Stellas Traum (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43781-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stellas Traum -  Annette Hohberg
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Zärtlich und in wunderschönen Bildern erzählt Annette Hohberg die Geschichte einer innigen Jugendfreundschaft. Stella, Tim und Paul sind unzertrennlich, sie ergänzen sich perfekt. Bis etwas Entsetzliches geschieht und aus dem fröhlichen Mädchen Stella eine kühle, distanzierte Frau macht, die jedes Gefühl mit Arbeit betäubt. Nach 20 Jahren führt ein weiteres tragisches Ereignis die einstigen Freunde noch einmal zusammen. Kann jetzt aus Liebe Vergebung werden? Das poetische Porträt einer Freundschaft, die ihre Unschuld verliert.

Annette Hohberg wurde 1960 in Schleswig-Holstein geboren. Sie verließ den Norden nach der Schule Richtung München. Dort studierte sie Linguistik, Literaturwissenschaften und Soziologie und begann danach als Journalistin zu arbeiten. In der Zeit besuchte sie viele Male die indonesische Insel Bali. Ihre erste Reise fand Ende der 80er-Jahre statt. In den nachfolgenden Jahrzehnten war sie immer wieder für einige Wochen dort, knüpfte Freundschaften und schrieb mit einer balinesischen Köchin ein Kochbuch. Die Insel und ihre Bewohner, ihre Traditionen und Bräuche haben tiefe Spuren in ihr hinterlassen. Die Idee, einen Roman auf der Insel der Götter zu verorten, war da nur folgerichtig. Es ist auch eine Liebeserklärung an einen Ort, in dem sie so etwas wie eine zweite Heimat gefunden hat. Annette Hohberg ist gut dreißig Jahre später wieder in ihre erste Heimat, nach Schleswig-Holstein gezogen. Sie lebt jetzt auf einem Gutshof an der Ostsee. 

Annette Hohberg wurde 1960 in Schleswig-Holstein geboren. Sie verließ den Norden nach der Schule Richtung München. Dort studierte sie Linguistik, Literaturwissenschaften und Soziologie und begann danach als Journalistin zu arbeiten. In der Zeit besuchte sie viele Male die indonesische Insel Bali. Ihre erste Reise fand Ende der 80er-Jahre statt. In den nachfolgenden Jahrzehnten war sie immer wieder für einige Wochen dort, knüpfte Freundschaften und schrieb mit einer balinesischen Köchin ein Kochbuch. Die Insel und ihre Bewohner, ihre Traditionen und Bräuche haben tiefe Spuren in ihr hinterlassen. Die Idee, einen Roman auf der Insel der Götter zu verorten, war da nur folgerichtig. Es ist auch eine Liebeserklärung an einen Ort, in dem sie so etwas wie eine zweite Heimat gefunden hat. Annette Hohberg ist gut dreißig Jahre später wieder in ihre erste Heimat, nach Schleswig-Holstein gezogen. Sie lebt jetzt auf einem Gutshof an der Ostsee. 

2


Sie ist zu früh gekommen. Eine gute halbe Stunde zu früh. Normalerweise kommt sie immer zu spät.

Du läufst deinem Leben hinterher, hat ihre Tante oft gesagt, und sie hat dabei gelacht. Genau dieses Lachen war Stellas Begleitschutz gewesen. In den letzten Jahren fast nur noch am Telefon. Stella hat ihre Besuche auf Weihnachten und Geburtstag reduziert, weil ihr für mehr die Zeit fehlte. Aber Elisabettas Lachen hat sie nie verlassen. Bis zu diesem Nachmittag vor drei Wochen. Bis zu diesem Läuten an ihrer Haustür.

Zwei Polizisten standen dort, die sie wegen der ernsten Gesichter sofort in ihre Küche bat. Einen Unfall habe es gegeben, sagte einer der beiden. Und ihre Adresse habe man im Portemonnaie der Verunglückten gefunden. Sie sei mit dem Fahrrad von der Straße abgekommen. Morgens gegen fünf Uhr. Kein Alkohol im Blut, erklärte er.

Als würde diese Information noch etwas ändern, dachte Stella und fragte die zwei, ob sie einen Tee wollten. Sie musste etwas tun, irgendetwas. Wasserkessel aufsetzen, Teeblätter in die Kanne geben, Tassen aus dem Schrank holen. Als könnte sie damit verhindern, dass das eben Gehörte in ihr Bewusstsein gelangte und sich dort niederließ.

Der Wortführer nickte und setzte sich sofort an den Küchentisch. Dabei zog er seine Uniformhose leicht hoch. Stella fiel sie auf, diese altmodische Geste, und ihr fiel auch auf, dass der andere Polizist stehen blieb und seine Krawatte zurechtrückte, die gar nicht schief saß. Die beiden waren jung, Ende zwanzig, schätzte sie. Sie erledigten hier einen Job, der sie überforderte.

Als sie den Tee in die Tassen goss, zitterte ihre Hand. Die Hand reagierte bereits. Die Stimme, mit der sie fragte, wie das genau passiert sei, war noch ruhig.

