Die letzten Tage von Rabbit Hayes (eBook)

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2015 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-53381-3 (ISBN)
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Erst wenn das Schlimmste eintritt, weißt du, wer dich liebt. Stell dir vor, du hast nur noch neun Tage. Neun Tage, um über die Flüche deiner Mutter zu lachen. Um die Hand deines Vaters zu halten (wenn er dich lässt). Und deiner Schwester durch ihr Familienchaos zu helfen. Um deinem Bruder den Weg zurück in die Familie zu bahnen. Nur neun Tage, um Abschied zu nehmen von deiner Tochter, die noch nicht weiß, dass du nun gehen wirst ... Die Geschichte von Rabbit Hayes: ungeheuer traurig. Ungeheuer tröstlich.

Anna McPartlin wurde 1972 in Dublin geboren und verbrachte dort ihre frühe Kindheit. Wegen einer Krankheit in ihrer engsten Familie zog sie als Teenager nach Kerry, wo Onkel und Tante sie als Pflegekind aufnahmen. Nach der Schule studierte Anna ziemlich unwillig Marketing. Nebenbei stand sie auch als Comedienne auf der Bühne, doch ihre wahre Liebe galt dem Schreiben, das sie bald zum Beruf machte. Bei der künstlerischen Arbeit lernte sie ihren späteren Ehemann Donal kennen. Mit ihm lebt sie heute in Dublin. Bereits ihr Debüt «Weil du bei mir bist» war international ein Bestseller. Mit dem Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes», in dem Anna McPartlin viel von ihrer eigenen Vergangenheit verarbeitet hat, rührte und begeisterte sie unzählige Leserinnen und Leser und landete einen Riesenerfolg.

Anna McPartlin wurde 1972 in Dublin geboren und verbrachte dort ihre frühe Kindheit. Wegen einer Krankheit in ihrer engsten Familie zog sie als Teenager nach Kerry, wo Onkel und Tante sie als Pflegekind aufnahmen. Nach der Schule studierte Anna ziemlich unwillig Marketing. Nebenbei stand sie auch als Comedienne auf der Bühne, doch ihre wahre Liebe galt dem Schreiben, das sie bald zum Beruf machte. Bei der künstlerischen Arbeit lernte sie ihren späteren Ehemann Donal kennen. Mit ihm lebt sie heute in Dublin. Bereits ihr Debüt «Weil du bei mir bist» war international ein Bestseller. Mit dem Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes», in dem Anna McPartlin viel von ihrer eigenen Vergangenheit verarbeitet hat, rührte und begeisterte sie unzählige Leserinnen und Leser und landete einen Riesenerfolg. Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.  

Erster Tag


1 Rabbit


Irgendwo draußen lief Popmusik, ein Kind quietschte vor Freude, und ein Typ mit Bart und einem «Halte-dich-an-Jesus»-Schild tanzte einen Jig. Der Ledersitz schmiegte sich warm an Rabbits Beine. Der Wagen rollte langsam vorwärts, war Teil des steten Verkehrsstroms, der durch die Stadt kroch. Heute ist ein schöner Tag, dachte Rabbit und döste ein.

Molly, Rabbits Mutter, löste den Blick vom Verkehr und sah zu ihrer Tochter hinüber. Sie nahm eine Hand vom Lenkrad und zupfte die Decke über dem dürren, zerbrechlichen Körper zurecht. Dann streichelte sie den fast kahlgeschorenen Kopf.

«Alles wird gut, Rabbit», flüsterte sie. «Ma macht alles wieder gut.» Es war ein strahlender Tag im April, und Mia «Rabbit» Hayes, vierzig Jahre alt, innig geliebte Tochter von Molly und Jack, Schwester von Grace und Davey, Mutter der zwölf Jahre alten Juliet, beste Freundin von Marjorie Shaw und einzige große Liebe von Johnny Faye, begab sich ins Hospiz, um zu sterben.

Als sie ihr Ziel erreicht hatten, ließ Molly den Wagen langsam ausrollen. Sie stellte den Motor ab, zog die Handbremse an und blieb noch ein oder zwei Augenblicke lang regungslos sitzen, den Blick auf die Tür gerichtet, die ins Ungewisse und Ungewollte führte. Rabbit schlief noch, und Molly wollte sie nicht wecken, denn sobald sie das tat, verwandelte sich die grausam kurze Zukunft in Gegenwart. Sie zog in Erwägung, einfach weiterzufahren, doch es gab kein Wohin. Sie war gefangen.

«Scheiße!», flüsterte sie und umklammerte das Lenkrad. «Scheiß am Stiel, miese Schweinescheiße, verfickte, verfluchte, verlauste Kackerkacke! Ach, Mist!» Mollys Herz lag in Scherben, und mit jedem «Scheiße!», das ihr über die Lippen kam, flogen die Splitter in alle Himmelsrichtungen.

«Willst du weiterfahren?», fragte Rabbit. Ihre Mutter sah zu ihr hinüber, aber Rabbit hatte immer noch die Augen geschlossen.

