Ein englischer Sommer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
350 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74027-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein englischer Sommer -  Gabriele Diechler
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Stow-on-the-Wold ist ein kleines idyllisches Städtchen in den Cotswolds im Herzen Englands. Hierher verschlägt es die dreißigjährige Annett aus Berlin: Völlig überraschend hat sie ein kleines Hotel geerbt, das ihrer Großmutter gehörte. Beim Anblick der sanft geschwungenen Hügel fühlt sie sich sofort heimisch und beschließt, Berlin hinter sich zu lassen und einen Neuanfang zu wagen: beruflich und auch in der Liebe. Schon bald lernt sie den charmanten Landschaftsarchitekten Edward kennen. Beide fühlen sich zueinander hingezogen, doch Edward scheint zu zögern ...



<p>Gabriele Diechler, in Köln geboren, lebt und arbeitet im Salzkammergut. Nach vielen Jahren als Drehbuchautorin und Dramaturgin widmet sie sich nun hauptsächlich dem Roman und Jugendbuch.</p>

Erster Teil


Tu alles, was du kannst, in der Zeit, die du hast,
an dem Ort, wo du bist!

 

– Nikosi Johnson –

1. Kapitel


Juni 1944 – Altlandsberg, Märkisch-Oderland

 

Catharina öffnet die Flügeltür, die in den Garten führt, und tritt hinaus auf die Terrasse. Der Regen, der die Landschaft seit Stunden hinter einem dichten grauen Vorhang versteckt hat, ist in sanftes Nieseln übergegangen. Sicher wird auch das bald aufhören, denn die Wolken lockern auf, lassen immer mehr blaue Flecken am Himmel sehen. Catharina wagt sich weiter hinaus und steuert die mit Stuck geschmückte Brüstung an. Sie blickt hinunter in den weitläufigen Garten, der langsam aus dem Grau auftaucht. Der Garten war seit jeher Sinnbild von Wohlstand und einer glänzenden Zukunft der Familie von Schülzow. Nun sprießt aus den ehemals penibel gerechten Kieswegen Unkraut, und der Rasen ist schon länger nicht mehr gemäht worden. Vom Baumschnitt ganz zu schweigen. Catharina schüttelt besorgt den Kopf. Das Unkraut wuchert bald alles zu. Doch das ist ihre geringste Sorge.

Seit sie heute Morgen aufgestanden ist, spürt sie ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlagen sich, dazu kommt ein lähmendes Gefühl der Angst. Catharina sorgt sich um ihre Tochter Hetty, die erst vor wenigen Monaten zur Welt gekommen ist. Aber noch mehr sorgt sie sich um Rudolf, ihren Mann, der seinen Dienst am Land ableistet und nach ein paar Tagen Heimaturlaub heute früh wieder abgereist ist.

Beim Frühstück hatte Rudolf ihr überraschend mitgeteilt, dass er wegmüsse. Als ein Auto draußen vorm Eingang hielt, stopfte er die letzten Sachen in seine Tasche und verabschiedete sich mit einem hastigen Kuss von ihr. Seitdem grübelt Catharina darüber nach, was dieser abrupte Aufbruch zu bedeuten hat.

Heute früh wurden sie vom Zwitschern der Vögel geweckt. Im Licht der Dämmerung hatten sie sich aneinandergeklammert, um sich fast ängstlich zu lieben. Und sich ihre Körper und ihr Glück für lange Zeit einzuprägen. Danach zog Rudolf sich mit fahrigen Bewegungen an. Kein Wort darüber, was in den letzten Tagen besprochen wurde, als er mit den Offizieren bis in die frühen Morgenstunden leise murmelnd am großen Tisch in der Bibliothek saß.

Wieso hatte ihr der Mut gefehlt, ihn vor seinem Weggang auf diese Treffen anzusprechen? Sie hält es kaum noch aus, nichts zu wissen, dafür aber von düsteren Vorahnungen geplagt zu werden. Wie lange wird dieser Krieg noch andauern? Irgendwann wird das Land ausgezehrt sein. Überschwemmt von Kriegsveteranen und gebrochenen Frauen, die ihre Männer, Geschwister, Eltern, Kinder und Freunde mit stummen Tränen beweinen. In ihren Träumen sieht sie Blut, überall Blut. Ist nicht längst alles verloren? Rudolf muss mit ihr reden! Sie ist schließlich seine Frau.

