Meerblick inklusive (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
368 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-16792-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Meerblick inklusive -  Anna Rosendahl
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Eine junge Buchhändlerin, eine alte Liebe, eine stürmische Insel
Oma ist verschwunden. Nach Amrum. Dort ist Elisabeth aufgewachsen, hat die Insel aber seit dem tragischen Sturmtag vor knapp sechzig Jahren nicht mehr betreten. Sogar ihrer Enkelin verschweigt sie, was geschehen ist, dabei stehen sie und Meike sich sehr nahe. Sie teilen mehr als nur ihre Liebe zu den Büchern. Meike wird von der Familie beauftragt, Elisabeth wieder zurückzuholen. Als die junge Buchhändlerin mit der Fähre anlegt, ist Oma nicht da. Dafür aber Meikes eigene Vergangenheit mit der Nordseeinsel.

Anna Rosendahl wurde im November 1968 in Bottrop geboren. Sie studierte Kunstpädagogik und arbeitet heute als Lehrerin in einer Förderschule. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide. Dort hat sie neben ihrer Liebe zur Kunst auch die zum Schreiben entdeckt.

1.

Zuerst habe ich nur zugehört. Ich war gerade ein paar Wochen alt, als Oma mir das erste Mal vorlas. Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber sie hat mir oft mit einem Lächeln in den Augen davon erzählt. Ich litt als Baby angeblich unter schlimmen Dreimonatskoliken, nichts half, ich schrie ununterbrochen, bis sie auf die Idee kam, mir etwas vorzulesen. Oma hat Humor. Sie entschied sich für Vom Winde verweht. Das ungewöhnliche Heilmittel hat innerhalb kürzester Zeit gewirkt. Nach kaum fünf Minuten sei ich still gewesen, sagt sie, und völlig entspannt.

Das mit dem Vorlesen hat Oma die Kindheit über beibehalten. Ich habe, seit ich denken kann, die Momente geliebt, in denen wir uns still mit einem Buch in eine gemütliche Ecke zurückgezogen haben. Ihre warme Stimme, dazu der leichte Geruch von Rosenseife, nach der sie immer duftete, gaben mir das Gefühl von Geborgenheit. Mein absolutes Lieblingsbuch war Heidis Lehr- und Wanderjahre. Wie habe ich mitgelitten, als meine kleine Heldin im kalten Frankfurt landete und sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich wieder ihrem Großvater oben auf der Alm in die Arme fliegen zu dürfen. Ich weiß nicht, wie oft Oma mir aus dem Buch vorgelesen hat, immer wieder habe ich sie gebeten, mir die Szene herauszusuchen, in der Heidi sich auf dem Dachboden ein Bett aus Heu macht. Und abends habe ich dann wach gelegen und mir vorgestellt, auch ich würde irgendwo weit oben auf einem Berg in meinem duftenden Schlafgemach liegen und könne durch das Fenster die Sterne sehen und die Tannen rauschen hören.

Bücher spielten immer eine große Rolle in meinem Leben. Ich war überglücklich, als ich endlich lesen lernte. Durch meine Vorstellungskraft formten sich geschriebene Worte zu Bildern, erst durch mich wurde die Geschichte zum Leben erweckt. Und das fühlt sich immer noch magisch an. Es ist für mich wie ein Wunder, wenn aus Buchstaben Worte werden und daraus aneinandergereiht Sätze entstehen, die mich einladen auf eine Reise in die Fantasie. Es gibt so viele Bücher mit Seele, die gelesen werden wollen. Und mit meinem Blog gebe ich ihnen eine Stimme. So wie der Roman, über den ich nun gerade schreibe. Es ist eine Herzensempfehlung, denn er soll auch andere Menschen glücklich machen.

Eine Tasse Kaffee steht bereit, mein Notebook wartet auf mich.

Ihr Lieben, willkommen auf meinem Blog »Bücher mit Seele«.

Heute möchte ich euch zum Thema »Alte Bücher, neu entdeckt« ein Werk ans Herz legen, das mir sehr viel bedeutet. Ihr wisst ja, bisher habe ich euch ausschließlich lesenswerte Neuerscheinungen vorgestellt, aber das soll sich ändern. Ich will mich von nun an auch um die vergessenen Schätze kümmern.