«Nö. Nur ein bisschen fluchen», antwortete Molly.

«War nicht schlecht.»

«Pff!»

«Scheiß am Stiel und verlauste Kackerkacke haben mir am besten gefallen.»

«Hab ich mir gerade ausgedacht», sagte Molly.

«Gehören beide auf die Liste.»

«Findest du?» Molly tat, als würde sie ernstlich darüber nachdenken, und streichelte ihrer Tochter wieder über den Kopf.

Rabbit schlug langsam die Augen auf. «Du bist besessen von meinem Kopf.»

«So weich», murmelte Molly.

«Na dann, streichle noch mal, das bringt Glück.» Rabbit sah zu der zweiflügligen Eingangstür hinüber. Das wär’s dann, dachte sie.

Molly streichelte ihrer Tochter noch einmal über den Kopf, Rabbit fing ihre Hand ab und hielt sie fest. Sie starrten beide auf die verschränkten Finger hinunter. Rabbits Hände sahen älter aus als die ihrer Mutter. Die Haut war fleckig, dünn wie Pergamentpapier und von knorrigen, brüchigen Adern durchzogen. Ihre einst sehr schönen, langen Finger waren so dünn, dass sie knotig wirkten. Die Finger ihrer Mutter hatten Fleisch auf den Knochen, waren weich und trugen perfekt gefeilte und lackierte Nägel zur Schau.

«Was du heute kannst besorgen …», sagte Rabbit.

«Ich hole einen Rollstuhl.»

«Tust du nicht.»

«Aber ja.»

«Ma! Ich laufe da rein.»

«Rabbit Hayes, du hast ein gebrochenes Bein, verdammt noch mal! Du gehst mit Sicherheit nicht zu Fuß.»

«Ich habe einen Stock, und ich habe dich, und ich laufe.»

Molly seufzte laut. «Schön, na gut, Scheiße noch mal. Aber eins schwör ich bei Gott! Wenn du auf die Nase fällst, dann …»

«Bringst du mich um?» Rabbit grinste.

«Nicht lustig!»

«Bisschen lustig?»

«Scheißlustig», sagte Molly, und Rabbit lachte verhalten. Die Flucherei ihrer Mutter brachte viele Leute in Rage, aber Rabbit nicht. Sie fand ihre Sprache unterhaltsam, vertraut und tröstlich. Ihre Ma war liebenswürdig, großzügig, humorvoll, spontan, klug, stark und wunderbar. Sie würde sich jederzeit in den Weg werfen, um einen Unschuldigen zu beschützen, und Molly Hayes hielt keiner zum Narren, mochte er auch noch so groß oder stark oder mutig sein. Dummköpfe konnte sie nicht ausstehen, und sie scherte sich einen Dreck darum, ob andere sie mochten. Entweder man mochte Molly Hayes, oder man konnte sich verpissen.

Molly stieg aus, nahm Rabbits Stock vom Rücksitz, öffnete die Beifahrertür und half ihrer Tochter auf die Beine. Rabbit starrte die Eingangstür an, setzte sich in Bewegung und betrat, gestützt auf ihren Stock und ihre Mutter, langsam und mit sicherem Schritt den Empfangsbereich. Wenn ich reinlaufen kann, könnte ich auch wieder rauslaufen. Rein theoretisch, dachte sie.

Sie registrierten die dicken Teppiche, die dunkle Holzvertäfelung, die dekorativen Tiffany-Lampen, die Vorhänge und das mit Büchern und Zeitschriften bestückte Regal.

«Hübsch», sagte Molly.

«Eher wie im Hotel als im Krankenhaus», sagte Rabbit.

«Genau.» Molly nickte. Ganz ruhig, Molly!

«Riecht nicht mal wie im Krankenhaus.»

«Na, Gott sei Dank», sagte Molly.

«Genau! Das werde ich sicher nicht vermissen.»

Langsam gingen sie auf eine Frau mit kurzen, blonden Haaren und einem breiten Tom-Cruise-Lächeln zu.

«Sie müssen Mia Hayes sein», sagte die Frau.

«Die meisten nennen mich Rabbit.»

Das Lächeln wurde noch breiter, und die blonde Frau nickte. «Gefällt mir», sagte sie. «Ich bin Fiona. Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer, und dann hole ich eine Schwester, damit sie Ihnen dabei hilft, sich einzurichten.»

«Danke, Fiona.»

«Gern, Rabbit.»

Molly sagte nichts. Sie versuchte mit Gewalt, sich zusammenzureißen. Alles gut, Molls. Bloß nicht weinen, keine Tränen mehr. Du musst einfach auch nur so tun, als sei alles in Ordnung. Jetzt komm schon, du altes Huhn, reiß dich zusammen, tu’s für Rabbit. Alles wird gut. Wir werden einen Weg finden. Los jetzt, deinem Kind zuliebe.

