Stücke 1 (eBook)
348 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73574-9 (ISBN)
Der hier vorliegende erste Band enthält die zwischen 1970 und 1974 uraufgeführten Stücke, die fast schon den Rang von Klassikern besitzen.
<p>Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.</p>
Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.
Erstes Vorspiel
Leerer Raum. Hohe Fenster und Türen
Die Gute rechts
Johanna tritt von links mit einem Tisch ein und stellt ihn neben die Gute
DIE GUTE
Es ist kalt
JOHANNA rückt den Tisch noch näher an die Gute heran und stellt sich selbst hinter sie
DIE GUTE
Es ist doch kalt
Bringen Sie mir die Decke
JOHANNA zögert
DIE GUTE herrscht sie an
Bringen Sie mir die Decke
Mich friert
weil ich schon eine Stunde da sitze
und mich nicht rühre
JOHANNA will gehen
DIE GUTE
Warten Sie
warten Sie
Haben Sie die Briefe aufgegeben
die Briefe den Brief an das Asyl
an den Bürgermeister
an den Polizeidirektor
erkennt, daß sie sie nicht aufgegeben hat
Also zerreißen Sie sie
werfen Sie sie weg
JOHANNA will weggehen
DIE GUTE
Nein bringen Sie sie her
JOHANNA
Alle
DIE GUTE
Alle
Heute sind es grüne
und morgen wieder weiße Kuverts
und so weiter
Sie lachen schon länger als drei Jahre darüber
Wenn Sie nur diese Krankheit aus mir herauslachen könnten
Bringen Sie mir doch die Briefe her
damit ich sie alle zerreißen kann
Alles ist jeden Tag tagtäglich
eine Wiederholung von Wiederholungen
Die ganze Nacht und den ganzen Vormittag
habe ich wieder Briefe geschrieben
Unwahrheiten
Unzulänglichkeiten
Lügen
Lügen von Lügen
Warum lüge ich
Alle diese Lügen sind Verfinsterungen
daß alles wahr ist und wirklich
schreiend
Warum verbieten Sie mir denn nicht
Briefe zu schreiben
Wenn ich nur plötzlich
ganz plötzlich
keine Adresse mehr wüßte
von den Adressen nichts wüßte
keine Adresse
Wenn mir plötzlich kein Name
kein einziger Name mehr einfiele
Wenn ich nichts mehr wüßte
was mit diesen Adressen und Namen zusammenhängt
Es tötet mich
es tötet mich Johanna
Aber jede Nacht schreibe ich diese Briefe
JOHANNA ab
DIE GUTE
Eine einzige Lüge
alles
schreit ihr nach
Daß Sie mich keine Briefe mehr schreiben lassen
Warum nehmen Sie mir denn nicht das Briefpapier weg
Nehmen Sie es mir doch weg
Wenn Sie sehen daß ich anfange
Briefe zu schreiben
daß das Wahnsinn ist
Unwahrheiten
Lügen
Ich befehle Ihnen mich keine Briefe mehr
schreiben zu lassen
zu sich
ich will einschlafen
und kann nicht einschlafen
und ich denke nach
wieder laut
Und dann befehle ich Ihnen
mir das Briefpapier zu bringen
und Sie bringen mir das Briefpapier
zu sich
ich muß etwas tun
wenn ich nichts tue
nichts
fürchterlich
JOHANNA mit den Briefen herein
DIE GUTE
Geben Sie her
versteckt die Briefe in der Tischlade
Später
später
Warum gibt es denn heute keine Zeitungen
JOHANNA
Sie streiken
DIE GUTE
Wer streikt
JOHANNA
Die Drucker
DIE GUTE
Die Drucker
JOHANNA
Alle streiken
DIE GUTE
Alle streiken
Auf einmal streiken alle
Alles streikt
Alles
JOHANNA
Überall wird gestreikt
DIE GUTE
Alles streikt
Dieser Streik wird sich auch auf uns auswirken
Wenn er lang dauert
Ist genug Gemüse im Haus
Obst
Fleisch
Wenn der Streik länger dauert
Alles deutet darauf hin
daß der Streik länger dauert
Keine Zeitungen
das ist fürchterlich
Die Inserate
Die Mordfälle
und das Wetter
Von den Büchern abgesehen
gibt es keine Abwechslung mehr für mich
Bringen Sie mir doch die Decke
JOHANNA ab
DIE GUTE sinniert
Lesen lesen
laut
Übrigens haben Sie mir gestern wieder
ein Theaterstück gegeben in dem ein Mann vorkommt
der keine Beine mehr hat
mit Vorliebe geben Sie mir in letzter Zeit eine Literatur
