Livealbum (eBook)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31543-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Livealbum -  Benjamin von Stuckrad-Barre
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein Autor auf Lesereise, unterwegs mit dem eigenen Werk. Wie verändert sich ein Mensch, wenn er jeden Nachmittag Interviews und jeden Abend den Entertainer gibt? Das Foto in Zeitschriften vertrauter erscheint als das Spiegelbild? Was sucht und findet man auf einer Bühne und dahinter, wer steht davor und wer steht das durch? »Livealbum« erzählt von Höhenflügen und Abstürzen, von skurrilen Erlebnissen mit dem Kulturbetrieb und dessen Personal, von überwältigendem Feedback und irritierenden Rückkopplungseffekten.

Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren, ist Autor von »Soloalbum«, 1998, »Livealbum«, 1999, »Remix«, 1999, »Blackbox«, 2000, »Transkript«, 2001, »Deutsches Theater«, 2001, »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft - Remix 2«, 2004, »Was.Wir.Wissen«, 2005, »Auch Deutsche unter den Opfern«, 2010, »Panikherz«, 2016, »Nüchtern am Weltnichtrauchertag«, 2016, »Udo Fröhliche«, 2016, »Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen - Remix 3«, 2018 und »Alle sind so ernst geworden« (mit Martin Suter), 2020.

Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren, ist Autor von »Soloalbum«, 1998, »Livealbum«, 1999, »Remix«, 1999, »Blackbox«, 2000, »Transkript«, 2001, »Deutsches Theater«, 2001, »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft – Remix 2«, 2004, »Was.Wir.Wissen«, 2005, »Auch Deutsche unter den Opfern«, 2010, »Panikherz«, 2016, »Nüchtern am Weltnichtrauchertag«, 2016, »Udo Fröhliche«, 2016, »Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal hinlegen – Remix 3«, 2018 und »Alle sind so ernst geworden« (mit Martin Suter), 2020.

Show #2


Von der Kleinstadt zum nächsten Flughafen war es viel zu weit. Ich wünschte mir einen Tourbus. Ich war nicht in der Stimmung, vom Bus in den Nahverkehrszug zu steigen, weiter in den InterRegio, von dort in den InterCity und schließlich ins Taxi und dann endlich ins Flugzeug. Ich war kein Vielflieger, der letzte Flug lag Jahre zurück, war damals billig, in die Sonne und pauschal gebucht, und deshalb verhielt ich mich sehr uncool am Flughafen: 4 Stunden zu früh da, dann der Versuch, zollfrei einzukaufen, obwohl ich nur innerhalb Deutschlands flog, und schließlich gab ich auch noch mein Handgepäck aufs Band, obwohl ich doch im Flugzeug darauf zugreifen wollte, und deshalb musste die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft das Band zurückschnurren lassen und das Papierschleifchen wieder abreißen. Hinter mir guckten die Menschen abwechselnd in den Himmel und auf ihre Uhren. Ich setzte mich in die Wartehalle und fing an, Gratiszeitungen zu lesen. Dann machte ich mir einen gänzlich würdelosen Tee: Der Fluggast selbst muss handwarmes Wasser auf Beutel gießen, und die Beutel gibt es nur in nicht schmeckenden Billigsorten wie Früchtecocktail und Ostfriesenmischung. Der Fruchtteebeutel entlässt rote Schlieren ins Wasser, und nach 3 Minuten schmeckt das Gemisch nach nichts mit Zitrone. Zum Glück war die Tasse sehr klein. Wäre sie größer gewesen, hätte ich sie aber auch ausgetrunken, denn wartend schöpft man jede Zerstreuungsoption demutsvoll aus.

Im Flugzeug saßen Henry Maske, Birgit Schrowange, Uwe Ochsenknecht, Ingo Appelt, Ilona Christen, Frank Elstner, Otto Waalkes und lauter andere Berühmtheiten, weil in der großen Stadt ja meine Lesung angekündigt war, haha, und obendrein sogar noch irgendein Fernsehereignis. Einige Minuten lang versuchte ich wie alle anderen Nichtprominenten an Bord, mich normal zu verhalten, also unauffällig, niemanden um ein Autogramm zu bitten, weder meinen Gangplatznachbarn zu fragen, wer denn der da vorne noch gleich ist, noch zu informieren, dass mir der Name auf der Zunge liege, ich aber partout nicht drauf komme, woher ich den noch mal KENNE, ob der Sportler ist oder Moderator oder was es sonst so gibt. Die Prominenten taten mir leid – so künstlich normal verhielten sie sich aus lauter Angst, exaltiert zu wirken und deshalb irgendwann als Leute von gestern in Bunte zu stehen (arrogant! abgehoben!), dass sie verdammt alles erklärten und kommentierten, jeden Furz anmoderierten:

– So, dürfte ich gerade noch mal, ich muss noch mal an meine Tasche ran/Ach, ich zieh mir doch mal meine Jacke aus, ist ja doch nicht so kalt jetzt/Ist das Ihre Lüftung, so, nach rechts schrauben, ja, begreife ich auch nie, diese Zeichnungen/Stört es Sie, wenn ich die Lehne etwas zurückklappe?

