Freischwimmer (eBook)

Meine Geschichte von Sehnsucht, Glauben und dem großen, weiten Mehr
eBook Download: EPUB
2016 | 3. Auflage
256 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7291-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freischwimmer -  Torsten Hebel,  Daniel Schneider
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Was passiert, wenn plötzlich alles in Frage gestellt scheint, woran man bislang geglaubt hat? Wenn die Zweifel lauter werden und die Antworten ausbleiben? Torsten Hebel, Moderator, Kabarettist, Schauspieler und Theologe, macht sich auf die Suche. Er begibt sich auf eine Reise und besucht ehemalige Wegbegleiter: Christina Brudereck, Andreas Malessa, Tim Niedernolte, Klaus Douglass ... Ein unglaublich berührendes und zugleich spannendes Buch von einer Suche nach Gott und der existenziellen Frage nach dem Sinn des Lebens.

Torsten Hebel leitet eine selbst gegründete sozial-kulturelle Kinder- und Jugendarbeit in Berlin und ist europaweit als Kabarettist und Redner unterwegs. Torsten ist verheiratet mit Maja, hat zwei Kinder und ist leidenschaftlicher Segler.

Torsten Hebel leitet eine selbst gegründete sozial-kulturelle Kinder- und Jugendarbeit in Berlin und ist europaweit als Kabarettist und Redner unterwegs. Torsten ist verheiratet mit Maja, hat zwei Kinder und ist leidenschaftlicher Segler. Daniel Schneider (Jg. 1979) ist Journalist und Theologe. Gemeinsam mit seiner Frau Eva-Lisa und ihren Kindern Malaika, Merle und Justus lebt er in Bad Oeynhausen, Westfalen. Daniel arbeitet als Drehbuchautor für das WDR-Fernsehen, als Dozent für die IST-Hochschule für Management, als Redakteur für das Evangelische Rundfunkreferat NRW, schreibt Bücher und ist als Moderator und Referent unterwegs.

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#2
Aus Rot wird Bunt


Ich kann mich noch heute an die Farbe erinnern. Es war ein fieses Rot. Der Korrekturstift, mit dem mich meine Lehrerin unsanft auf meine Fehler aufmerksam machte, verursachte neben der Signalfarbe ein unangenehmes Kratzen auf dem Papier meines Schulheftes und einige weitere, weitaus schlimmere Kratzer auf meiner Seele.

Besonders im Matheunterricht hinterließ der Stift bleibende Spuren. Dieses wissenschaftliche Fach wurde nicht nur mir zum schulischen Verhängnis, und ich erinnere mich besonders gut und besonders ungern an den Rechenunterricht. »Hebel, an die Tafel!«, forderte mich meine Lehrerin in grauenvoller Regelmäßigkeit auf. Ehe ich mich von meinem Platz erheben konnte, standen mir schon die Schweißperlen auf der Stirn. Ich fühlte mich ausgeliefert und mutterseelenallein. Vernahm ich da nicht ein Kichern aus der hinteren Stuhlreihe? Schon bevor ich an der Tafel ankam, hatte ich verloren, denn selbst wenn ich irgendeine Ahnung von der Materie gehabt hätte, die Angst vor dem Versagen und dem Bloßgestellt-Werden lähmten mich und meine Gehirnzellen. Und nachdem ich einige Minuten, die sich wie Kaugummi in die Länge zogen, unschlüssig vor der Tafel von einem Bein auf das andere getreten war, schickte mich die Lehrerin mit einem »Du kannst dich wieder setzen« und einem nachgeschobenen »Ein Satz mit x, datt war wohl nix, typisch Torsten« wieder auf meinen Platz. Dann nahm sie den Rotstift zur Hand und kratzte eine Ziffer, die »mangelhaft« bedeutet, ins Klassenbuch.

»Mangelhaft« und »typisch Torsten«. Eine Kombination, die sich wie ein Rotstift durch meine Kindheit und Jugend zieht. Und zwar gar nicht so sehr durch die Urteile von anderen Menschen, sondern vor allem durch mich selbst. Das im vorherigen Kapitel beschriebene Gefühl »Es reicht nicht« kam in all seinen Facetten und in meinem kompletten Alltag vor. Aber auch die durch die Kompensation angeeigneten Kompetenzen konnte ich in jeglicher Lebenslage wunderbar weiterentwickeln.

