Die Insel tanzt (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-53111-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Kühles Wetter, heiße Rhythmen: Janne Mommsens neuer Roman bringt Humor, Gefühl und Temperament nach Föhr. Witwer Jan Clausen, 38, lebt mit seiner Tochter Leevke, 10, auf Föhr. Der Reetdachdecker ist ein typischer Insulaner, der tief in der «friesischen Karibik» verwurzelt ist. Doch irgendwann wird ihm alles zu viel: Die zickige neue Lehrerin seiner Tochter gibt ihm Erziehungstipps - wieso kann sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Da eröffnet Sina Hansen, 49, ehemalige Primaballerina am Flensburger Ballett, eine Salsa-Tanzschule auf ihrer Heimatinsel. Jan lässt sich von seiner Tochter zu einem Kurs überreden: Er hat Talent! Und wie! Sina will ihren besten Schüler auf einen Salsa-Wettbewerb der nordfriesischen Inseln schicken. Und zwar ausgerechnet mit wem?

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

1.


Der Luftzug, der dem philippinischen Seemann auf dem Achterdeck das Feuerzeug ausblies, war der Auftakt zu einem gigantischen Tanz. Erst kräuselte sich die Wasseroberfläche, dann kamen kurze Wellen mit winzigen weißen Schaumkronen an den Spitzen auf. Ab da ging die Party richtig los. Der Wind spielte die Musik, nach der der gesamte Nordatlantik zu tanzen begann. Die frische Brise wuchs zu einem wütenden Starkwind heran, der Tausende Riesenwellen aufbaute. Einige von ihnen erreichten vier, fünf Meter Höhe. Der Sturm peitschte ihre Gischt zu einer undurchdringlichen Wand hoch, um sie kurz danach wieder fallen zu lassen. Und das nur, um die wilde, zerklüftete Gebirgslandschaft zu zeigen, die er dahinter geschaffen hatte und die bis zum Horizont reichte. Die Berge änderten permanent ihre Form, kaum tauchte ein stolzer Gipfel auf, war er schon wieder verschwunden, und ein anderer schoss an seiner Stelle hoch. Am Himmel flohen die letzten Schönwetterwolken nach Osten und machten düsteren Ungeheuern aus Westen Platz. Je nach Licht erschien das Wasser grau oder grün, die vor Schaum blinden Wellen taumelten in alle Richtungen.

Der Tiefdruckwirbel wurde vom Hochdruckgebiet Isabell, das fett und rund über Russland lag, in nordöstliche Richtung gelenkt. Dort, wo die Luftdruckgegensätze immer größer wurden, fauchte der Südwest aus seinem dunklen Rachen. Kurz vor Schottland warfen die Wolken einen großen Teil ihrer Regenlast ab. Noch schneller als zuvor zog der Wind nun an den Shetlands vorbei in die Nordsee, in seinem Gefolge ein Randtief, in dem sich seine Verwandten versammelt hatten, um auf ihre Stunde zu warten: vom steifen Südwestwind über heftige Böen aus West bis zum Nordwest mit seinem langen Atem. Man stritt sofort heftig miteinander, wie es in den besten Familien vorkam. Plötzlich flogen die Wolken auseinander, die Sonne kam heraus, und ein kilometerhoher Regenbogen erstreckte sich über den gesamten Ozean. Die Winde setzten ihre Schaukämpfe unbeirrt fort, jagten einander in alle Richtungen und schlugen Haken. Aber Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, schließlich einigte man sich und zog gemeinsam Richtung Osten.

Laut Lehrbuch entsteht Wind durch Luftdruckgegensätze, physikalisch ist er eine Massenverschiebung, die nach Ausgleich drängt. Das hat nichts Persönliches. Wenn du aber, wie die zehnjährige Leevke Clausen, auf der Insel Föhr mit deinem Fahrrad kaum vorankommst, weil sich der Wind wie eine unsichtbare Wand vor dir aufbaut, hat das etwas sehr Persönliches. Leevke war der erste Widerstand, auf den der Sturm nach seiner tagelangen Reise über das Meer traf. Er pfiff ihr so laut um die Ohren wie ein Düsenjet. Sämtliche Gräser in der tellerflachen Marsch um sie herum wurden nach Osten gedrückt, jeder Protest wäre zwecklos gewesen.