Um ihre trüben Gedanken zu vertreiben, beschließt Catharina, in den Garten zu gehen, während Hetty selig in der Wiege im Salon schläft. Das Nieseln ist nun kaum noch auf der Haut zu spüren. Ein Spaziergang wird ihr guttun und eine kurze Pause vom Alltag verschaffen, bevor sie zurück in die Küche und später ins Arbeitszimmer muss, wo ein Berg von Papieren auf sie wartet. Seit Krieg ist, führt sie das Schülzow'sche Gut im Grunde allein. Wägt ab, trifft Entscheidungen und kann manchmal vor lauter Verantwortung nicht einschlafen.

Der Wind frischt böig auf. Catharina legt schützend die Arme um ihren Oberkörper. Ihr Blick bleibt an den Rosenrabatten hängen, die entlang den Verandastufen wachsen. Prächtige Rottöne und zartes Rosé leuchten ihr entgegen. Mitten in den satten Blüten summen Bienen, hier und da führen Schmetterlinge einen närrischen Tanz auf.

Vor ihrer Heirat hatte sie in ihrer jugendlichen Gedankenlosigkeit kaum einen Blick für die Natur übriggehabt. Früher. Als sie getanzt, Feste organisiert und voller Übermut Ausschau nach gut aussehenden Männern für sich und ihre Freundinnen gehalten hatte. Ohne etwas vom immer lauter werdenden Unmut der Menschen und der wachsenden, fanatischen Euphorie auf den Straßen Berlins mitbekommen zu wollen.

Catharina streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind ihrer Frisur entlockt hat, und steigt die Stufen hinab, die in den Garten führen. Sie schlendert, als habe sie alle Zeit der Welt. Als wolle sie nichts weiter, als zu einem kleinen Rundgang durch den Park aufbrechen, bevor sie sich den hübschen Kopf darüber zerbricht, welches Kleid und welche Schuhe sie zur heutigen Abendgesellschaft tragen wird. Die Geräusche und wohltuenden Düfte der Natur gönnen Catharina tatsächlich einen kurzen Augenblick fragwürdiger Normalität. Sie hört den Kies unter ihren Schuhen knirschen und riecht das Gras. Plötzlich ist sie frei von bedrückenden Gedanken. Frei von lähmender Angst.

Nach einiger Zeit spürt sie, dass die Feuchtigkeit, die der Regen gebracht hat, in ihren Körper dringt. Als sie schon umdrehen will, um zurück zum Haus zu gehen, schiebt sich ein Sonnenstrahl zwischen die hohen Wolken und vertreibt die klamme Kälte. Sonnenwärme auf der Haut. Welch ein Trost. Dankbar hält Catharina ihr Gesicht in die Sonne.

Ihr Spaziergang führt sie weiter zu der Eiche, die schon seit über hundert Jahren hier steht. Wie imposant der Baum ist. Der dicke Stamm und die saftigen Blätter. Groß und mächtig streckt er seine Äste in den Himmel. Er ist ein Sinnbild der ehemaligen Stärke Deutschlands.

Mit einem leisen Seufzer lehnt Catharina sich gegen den Baumstamm und blickt auf ihre Hände hinab. Die Fingerkuppen sind von harten Schwielen überzogen und die Nägel von der Arbeit hellbraun verfärbt. Sogar die Adern auf den Handrücken spielen verrückt. Sie kommen ihr wie graublaue Würmer vor, die nicht zu ihrem jungen Alter passen wollen. Das sind nicht die Hände einer Frau, die auf ein normales Leben hoffen darf. Auf eine Einladung zum Nachmittagstee oder eine Verabredung zum Tanz am Abend. Das sind Hände, die ums Überleben kämpfen. Catharina gibt sich einen Ruck und setzt ihren Rundgang in Richtung Obstgarten fort.

Sie muss mit einem Mal an eingeweckte Birnen und an Pflaumenmus denken. Hat Gärgerüche in der Nase und sieht im Geist überreife Äpfel im Gras. Kostbare Ausbeute für den Winter, die das Land ihnen hoffentlich auch dieses Jahr schenkt. Wenn … ja, wenn sie alle den Herbst erleben dürfen. Den Herbst und den Winter. Und wenn genügend helfende Hände da sind, um das Obst zu verarbeiten.