Das Gefühl »Es reicht nicht« kam in all seinen Facetten vor


Mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit lebt niemand gerne. Schon gar nicht als Kind oder Jugendlicher. Man ist ständig versucht, dieses Erleben irgendwie auszugleichen. Der eine so, der andere so. Meine Strategie bestand aus zwei wesentlichen Maßnahmen: erstens zu argumentieren, um dadurch von meinen Defiziten abzulenken, und dann diese Argumentation im zweiten Schritt brillant vorzutragen. Mit dieser Strategie verschaffte ich mir in der Schule und auch darüber hinaus Respekt. Es kam vor, dass so mancher Lehrer nach einem meiner Vorträge kopfschüttelnd und kapitulierend vor mir stand und mit einem Lächeln sagte: »Also, Torsten, eines muss man dir lassen: Reden kannst du!«

Vor allem in den Fächern Religion, Deutsch und Englisch war ich durch meine Redebegabung überdurchschnittlich gut. Obendrein übte ich in schöner Regelmäßigkeit das Amt des Klassensprechers aus. Das Gefühl der Anerkennung war unbeschreiblich schön, aber sobald ein negativer Gedanke oder ein kritischer Impuls von außen kamen, drohte das kleine Pflänzchen Selbstbewusstsein in mir wieder zu verkümmern.

Und genau das betrachte ich heute als sehr verhängnisvoll. Wer als Kind nicht gelernt hat, sich selbst zu lieben und zu achten, der versucht immer wieder, die Bestätigung für sein Leben von außen zu bekommen. Kommt es in irgendeiner Form zur Kritik, wird dies sofort als Zurückweisung und Liebesentzug eingeordnet und empfunden.

Solche Sätze wie »Glaube ja nicht, dass du dich jetzt auf deinen Lorbeeren ausruhen kannst, das war doch gar nichts« oder »Vögel, die morgens zwitschern, holt abends die Katze« und »Wie dumm bist du eigentlich?« bestärkten mich in diesem Erleben. Solche und ähnliche Sätze waren damals an der Tagesordnung. Sowohl zu Hause als auch in der Gemeinde oder in der Schule. Ich fand es dementsprechend verwerflich, auf meine Leistung stolz zu sein. Es galt sofort als »Selbstbeweihräucherung« oder Überheblichkeit, wenn ich auch nur daran gedacht hatte, meine positiven Seiten herauszustellen.

Und wenn mich jemand gut fand, dann redete ich mir oft ein, dass diese Person schnell ihre positive Meinung über mich ändert, wenn er oder sie mich erst einmal richtig kennenlernen würde. Ich sollte erst Jahrzehnte später begreifen, dass der Mensch nicht mit einer geringen Selbstachtung oder Minderwertigkeitsgefühlen auf die Welt kommt. Diese eignet man sich im Laufe des Lebens an. Man lernt, geringschätzig von sich selbst zu denken!

Zum wirklichen Problem wurde diese Haltung bei mir aber erst, als sich ein folgenschwerer Fehler in mein Bewusstsein schlich. Dieser bestand darin, dass ich mein Verhalten auf meine komplette Persönlichkeit übertrug. Hatte ich etwas Schlechtes getan, war ich ein schlechter Mensch. Tat ich etwas Unmoralisches, war ich ein unmoralischer Mensch. Diese Selbstaussagen empfand ich teilweise als lebensbedrohlich, also wollte ich diesen Gefühlszustand unter allen Umständen vermeiden. Das bedeutete: noch besser werden. Kritik, berechtigt oder unberechtigt, musste unter allen Umständen vermieden werden.

Mit dieser Gegensätzlichkeit kämpfte ich nicht nur in der profanen, sondern auch in meiner geistlichen Entwicklung. Die Gemeinde war ein Pool voller Anerkennung für mich, und ich meinte es wirklich ernst mit meinem Glauben an Gott. Bereits mit zehn taufte ich meine heidnischen Stofftiere und die erlösungsbedürftigen Barbiepuppen meiner Schwester gleich mit. Als diese ihr Lieblingsspielzeug in unserer Badewanne vorfand, musste ich die Taufzeremonie allerdings für einen kurzen Moment unterbrechen und meiner Schwester erklären, wie wichtig eine bekehrte Puppe sei. Sie hat es nicht verstanden.

Bereits mit zehn taufte ich meine heidnischen Stofftiere


Meine erste Andacht in meiner Gemeinde habe ich mit Akribie vorbereitet. Ich wollte aus vollem Herzen Gottes Sprachrohr sein, und überdies machte mein Drang zu Höchstleistungen auch vor geistlichen Jobs nicht halt. Ich kann mich leider nicht an das Thema erinnern. Wahrscheinlich hatte es irgendetwas mit Jesus zu tun. Und egal, was ich damals gesagt haben mag, es hat mir eine unglaubliche Freude bereitet.