Wahrscheinlich ein Infarkt oder Herzstillstand, so was in der Art, erfuhr sie. Die Obduktion würde Genaueres ergeben.

Sie zuckte zusammen. Was machten diese furchtbaren Worte plötzlich in ihrer Küche? Sie hatten hier nichts verloren. Stella hätte am liebsten die Fenster geöffnet und sie alle hinausgeworfen und die beiden Polizisten gleich dazu. Sie nahm einen großen Schluck Tee und verbrannte sich die Zunge. Unwillkürlich verzog sie das Gesicht.

Der Polizist, der saß, pustete in seine Tasse, woraufhin sich der Tee zu kleinen Wellen kräuselte. Er ist vorsichtiger als ich, dachte Stella, und etwas in ihr lächelte, einen Moment nur, aber lang genug, um sie zu irritieren. Dabei wusste sie, wie Menschen in Extremsituationen reagierten. Sie hatte es als Ärztin oft genug erlebt. Jetzt, in ihrer Küche, erlebte sie sich selbst. Kurz darauf begann ihr Herz zu rasen, aus dem Stand heraus, als hätte ihm jemand Adrenalin injiziert. Stella versuchte es zu beruhigen, indem sie tief Luft holte. Sie verschluckte sich und hustete.

Der Polizist hatte inzwischen einen gelben Plastikkugelschreiber und ein Formular aus seiner Tasche geholt. Er setzte Großbuchstaben in freie Felder. Es waren krakelige Buchstaben, fast eine Kinderschrift. An der Art, wie er den Stift hielt, sah Stella, dass er schwitzte. Er schwitzte bis in die Fingerspitzen.

Wir müssen das hier schnell zu Ende bringen, dachte sie, sonst kollabiert noch einer von uns. Rasch schrieb sie ihren Namen auf das Formular, das er ihr über den Tisch schob. Ihre Schrift war rund und ausladend; als kleines Mädchen hatte sie immer über die Linien geschrieben. Auch darüber hatte Elisabetta gelacht.

Elisabetta … Ein paar Bilder tauchten auf, unscharfe Bilder, die sofort wieder verschwanden, weil Stella nicht hinschaute. Jetzt nicht, dachte sie. Jetzt nur keine Erinnerungen. Und außerdem waren da die Polizisten, die sie nach draußen begleiten musste.

Als die Tür hinter den beiden ins Schloss fiel, lehnte sie sich von innen dagegen. Sie wollte, dass nie wieder jemand hereinkam. Und dann wollte sie gar nichts mehr. Alles Wollen setzte einfach aus. Sie ließ sich langsam zu Boden gleiten, zog die Knie zu sich heran und legte ihren Kopf darauf ab. Erst in dem Moment begann sie zu weinen. Als keine Tränen mehr kamen, kam bereits die Dunkelheit.

An diesem Abend schaltete Stella keine Lampen ein. Sie legte sich auf ihr Bett, Jeans und Pullover und Strümpfe behielt sie an. Ihre Gedanken verknoteten sich, es waren viele, zu viele, um sie entwirren zu können – bis auf einen, der herausfand aus dem Knäuel und sich schwer auf ihre Brust setzte: Nun bist du allein.

Sie zog ihre alte braune Wolldecke bis zum Hals hoch. Doch es war nur eine Illusion von Wärme, die sich einstellte. Das Zittern in ihrem Inneren ließ sich damit nicht beruhigen.

Nun bist du allein.

Der Gedanke blieb in dieser Nacht, der Schlaf blieb aus. Es lagen genug Tabletten in ihrem Badezimmer, um ihn sich zu holen; als Ärztin hatte sie Zugriff zu Mitteln, die schnell wirkten. Doch sie spürte, dass sie wach bleiben, sich diesem unaufhörlichen Zittern in ihr stellen musste.

 

Als der Morgen kam, hatte sie zumindest eine Ahnung davon, was zu tun war. Sie stand auf und sah aus dem Fenster in einen dunklen Himmel, der feinen Regen herunterschickte. Auch das noch, dachte Stella und zog ihren Pullover fester um sich. Doch hätte Sonnenschein ihre Situation erträglicher gemacht? Nein, Schönwetter leuchtet den Schmerz nur aus, lässt ihn absurd wirken. Wie oft schon hatte sie Patienten gesagt, dass sie nicht mehr lang zu leben hatten, während draußen gerade der Frühling loszwitscherte. Regen war demnach gar nicht so übel.

Sie duschte nicht. Sie putzte nur ihre Zähne, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fuhr mit den Händen durch das halblange rotblonde Haar. Ihren grünen Augen schenkte sie keinen Blick; sie wusste auch so, dass sie müde in den Höhlen lagen, leicht verklebt von der Wimperntusche, die sie gestern aufgetragen und nicht abgewaschen hatte. Gestern? Eine Ewigkeit hatte sich vor das Heute gelegt. Eine Ewigkeit, die jeden Begriff von Zeit auflöste.

