Gleißendes Glück (eBook)

Roman
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2016 | 1. Auflage
192 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42903-0 (ISBN)

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Gleißendes Glück -  A. L. Kennedy
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Manchmal ist Glücklichsein so schön, dass es fast weh tut Gleißendes Glück ist etwas, was Helene Brindel nicht kennt. Für die schüchterne Frau ist ihre Ehe ein Gefängnis, dennoch kann sie ihren groben Mann nicht verlassen. Als sie in ihrem Unglück auch noch ihr Vertrauen in Gott zu verlieren beginnt, sucht sie sich professionelle Hilfe: Sie wendet sich an den geschätzten Psychologen Eduard E. Gluck, den sie aus dem Fernsehen kennt. Der Glücks-Experte soll ihr helfen, ihre Alltagstristesse zu überwinden und neue Lebensfreude zu finden.  Doch seine professionelle Kühle ist nur Fassade... Zwei Menschen, zwei Herzen, zwei Seelen begegnen sich.

A.L. Kennedy, 1965 im schottischen Dundee geboren, wurde bereits mit ihrem ersten Roman >Einladung zum Tanz< (2001) berühmt und zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen englischen Autorinnen. Sie wurde mit zahlreichen wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Kennedy lebt in Glasgow. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an der University of Warwick. 

A.L. Kennedy, 1965 im schottischen Dundee geboren, wurde bereits mit ihrem ersten Roman ›Einladung zum Tanz‹ (2001) berühmt und zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen englischen Autorinnen. Sie wurde mit zahlreichen wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Kennedy lebt in Glasgow. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an der University of Warwick. 

 

 

 

 

Mr. Brindle gefiel sein Geschenk nicht besonders.

»Was ist denn das?«

Sie hätte es ihm lieber vor dem Essen geben sollen, dann wäre er nicht schon wegen der angebrannten Pastete verärgert gewesen. Seltsam, wie schnell sie beim Kochen und Backen aus der Übung kam – ein paar Tage ausgesetzt, und schon brachte sie nichts Anständiges mehr zustande.

»Was ist das?«

»Ein Hologramm.«

Er umklammerte den Rahmen des Bildes mit beiden Händen und drehte es vor und zurück, aber er starrte sie dabei an und konnte deshalb natürlich nicht sehen, wie sich das Bild veränderte. »Ich weiß, dass das ein Hologramm ist, ich habe so was schon mal gesehen. Ich meine, was soll es darstellen? Ich kann nichts erkennen.«

»Es tut mir leid, dass ich weggefahren bin.«

»Darum geht es gar nicht. Es geht um das hier: dein Geschenk, das nicht funktioniert. Wenn ich mich darüber ärgern will, dass du mit deiner verrückten Schwester durch Europa gondelst und dich einen Dreck um mich scherst, dann ärgere ich mich darüber. Ich habe einen freien Willen. Das sagst du doch immer, oder?«

»Ja.«

»Also?«

»Ich glaube, es funktioniert, wenn das Licht besser ist.«

»Und?«

»Sie musste einfach mal raus.« Mrs. Brindle verfestigte ihre ursprüngliche Lüge, die sie von nun an verfolgen würde, bis sie entweder ihr Schuldgefühl vergaß oder die Wahrheit. Andererseits verfestigt sich eine Lüge nur dann, wenn man sie die Oberhand gewinnen lässt. »Die Scheidung und alles – sie brauchte mal Urlaub.« Sie sah ihn mit ruhigem Gesicht an, mit arglosen Augen, und erlaubte ihm einen Blick auf ihre ganz ehrliche Reue, die er auslegen konnte, wie er wollte: wegen ihrer Pflichtvergessenheit, einer heimlichen Verfehlung, Gedanken an einen Seitensprung. Gott weiß was.

»Ich meine nicht deine Schwester. Ich meine das hier. Obwohl es gar keinen Zweck hat, darüber zu reden. Es funktioniert ja nicht.«

Mr. Brindle stellte das Bild neben seinen noch nicht abgeräumten Teller und gab ihr Gelegenheit, beide Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Das Hologramm würde mit dem misslungenen Backwerk entsorgt werden, aber sie hoffte doch, dass sie mit dem Sommerpudding und der Sahne mit einem Hauch von Zimt mehr Glück haben würde. Den hatte Mr. Brindle immer gemocht, und er sah einfach prachtvoll aus, all die verschiedenen Rottöne – die Früchte der Jahreszeit verbreiteten in der Küche einen Duft, der sie ans Beerenpflücken und an jüngere Tage erinnerten.

