen und von ihr betreut und umsorgt worden, bis die Zeit für ihn gekommen war, sie zu betreuen und zu umsorgen. Karen Kramshøj hatte nie geheiratet. Jetzt war sie in einem Pflegeheim einquartiert worden, das einen Steinwurf von dem Haus entfernt war, das neun Jahrzehnte lang ihr Zuhause gewesen war. Christian blieb in dem Haus wohnen.

Der Umzug war seiner Mutter immer noch nicht ganz klar geworden, und das stiftete auch eine gewisse Verwirrung, wenn sie versuchte, die anderen Bewohner hinauszuwerfen oder den Vorsteher beschuldigte, ein gemeiner Einbrecher zu sein und ihm mit dem Teppichklopfer drohte. Aber ansonsten war ­Karen Kramshøj eigentlich eine ziemlich friedliche ältere Dame, die gerne Bridge spielte und Zigarillos rauchte und Filme mit Clark Gable und Gregory Peck und Carl Brisson sah. Letzteren hatte sie privat gekannt, behauptete sie.

Über Christians Vater wurde nicht gesprochen, aber böse Zungen flüsterten, dass es irgendein Südeuropäer war. Vielleicht ein Zigeuner. Christian hatte aber auch die schönsten braunen Augen, und die inzwischen stark ergrauten Locken waren einmal kohlschwarz gewesen. Seine buschigen Augenbrauen waren es immer noch. Er war immer klein, gedrungen und baumstark gewesen. Erst in den späteren Jahren hatte er angefangen, den charakteristischen runden Bauch zu entwickeln, der einen großen Teil der ortsansässigen Männer kennzeichnete. Je mehr der Bauch wuchs, desto mehr begannen die Füße nach außen zu zeigen, und desto weniger schienen sie sich einig werden zu können, sich zu bewegen.

Trotz alledem hatte seine Mutter immer behauptet, ­Christian sei der Sohn eines großen norwegischen Seemanns, den sie 1949 in der Kirche getroffen hatte. Leider war der Seemann kurz vor Hundested mit seinem Schiff untergegangen, gerade als er auf dem Weg war, um sie zu heiraten. Ihre präzise Beschreibung des Schiffes und des Schiffbruchs stimmte auf­fallend mit dem alten Ölbild überein, das in ihrem Schlafzimmer hing. Norwegisches Schiff kentert im Sturm vor Hundested stand auf der Rückseite. Es war mit 1852 datiert.

Christian hatte in jungen Jahren ein einziges Mal seiner Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass sein Vater das Schicksal des hellblonden Kapitäns auf dem Bild geteilt hatte, sogar auf einem Schiff mit demselben Namen. Dazu hatte seine Mutter nur gesagt, dass der Herrgott Christian mit demselben Schicksal strafen würde, wenn er...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2016
Übersetzer Julia Gschwilm
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Slagteren i Liseleje
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristik • Bester dänischer Kriminalroman • Dänemark • eBooks • Judith Behring • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Liseleje • Mord • Nachbarschaft • Postbote • Seniorin
ISBN-10 3-641-16929-1 / 3641169291
ISBN-13 978-3-641-16929-9 / 9783641169299
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99