So, wie die Hoffnung lebt (eBook)
480 Seiten
Feelings (Verlag)
978-3-426-43868-8 (ISBN)
Susanna Ernst wurde 1980 in Bonn geboren und schreibt schon seit ihrer Grundschulzeit Geschichten. Sie leitete siebzehn Jahre lang eine eigene Musicalgruppe, führte bei den Stücken Regie und gab Schauspielunterricht. Außerdem zeichnet die gelernte Bankkauffrau und zweifache Mutter gerne Portraits, malt und gestaltet Bühnenbilder für Theaterveranstaltungen. Das Schreiben ist jedoch ihre Lieblingsbeschäftigung für stille Stunden, wenn sie ihren Gedanken und Ideen freien Lauf lassen will. Ihr Credo: Schreiben befreit!
Susanna Ernst wurde 1980 in Bonn geboren und schreibt schon seit ihrer Grundschulzeit Geschichten. Sie leitete siebzehn Jahre lang eine eigene Musicalgruppe, führte bei den Stücken Regie und gab Schauspielunterricht. Außerdem zeichnet die gelernte Bankkauffrau und zweifache Mutter gerne Portraits, malt und gestaltet Bühnenbilder für Theaterveranstaltungen. Das Schreiben ist jedoch ihre Lieblingsbeschäftigung für stille Stunden, wenn sie ihren Gedanken und Ideen freien Lauf lassen will. Ihr Credo: Schreiben befreit!
I.
~ Katie ~
Herzen brechen lautlos.
Meines brach in einer warmen Spätsommernacht vor fast dreiundzwanzig Jahren. Das war im August 1992 und nur zehn Tage nach meinem achten Geburtstag.
Die seltsamsten Dinge schießen mir durch den Kopf, sobald ich die sorgsam verschlossene Schublade mit den Erinnerungen an jene Nacht auch nur einen Spaltbreit öffne.
Sie flattern mir entgegen – düster, chaotisch und beängstigend – wie Fledermäuse aus einer verborgenen Höhle. Bruchstücke einer verdrängten Vergangenheit, die mich wie eine Lawine überrollen und unwillkürlich bewirken, dass sich mein Magen schmerzhaft zusammenzieht.
Da wäre zum einen der schwere, süße Duft von eingewecktem Obst – Pflaumen, Mirabellen und Johannisbeeren –, der mich an meine Mutter erinnert. Ausgehend von der Küche bahnte er sich seinen Weg und flutete das gesamte Haus, bis in die letzten Winkel hinein.
Und dann ist da das Geräusch der Minnie Mouse-Uhr, die über meiner Zimmertür hing. Ich hatte sie erst wenige Tage zuvor von meiner Tante Jacky als verspätetes Geburtstagsgeschenk bekommen. Tante Jacky war Grundschullehrerin und als solche immer darauf bedacht, keine in ihren Augen sinnlosen Dinge wie Plüschtiere oder Barbiepuppen zu verschenken. Die Wanduhr hatte sie offenbar als pädagogisch wertvoll und meinem Alter angemessen erachtet.
Ich erinnere mich noch, dass ich die vollen, halben und Viertelstunden bereits sicher ablesen konnte, dass mich das fortwährende Ticken jedoch nervte, besonders nachts. Rückblickend kommt es mir so vor, als hackte der Stakkato-Rhythmus dieser rot-weiß gepunkteten Uhr die friedliche Ruhe erbarmungslos in akkurate kleine Stücke.
Ebenso erinnere ich mich an das Quietschen der metallenen Ösen unserer Schaukel, deren Gerüst direkt unter meinem Zimmerfenster stand und die sich im lauen Wind jener Spätsommernacht hin und her drehte. Ich liebte diese Schaukel. Überhaupt liebte ich unseren großen Garten mit all seinen Versteckmöglichkeiten, die ich im Laufe der Zeit ausfindig gemacht hatte.
Niemand konnte sich besser verstecken als ich. Jedoch bremste meine zehnjährige Schwester Alice meinen Spiel- und Forschungstrieb oft genug aus. Sie war von Natur aus eher ruhig und bedacht und ließ keine Chance aus, mich zu bevormunden. Immer wieder murmelte Mom vor sich hin, dass es ihr ein ewiges Rätsel bleiben würde, wie zwei Mädchen, die sich äußerlich so ähnelten wie Alice und ich, charakterlich doch so verschieden sein konnten. Ich schloss daraus, dass sie sich wünschte, ich wäre ein bisschen mehr wie meine zwei Jahre ältere Schwester. »So verantwortungsvoll und vernünftig«, wie Daddy es immer ausdrückte.