Das Zimmer war hell und gemütlich. Es gab ein makelloses Bett, ein weiches Sofa und einen Liegesessel mit Kipplehne. Das große Fenster ging auf einen üppigen Garten hinaus. Fiona half Rabbit aufs Bett, und Molly tat, als würde sie das Bad inspizieren, um dem Augenblick zu entkommen. Sie machte die Tür zu und holte ein paar Mal tief Luft. Sie hätte sich ohrfeigen können, weil sie darauf bestanden hatte, Rabbit allein vom Krankenhaus ins Hospiz zu bringen. Jack hatte seit der Nachricht von Rabbits drohendem Hinscheiden kein Wort mehr gesprochen. Er konnte die Vorstellung noch nicht ertragen. Grace hatte helfen wollen, doch Molly war unerbittlich geblieben. «Nun macht nicht so ein Theater, sie braucht einfach nur dringend Erholung», hatte sie gesagt und sich dabei selbst genauso ins Gesicht gelogen wie allen anderen, die es hören wollten. Dummes altes Weib, dachte sie. Sie sollten bei ihr sein.

«Alles in Ordnung, Ma?», fragte Rabbit auf der anderen Seite der Tür.

«Mir geht’s super, Süße. Herr im Himmel, das Bad ist so riesig wie die alte Wohnküche von Oma Mulvey. Kannst du dich noch an sie erinnern?» Sie hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte, und hoffte, dass Rabbit zu müde war, um es zu merken.

«Sie ist schon lange nicht mehr bei uns, Ma», sagte Rabbit.

«Stimmt. Außerdem hat sie mehr Zeit in unserer Küche verbracht als wir in ihrer.»

«Aber die Wanne ist gut, oder?», fragte Rabbit. Molly war klar, dass ihrer Tochter der Kampf, der in ihrer Mutter tobte, absolut bewusst war. Das war der Tritt, den sie brauchte, um sich am Riemen zu reißen.

«Und wie!», sagte sie und kam wieder heraus. «Die ist so groß, dass man darin ertrinken könnte.»

«Werd ich mir merken. Falls es zu schlimm wird.» Rabbit lachte.

Rabbit hatte längst akzeptiert, dass ihre Ma zu den Menschen gehörte, die bei jeder Gelegenheit ins Fettnäpfchen traten. Immer. Dafür gab es zahllose Beispiele, aber Rabbits absolute Lieblingsszene hatte sich schon vor ewigen Zeiten abgespielt: Eine alte Nachbarin mit Handprothese hatte wissen wollen, wie Molly den Tod ihrer Mutter verkraftete. «Um ehrlich zu sein, Jean», hatte Molly geantwortet, «ich komme mir vor, als hätte ich meinen rechten Arm verloren.»

Sobald Rabbit sich eingerichtet hatte, ließ Fiona sie allein. Rabbit hatte die Fahrt in Schlafanzug und Morgenmantel absolviert, obwohl sie eigentlich vorgehabt hatte, sich anzuziehen. Molly hatte ihr von zu Hause extra eine schöne, weitgeschnittene Jerseyhose und einen Baumwollpullover mit V-Ausschnitt ins Krankenhaus gebracht, doch als Rabbit dann endlich die letzte Konsultation hinter sich und ihre Medikamente aus der Apotheke bekommen hatte und offiziell entlassen worden war, war sie zum Umziehen viel zu erschöpft gewesen.

«Ich hüpfe doch sowieso bloß von einem Bett ins nächste, Ma», hatte sie gesagt.

«Ja. Es ist vernünftig, wenn du im Schlafanzug bleibst.» Molly hatte ihr zugestimmt, obwohl es ihr kein bisschen vernünftig erschienen war. Das hatte mit Vernunft alles überhaupt nichts zu tun. Sie wollte treten, kratzen und beißen, sie wollte um sich schlagen und der Welt ins Gesicht brüllen. Sie wollte etwas kaputt machen, ein Auto zu Schrott fahren, eine Kirche anzünden, die Hölle entfesseln. Molly Hayes war definitiv nicht ganz bei Sinnen.

Am Tag zuvor hatte ein Onkologe Molly und ihren Ehemann Jack in ein winziges, gelb gestrichenes Zimmer gebeten, in dem es nach Desinfektionsmittel roch. Sobald sie sich gesetzt hatten, hatte er sie mit einem einzigen Satz vernichtet. «Wir müssen eher von wenigen Wochen als von Monaten ausgehen.» In dem Zimmer war es absolut still geworden. Molly hatte den Mann angestarrt und vergeblich auf die Pointe gewartet. Jack bewegte sich nicht. Es war, als wäre alles...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2015
Reihe/Serie Die Rabbit Hayes Romane
Übersetzer Sabine Längsfeld
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller • Brustkrebs • Dublin • Familie • Freundschaft • Hospiz • Irland • Krebs • Liebe • Mutter • Sterben • Tochter • Trost
ISBN-10 3-644-53381-4 / 3644533814
ISBN-13 978-3-644-53381-3 / 9783644533813
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