Zwischen den Bäumen das Meer (eBook)

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2016 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-55441-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwischen den Bäumen das Meer -  Janne Mommsen
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Die Geschichte von Tom und Annkathrin. Von lustig bis traurig. Von der Ostsee bis nach Föhr. Auf einem gefrorenen See in Ostholstein zieht Annkathrin auf Schlittschuhen ihre Kreise, als ihr ein Mann auffällt, der sich offenbar ins Eiswasser stürzen will. Beim Versuch, ihn zu retten, stürzt sie schwer. Der Mann rettet nun sie. Wie immer hat ihm das Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein paar Monate später treffen sie sich wieder und erleben zusammen einen wunderschönen Sommer. Doch Toms Schwermut ist nicht so einfach mal aus der Welt zu schaffen, und auch über ihrem Leben liegt ein dunkler Schatten. Kann es eine Zukunft für sie beide geben?

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

Vor dem besten Sommer ihres Lebens


Prolog


Schon im Herbst hatte sie sich nach einem knackig kalten Winter mit Schnee gesehnt, aber meistens kam so etwas, wenn überhaupt, erst im Januar oder Februar. Nun war es Anfang Dezember, und schon seit zwei Wochen hielt ein strenger Frost das Land im Griff. Vor ihr streckte sich die gefrorene Fläche des Ukleisees aus, der im Schatten eines uralten Waldes in einer tiefen Senke lag. Er war eine Hinterlassenschaft der letzten Eiszeit. Sie wusste, dass dies der kälteste Ort im ganzen Landkreis war, weswegen die Eisdecke hier besonders dick sein musste. Ein frostiger Wind raunte durch die Kronen der Buchen und Eichen, die kahlen Äste wiegten ächzend hin und her.

Der Winter war ihre Lieblingsjahreszeit, was kaum jemand verstehen konnte. Trübe Stimmung? Melancholie? Keine Spur! Was auch daran lag, dass sie ein Faible für dicke Jacken hatte wie andere Frauen für Schuhe. Heute zum Beispiel hatte sie ihren hellgrauen italienischen Skianorak mit dunkler Kunstfellkapuze herausgekramt, der seit Jahren in ihrer Kommode gelegen hatte. Jetzt war er fast schon retro. In der Seitentasche hatte sie eine alte Kino-Eintrittskarte gefunden, ein peinlicher Film mit Robert de Niro. Noch peinlicher war damals ihre Begleitung gewesen, den Typen hatte sie schon vollkommen verdrängt.

Unterhalb des alten Jagdschlosses setzte sie sich auf einen gefrorenen Baumstumpf und fischte ihre weißen Schlittschuhe aus der extragroßen Karstadt-Tüte. Das Leder war an einigen Stellen abgewetzt, aber sie passten noch genauso gut wie früher. Voller Vorfreude stieg sie auf den weichen Waldboden mit den gefrorenen Fichtennadeln, der unter ihr leicht federte. So sah die Welt also aus, wenn man fünf Zentimeter größer war, nicht schlecht. Im normalen Leben würde sie mit dieser Höhe wohl vielen Männern Angst machen, denn sie war mit ihren eins neunundsiebzig auch ohne Schlittschuhe nicht gerade klein. Wie eine langbeinige Riesin stakste sie in Richtung See.

Vorsichtig stellte sie einen Fuß aufs Eis und wippte ein bisschen hin und her. Offiziell waren die Gewässer noch nicht freigegeben, aber das Eis wirkte fest wie Beton. Trotzdem blieb sie zunächst ein paar Schritte vom Ufer entfernt. Sicher war sicher. Doch nach wenigen Sekunden war ihr alles egal, sie nahm Schwung und jagte los. Die kahlen Bäume rauschten an ihr vorbei, der Fahrtwind füllte ihre Lungen und lud ihr Blut mit purem Sauerstoff auf.

«Jaaaaa!», rief sie laut.