Leider musste Leevke in die entgegengesetzte Richtung, nach Westen. Es war gemein: Die Reetdachhäuser ihres Heimatdorfes Oldsum lagen zum Greifen nahe und erschienen ihr dennoch unerreichbar. Mit aller Kraft stellte sie sich in die rechte Pedale und kam trotzdem nur eine knappe Raddrehung weiter. Jedes Mal verlor sie aufs Neue gegen die Böen, was demütigend war. Blöderweise hatte sie es eilig, sie hatte sich mit ihrer Freundin Alina verspielt und dabei die Zeit vergessen. Jetzt löste sich auch noch eine Strähne aus ihrem Zopf und wehte ihr vor den Lippen herum. Sie versuchte sie zu ignorieren und kämpfte weiter. Nach weiteren qualvollen hundert Metern war sie am Ende. Keuchend warf sie das Fahrrad zu Boden und schwor sich, wenn sie erst erwachsen wäre, würde sie nie wieder Rad fahren. Für jeden noch so kleinen Weg würde sie das Auto nehmen. Frustriert blickte sie zu dem uralten steinernen Kirchturm von Süderende, der, unbeeindruckt vom Wetter, in der flachen Landschaft stand und sich nicht einen Millimeter bewegte, während die gesamte Insel um ihn herumwirbelte. Etwas weiter entfernt wurde ihr vorgeführt, wie es war, wenn man in der Gegenrichtung unterwegs war: Ein Radfahrer flog ihr leicht und schnell wie ein Papierflieger entgegen. Neben ihm lief ein schwarzer Hund, der zwischendurch mit allen vieren einfach so in die Luft sprang, was eine liebenswerte Macke von ihm war: Es war Eyk, ihr Eyk! Ein Mischling mit starken Jagdhundanteilen, langen Beinen und dichtem Fell.

Der fliegende Radfahrer war ihr Vater Jan. Seine mittellangen blonden Haare wurden ihm von hinten ins Kinn und vor die hellblauen Augen geweht. Vermutlich kam er gerade von der Arbeit, er trug noch seine schwarze Dachdeckerkluft, die Leevke nicht besonders mochte. Die groben schwarzen Zimmermannshosen mit den beiden silbernen Reißverschlüssen ließen ihren Papa viel breiter aussehen, als er war. Unter der schwarzen Cordweste trug er immer ein weißes T-Shirt. Selbst im kältesten Winter zog er höchstens eine Jeansjacke darüber, gegen Kälte war er abgehärtet. Trotz seiner robusten Kleidung wirkte er geschmeidig und leicht wie ein Tänzer.

«Rückenwind ist das größte Glück auf Erden», seufzte sie.

«Hier steckst du!», rief ihr Vater. Er sah leicht säuerlich aus. «Hast du mal auf die Uhr geguckt?»

Beide mussten sich richtig gegen den Wind stemmen, um einigermaßen gerade zu stehen. Eyk wedelte wild mit dem Schwanz und bleckte die Zähne, er schien vor Wiedersehensfreude zu lachen. Als sie ihn kräftig hinter den Ohren kraulte, sprang er an ihr hoch. Sie nahm seinen Kopf in beide Hände.

«Ich war bei Alina, habe ich doch gesagt.»

«Wir hatten eine Vereinbarung.»

«Hatte ich vergessen.»

«Ich warte seit fast einer Stunde auf dich.»

«Raik hat mich die ganze Zeit am Lenker festgehalten und nicht lockergelassen.»

«Raik ist ein blöder Angeber», brummte ihr Vater. «Der bauscht sich immer wie wahnsinnig auf, aber da steckt nicht viel hinter. Du kennst ihn doch. Den kriegt man locker klein, wenn man Leevke Clausen heißt.»