Das Gleiche gilt für meine erste Regiearbeit. Ich war vierzehn und das Theaterstück sollte pünktlich zum Heiligen Abend fertig werden. Es wurde ein grandioser Erfolg. Ich, als vierzehnjähriger Regisseur und Autor des Stückes, leitete erwachsene Mitglieder unserer Gemeinde klar und souverän durch dieses Stück. Der Applaus war in meiner Erinnerung gigantisch. Und trotzdem meldete sich wieder die kleine Stimme in mir und flüsterte: »Glaub ja nicht, dass das reicht, um Gott zu gefallen. Glaub es ja nicht.« Der Rotstift meines Lebens konnte im Übrigen auch sprechen.

Bereits zwei Jahre vor meinem Regiedebüt stand für mich fest, dass ich Pastor werden wollte. Ein Traumberuf der besonderen Art. Andere Kinder wollen Fußballprofi, Pirat oder Rockstar werden, aber ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als in den hauptamtlichen Dienst zu gehen. Und das kam so: Als Zwölfjähriger wühlte ich an einem heißen Sommertag auf unserem Dachboden betagte Kisten durch. Der Speicher war ein Paradies für mich, und dort fand ich eine alte Perlbibel (der Name kommt daher, weil die Schriftgröße dieser Bibel klein wie Flussperlen ist) von meinem Großvater. Das war ein besonderer Fund für mich, denn ich habe wenige Erinnerungen an Opa. Als ich die Bibel aufschlug, fiel ein Zettel heraus. Ich war aufgeregt und hoffte auf einen wertvollen Fund. Das, was ich da fand, war auch wertvoll. Für meine biografische Zusammensetzung war es ein mindestens genauso spannender und spektakulärer Fund wie für andere Abenteurer der Schlüssel zur Schatzkammer vom gefährlichsten Piraten aller Zeiten oder ein Originalautogramm von Franz Beckenbauer (der war damals absolut angesagt).

In altdeutscher Schrift, die ich glücklicherweise lesen konnte, stand dort, dass sich mein Großvater nichts sehnlicher wünschte, als dass einer seiner Enkel einmal in den vollzeitlichen Dienst gehen, also Pastor werden würde. Ich saß da wie vom Blitz getroffen. Ich war überzeugt: Damit war ich gemeint. Warum sonst sollte ich diesen Zettel nach so langer Zeit auf unserem Dachboden finden? Einige Augenblicke später rannte ich zu meiner Mutter, hielt ihr den vergilbten Zettel unter die Nase, und schon kurz darauf rollten ihr die Tränen über die Wangen. »Oh, das wäre toll, das würde ich mir auch wünschen«, war das Einzige, was sie herausbrachte, und damit stand mein Berufswunsch fest: Ich werde Pastor. Für Gott, für meinen Großvater und vor allem für meine Mutter, deren Bestätigung und Liebe mir mehr bedeuteten als alles andere auf der Welt. Ich war mir meiner Berufung gewiss.

Mein Traumberuf: Pastor


Zumindest einige Jahre lang. Denn nicht alle Menschen in meinem Umfeld waren von meiner Mission überzeugt. Als ich meinem Pastor im Alter von circa fünfzehn Jahren von meinen Plänen berichtete, sagte der zu mir: »Ach, Torsten, du bist zu emotional für den hauptamtlichen Dienst. In einem Moment bist du himmelhochjauchzend und im nächsten Moment zu Tode betrübt. Glaub mir, du bist nicht dafür geschaffen, in dieser Art das Reich Gottes zu bauen.«

Ratsch! Der Rotstift in meinem Unterbewusstsein strich das Wort »Berufung« und »Pastor« im selben Moment gnadenlos durch, und ich war wieder dort, wo ich eigentlich nie sein wollte: im »Es reicht nicht«-Modus. Ich habe niemandem davon erzählt und meinen Traum auch...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2016
Verlagsort Holzgerlingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Andreas Malessa • Antworten • Christina Brudereck • Evangelisation • Existenzielle Fragen • Fragen nach Gott • Gottesfrage • Klaus Douglas • Klaus Douglass • Lebenssuche • Lebensweg • Reise • Sinn • Sinn des Lebens • Suche • Wegbegleiter • Zweifel
ISBN-10 3-7751-7291-2 / 3775172912
ISBN-13 978-3-7751-7291-2 / 9783775172912
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