Am Ende der Strecke ging sie aus vollem Lauf in eine enge Linkskurve, das rechte Bein gestreckt, das linke angewinkelt. So kannte sie es von früher – und es funktionierte immer noch. Anschließend schwenkte sie scharf nach rechts. Dabei verlor sie prompt das Gleichgewicht. Erst im letzten Moment konnte sie sich fangen, der Schreck schoss ihr wie eine Faust in den Magen. Das war gerade noch mal gut gegangen. Danach fuhr sie erst mal eine Weile langsam und brav geradeaus, bis sie wieder zu Atem kam. Ein paar Meter vor sich sah sie einen vermoosten Baumstamm aus dem Eis hervorlugen. Eine gefährliche Stolperfalle, der See war eben kein Eisstadion. Spontan nahm sie volle Fahrt auf und sprang über ihn hinweg – um auf der anderen Seite ziemlich wackelig zu landen. Bestimmt hatte sie eine jämmerliche Figur abgegeben. Also versuchte sie es noch einmal.

Sie zog eine Schleife und nahm diesmal mehr Anlauf, wurde dabei schneller und schneller. Der Absprung vor dem Stamm musste genau zum richtigen Moment kommen, volles Risiko, zum Bremsen war es zu spät. Beine anziehen, Atem anhalten, hoch und – siehste, geht doch! Diesen Sprung hätte man filmen sollen, er war richtig hoch, die Landung perfekt, so was konnte sich sehen lassen.

Unter dem Skianorak wurde ihr jetzt viel zu warm. Sie fuhr zum Baumstumpf am Ufer zurück und warf die Jacke zu ihren Schuhen. Der Norweger-Pullover würde reichen. Von aller Last befreit, fuhr sie den Ukleisee noch einmal in ganzer Länge ab. Unterhalb des Jagdschlösschens war er bauchig und breit, zum anderen Ende hin wurde er eng wie ein Teich. Dort hallten die Geräusche ihrer Schlittschuhe vom bewaldeten Ufer zurück, als befände sie sich in einem geschlossenen Raum.

Plötzlich knackte das Eis laut. Sie starrte panisch zwischen ihre Beine: Waren da Risse? Bitte nicht! Aber das Geräusch war eindeutig gewesen. Da entdeckte sie einen Mann, der vor einer umgestürzten Eiche stand. Der mächtige Stamm war samt Wurzelwerk und Krone in den See gekippt und dort festgefroren. Der Mann war gerade dabei, mit einer riesigen Axt ein Loch ins Eis zu hacken. Ein Angler vermutlich. Aber bohrten die ihre Löcher nicht normalerweise? Egal, immerhin war das eine Chance herauszubekommen, wie dick die Eisdecke wirklich war. Langsam fuhr sie auf den Typen zu.

Als sie näher kam, sah sie, dass er ungefähr in ihrem Alter war, Mitte dreißig. Sein dunkler Bart stand ihm überhaupt nicht, die braunen Haare waren lang und zottelig, das ausgeleierte T-Shirt und die fleckige Armeehose waren ein Fall für die Mülltonne. Mal abgesehen davon, dass das alles bei diesen Temperaturen überhaupt nicht ausreichte.

Der Mann setzte sich auf den Baumstamm und starrte auf das Loch vor ihm, in dem ein paar Eisstücke dümpelten. Sie bremste in respektvollem Abstand, um mögliche Fische nicht zu vertreiben.

«Moin», grüßte sie.

Es kam keine Antwort, er schaute nicht mal hoch zu ihr, sondern starrte weiter in sein Loch.

«Wie dick ist es?», fragte sie und guckte neugierig auf die Eiskante.

«Reicht», murmelte er.

«Danke.» Nach dem, was sie erkennen konnte, waren es über zehn Zentimeter. Wie war noch der Anglerspruch? «Na denn, Mast- und Schotbruch!», rief sie und fuhr wieder los. Nach ein paar Metern musste sie über sich selbst grinsen: Wie dämlich, das sagte man doch beim Segeln.