Als die Stewardess Zeitschriften verteilte, traute sich keiner, die Branchenschülerzeitungen Gala und Bunte zu bestellen, weil die Anlässe der Berichterstattung ja direkt nebenan saßen, und es jedem Einzelnen offiziell natürlich vollkommen egal war, die schreiben ja doch, was sie wollen, das muss man professionell sehen, das gehört zum Job, schließlich verdienen wir auch eine Menge Geld, wenn es dir in der Küche zu heiß wird, geh doch in die Speisekammer. Ich hatte mir das lässiger vorgestellt, gedacht, da sagt dann Schrowange zu Maske: Guck mal, wie albern ich da schon wieder aussehe und was ich da für blöde Sachen sage, nur damit ich in die Zeitung komme. Und dann würde Maske sagen: Ja, sicherlich, aber ich hier im Klatschteil bei der mit vier Tröten bewerteten Karnevalsparty in Polonaiseverstrickung mit dem amerikanischen Botschafter, und dann noch Ulla Kock am Brink im Arm, auch nicht unpeinlich, ich meine, ich rauche sonst nie Zigarre, und da eben dann doch, weil die Ulla gesagt hat, dass man dann öfter fotografiert wird, und zack, schon hat es geklappt.

Stattdessen stieß Henry Maske sich tollpatschig an der Belüftungsdüse, rieb sich missgelaunt den alpecinnassen Hinterkopf, und dann fiel sein Kleidersack aus dem Handgepäckfach direkt auf den Schoß von irgendeinem RTL-Infogesicht, und das RTL-Infogesicht sagte »Hopsala«, darauf Maske: »Sorry.« Ich begann, die Prominenten gezielt anzugaffen, sie waren so interessant langweilig. Vor mir saßen Ingo Appelt und seine Frau, und aus einer Klatschzeitung, die ich mir unter den neidischen Blicken der anderen bestellt hatte, konnte ich nachlesen, dass Ingo Appelts Manager einen Haufen Geld veruntreut hatte und deshalb jetzt seine Frau das Management übernommen hat. Wenn man solches beim Zahnarzt oder beim Gynäkologen oder auf dem Ausflugsdampfer »MS Loreley« liest, glaubt man es gar nicht, also dass diese Leute wirklich leben und diese Dinge TUN, die da STEHEN, aber nun, bitte schön, konnte ich es direkt überprüfen, und tatsächlich las die Frau des Komikers Ingo Appelt ihm mit Sklaventreiberstimme seinen Terminkalender vor. Und der Seriendarsteller, dessen Namen ich zwar nicht parat hatte, sehr wohl aber, dass er im Sommer auf Anfrage bekannt gegeben hatte »Ja, ich habe ein paar Pfunde zugelegt, richtig«, und sich brav vorgenommen hatte, wieder sein »Kampfgewicht zu erlangen, 10 Kilo müssen runter«, der also wedelte verneinend mit der Hand, als ihm die Stewardess ein Menütablett reichte. Auch das war also wahr und wirklich, das Image dieser Zeitschriften hinsichtlich der Zuverlässigkeit ihrer Mitteilungen bedurfte offenbar einer Korrektur. Dann musste Henry Maske einer Stewardess erklären, dass er sie nicht gerufen, möglicherweise aber mit dem Kopf den Rufknopf angedötscht hatte.