Noch vor zwei Tagen hatte Stella daran gedacht, nun doch wenigstens eine Woche Urlaub zu versuchen. Oft schon hatte ihr Chef ihr nahegelegt, mal richtig auszusteigen. Wenn sie so weitermache, sei sie irgendwann selbst ein Fall für die Klinik, sagte Bornheim häufig. Von mindestens einem halben Jahr Pause hatte er bei ihrem letzten schnellen Espresso vor dem Kaffeeautomaten im Schwesternzimmer geredet. Sie hatte den Plastikbecher in den Mülleimer geworfen und seinen Vorschlag weggelacht. Die Patienten brauchten sie, und sie brauchte ihre Arbeit. Mehr als eine Woche war da nicht drin.

Jetzt erschien ihr das auf einmal völlig aberwitzig. Was sollten sieben Tage bringen? Sie würde nicht schaffen, was hier auf sie zurollte. Die Beisetzung, die Behördengänge, das Haus …

Das Haus. Bei dem Gedanken zogen sich ihre Eingeweide zusammen, als würde eine harte Hand sie auswringen wie nasse Handtücher. Dieses Haus am See lag Hunderte von Kilometern weit weg. Es lag außerhalb des Radius, in dem sich Stellas Leben jetzt abspielte.

 

Am Nachmittag rief sie im Krankenhaus an, verlangte Bornheim und bat um ein Gespräch.

Eine Stunde später saß sie in seinem Büro. Und weil er sie einfach nur ansah und erst mal nichts sagte, begann sie zu reden. Sie redete viel. Sie, die sich in den letzten Jahren auf das Nötigste zwischen zwei Visiten beschränkt hatte, ließ ihre Worte plötzlich laufen. Und sie liefen in alle Richtungen.

Vom frühen Tod der Eltern erzählte Stella. Sie konnte sich nicht mehr erinnern an den Vater und die Mutter. Ein Stofflöwe war ihr geblieben, den sie zum Geburtstag bekommen hatte. Er hatte immer auf ihrem Kopfkissen gelegen, auch als die Eltern schon lange nicht mehr im Schlafzimmer nebenan lagen. Sie kannte die beiden nur von verblassten Schwarzweißfotos und aus den Erzählungen ihrer Tante. Elisabettas Haus war ihr Zuhause geworden. Ein altes gelbes Haus in einem großen Garten, der bis ans Ufer eines Sees hinabführte. Dort unten gab es einen Holzsteg; als Mädchen hatte sie oft auf den Planken gesessen und das Gekräusel der Wellen beobachtet; sie schienen keine Richtung zu kennen, die Wellen, und auf eine gewisse Weise hatte genau das Stella beruhigt. Auch sie ließ sich gern treiben damals. Die Obstbäume vor der Veranda blühten im Frühjahr, und im Herbst trugen sie Äpfel und Pflaumen und Reineclauden. Elisabetta hatte Marmelade gekocht und Kuchen gebacken, doch irgendwann hatte sie damit aufgehört. Wer sollte all das noch essen? Nun kehrte der Gärtner das Fallobst zusammen. Die Äpfel bekamen die Pferde auf der Koppel nebenan. Und Elisabetta aß ein paar Pflaumen zum Frühstück, wegen der Verdauung.

Elisabetta, die eigentlich Elisabeth hieß. Als Stella elf war, hatte die Tante eines Tages Roberto mitgebracht. Roberto war Italiener, und er wurde Elisabettas Liebhaber. Einige Jahre ging er ein und aus in dem gelben Haus. Als er für immer ging, weil es auf Sardinien eine Frau und drei Kinder gab, ließ er den Namen da, den er seiner Liebsten gegeben hatte. Elisabetta behielt ihn zusammen mit einer Keksdose, in der sie die Briefe aufbewahrte, die er ihr geschrieben, und zwei Immortellen, die er ihr Monate später aus Italien geschickt hatte. Zarte Blumen, die getrocknet ewig halten und die die Farbe des Hauses trugen, in dem er mit ihr so viele Tage und Nächte verbracht hatte. Einen dummen Romantiker nannte Elisabetta ihren Roberto, und dann lachte sie etwas zu laut, aber sie behielt die Immortellen, und manchmal sah sie sich die Blumen an, die zu Stroh geworden waren. »Die Liebe macht, was sie will«, sagte sie oft. In der Beziehung stand Elisabetta der Liebe in nichts nach.

All diese Dinge erzählte Stella Bornheim, mit dem sie sonst nur über Befunde und Therapien sprach.

Er unterbrach sie nicht.

Am Schluss sagte...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte anspruchsvolle Romane • Depression • dramatische Romane • Dreiecksbeziehung • Erste Liebe • Familiendrama • Frauenschicksal • Haus am See • Jugendfreunde • Onkologin • Reise in die Vergangenheit • Romane Drama • Romane für Frauen • Romane Liebe • Schleswig-Holstein • Teenager • tiefgründige Bücher • Tod eines Kindes • Unfall
ISBN-10 3-426-43781-3 / 3426437813
ISBN-13 978-3-426-43781-0 / 9783426437810
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 680 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99