Die Rote Wand (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
288 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-15852-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Rote Wand -  David Pfeifer
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Der Tod kommt jedes Mal aus einer anderen Richtung
Wie eine Steinwand, die Gott als natürliche Grenze zwischen Nord- und Südeuropa in die Erde gerammt hat, ragen die Berge hinter Sexten in den Himmel. Hier verläuft 1915 die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Italien. Eine Front, die im Ersten Weltkrieg Schauplatz eines erbitterten Stellungskriegs wird. Gekämpft wird auf Felsvorsprüngen, Gipfeln, auf Skiern, mit Stichmessern, Karabinern und Handgranaten. Mann gegen Mann versuchen kleine Einheiten die Höhe zu sichern. In all diesen Scharmützeln hält sich in der roten Wand ein Mädchen auf, das seinem Vater in den Gebirgskrieg gefolgt ist. David Pfeifer erzählt ihre Geschichte und die Geschichte des Dolomitenkriegs in einem eindrucksvollen Roman.

David Pfeifer, Jahrgang 1970, Österreicher, wuchs in München auf, bevor es ihn 1993 nach Hamburg zog, um für das legendäre Magazin Tempo zu arbeiten. Weitere Stationen waren der Stern und Vanity Fair. 2014 wurde er leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt Romane und Sachbücher, zuletzt erschien Die Rote Wand. Schlag weiter Herz war 2013 sein erster Roman bei Heyne Hardcore, der jetzt unter dem Titel Patong neu aufgelegt wird. Seit 2020 ist er Süd-Ost-Asien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und lebt in Bangkok.

2. Kapitel

Der Herzog von Avarna, italienischer Botschafter in Wien, hatte sich kurzfristig zum Besuch in der Hofburg angemeldet. Am Vormittag des 23. Mai 1915 klapperten die Hufe von vier edlen Pferden in den Durchfahrten. Schließlich hielt die Kutsche des Herzogs auf dem Franzensplatz vor dem Außenamt.

Es war Pfingstsonntag, und die Nachricht duldete keinen Aufschub. Dennoch stieg Avarna kontrolliert aus, setzte einen Stiefelabsatz nach dem anderen auf die kleinen Trittstufen und schließlich auf das Pflaster. Gemessenen Schrittes ging er in den Trakt der Reichskanzlei. Er hielt Tempo und Attitüde in dem diplomatischen Geist, den er der Situation für angemessen erachtete.

In den vergangenen Monaten war auf eine Art und Weise um Länder und Menschenleben geschachert worden, die Avarna als ehemaliger General für unwürdig hielt. Und er wusste aus vielen freundlichen Begegnungen, dass sowohl Kaiser Franz Joseph wie auch dessen Außenminister Graf Burián von Rajecz es ebenso sahen.

Deutschland hatte sich aus den Verhandlungen bereits zurückgezogen, nachdem Kaiser Wilhelm II. in einer Mischung aus Überheblichkeit und Tölpelhaftigkeit in Rom letzte Sympathien verspielt hatte. Aber insbesondere die Deutschen konnten eine dritte Front nicht gebrauchen, weswegen sie in Wien deutlich machten, wie wichtig ein Friede mit Italien sei. Das Habsburgerreich hatte seine gesamten Truppen in die Schlachten im Osten geschickt. Es war schlicht niemand mehr zur Landesverteidigung da. Italien sah vor allem die günstigen Umstände, an Ländereien zu kommen, ohne allzu viel Blut vergießen zu müssen. In Kriegsstimmung war man nicht.

Jeden Tag landeten neue Schreckensmeldungen von Toten und Verkrüppelten aus allen Teilen Europas auf Avarnas Schreibtisch.

Dazwischen gingen jedoch telegrafierte Depeschen ein, in denen italienische Forderungen aufgeführt wurden, die Avarna übermitteln musste.

So hatte ihn bereits im Februar eine Nachricht aus Rom erreicht, in der der italienische Außenminister Baron Sonnino darlegte, unter welchen Voraussetzungen man einem weiteren Friedensvertrag mit Österreich-Ungarn zustimmen werde. In sechzehn Artikeln eines ausführlichen Forderungskatalogs wurde präzise aufgeführt:

Art. IV – Im Friedensvertrag soll Italien erhalten: das Trientiner Gebiet und Südtirol, der geografischen und natürlichen Grenze folgend (Brennergrenze), dann auch Triest, die Grafschaften Görz und Gradisca und ganz Istrien einschließlich Volosca bis zum Quarnero, ferner die istrischen Inseln Cherso, Lussin und die kleineren Inseln Plavnik, Unie, die Canidolen, Sansego, die Orilen, Palazzuoli, San Pietro in Nembi, Asinello, Gruic und die kleinen Nachbarinseln.