Am Großstadtflughafen warteten am Ausgang viele Menschen auf die Leute aus den Zeitungen – Abholer und vor allem Autogrammsammler. Die elektrische Schwingtür summte auf, und die Erwarteten traten heraus, grinsten, winkten und nickten mittelgerührt, als sei dies keine Ankunftshalle, sondern eine Galabühne. Mädchen mit Autogrammbüchern sondierten das Angebot und hielten den Ausgewählten wortlos ihre Blankobüchlein hin. Anders als ich gehörte das offenbar dazu. Unangenehm war es meinen Mitfliegern nicht etwa, angesprochen, angegangen und -gefasst zu werden, der Super-GAU war, vor den Augen der Kollegen nicht erkannt zu werden, oder noch härter, wenn einem das gerade gereichte Buch entrissen wurde, weil ein noch Prominenterer des Weges kam. Diese Wackelkandidaten kurz vor der Ausfahrt Gnadenhof, gleichbedeutend mit Einladungen bloß noch zum MDR-Riverboat oder ZDF-Fernsehgarten, gingen deutlich langsamer, damit doch noch jemand kam, und der kriegte es dann richtig besorgt – hallo, Marktwert, schrie jede Bewegung: die Tasche abgestellt, die Sonnenbrille ins Haar geschoben, des Sammlers Stift abgewehrt, Moment, ich habe meinen Spezialstift dabei, umständlich wird der aus der Mantelinnentasche gepellt, so, für wen ist denn das? Heute haben wir den? Und so. Extended Version. Dass die anderen mal bloß nicht denken, es ginge langsam zu Ende. Zwei Mädchen ließen, weil bei dem viele standen, auch Tommi Ohrner in ihr Buch schreiben und fragten den routiniert Signierenden rücksichtslos: Wer sind Sie noch mal? Da fiel Tommi Ohrner überhaupt keine Antwort ein, ja, wer bin ich denn noch mal? Na, der Typ aus dem Fernsehen. Er sagte

– Gute Nummer, muss ich mir merken.

Da guckten die Mädchen mich an und riefen

– Ey geil, da ist Lars Ricken.

Ich überlegte, dass ich meine Haare doch etwas zu kurz geschnitten hatte, und schon hielten sie mir einen Stapel Hefte hin. Ich schrieb ganz ordentlich Lars Ricken, zuerst noch beinahe in Blockschrift, am Ende sah es schon sehr autogrammig aus, mit Schwung und in einem Zug, statt eines exakten i-Punktes ein fahriger Leider-keine-Zeit,-ich-muss-weiter-Mädels-Strich. Und da sagten sie Danke, und das war’s. Ich hatte mich immer gefragt, woher die Leute aus Bunte und Gala sich alle gegenseitig kennen. Ob die sich einmal vorgestellt werden, so, das ist der Soundso aus dem Fernsehen, und das ist die Dingens aus dem Kino, und der da spielt ja Gitarre dort, und sie, kennt ihr euch, also, sie hat früher bei Spiegel-TV-Berichten nachträglich am Schneidetisch die Bilder verwackelt, damit es authentisch und investigativ wirkt, und ist die Frau von ihm, und er war mal Assistent beim Tatort, und jetzt grüßt euch bitte in Zukunft und lasst euch zusammen fotografieren. Jedenfalls gehörte ich plötzlich dazu, bloß weil die Mädchen gedacht hatten, ich sei Lars Ricken, denn nun drehte sich Uwe Ochsenknecht nach mir um und sagte

– Unser Bus ist da vorne, glaube ich, Sie fahren doch auch zur Preisverleihung, oder?

Zwar musste ich ja keineswegs zur Preisverleihung, aber in die Stadt auf jeden Fall, und warum nicht Geld sparen und mit Uwe fahren. Ich ging hinter Uwe Ochsenknecht her und war überrascht, dass er Lars Ricken nicht duzte. Da schrie Birgit Schrowange

– Wartet ihr auf mich?

Natürlich warteten wir gerne, und ich merkte, spätestens ab zwei Promis wird sich geduzt. Ein netter Mann (»Fahrbereitschaft, Möller mein Name, grüße Sie ganz herzlich«) hoffte, dass wir einen guten Flug hatten, stapelte unser Gepäck in den Kofferraum eines VW-Busses, und Frau Schrowange bat, ihre Tasche nach ganz oben zu legen, weil da ein Kleid drin sei, sie zwinkerte

– Ihr Männer könnt doch ruhig verknittert sein, und da sagte Uwe Ochsenknecht mit einer merkwürdigen Sammelduschenintimität in der Stimme

– Ach, na sicher doch, mehr Falten als mein Gesicht kann auch der zerknittertste Anzug nicht haben, was?

Ich lachte, damit ich nichts sagen musste. Ein Notthema gab es auf jeden Fall, Flugangst nämlich, aber das durfte ich nicht...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2016
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Benjamin von Stuckrad-Barre • BlackBox • Deutschland • Erlebnisse • Gesellschaft • Lesereise • Medien-Welt • Nüchtern am Weltnichtrauchertag • Panikherz • Soloalbum
ISBN-10 3-462-31543-9 / 3462315439
ISBN-13 978-3-462-31543-1 / 9783462315431
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99