Diesen Dialog verstanden nur zwei Menschen auf dieser Welt: sie und ihr Vater. Als kleines Kind hatte sie immer Angst vor Sturmfluten gehabt, die Föhr überspülen könnten. Ihr Vater hatte ihr zwar erklärt, dass das wegen der hohen Deiche nicht möglich war. Aber das beruhigte sie nicht. Was, wenn eine Flut kam, die höher war als alle anderen? Jan gab daraufhin allen Winden und Wasserständen friesische Namen, sodass Ebbe und Flut, Sturm und Windstille zu nahen Verwandten wurden. Den Blanken Hans gab es ja schon, der war grob und laut und tobte sich im Winter gerne mal über der Insel aus, zog sich aber immer nach ein paar Tagen zurück und war im Sommer ein ganz Lieber. Raik war ein Starkwind mit auffrischenden Böen, ein Angeber, der gerne der Blanke Hans gewesen wäre, aber nie an ihn herankam und maßlos überschätzt wurde, während Gunnar Svenson mit seinen schmalen Lippen schon ernster zu nehmen war. Wiebke Flut war harmlos, aber vor Silja Flut musste man sich in Acht nehmen, die war tückisch und falsch. Bei Frerk Ebbe konnte man gefahrlos im Priel vor Oldsum baden, während bei Greta Ebbe Gefahr im Verzug war. Durch die Namen wurden sie alle vertraut wie Tanten und Onkel, die man zwar manchmal komisch fand, aber vor denen man keine Angst haben musste.

«Hilfsmotor?», fragte Leevke.

«Zur Strafe sollte ich dich alleine fahren lassen», erwiderte Jan.

Leevke wusste, dass er das nicht so meinte. Ihr Papa konnte nie lange böse sein, spätestens nach zehn Minuten hatte er vergessen, weshalb er sich aufgeregt hatte. Er legte eine Hand um ihre Schulter und zog sie mit kräftigen Pedaltritten gegen den Wind zurück nach Oldsum. Er besaß locker Kraft für zwei, es sah nicht mal so aus, als wenn er sich dabei anstrengen musste. Eyk lief nebenher und wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Er schien genauso unermüdlich wie ihr Vater zu sein. Es war herrlich, so nach Hause gezogen zu werden!

 

Eine halbe Stunde später standen sie vor dem knorrigen alten Reetdachhaus, das seit über zwei Jahrhunderten ihrer Familie gehörte. Der Sturm konnte dem Gebäude nichts anhaben, die knallroten Ziegel schienen in der Sonne zu glühen, als ob Hochsommer wäre, dabei war es schon Mitte September.

Drinnen war es wunderbar windstill. Das Haus war für Leevke wie eine warme, reetgedeckte Höhle. Sie huschte die schmale, knarzende Holztreppe hoch in ihr Kinderzimmer, das direkt unter dem Dach lag. Draußen pfiff und heulte Raik immer noch um sämtliche Ecken des Dorfes. Sie lächelte: Hier konnte er ihr nichts mehr anhaben.

Zwischen ihrem kleinen IKEA-Schreibtisch und dem weiß lackierten Bett stand das Terrarium, in dem ihre Rennmäuse Charlie und Louise lebten. Leevke nahm ein paar Körner in die Hand und hielt sie ihnen auf den Fingerspitzen entgegen.

«Was ist?», hörte sie ihren Vater meckern. Er war ihr zusammen mit Eyk ins Zimmer gefolgt. «Statt mit den Schularbeiten loszulegen, spielst du mit den Mäusen.»

Charlie und Louise stellten sich auf die Hinterpfoten und starrten ihn mit aufmerksamen Augen an.

«Mache ich nach dem Abendbrot», kündigte sie an.

Ihr Vater schüttelte heftig den Kopf. «Wenn ich dir in Mathe helfen soll, dann jetzt. Nach dem Abendbrot muss ich zur Elternversammlung.»

«Geh doch einfach nicht hin.»

«Kommt gar nicht in die Tüte. Ich muss doch wissen, was bei dir in der Klasse los ist.»

«Da ist nichts los», behauptete Leevke. Es war ja gut, dass er sich um sie sorgte. Aber es gab handfeste Gründe, warum es besser war, dass ihr Vater diesmal nicht hinging.

Er trat zum Terrarium, um die Mäuse nun ebenfalls mit ein paar Körnern zu füttern. «Und was ist mit der neuen Lehrerin?»

Leevkes frühere, über alles geliebte Klassenlehrerin Frau Paitz war in den Sommerferien Richtung...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2015
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleinerziehender Vater • Erziehung • Föhr • Insel • Liebe • Nordsee • Nordseeroman • Nordsee Roman • Vater und Tochter
ISBN-10 3-644-53111-0 / 3644531110
ISBN-13 978-3-644-53111-6 / 9783644531116
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99