in der Verkrüppelte eine Rolle spielen
infam
aber ich verzeihe Ihnen
wir verzeihen uns
Sie sind ja nicht bös w i l l i g
Sie sind bös a r t i g
nicht bös w i l l i g
dieser kleine Unterschied auf der zweiten Silbe
macht Sie mir immer wieder erträglich
Verbieten Sie es mir jemals wieder einen einzigen Brief zu schreiben
Sie müssen es mir versprechen
JOHANNA mit einer Decke herein, deckt die Gute zu
DIE GUTE
Ich kann nicht einschlafen
und lese diese Romane
diese Theaterstücke
plötzlich laut
Machen Sie doch die Fenster auf
ich ersticke
JOHANNA öffnet die Fenster
DIE GUTE
Sie müssen es mir unmöglich machen
unmöglich
Wenn ich die Briefe nicht abschicke
macht es nichts
leise
Sie müssen es verhindern
es mir verwehren
Die Wahrheit ist daß kein Mensch von mir einen Brief will
niemand
nichts
weil ich immer auf einem einzigen Fleck sitze
Da da
fällt mir natürlich viel ein
mir fällt so viel ein daß ich Angst habe
meine Einfälle könnten tödlich sein
meine Einfälle
Niemand hat Zeit für Briefe
Für Einfälle
es ist wahr die Leute haben keine Einfälle
weil sie keine Zeit haben
für Einfälle
und sie haben keine Zeit
weil sie keine Einfälle haben
niemand lebt gern gespenstisch
Ich habe die längste Zeit
und ich habe gar keine Zeit
das ist mein Unglück
Mich langweilen meine Einfälle
Wenn ich auf einmal keine Einfälle mehr hätte
Meine Bewegungslosigkeit Johanna
Wenn ich sage zerreißen Sie meine Briefe
gehn Sie hinaus und lesen Sie sie
und erst wenn Sie sie gelesen haben
werfen Sie sie weg
Zerreißen Sie sie
Und wenn ich sage Sie dürfen sie
bevor Sie sie wegwerfen nicht lesen
lesen Sie sie
Ich habe meine Briefe immer zerrissen weggeworfen
in den ganzen zehn Jahren die mein Mann tot ist
habe ich alle Briefe immer wieder zerrissen
es ist wahr
ich habe nicht einen einzigen Brief abgeschickt
Geben Sie zu daß das wahr ist
Zerrissen
verbrannt
Es gibt gar keinen Grund mich so aufzuregen Johanna
Warum rege ich mich denn auf
auf einen Brief den man nicht abschickt
kann keine Antwort
Nein nein Johanna
Mit den Fragen die Antworten und so weiter
Johanna Sie bilden sich ein daß Sie alles über mich wissen
weil Sie drei Jahre in meinem Haus sind
weil Sie drei Jahre da sind
vorher haben Sie nicht existiert
Sie bilden sich alles ein
JOHANNA ab
DIE GUTE
Sie kennt alles
sie weiß alles
sie weiß was in meinen Schubladen ist
laut, ihr nach
Das wissen Sie natürlich
Sie haben recht
Sie sind drei Jahre in meinem Haus
JOHANNA kommt mit einer riesigen weißen Schachtel herein
DIE GUTE
Was ist denn das
JOHANNA
Die Handschuhe die Hüte
DIE GUTE
Die Handschuhe die Hüte
JOHANNA stellt die Schachtel auf den Tisch
DIE GUTE
Die Handschuhe die Hüte
probiert von jetzt an, bis der Vorhang fällt, ununterbrochen lange, mindestens bis zu ihren Ellenbogen reichende rote und grüne, gelbe, aber vor allem weiße und schwarze Handschuhe und große Frühjahrshüte in den gleichen Farben und Johanna ist ihr dabei behilflich
DIE GUTE
Haben Sie dem Handschuhhändler gesagt
daß ich mir nur ein einziges Paar aussuche
daß ich mich nicht sofort entscheide
E i...
Erscheint lt. Verlag | 10.1.2015 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Adolf-Grimme-Preis 1972 • Drama • Dramatiker • Franz Theodor Csokor-Preis 1972 • Georg-Büchner-Preis • Georg-Büchner-Preis 1970 • Grillparzer-Preis 1972 • Grimme Preis • Österreich • Prix Medicis 1988 • Sammlung • Schriftsteller • ST 1524 • ST1524 • Stücke • suhrkamp taschenbuch 1524 • Theater • Thomas Bernhard • Werke |
ISBN-10 | 3-518-73574-8 / 3518735748 |
ISBN-13 | 978-3-518-73574-9 / 9783518735749 |
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