»Licht« von Christoph Meckel ist die wohl schönste und zugleich traurigste Liebesgeschichte, die ich je gelesen habe. Das dünne Taschenbuch steht seit Jahren in meinem Bücherregal, total abgegriffen und leicht zerfleddert wartet es darauf, mal wieder von mir in die Hand genommen zu werden. Und jedes Mal ergreift mich der Zauber, der diesem Buch innewohnt: Sehnsucht in Worte gefasst!

»Sehr gerne würde ich etwas für dich tun, dir eine Zeitung mit guten Nachrichten kaufen, Frühstücksbutter aus deinem Mundwinkel küssen, vielleicht deine Kniekehlen streicheln, irgendwas …«

So beginnt der Liebesbrief, den Gil im Laub auf der Terrasse findet, verfasst von seiner Frau Dole – nie abgeschickt und geschrieben an einen anderen Mann. Gil behält den Brief, erzählt Dole nicht, dass er von seiner Existenz und dem enormen Verrat weiß, der sich dahinter verbirgt. Er beginnt zu zweifeln. »Dole kann jetzt sagen, was sie will – nichts mehr ist glaubhaft.« Gleichzeitig erinnert er sich: »Dole in roten Stiefeln auf der Portobello Road, mit hochgekrempelten Hosen im nassen Gras, und sie drehte sich um, wenn ich rief, und wartete, lächelnd.«

Gil denkt an die gemeinsame wunderschöne Zeit, an die unbeschwerten Urlaube in Frankreich, das Nachtleben, die Liebe mit Dole. Er erinnert sich voller Sehnsucht und unbeschreiblicher Zärtlichkeit. Doch seine Zweifel und die ohnmächtige Eifersucht führen zu einer schleichenden Entfremdung …

Ein schlichtes Buch voller Poesie, das sich lohnt, immer wieder aus dem Regal gezogen zu werden!

Eure Meike.

Ich streiche über das stimmungsvoll gehaltene Titelblatt – zwei Liebende sitzen in den Pariser Tuilerien am Ende einer Allee auf einer Bank, die Köpfe aneinandergelehnt. Oder küssen sie sich? Man kann es nicht genau erkennen.

Ich lese noch mal die Zeilen, die ich gerade verfasst habe, überprüfe ein letztes Mal, ob sich auch kein Tippfehler eingeschmuggelt hat, und drücke dann auf Senden. Nur wenige Augenblicke später erscheint der neue Eintrag online.

Laut klopft es gegen die Tür, und im nächsten Moment steht mein Vater im Zimmer. Er fährt sich mit der Hand durch sein immer noch volles dunkelblondes Haar, in das sich mittlerweile ein paar graue Strähnen gemogelt haben. Das macht er immer, wenn er ein ernstes Thema ansprechen will. Ich rechne damit, dass er mich wieder davon überzeugen möchte, als Assistentin in seiner Firma für Gummiwarenartikel anzufangen, und verschränke vorsorglich schon mal die Arme vor der Brust. Mein Vater hat nie verstanden, dass ich keinerlei Interesse daran habe, in den Betrieb einzusteigen, um ihn später mal übernehmen zu können.

»Morgen habe ich ein Vorstellungsgespräch in einer Buchhandlung«, erkläre ich, bevor er etwas sagen kann. Der kleine Kölner Bücherladen, für den ich gearbeitet und in den ich mein Herzblut gesteckt habe, hat Insolvenz angemeldet. Und das genau zwei Wochen nachdem Tom und ich uns getrennt haben. Wir mussten die gemeinsame Wohnung kündigen, da keiner von beiden sie allein hätte finanzieren können. Deswegen bin ich schweren Herzens wieder bei meinen Eltern in Oberhausen eingezogen, vorübergehend natürlich, bis ich einen neuen Arbeitsplatz gefunden habe und mir eine eigene Bleibe leisten kann. Erst habe ich meinen Freund und mein Zuhause verloren, und dann meinen Job. Manchmal kommt eben alles auf einmal.

Meinen Vater scheint das mit dem Bewerbungsgespräch gar nicht zu interessieren. Er nickt abwesend und streicht sich ein weiteres Mal durchs Haar.

