Die wilde Ballade vom lauten Leben (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403360-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die wilde Ballade vom lauten Leben -  Joseph O'Connor
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Ein großer Roman über Freundschaft und versäumter Liebe - »funkelnd vor Leben« Bob Geldof Robbie und Fran kennen sich schon seit der Schule. Sie hängen rum, machen Musik und gründen eine Band, The Ships. Als sie von einer unglamourösen Tour durch die Collegebühnen des Landes zurückkehren, verändert eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter alles. Auf den kometenhaften Aufstieg folgt der bittere Fall, der die Band auseinanderreißt und den Gitarristen Robbie zu Boden ringt. Jahre später berühren sich die Lebengeschichten der vier Bandmitglieder zu einem finalen Comeback.

Joseph O'Connor1963 in Dublin geboren, studierte in Dublin und Oxford. Seit 2014 ist er Professor für kreatives Schreiben an der University of Limerick. Seine Romane und Erzählbände, für ihren satirischen Humor bekannt, sind regelmäßig auf irischen wie britischen Bestsellerlisten zu finden.

Joseph O'Connor 1963 in Dublin geboren, studierte in Dublin und Oxford. Seit 2014 ist er Professor für kreatives Schreiben an der University of Limerick. Seine Romane und Erzählbände, für ihren satirischen Humor bekannt, sind regelmäßig auf irischen wie britischen Bestsellerlisten zu finden. Malte Krutzsch lebt und arbeitet in der Eifel. Er übersetzte u.a. Werke von Reif Larsen, Bill Clegg, Josh Bazell, Joseph O'Connor und Charles Bukowski.

gelingt es hervorragend, eine unmittelbare Nähe zu seine Figuren aufzubauen.

mit viel Witz und Ironie [...] manchmal anrührend zart.

Bitterböse, weise und witzig.

Wer mit der Popmusik der Achtziger- und Neunzigerjahre aufgewachsen ist, der sollte Joseph O’Connors ›Die wilde Ballade vom lauten Leben‹ lesen.

Traurig, tief emotional, aber auch nicht frei von Komik.

Wer Rockmusik mag, der sollte Joseph O’Connors ›Die wilde Ballade vom lauten Leben‹ lesen.

man liest dieses Buch sehr gern. Es hat die nötige Großmäuligkeit, Lakonie, Ironie, Melancholie, die sich für (Ex-)Rock-Stars gehört.

hinreißend, warmherzig und witzig […] Eines ist schon jetzt sicher: ›The Ships‹ ist die beste Band, die es nie gab. Und dieses Buch der bestmögliche Ersatz.

Zwei


Die geisteswissenschaftliche Fakultät des College, inzwischen längst abgerissen, war ein Magenstoß der 1960er Moderne. Irgendein Architekt, der in Perugia oder einem umgebauten Pfarrhaus in den Grafschaften wohnte, hatte sich gedacht, ein neostalinistisches Betonsilo sei genau das richtige Ambiente, um die Kreativität der Jugend freizusetzen. Überall standen brutal abstoßende und angsteinflößende abstrakte Skulpturen, an denen die Studenten ihre Mützen und Mäntel aufhängten. Die Aufzüge funktionierten nicht. Die Toilettenspülung selten. Bestimmt hat der Bau viele Preise eingeheimst. Frans Spitzname dafür – »Flughafen Bukarest« – gibt Ihnen einen ungefähren Eindruck.

Im neunten Stock war der Fachbereich Ethik, Vergleichende Religionswissenschaft und Theologie untergebracht, aus naheliegenden Gründen ein wenig besuchtes Terrain. Nur ganz gelegentlich wurden die durch den Gang treibenden Riesenstaubmäuse von gottesfürchtigen Studenten gestört, schon damals eine gefährdete Spezies, oder von Studentenpärchen, die keinen anderen Austragungsort für ihre Leidenschaft wussten als diese Flure mit ihren Postern von Päpsten, Michelangelos David und der Möwe Jonathan in hehrem Flug.

Fromme Leser werden den Kreuzweg kennen, eine bildnerische oder plastische Darstellung vierzehn bedeutender Augenblicke in den letzten Erdenstunden unseres Erlösers. Leider muss ich sagen, dass sich die Studenten die Sprache des Kreuzwegs in frevlerischer Weise angeeignet und sie auf die erotische Schiene übertragen hatten. In B9 bedeutete »die erste Station« Händchenhalten beim Zungenkuss. Die fünfte hieß manuelle Stimulation durch die Unterwäsche (vorzugsweise von jemand anderem). Die sechste hieß Reißverschluss runter bzw. Höschen aus. Auf die siebte möchte ich nicht eingehen. Die achte Station erreichte, wer seinen Mitverschwörer von der alten biblischen Devise überzeugen konnte, dass Geben seliger ist denn Nehmen. Gelangte man über die neunte hinaus, war man dem Himmel zutiefst dankbar. Nicht, dass ich jemals so weit gekommen wäre. Höchstens bis vier, auf dieser Wallfahrt. Der Einzige, mit dem ich je ins Bett gegangen war, war ich selbst. Am besten hätten wir uns wohl darauf beschränkt, Freunde zu sein. Aber die Trennung fiel uns schwer.