Mit meinem vier Jahre alten Bruder Theo konnte man noch nicht viel anfangen. Immerzu hing er an Moms Rockzipfel, und seine Schmusedecke musste stets in Reichweite liegen, für den Fall, dass er müde war, trotzig oder sich wehgetan hatte. Also immer.
Doch auch wenn es nicht gerade leicht war, das Sandwich-Kind der Familie zu sein, liebte ich meine Geschwister von Herzen. Ich mochte es, wie Theo meine Finger mit seiner kleinen knubbeligen Hand umschloss, wenn wir ab und an zusammen in seinem oder meinem Bett Mittagsruhe hielten. Wie klar und strahlend mich das helle Blau seiner Augen traf, wenn er erwachte. Und wie er dann meinen Namen sagte. »Katie!« So fröhlich, mit vom Schlaf noch krächzender Stimme. Ruckartig setzte er sich auf und schenkte mir ein unternehmungslustiges Grinsen.
Und Alice? Alice war die beste Gruselgeschichtenerzählerin aller Zeiten. Überhaupt hatte sie eine unglaubliche Fantasie, verschlang Bücher wie Chips, tanzte in meinen Augen so anmutig wie eine Primaballerina und war auch mit den Händen sehr geschickt. So bastelte sie mir in jenem Sommer ein beinahe lebensgroßes Pferd aus Pappmaché, das zwar einen zu kurzen Hals und ein abgeknicktes linkes Ohr hatte, auf dem man aber tatsächlich richtig »reiten« konnte.
Ich glaube nicht, dass ich Alice je mehr liebte als in diesem Augenblick, in dem sie mir ihr Bastelergebnis stolz präsentierte und meinen Freudenschrei mit einem zufriedenen Lachen erwiderte. Natürlich wusste sie, wie sehr ich mir ein eigenes Pony wünschte und dass unsere Eltern nicht über die finanziellen Mittel verfügten, mir diesen Traum zu erfüllen. Ich nannte mein Pappmaché-Pferd Toffee und hoppelte so lange wild darauf herum, bis die Oberfläche erste Risse aufwies. Die schützende Lackschicht begann in immer größeren Stücken abzublättern, und als das nächste Sommergewitter über unser kleines Haus hinwegpeitschte, fiel mein Liebling dem sintflutartigen Regen zum Opfer. Nachdem Daddy Toffees klägliche Überreste beseitigt und ich stundenlang geheult hatte, versprach Alice, mir ein neues, noch stabileres Pferd zu bauen, wenn ich nur endlich aufhören würde zu weinen. Sofort beendete ich mein Gejammer.
Keiner von uns ahnte damals, dass Alice nicht mehr dazu kommen würde, ihr Versprechen in die Tat umzusetzen. Wohl sammelte sie die Kartons meiner Geburtstagsgeschenke noch ein, um sie zu verarbeiten, doch dann kam ihr das Schicksal zuvor.
Es geschah zehn Tage nach meinem achten Geburtstag, zu später Stunde des 13. August 1992. Nichts Bedrohliches haftete dieser Nacht an. Die Luft war angenehm warm, und der Wind, der unsere Schaukel behutsam anstieß, sanft und lau. Ich erinnere mich noch genau, es roch nach frisch eingewecktem Obst, als mein komplettes Dasein aus den Fugen geriet. Nichts von dem, was ich in stillschweigender Selbstverständlichkeit so an meinem Leben geliebt hatte, war am folgenden Morgen noch da. Dass es die Sonne überhaupt wagte, wenige Stunden später wieder aufzugehen – als hätten die furchtbaren Ereignisse nie stattgefunden –, erscheint mir bis heute, fast dreiundzwanzig Jahre später, noch grotesk.
Wie so oft, wenn ich mitten in der Nacht erwachte, schaltete ich die kleine Lampe neben meinem Bett an und probierte mit verschiedenen Fingerstellungen aus, welche Schatten ich auf die blau-gelb geblümte Tapete werfen konnte. Als ich auf einmal die Stimme meines Vaters hörte und diese immer lauter wurde, erstarrte ich, und der stolze Schwan, den meine Hände gerade geformt hatten, knickte erschrocken in sich zusammen.
