Morgens in unserem Königreich (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
272 Seiten
Feelings (Verlag)
978-3-426-42449-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Morgens in unserem Königreich -  Gernot Gricksch
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Wie kaum ein anderer deutscher Autor versteht Gernot Gricksch es, Geschichten zu erzählen, die Männer zum Lachen zu bringen und Frauen zu Tränen zu rühren (und manchmal andersherum). So eine Geschichte ist auch die von Arne: Dass ausgerechnet er bei den Zeugen Jehovas landet, muss ein besonderer Scherz Gottes sein, lebenslustiger Windhund voller schräger Ideen, der er ist. Eigentlich will er auch gar nicht lange bleiben. Aber dann lernt er Johanna kennen. Tatsächlich bringen die beiden und ihre Liebe, die gegen alle Regeln verstößt, Veränderung in die kleine Gemeinde. Doch das wird längst nicht von allen gern gesehen. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis Arne und Johanna eine schwere Entscheidung treffen müssen.

Gernot Gricksch, geboren 1964, ist Kolumnist, Kinokritiker und Autor von Romanen, Sachbüchern und Drehbüchern. Er ist einer der meistverfilmten deutschen Autoren und lebt mit seiner Familie in Hamburg. Gernot Gricksch versteht es wie kaum ein anderer deutscher Unterhaltungsautor, sein Publikum zum Lachen zu bringen, zu Tränen zu rühren und dabei so einiges über das Innenleben von Männern zu verraten, was »echte Kerle« nur zu gerne für sich behalten und viele Frauen gerade deswegen hochspannend finden. Zu Gernot Grickschs größten Erfolgen gehören »Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande« und »Freilaufende Männer«. Sein Roman »Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe« wurde 2006 mit dem Literaturpreis DeLiA als bester Liebesroman des Jahres ausgezeichnet, die eigene Drehbuchadaption mit dem Norddeutschen Filmpreis und dem Bayerischen Filmpreis. Nach »Freilaufende Männer« wurde 2012 der Roman »Das Leben ist nichts für Feiglinge« mit Wotan Wilke Möhring verfilmt.

Gernot Gricksch, geboren 1964, ist Kolumnist, Kinokritiker und Autor von Romanen, Sachbüchern und Drehbüchern. Er ist einer der meistverfilmten deutschen Autoren und lebt mit seiner Familie in Hamburg. Gernot Gricksch versteht es wie kaum ein anderer deutscher Unterhaltungsautor, sein Publikum zum Lachen zu bringen, zu Tränen zu rühren und dabei so einiges über das Innenleben von Männern zu verraten, was »echte Kerle« nur zu gerne für sich behalten und viele Frauen gerade deswegen hochspannend finden. Zu Gernot Grickschs größten Erfolgen gehören »Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande« und »Freilaufende Männer«. Sein Roman »Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe« wurde 2006 mit dem Literaturpreis DeLiA als bester Liebesroman des Jahres ausgezeichnet, die eigene Drehbuchadaption mit dem Norddeutschen Filmpreis und dem Bayerischen Filmpreis. Nach »Freilaufende Männer« wurde 2012 der Roman »Das Leben ist nichts für Feiglinge« mit Wotan Wilke Möhring verfilmt.

1.


Die verkohlten Bratwürste gehörten ganz nach links. Zwei, drei Stück lagen da eigentlich immer, am äußersten Rand des Grills.

Gerade wenn der Andrang groß war, etliche Touristen und Partypeople sich vor der Imbissbude drängelten und ihre Bestellungen durcheinandergrölten, vergaß Arne manchmal, die Würste auf dem Grill rechtzeitig zu wenden. Aus irgendeinem Grund tendierten dann besonders die Krakauer dazu, schnell anzubrennen. Erst wurden sie außen trocken und faltig, ein wenig wie Packpapier sah die Pelle dann aus, und dann, ganz schnell, nahmen sie eine schwarze Färbung an.

Anfangs hatte Arne diese Wurst-Unfälle noch schuldbewusst in den Mülleimer geworfen. Doch als Udo, dem die Imbissbude gehörte, das bemerkte, holte er die Wurst, die Arne gerade entsorgt hatte, aus dem Abfall, wischte sie mit einem Haushaltspapier notdürftig ab und legte sie zurück auf den Grill. Ganz nach links.

»Die Verkohlten geben wir den Besoffenen«, erklärte er. »Die merken eh nix mehr.«

»Aber da kriegt man doch Krebs von, von den angebrannten Dingern«, wagte Arne anzumerken.

»Alter«, knurrte Udo. »Ist das mein Problem?«

Inzwischen arbeitete Arne seit über ein Jahr im Imbiss an der Reeperbahn, und es war ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen, die karzinogenen Linkswürstchen wie selbstverständlich an jene Kunden auszugeben, die torkelnd und mit glasigem Blick ihre Bestellung aufgaben. Und Udo hatte recht gehabt: Die merkten nichts. Noch nie hatte sich einer beschwert.