In diesem Moment fiel vor ihr eine dünne Schneeflocke herab und drehte sich dabei ganz langsam, wie eine Feder. Sie fuhr mit weit ausgestreckten Armen einen Kreis um die Flocke herum. Eine weitere kam vom Himmel, dann immer mehr. Sekunden später war es ein Tanz Tausender Schneeflocken. Über dem See wurden sie von Windböen erfasst und teilweise wieder nach oben gewirbelt. Um sie herum schneite es nun senkrecht und waagerecht, und sie war mittendrin! Der Laubwald am Ufer war in kurzer Zeit von einer weißen Pulverschicht bedeckt. Obwohl es auf den Abend zuging und sich der Himmel verdunkelte, wurde die Landschaft heller und freundlicher. Vor Freude hätte sie fast geheult, so schön war das. Sie fühlte sich, als ob sie auf einem großen Ball in einem Schneeschloss tanzte, wie im Märchen. Die Flocken jubelten ihr zu und freuten sich mit ihr, dass sie den Prinzen abbekommen hatte. Der alte Mädchentraum, da war er wieder: Schwanensee, Froschkönig, Dornröschen und ein bisschen auch Pippi Langstrumpf.

 

Die Schneeflocken wirbelten um ihn herum und bedeckten seine Haare, sein T-Shirt, seine Hose. Er starrte auf das Loch, das er mit der Axt ins Eis gehauen hatte. Faustgroße Eisklumpen schwammen im Wasser hin und her. Die würde er gleich von unten sehen. Langsam wurde ihm so kalt, dass seine Nieren zu schmerzen begannen. Egal, in ein paar Sekunden würde alles ganz leicht werden. Zu Anfang rechnete er mit einem Kälteschock, aber der ging schnell vorbei. Seine Kleidung würde sich voll Wasser saugen und ihn in die Tiefe ziehen. Der Kältetod, so hatte er gelesen, war einer der gnädigsten. Nach kürzester Zeit war man mit allem einverstanden und ließ los.

Er lächelte. Endlich ausschlafen, eine ganze Ewigkeit! Er ließ seinen Blick über die Hänge und den vereisten See wandern. Vorhin war ein Fuchs mit federleichten Schritten übers Eis gelaufen. Sein Fell hatte in der Winterlandschaft geleuchtet. In der Mitte des Sees war er stehen geblieben und hatte ihm direkt in die Augen geschaut. Der Fuchs war überhaupt nicht scheu, er schien ihn als Freund zu betrachten. Was für ein schönes Tier. Es würde das letzte Lebewesen sein, das er auf dieser Welt sah. Dachte er. Doch er irrte.

Blöderweise war diese Tussi auf ihren weißen Mädchen-Schlittschuhen herangestürmt und hatte das Tier vertrieben. Mit schnellen Schritten war der Fuchs im Wald verschwunden. Und sie hatte es noch nicht einmal bemerkt! Er war stinkesauer auf sie. Falls sie noch mal wiederkam, würde er sie mit der Axt verscheuchen.

Er holte zwei dünne Seile aus seiner Jackentasche und band die Zehn-Kilo-Hanteln, die er mitgebracht hatte, an seine Fußgelenke. Die Eisen würden ihm mehr Abtrieb geben und ein Auftauchen unmöglich machen. Wenn, dann richtig.

Eigentlich war es widersinnig, dass er gerade jetzt ging, denn er liebte die kalte, dunkle Jahreszeit. Alles konzentrierte sich im Winter auf das Wesentliche, Überflüssiges hatte keinen Bestand und wurde konsequent entfernt. Wie er. Die Kälte war ihm ein guter Freund. Passenderweise hieß er mit Nachnamen «Winter», sein Name war also Programm.

Langsam dämmerte es. Er war bereit. Nur noch einen Millimeter war er vom Paradies entfernt. Es musste gar nicht so großartig werden wie in der Bibel versprochen. Das Ende seiner jetzigen Existenz genügte ihm schon. Angst vor der Hölle hatte er keine – die kannte er bereits aus dem Leben. Leicht war es trotzdem nicht.

Er hatte seine Entscheidung gefällt, und sie war richtig. Sein Herz raste, ein unerträgliches Fiepen drang in sein Ohr und wurde immer lauter. Dazu stieg ein absurdes Gefühl in ihm hoch, mit dem er als Allerletztes gerechnet hatte: Er hatte irrsinnigen Durst! Und zwar nicht nach irgendwas, sondern … nach Mezzomix. Es musste Mezzomix sein. Er kicherte wie irre in sich hinein. Es war...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2016
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Depression • Föhr • Holstein • Insel • Krankheit • Liebe • Ostsee
ISBN-10 3-644-55441-2 / 3644554412
ISBN-13 978-3-644-55441-2 / 9783644554412
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