Sie setzte sich wieder an den Tisch und beobachtete ihn, während er probierte, prüfte, die weiße Sahne und die saftigen Früchte zu einer rosa verlaufenen Masse verrührte. Würde sie sich an den Prozess und seine Ernährungsvorschriften halten, dürfte sie so etwas nicht essen. Stattdessen hätte sie die Ergänzungsstoffe und Spurenelemente eingekauft, die er verordnet hatte; viel zu viel, um es irgendwo in Mr. Brindles Haus verstecken zu können.

Mr. Brindle begann zügig zu essen, und Zufriedenheit strahlte von seiner Stirn und seinen Lippen. Mr. Brindle hatte sich noch nicht über ihre Reise geärgert, aber heute Abend würde er es wohl nicht mehr tun. Später reichte auch noch. Als er ihr seine Schale reichte, hatte er keinen strengen Blick aufgesetzt. Er rieb ihr sogar mit dem Zeigefinger über den Handrücken.

Weil sie weggewesen war und er womöglich darüber gegrübelt hatte, dass sie ihm in keiner Weise zur Verfügung gestanden hatte, würde er sie heute Nacht womöglich auffordern, bei ihm zu liegen. Nicht, dass sie sonst nicht in einem Bett schliefen, aber vielleicht erinnerte er sich daran, wie sie früher die gemeinsame Schlafstatt genutzt hatten. Sie würde sich nicht verweigern. Ablehnung wäre unklug, und er würde auch nicht viel verlangen, nicht mehr als einmal. Sie würden wieder versuchen, einander zu lesen, und würden wieder entdecken, dass sie in zwei verschiedenen Sprachen geschrieben waren, die nicht zu übersetzen waren. Ihre Wünsche würden verblassen, oder besser, Mr. Brindles Wünsche würden verblassen. Nach etwa einer Stunde könnte sie ihn verlassen und nach unten gehen, um sich auf einen Morgen zu freuen, der wegen der schlichten Pläne, die sie für den Tag gemacht hatte, hoffen ließ.

 

 

 

Die Tage nach ihrer Rückkehr aus Stuttgart schienen den Tagen vorher so sehr zu gleichen, dass Mrs. Brindle manchmal gar nicht an die Reise denken musste. Dem Prozess hatte sie den Rücken gekehrt. Ihre Sammlung von Zeitungsausschnitten über seinen Erfinder, ihre Artikel und Notizen lagen unter dem Papierfutter einer Küchenschublade, aber sie hätte sie ebenso gut wegwerfen können. Irgendwann würde sie das auch alles wegwerfen, aber im Moment würde sie die Berührung noch zu sehr an einen Mann erinnern, und an das, was er tat, und im Allgemeinen war ihr Leben frei von diesen Erinnerungen.

Frei bis zur Dunkelheit. In der schwärzesten Stunde der Nacht, wenn die altbekannte Todesfurcht mit schnellem, ungehemmtem Zittern über sie hinwegglitt und sie anhauchte – dann war auch Edward da. Sie lag zusammengerollt auf der Seite, das Gesicht auf dem rauen Teppich, sie schloss die Augen und sah immer wieder ihr Alter und die Zeit, die ihr höchstens noch verblieb, sah die Niederlagen und Abnutzungen, die langsam einsickerten und ihr Leben bereits trübten und die zu nichts anderem führen konnten als zu der Erinnerung an ihre Lügen und Dunkelheit in ihren Gedanken. Die Lügen und Gedanken an Edward würden sich in ihr verhärten wie altes Blut, und der Tod würde sie aushöhlen, bis nichts als ein getrübter und geronnener Widerhall ihrer selbst übrigblieb.

Sie würde durch und durch schlecht sein, wegen Edward – wegen des steten Säuretropfens Edward –, wegen des hartnäckigen und giftigen Schattens, der ihr vor Augen führte, wie er sich mit der Stirn zuerst und dann mit dem ganzen Körper umdrehte, der ihr den Duft seiner Hand in Erinnerung rief, der in ihre Haut gedrungen war, und das unmögliche, rasende Gefühl, das sich beim Geräusch seines Atems am Telefon näher schlich. Und das alles war ihre eigene Schuld und ihre eigene freie Entscheidung. Sie hütete die schmerzhaften Erinnerungen unter ihren Augenlidern und unter der Zunge, neben dem Kribbeln ihres Appetits. Das konnte sie auf ihrem Lebenskonto nicht ausgleichen, und ebenso wenig eine Urlaubsreise, die eine Lüge war und die sich so sehr um einen Mann und sein Fleisch drehte und so wenig um den Geist und um jene andere Liebe, die sie verloren hatte.