 

Arne füllte gerade den Kühlschrank mit Bierflaschen auf, als er Mia auf den Imbiss zukommen sah. Er winkte ihr zu.

»Hey, Süße«, sagte er und beugte sich über den Tresen, um ihr einen Kuss zu geben. Etwas Hartes kratzte an seinen Lippen.

»Neues Piercing?«, fragte Arne und zeigte auf den Ring, der sich durch Mias Unterlippe zog.

»Gefällt’s dir?«, fragte Mia.

»Ja. Cool«, nickte Arne.

»Hast du die Karten besorgt?«, fragte Mia.

Arne schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, seufzte er. »Ist schon ausverkauft.«

»Was?!« Mia war sauer. »Ich hab dir schon vor drei Wochen gesagt, dass du die Karten kaufen sollst. Da hatte der Vorverkauf gerade erst angefangen!«

Arne verzog schuldbewusst das Gesicht. Er wusste, wie wichtig Mia das Vampire-Weekend-Konzert im Docks war. Es war ihre absolute Lieblingsband, und er hatte ihr versprochen, sie einzuladen. Da das Konzert genau auf ihren ersten Jahrestag als Paar fiel, schien das die perfekte Idee für eine romantische Geste zu sein. Doch sechsundvierzig Euro pro Karte war happig. Zu happig für Arne. Gerade jetzt, wo sich seine Schulden zu einem kaum noch übersehbaren Berg angehäuft hatten. Also hatte Arne, wie so oft, zu tricksen versucht.

»Nulle hat gesagt, er könne uns durch den Seiteneingang reinschleusen«, erklärte er Mia. »Sein Bruder arbeitet doch für die Security, der hätte uns locker da umsonst durchgemogelt. Ich meine: Die Karten sind echt scheißteuer. Aber jetzt wurde Nulles Bruder kurzfristig bei André Rieu in der Barclaycard-Arena eingeteilt und … na ja …« Arne setzte sein schiefes Grinsen auf, das normalerweise bei Mia immer ein verzeihendes Lächeln hervorzauberte. »Ich schätze, du hast nicht zufällig Lust, unseren ersten Jahrestag inmitten fröhlicher Rentner mit einem Wiener Walzer zu feiern?«

Mia lächelte nicht. Sie drehte sich einfach um und ging.

»He, Mia!«, rief Arne ihr hinterher. »Es tut mir leid! Wirklich! He, ich lass mir etwas einfallen, ja?!«

Mia hob den Arm nebst ausgetrecktem Mittelfinger, während sie weiterging, ohne sich noch einmal umzudrehen.

»Ey, Wasisnjetzt mit mein Wurst?«, lallte der Typ, der Arnes und Mias Gespräch mit zunehmender Ungeduld mitgehört hatte.

Er gehörte zu einer Gruppe von sechs Männern, die offenbar einen exzessiven Junggesellenabschied gefeiert hatten und jetzt bei dem obligatorischen Fettfood-Finale angekommen waren. Sie alle trugen alberne Hüte und T-Shirts mit dem Aufdruck Maiks Last Day of Freedom. Arne hatte keine Ahnung, welcher dieser wankenden Endzwanziger Maik war, aber keiner der sechs sah so aus, als ob er in der Lage wäre, in wenigen Stunden aufrecht in einer Kirche zu stehen und ein Jawort zu geben.

»Wurst, ey«, maulte der Mann.

»Kommt sofort, immer mit der Ruhe«, knurrte Arne und reichte dem Mann mit dem Hütchen einen Pappteller mit einer schwarzen Krakauer drauf.

 

Ab vier Uhr morgens war Arnes Feierabend in Sicht. Da tauchten nur noch selten Nachteulen an der Bude auf. Udo war längst gegangen. Also fing Arne an aufzuräumen, zu wischen und zusammenzupacken. Fast wäre ihm der kleine Stoffteddy mit dem FC-St.-Pauli-T-Shirt, der oben neben den Servietten auf dem Regal thronte, in die Fritteuse gefallen. In letzter Sekunde konnte er ihn auffangen und zurück auf seinen Platz stellen. Arne fand es unhygienisch, ein Stofftier in der unmittelbaren Nähe der Lebensmittel aufzubewahren. Das hätte es in der Küche seiner Eltern nie gegeben. Aber das war hier nicht Bergkampstedt, sondern die Reeperbahn. Und Devotionalien des innig geliebten lokalen Fußballvereins waren quasi Bürgerpflicht.

Während Arne räumte und wischte, beendeten auch die Straßenhuren schräg gegenüber so langsam ihren Dienst. Einige von ihnen aßen noch einen kleinen Happen am Imbiss, bevor sie zu Hause erschöpft ins Bett fielen. Es waren nicht die tragischsten Prostituierten-Exemplare, die man auf dem Kiez fand. Ihr Revier, nahe dem Polizeirevier Davidswache, war das Filetstück von St. Pauli. Wer hier Dienst tat, war einigermaßen sicher und unter Beobachtung der Ordnungshüter. Die Minderjährigen, die Drogensüchtigen, die Russinnen, Rumäninnen und Ukrainerinnen, die nicht freiwillig taten, was sie taten, schafften woanders an.