»Meike … Oma ist weg«, sagt er. »Hast du was von ihr gehört?«

»Was meinst du damit, Oma ist weg?« Mein Herz fängt ein kleines bisschen schneller an zu klopfen.

»Opa hat gerade angerufen. Sie ist gestern Morgen aus dem Haus und seitdem nicht wieder zurückgekommen.«

»Gestern? Und da meldet er sich jetzt erst?« Meine Knie fühlen sich auf einmal wackelig an, obwohl ich sitze. Ich starre meinen Vater an und weiß nicht, was ich sagen soll. Das Bild meiner Oma taucht vor mir auf. Das kurze graue Haar, ordentlich mit Klettwicklern über Nacht zu leichten Wellen gelegt. Das fein geschnittene, fast aristokratisch wirkende Gesicht, der dunkelgrüne Mantel, um den Hals eines ihrer selbst gestalteten Seidentücher. Ich habe sie doch gestern noch gesehen! Es muss etwa elf Uhr gewesen sein, als ich gerade aus dem Schreibwarenladen in der Innenstadt kam, bewaffnet mit einem Stapel Bewerbungsmappen. An der Ampel, nur ein paar Schritte von dem Geschäft entfernt, hielt ein Linienbus. Oma saß vorne, gleich neben der Fahrertür. Als ich sie entdeckte, habe ich gewunken, aber sie hat mich nicht gesehen. Und dann war der Bus auch schon über die Kreuzung davongefahren. Ich habe mich noch gewundert, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Sie hat keinen Führerschein, aber normalerweise fährt Opa sie, wenn sie irgendwohin möchte, beispielsweise zum Arzt oder zum Friseur. Weitere Gedanken darüber habe ich mir nicht gemacht, warum auch? Und jetzt soll sie weg sein?

»Sie hat ihn verlassen«, erklärt mein Vater, noch bevor ich ihm von der Begegnung gestern erzählen kann. »Einfach so.«

»Wen?« Ich verstehe absolut nicht, was er mir da gerade erzählt.

»Oma, sie hat Opa verlassen. Er kam nachmittags nichtahnend von seinem Schachklub zurück, und Oma war weg. Sie hat sich nicht einmal von ihm verabschiedet, nur einen kurzen Brief hinterlassen. Hast du davon etwas gewusst?«

Sie hat ihn verlassen? Ich habe schon ein Polizeiaufgebot den Park hier in der Nähe durchkämmen sehen, habe befürchtet, meiner Oma könne irgendetwas Schlimmes zugestoßen sein! Aber das ist typisch mein Vater. Warum hat er nicht einfach von Anfang an deutlich gesagt, was Sache ist? Erleichterung macht sich in mir breit, denn zumindest ist Oma dann nichts zugestoßen. Und gleichzeitig spüre ich Wut auf meinen Vater aufkommen, weil er mir eine Heidenangst eingejagt hat. Aber es bringt absolut nichts, mich jetzt wieder mit ihm zu streiten.

»Mir hat sie nichts erzählt«, sage ich. »Ich wusste noch nicht einmal, dass die beiden Probleme haben. »Vielleicht hatten sie einen Streit?« Mein Vater steht in der Mitte meines alten Kinderzimmers, ich sehe von meinem Schreibtischstuhl zu ihm auf. »Was sagt Opa denn dazu?«

»Du weißt doch, wie er ist. Er sagt nicht viel, und am Telefon schon mal gar nicht, eben nur, dass sie weg ist und angedroht hat, auch nicht zurückzukommen. Sie hat nicht gesagt, wo sie hin ist.«

»Aber so etwas macht man doch nicht einfach so. Nicht in dem Alter! Und außerdem, Oma schon gar nicht. Du weißt doch, wie sie ist. Da muss auf jeden Fall was vorgefallen sein.« Ich bin mir sicher, Opa hat sich ein dickes Ding geleistet, denn Oma ist so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen. Ich kenne keinen geduldigeren und verständnisvolleren Menschen als sie.

Mein Vater zuckt mit den Schultern. »Wie gesagt, mehr weiß ich auch...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Acht Zimmer, Küche, Meer • Amrum • eBooks • Familiengeheimnis • Frauenroman • Frauenromane • Liebesromane • Romane für Frauen
ISBN-10 3-641-16792-2 / 3641167922
ISBN-13 978-3-641-16792-9 / 9783641167929
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