Fast beeindruckend war der Blick auf die Autofabrik, wenn man aus den deckenhohen Fenstern schaute, die seit ihrem Einbau noch niemand geputzt hatte. Von außen vogeldreckbestirnt, waren sie von innen mit obszönen Graffiti übersät: Gotteslästereien, Flüche, Diffamierungen Unschuldiger, derbe Bilder, rückblickende Prahlereien. Hinter der Stadt sah man die Viadukte, den Flughafen und das Gewerbegebiet, in dem die Mehrzahl meiner Schulfreunde arbeitete oder Kinderwagen schob. Kein Ausblick, bei dem einem das Herz aufging. Wenn man aber bereit war, das Seufzen in Kauf zu nehmen, die aus dem Augenwinkel gewahrten Verhedderungen, die gemischten Schlabber- und Schluckgeräusche gemeinschaftlichen Schleckens, den ganzen bitzeligen Soundtrack jugendlicher Erogenität, dann konnte B9 für arme Jungen eine Oase sein.

Fran und ich fingen an, in den Pausen zwischen den Vorlesungen dort hinzugehen, bewaffnet mit unseren Gitarren, meiner speckigen Ausgabe von Bert Weedons Monster-Notenbuch und Frans Textentwürfen. Inzwischen konnte ich in den meisten Dur-Tonleitern herumzupfen, ausgenommen vielleicht B. G, C und D sind gute Tonarten für den werdenden Gitarristen, ihre Akkordfolgen einfach und die Mollparallelen leicht spielbar, ihre Dominanten und Subdominanten bekommt jeder mit normalen motorischen Fähigkeiten begabte Mensch hin, und wenn das Vertrauen in den Fingern wächst, kann man auch mal einen kleinen Blueslick oder eine jazzig-elegante Sexte anbringen. B ist ein Alptraum, weil es ohne Dis oder ein Kapodaster nicht geht und ich Letzteren immer vergaß oder rätselhafterweise nicht fand, oft, weil Shay ihn mir geklaut hatte. Frans natürliche Tonart war B.

Sein Bariton war zaghaft, als bäte er dafür um Entschuldigung. Damals konnte man ihn nicht kraftvoll nennen. Das kam alles später. Aber wie sich das Ungeschminkte darin mit dem Zaghaften verband, das hatte ich noch nie gehört, außer vielleicht in Aretha Franklins tollen frühen Aufnahmen für Atlantic, von denen mein Dad zu seiner Enttäuschung mal eine Auswahl erhalten hatte, als er seine gesammelten Green-Shield-Marken einschickte. Die Christniks kamen und gingen, blieben aber immer öfter, während Fran durch den reizlosen Flur mit Blick auf den Parkplatz der naturwissenschaftlichen Fakultät tigerte und die Fäuste Richtung See und neuerbaute Sporthalle (»Asbestsilo«) schüttelte, als würde die Existenz beider ihn erzürnen. Er zitterte beim Singen. Harkte nach der Luft. Fuhr sich mit den Händen durch den Pony, das große Luder. Ich wusste nicht, dass ich ihn eines Abends auf der Bühne der Hollywood Bowl erleben würde, auf den Knien wie James Brown, die Scheinwerfer anflehend, während meine Finger hektisch über gefühlte zehn Meilen Griffbrett rasten und das Publikum im Sprechchor seinen Namen brüllte. Sie wollten, dass er das Mikrophon an der Schnur herumwirbelte, es wie ein Lasso warf, es heulen ließ, ein Tamburin am Boden zerschmetterte. All das würde passieren. Aber noch nicht. Er war ein paar Monate über achtzehn, als er zum ersten Mal in meinem Beisein sang. Man sollte meinen, der Augenblick hätte sich in mein Gedächtnis eingebrannt, aber nein. Ich weiß nur noch, dass ich hoffte, er würde singen wie ein Held. Und Jesusmaria, das hat er getan. Ja, die Röhre hatte Fran schon immer. Es dauerte nur ein Weilchen, bis er sie fand.