Zwei von ihnen – Lina und Anne (beziehungsweise Lucy und Marielle, wenn man ihre Kunden fragte) – kamen an Arnes Bude. Sie beendeten ihren Arbeitstag fast immer mit einem kleinen Snack.

»Hallo, Arne«, lächelte Anne. »Hast du noch zwei Schinkenwürste für uns?«

»Ich kann nicht glauben, dass ihr euch nach sechs Stunden Dienst immer noch etwas Langes, Fleischiges in den Mund stecken mögt«, grinste Arne und reichte ihnen zwei Pappbrettchen mit den Würsten.

Die beiden jungen Frauen lachten und vollführten natürlich prompt eine Fellatio-Pantomime mit dem Essen.

Viele der jungen Prostituierten flirteten mit Arne. Er sah gut aus, er war auf eine struppige Art charmant, er war ein cooler Typ. Und er flirtete gut gelaunt zurück. Aber er hatte noch nie mit einer der Huren Sex gehabt, weder für Geld noch privat. Die Vorstellung reizte ihn nicht, sie stieß ihn sogar ein wenig ab. Er fand es blöd und spießig, dass er so empfand, aber er konnte nichts dagegen tun.

Arne war nicht in die Kiez-Welt hineingeboren worden. Er war sozusagen ein Seiteneinsteiger. In ihm existierte auch immer noch der Arne, der in dem kleinen Kaff Bergkampstedt aufgewachsen war. Ein erzkonservatives Örtchen. Seine Eltern hatten den dortigen Dorfkrug betrieben, seine Mutter war Vorsitzende des Landfrauenvereins, sein Vater Schützenkönig. Arne war mit achtzehn nach Hamburg gekommen, hatte die erste Chance zur Flucht aus dem ländlichen Raum genutzt. Seine Eltern – deren Liebe zu ihm sich vor allem in Vorwürfen und vermeintlich guten Ratschlägen manifestierte – sah er nur noch selten. Sie waren enttäuscht gewesen, dass er schon als Vierzehnjähriger angekündigt hatte, niemals das elterliche Lokal übernehmen zu wollen. Und sie missbilligten sein urbanes »Lotterleben«.

Letztes Jahr hatten Arnes Eltern den Gasthof, den sie ihm so gern vererbt hätten, schließen müssen. Einer dieser überdrehten Fernsehköche hatte im Ort nebenan ein Schickimicki-Restaurant aufgemacht, das ihnen mit pochiertem Kalbsmedaillon an Wasabi-Mangold und ähnlichem Schnickschnack die Touristen der nahe gelegenen Seenplatte als Gäste abfischte. Und ihre lokale Stammkundschaft, bislang die verlässliche Sicherung ihres Lebensunterhalts, schrumpfte beständig, starb weg oder zog fort, weil es immer weniger Jobs, eine bröselnde Infrastruktur und zu viel Langeweile gab in Bergkampstedt.

Arnes Eltern hatten keinen Käufer für ihr Lebenswerk gefunden und lebten nun in ihrer Wohnung über dem Gasthof. Ein Lokal, von dessen Inneneinrichtung sie verscherbelt hatten, was noch zu verscherbeln war. Abends saß Arnes Vater manchmal noch in der alten Gaststube an dem Tresen, hinter dem sich nichts mehr befand. Er saß da ganz allein, trank Bier von Aldi und starrte aus dem Fenster, als würde er immer noch auf Gäste warten.

 

Es war halb fünf, als Arne endlich den metallenen Rollladen vor der Bude herunterlassen konnte. Dann zog er die Geldkassette mit den Tageseinnahmen aus dem Regal unter dem Grill hervor. Er nahm die Kassette abends immer mit nach Hause und rechnete am nächsten Tag mit Udo ab. Udo hatte den Großteil des Geldes bereits mitgenommen, als er um kurz vor zwei Uhr gegangen war. Jetzt waren da nur noch die Einnahmen der letzten Stunden drin. Immerhin: knapp fünfhundert Euro. Zwei Reisebusse mit überdrehten Holländern hatten um kurz nach drei noch mal für ein richtig gutes Geschäft gesorgt. Bei einigen von ihnen hatte Arne absichtlich zu wenig Wechselgeld herausgegeben. Wenn es jemand bemerkt hatte, hatte er sich entschuldigt und den vermeintlichen Fehler korrigiert. Die meisten Leute aber schauten die Münzen und Scheine nicht einmal an, die er ihnen gab, sondern steckten sie einfach nur ein. Arne nahm sich hundertzwanzig Euro aus der Kassette und steckte sie in die Hosentasche. Als er das vor einigen Monaten zum ersten Mal getan...

Erscheint lt. Verlag 2.12.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aussteiger • Hamburg • Liebe • Mut • Religion • Sekte • Tragikomik • Zeugen Jehovas
ISBN-10 3-426-42449-5 / 3426424495
ISBN-13 978-3-426-42449-0 / 9783426424490
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