Nach Sonnenuntergang, wenn sie allein war, bestand sie nur noch aus falschen Gedanken: so falsch wie jetzt wieder, als ein Teil von ihr ausrufen wollte, wenn Gott nicht wollte, dass ich so etwas denke, dann hätte er mich nicht so erschaffen sollen. Gott sollte fair sein. Wenn es Seine göttliche Absicht gewesen sein sollte, dass sie sich an Sein Gesetz hielt, dann hätte Er sie nicht allein mit allem fertigwerden lassen sollen oder ihr ein paar Tage Freude schenken und sie dann wieder niederwerfen. Sie war zu lange sehr allein und sehr müde gewesen, und nicht einmal Heilige konnten das immer ertragen.

Mr. Brindle hatte die Angewohnheit, ihr seine Meinung über Heilige zu unterbreiten.

»Selbstmord ist Selbstmord. Sie bringen sich um, und dann werden sie von allen möglichen Leuten gemalt, und alle nennen ihre verdammten Kinder nach ihnen.«

»Sie sind Beispiele.«

»So eine Scheiße.«

»Sie sind Beispiele.«

»Okay, gut, sie sind Beispiele. Dann hast du also tausend Beispiele, wie du dich benehmen sollst, wie du denken sollst und an welche Regeln du dich halten sollst. Und warum gehst du dann nicht mehr in die Kirche? Hm?«

»Das weißt du doch.«

»Da hast du ganz recht, das weiß ich. Das weiß ich genau. Du hast Vernunft angenommen. Bist hier rumgekrochen, als wärst du mit deinem Scheißjesus verheiratet … dafür hab ich dich nicht geheiratet. Und immer dieses beschissene kleine Edinburgh-Lächeln, Scheiße noch mal!«

»Das ist nicht –«

»Was? Wahr? Du hast mich haben wollen, und du hast mich gekriegt, und jetzt musst du verdammt noch mal mit mir leben, und ich kenne dich. Mich verarschst du nicht. ›Ich hab meinen Glauben verloren, ich hab meinen Glauben verloren.‹ Du hast nie einen gehabt. Du hast es wohl vergessen: Ich hab’s gesehen. Ich hab gesehen, in welchem Zustand du aus diesem Drecksloch, aus deiner verdammten Kirche nach Hause gekommen bist. Ich habe die Farbe auf deinen Wangen gesehen. Ich wusste Bescheid. Du bist bloß dahin gegangen, um zu kommen. Schweißnass, die Augen zu, auf Knien – du bist verdammt noch mal gekommen. Ich weiß Bescheid. Du hast bloß gekniet, weil du nicht mehr stehen konntest. Und dann hat Gott keinen mehr hochgekriegt, also hast du ihn verlassen. Hab ich recht? Hab ich recht?«

Er wurde nicht immer so wütend. Er war gerade in Gedanken mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen, und sie war so dumm gewesen, ihm ihren Zustand erklären zu wollen, sie wollte über das reden, was zwischen ihnen stand und immer undurchdringlicher wurde und sich im ganzen Haus ausbreitete, sodass sie kaum noch atmen konnten, wenn sie beide darin waren. Jeder Artikel, jedes Buch über die Ehe und Unstimmigkeiten zwischen Partnern hatte ihr geraten, dass sie sich erklären solle, und sie hatte es versucht. Falscher Abend, das war alles, sie hatte sich den falschen Abend ausgesucht.

»Hab ich recht? Hab ich recht?«

Mr. Brindle hatte sie am Handgelenk gepackt, hatte sie...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2016
Übersetzer Ingo Herzke
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ehehölle • Gewalt in der Ehe • Gewaltpornos • Glasgow • Glückssuche • Lebensglück • Liebesgeschichte • Liebesroman • London • Martina Gedeck • Pornografiesucht • Stuttgart • Ulrich Tukur • Verfilmte Bücher • verfilmte Literatur
ISBN-10 3-423-42903-8 / 3423429038
ISBN-13 978-3-423-42903-0 / 9783423429030
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