Ich verstand nicht, was Daddy sagte, und schon gar nicht, was Mom antwortete, aber ich spürte, dass sie sich in einen Streit hineinsteigerten. Ich weiß noch, dass ich begann, die Blütenblätter der blauen Blumen auf meiner Tapete zu zählen, und dass ich wieder und wieder von vorne beginnen musste, weil mich die lauten Stimmen meiner Eltern zu sehr ablenkten. Irgendwann hörte ich Mom Onkel Harrys Namen schreien, und Daddy brüllte ihn kurz danach ein zweites Mal, obwohl ich mir sicher war, dass Onkel Harry nicht anwesend war, denn er besuchte uns nur tagsüber.
Onkel Harry war nicht wirklich unser Onkel. Er war schon immer Daddys bester Freund gewesen, schon in der Grundschule. Außerdem war Onkel Harry auch Moms guter Freund und Alice’ Patenonkel, worauf ich ehrlich gesagt ziemlich eifersüchtig war. Denn meine Patentante Anna, mit der Onkel Harry einmal verheiratet gewesen war, kannte ich eigentlich nur noch von den Fotos meiner Taufe. Onkel Harry hingegen kam oft zu uns nach Hause und half Mom bei der Gartenarbeit oder spielte mit Daddy Karten. Ich mochte Onkel Harry, weil es ihm nie zu viel wurde, wenn wir mit ihm herumtollten. Und wenn Mom Theo und mich ermahnte, nicht ganz so wild zu sein, lächelte er nur und sagte: »Schon gut, Lilian, es macht mir nichts aus, wirklich nicht.«
Meiner Auffassung nach war Onkel Harry schon immer mehr Familienmitglied als nur Freund gewesen – ob nun richtiger Onkel oder nicht.
Aber jetzt schien er etwas wirklich Dummes angestellt zu haben, denn sein Name fiel immer wieder. Daddy brüllte inzwischen richtig, während Moms Stimme immer leiser wurde. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass sie weinte.
Und dann vernahm ich die ersten klaren Sätze des Streits aus dem Mund meines Vaters, als er die Küchentür aufriss und in den Flur stürmte: »Nein, Lil!«, schrie er, und seine Stimme klang dabei ganz fremd, so viel Verzweiflung trug sie. »Das lasse ich nicht zu! Ich hätte es verflucht noch mal wissen müssen, dieser verdammte Scheißkerl! Aber ich werde verhindern, dass ihr mir alles nehmt. Macht, was ihr wollt, aber meine Kinder bekommt ihr nicht!«
»Jimmy!«, rief meine Mutter. Sie verstand ich schlechter; ihre Worte schienen von Tränen verschluckt. »Jimmy, bitte! … auch meine Kinder! … bin doch ihre Mutter!«
»Eine gottverdammte Hure, das bist du!«, schallte es prompt zurück, so laut und energisch wie das Bellen eines Hundes.
Damals wusste ich zwar noch nicht, was eine Hure war, aber die tiefe Verachtung, mit der mein Vater meine Mutter so nannte, sprach Bände. Ich zuckte zusammen und fragte mich plötzlich, ob Alice wohl auch wach in ihrem Zimmer lag und sich ebenso ruhig verhielt wie ich.
»Ich weiß, was du vorhast, Lil, ich weiß es genau!«, rief Daddy weiter. Dann folgten einige Worte, die zu leise waren, als dass ich sie hätte verstehen können.
»Nein, Jimmy, nein!« Die Stimme meiner Mom war inzwischen nicht mehr als ein Wimmern, die meines Vaters hingegen wurde wieder lauter.
»Richtig! Nein! Jedes zweite Wochenende und drei Wochen in den großen Ferien? Nie im Leben lasse ich das zu! Wenn ich gehen muss, dann gehen wir alle! Als Familie, so, wie es sein soll!«, schrie er.
Und das war das Letzte, was ich aus dem Mund meines Vaters hörte. Danach war nur ein heftiges Scheppern zu hören, und das metallene Geräusch...
Erscheint lt. Verlag | 11.11.2015 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Amoklauf • Familien-Katastrophe • Freundschaft • Genau meins • Hoffnung • Liebe • Liebesroman • Malerei • Unglück • Verlust |
ISBN-10 | 3-426-43868-2 / 3426438682 |
ISBN-13 | 978-3-426-43868-8 / 9783426438688 |
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