Herzog Avarna wusste, dass Sonnino diese Forderungen in erster Linie gestellt hatte, um dem italienischen König einen Grund zu liefern, den Dreibund mit Deutschland und Österreich-Ungarn zu lösen. Eine Verhandlungstaktik, die Avarna nicht mochte.

Doch auch die Österreicher hatten es ihm nicht leicht gemacht. Noch einen Monat vor Avarnas letztem Besuch in der Hofburg notierte der ehemalige Legationsrat an der italienischen Botschaft in Wien, Luigi Aldrovandi Marescotti, mittlerweile wieder nach Rom zurückberufen:

Sonntag, den 25. April 1915

Vor einigen Stunden Telegramm Avarnas aus Wien eingetroffen, in welchem dieser die mühseligen Verhandlungen zusammenfasst, die sich dort in ermüdender Weise über mehr als einen Monat hergezogen haben.

Avarna bestätigt durchaus mit der ihm eigenen besonderen Klugheit den Unverstand der österreichisch-ungarischen Regierung und die Unmöglichkeit, einen Vertrag zwischen uns und Österreich-Ungarn zustande zu bringen. »Es war bei den verschiedenen Gesprächen mit Burián stets mein Bestreben, ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass er nicht damit zögern dürfe, unsere nationalen Ansprüche zu befriedigen, indem er auf den Vorschlag Eurer Exzellenz eingeht. Ich habe ihm die schweren Folgen vor Augen gehalten, die seine Weigerung mit sich bringen könnte. Er hat sich jedoch bis jetzt weiterhin mit leeren Diskussionen aufgehalten, wie Euer Exzellenz wohl feststellen konnte, und scheint sich über den wahren Stand der Dinge zwischen uns nicht klar zu sein.«

Der Herzog von Avarna hatte bei einer Stippvisite in Rom seinen Abschied eingereicht, wurde allerdings gebeten, ihn zurückzuziehen, was er aus Treue zu Italien tat. Jetzt, einen Monat später, bei seiner letzten Ankunft in der Hofburg, zeigte sein Gesichtsausdruck Ernst, aber keinen Groll. Er hatte bis zuletzt versucht, das Beste für alle Beteiligten zu erreichen.

Beim letzten Mal war er sogar einbestellt worden. Man hatte endgültig wissen wollen, ob Italien beabsichtige, seine Verpflichtungen im Dreibund zu erfüllen. Der Herzog hatte dazu nichts sagen können, weil er nichts wusste. Aber er wollte auch nicht dementieren, was er bereits ahnte. Was jedermann in Wien seit Monaten ahnte. Er kannte seine Verhandlungspartner zu lange, um den Unwissenden vor ihnen zu spielen. So waren die letzten Sitzungen unerfreulich verlaufen. Beklemmend und in gereizter Stimmung. Der Herzog von Avarna war sich darüber im Klaren, dass die Forderungen in vollem Bewusstsein darüber gestellt wurden, dass Österreich-Ungarn unter ungeheurem Druck stand.

Auch persönlich war es für Avarna in Wien ungemütlich geworden, im Theater genauso wie beim Nachmittagstee in den Salons mit seinen diplomatischen Kollegen. Er wurde nun als Gesandter eines gierigen, unaufrichtigen Königs betrachtet, die Propaganda lief auf Hochtouren. In der Oper wedelten die Damen mit Fächern, deren einzelne Streben Porträts von Kriegshelden zeigten, von Kaiser Franz Joseph bis hin zu Hötzendorf. Im Kinematografen wurden täglich neue Kriegsbilder gezeigt. Im Burgtheater führten sie »Wallensteins Lager« auf, was man nur als Kommentar auf die Kriegsgeschehen werten konnte, und auch in den Tageszeitungen wurde seit Wochen Stimmung gemacht, gegen das »feige Italien«, wie eine Zeitung schrieb.