AUS FRANS LETZTEM INTERVIEW

Gitarre spiele ich ziemlich gut, aber als Sänger finde ich mich nicht besonders. Ich kriegs hin, Punkt. Viel ist das nicht. Beim Singen gehts nicht ums Singen, sondern darum, was du zu sagen hast. Oder was du siehst. Singen heißt einfach sehen. Wer sprechen kann, kann singen … Elvis war nicht so der Sänger wie Sinatra. Der Kontext machts. Die Leute sagen, Dylan kann nicht singen. Für mich ist das Quatsch. Seine Diktion ist perfekt. Seine Wortwahl. Seine Atmung. Dylan führt zu Patti Smith, führt zu John Lydon. Und so weiter. Ich bin technisch gesehen ein ganz durchschnittlicher und limitierter Sänger. Ich wäre gern Roy Orbison geworden. Bin ich aber nicht. Da tut man eben, was man kann. So auch ich. Ich hab getan, was ich konnte, ja? Und noch mehr … Und sagt man mir nicht immer nach, ich hätte hart daran gearbeitet, beim Publikum anzukommen? Komplimente hört man gern, aber das stimmt nicht. Die Leute halten einen für sonst was. Dabei ist es nur die Atmung. Ich hab immer die Augen zugemacht und mich in mich selbst zurückgezogen. Weiter nichts. Billie Holiday kann singen. Etta James. Johnny Cash. Townes Van Zandt. Tim Hardin. Die Folksängerin Odetta – die finde ich genial. Aber der Gesang ist nur ein Teil des Spiels, und noch nicht mal der wichtigste. Lou Reed kann überhaupt nicht singen. Aber kann er singen? Und ob. Perfektion ist zu einfach. Ich habs gern fehlerhaft.

Singen kann etwas verändern. Es öffnet Schranken. Sie haben sicher schon erlebt, dass Sie in der Dusche trällern wie Ol’ Blue Eyes, im Auto grölen, während die Ampel zusieht, oder vor der Background-Spülmaschine Ihren Jagger geben, wenn das Haus leer ist. Aber die Einladung, vor einem Haufen freundlich-erwartungsvoller Gesichter ein Lied anzustimmen, kann vielen von uns gestohlen bleiben. Am schwierigsten ist es, in einem Raum vor einer einzigen Person zu singen. Liebende wagen es vielleicht, oder auch Eltern und Kinder, aber wenn Ihr Kollege im Büro zu Ihnen sagt: »Kommen Sie schon, singen Sie mir was vor«, würden Sie mit einem angespannten Lächeln rückwärts zur Tür schleichen. Vielleicht weil Gesang die einzige Musik ist, die allein vom Körper ausgeht, bedarf es einer gewissen Unbefangenheit, wenn ein Erwachsener vor einem anderen singen soll. Und haben Sie erst gesungen, sehen Sie ihr Gegenüber merkwürdigerweise anders als vorher, besonders wenn Sie einen ganzen Song durchgestanden haben. Drei Minuten sind eine unerhört lange Zeit für den Zuhörer. Nicht einmal Ehepartner hören drei Minuten ununterbrochen zu. Täten sie es, hätten wir wesentlich mehr Scheidungen. Sie haben etwas Intimes getan. Und der Zuhörer ebenfalls. Sie haben gezeigt, wer Sie sind – vielleicht auch, wer Sie sein möchten. So war es bei Francis und mir.

Meine Tochter hat mich einmal gefragt, ob man es irgendwie erkennen kann, wenn ein Junge insgeheim unehrlich ist. Lass ihn dir was vorsingen, sagte ich ihr. Lehnt er ab, taugt er nichts. Sonst vielleicht schon. So simpel es klingt, es ist kein schlechter Prüfstein. Wer nicht singen will, verbirgt etwas.

Ich hatte nur selten mal vor jemandem gesungen. Fran ebenfalls. Aber dass ich es nicht gut konnte, änderte nichts an den Möglichkeiten. Ich erinnere mich an seine Sanftheit, an diesen seltsamen neuen Ton. »Sing, Rob. Es ist nichts dabei. Du fühlst dich sieben Jahre jünger. Sing, als ob keiner zuhört.« Meine Stimme war ein Krächzen, doch das besserte sich mit der Übung. Zitternd tönte es aus meiner Brust herauf und hatte, zugegeben, noch mit der Luft zu kämpfen, auf die es traf, aber es war meine Stimme. Dazu kam, was das Singen bei meinem Freund bewirkte. Schwierig, dafür ein Bild zu finden. Sagen wir, es nahm ihm die Maske ab. Fran wurde möglich.

Vertrauen. Verlass. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Das Gegenteil von nein ist nicht ja, sondern vielleicht. Songs endeten, fingen an, wurden aufgegeben, umgemodelt, und...

Erscheint lt. Verlag 7.5.2015
Übersetzer Malte Krutzsch
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1980er Jahre • 80er Jahre • Anspruchsvolle Literatur • Bänd • Beziehung • England • Geschichte • Gesellschaft • Hoffnung • Humor • Irland • Musik • Musikgeschäft • New Wave • Punk • Rock´n Roll • Roman • Traum
ISBN-10 3-10-403360-9 / 3104033609
ISBN-13 978-3-10-403360-0 / 9783104033600
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