Catharina pflückt eine Rose vom Strauch und zerquetscht sie zwischen ihren Fingern. Die Dornen stoßen jäh in ihre Haut. Sie unterdrückt einen Schmerzlaut und blickt auf ihre Hände. Die zerdrückten Rosenblätter samt abgeknicktem Stil liegen wie ein Mahnmal zwischen ihren schwieligen, von ein paar Tropfen Blut geröteten Fingern. Rasch lässt Catharina die Überreste der Rose fallen und wischt sich das Blut an einem Taschentuch ab.

Vom Haus her ist Hetty zu hören, die zu weinen beginnt. Catharina hastet zurück. Als sie die offen stehende Flügeltür zum Salon erreicht, weint Hetty bereits lauter. Mit wenigen Schritten ist Catharina bei der Wiege, die hinter dem Ohrensessel, gleich am Fenster steht, nimmt das Baby heraus und drückt es zärtlich an sich. »Hetty!« Ihre Lippen benetzen die Stirn des Kindes. »Es ist nur die Sonne. Sie hat dich gekitzelt.« Auf dem Gesicht des Kindes zeigt sich ein müdes Lächeln. Dieses Lächeln lässt Catharinas Welt kurz erstrahlen. »Ich beschütze dich, mein Süßes. Das weißt du doch!?« Catharina beginnt die Sätze in leisem Singsang vorzusummen, während sie ihre Tochter wieder und wieder auf die Stirn küsst. »Ich beschütze dich. Ja, bestimmt, ich beschütze dich.« Ein leises Lied, während ihr Herz mit aller Kraft gegen den zarten Körper des Kindes schlägt. Leben. Wir wollen alle nur leben.

In den Moment inniger Intimität schieben sich plötzlich Bilder des Schreckens.

Catharina sieht in ihrer Vorstellung, wie Rudolf von einer Kugel getroffen wird und zusammenbricht. Seine Arme und Beine verdrehen sich seltsam ungelenk, als er laut auf dem Parkettboden in der Halle aufschlägt. Das Blut, das aus seinem Körper rinnt, färbt den Holzboden tiefrot.

Und sie sieht, dass alle, die unter diesem Dach wohnen und arbeiten, nach Rudolfs Tod unter Gewehrfeuer stehen und der Untergang des Hauses in grausamen Bildern seinen Lauf nimmt. Schüsse, Schreie, Gewalt, Vertreibung. Catharina entrinnt ein so lauter Schrei, dass das Kind in ihren Armen erneut zu weinen beginnt. Heftiger als zuvor. Catharina erschrickt über sich selbst. »Schhhh!« Sie wiegt Hetty mechanisch hin und her. »Alles wird gut. Ich verspreche es dir, Hetty.« Während sie versucht, ihre Ruhe wiederzufinden, holt Hetty leise hicksend Luft und schenkt Catharina einen so unschuldigen Blick, dass diese jegliche Fassung verliert und haltlos zu weinen beginnt.

»Wie lange noch? Wie lange müssen wir noch durch diese Hölle gehen?«

Altlandsberg, dieser unschuldige Flecken Erde östlich von Berlin, wo der Landsitz der Familie ihres Mannes vor über siebzig Jahren erbaut wurde, ist bis jetzt von den Kriegsereignissen weitgehend verschont geblieben. Bis auf eine zerborstene Fensterscheibe und den beschädigten Seitenflügel an der Westseite, der einem Bombeneinschlag zum Opfer fiel, ist das Haus intakt. Doch wie lange noch? Wenn nur Rudolf bald für immer zurückkäme und dieser schreckliche Krieg endlich vorbei wäre.

Catharina hört, dass sich draußen ein Wagen nähert. Kies wird aufgeworfen, als das Auto vorm Eingang abbremst....

Erscheint lt. Verlag 9.5.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Cotswolds • Das wunderbare Wollparadies • Der fabelhafte Geschenkeladen • Der kleine Teeladen zum Glück • Der zauberhafte Teeladen • Die Chocolaterie der Träume • Die kleine Bäckerei am Strandweg • Die kleine Sommerküche am Meer • Die kleine Straße der großen Herzen • England • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Hotel • insel taschenbuch 4377 • IT 4377 • IT4377 • Jenny Colgan • Lavendelträume • Liebe • Manuela Inusa • Petra Durst-Benning • Rosamunde Pilcher • Schokoladentage • Stow-on-the-Wold • Urlaubslektüre • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-458-74027-9 / 3458740279
ISBN-13 978-3-458-74027-8 / 9783458740278
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