Herzog Avarna hielt sein Schritttempo. Er hatte sich den Weg in den vergangenen Wochen gut eingeprägt, kannte jeden Winkel, bis zu den Falten im Läufer, an denen man auch mit der blankpoliertesten Stiefelspitze hängen zu bleiben drohte.

Immerhin würde er bald nicht mehr hin- und hergeschickt werden, um wortreiche Forderungen und Ausflüchte zu vermitteln. Er trug die endgültige Entscheidung in einer dunklen Ledermappe unter seinem Arm. Gelegentlich vernahm er das leise Klackern der Auszeichnungen, die sich an seiner Brust drängten. Die Tür, hinter der Graf Stephan Burián von Rajecz saß, kam immer näher, und der Herzog murmelte seine wohlüberlegten Formulierungen vor sich hin. Er setzte seine letzten Schritte behutsamer und hatte das ungute Gefühl, womöglich anders handeln zu müssen, als es vorgesehen war. Avarna spürte, dass er sich in diesem Moment zu einer Person der Zeitgeschichte machte. Und dass die Geschichte retrospektiv nicht freundlich mit ihm umgehen würde.

Die hohe Tür wurde vor ihm geöffnet, und hinter einem schweren Schreibtisch, vier Meter im Längenmaß, saß Graf Burián mit seinem akkurat kurz gehaltenen Haarschnitt und einem Kneifer auf der Nase. Wie immer im Dienst trug Burián einen Dreiteiler mit einem hohen Krawattenknoten. Avarna hingegen trug volles Ornat, wie es sich für eine solche Visite gehörte. Eine rote Kordel verband seine Generalsepauletten quer über der Brust. Sie kannten sich seit vielen Jahren, waren beide Pragmatiker, die auch die vergiftete Stimmung der vergangenen Treffen rasch wieder hatten abschütteln können.

Burián stand auf, als Avarna die ersten Schritte auf seinen Tisch zumachte. Mit der linken Hand wies Burián zur Sitzgruppe, über der ein großes Ölgemälde hing, das fast bis zur Decke des Raumes reichte. Eine Jagdszene. Im Hintergrund sah man drei Reiter auf einer Lichtung, die Gewehre im Anschlag, vorne im Bild Jagdhunde, die einen prächtigen Hirsch zu Fall brachten. Sie hatten ihre Zähne in einen Hinterlauf, den Rücken und den Hals des Tieres versenkt. Der Hirsch blickte stolz aus dem Gemälde heraus, als hätte er noch nicht bemerkt, dass er bereits erlegt war.

Der Herzog ging auf das Kanapee zu, Burián schloss zu ihm auf. Für einen Moment sah es aus, als wollte Avarna seine dunkle Ledermappe noch im Stehen an Burián übergeben, doch dieser deutete entschieden auf den Platz, auf dem der Herzog schon häufig gesessen hatte. Noch im Hinsetzen übergab Avarna seine Mappe. Burián nahm sie entgegen, lehnte sich nach hinten und verharrte in dieser Position, während er den Umschlag aus der Mappe und den Brief aus dem Umschlag zog. Draußen hörte man eine Kutsche, ein Fenster stand leicht geöffnet.

Burián benötigte einige Minuten, um den Brief gleich zweimal zu lesen. Er wirkte innerlich gefasst, nur seine Körperhaltung ließ auf Anspannung schließen.

Wien, am 23. Mai 1915

Den Befehlen Seiner Majestät des Königs, seines erhabenen Herrschers entsprechend, hat der unterzeichnete königlich italienische Botschafter die Ehre, Seiner Exzellenz dem Herrn österreichisch-ungarischen Minister des Äußern folgende Mitteilung zu übergeben.

Am 4. d. M. wurden der k. u. k. Regierung die schwerwiegenden Gründe bekannt gegeben, weshalb Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht seinen Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn, der von der k. u. k. Regierung verletzt worden ist, für nichtig und von nun an wirkungslos erklärt und seine volle Handlungsfreiheit in dieser Hinsicht wiedererlangt hat.

Fest entschlossen, mit allen Mitteln, über die sie verfügt, für die...

Erscheint lt. Verlag 10.8.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1. Weltkrieg • Abenteuerroman • Die drei Zinnen • Dolomiten • eBooks • Erster Weltkrieg • Italien • Österreich-Ungarn • Roman • Romane • Viktoria Savs • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-15852-4 / 3641158524
ISBN-13 978-3-641-15852-1 / 9783641158521
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