Das Sexleben siamesicher Zwillinge (eBook)

Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-15460-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Sexleben siamesicher Zwillinge -  Irvine Welsh
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Wie wir aussehen, wer wir sind
Lucy Brennan ist die härteste Fitnesstrainerin von Miami Beach - und ein Star: Seit sie dabei gefilmt wurde, wie sie per Frontkick einen Amokläufer zur Strecke brachte, kann sie sich vor Aufträgen kaum noch retten. Auch die Planungen für ihre eigene Reality-TV -Show machen Fortschritte. Doch dann meldet sich die unsichere, stark übergewichtige Künstlerin Lena Sorenson zum Personal Training bei ihr an; eine Frau, die all das verkörpert, was Lucy hasst. Langsam, aber unaufhaltsam gerät ihr erbitterter Kampf gegen die Fettleibigkeit außer Kontrolle ...

Irvine Welsh, geboren 1957 in Leith bei Edinburgh, schreibt Romane und Kurzgeschichten und gilt als einer der wichtigsten Autoren der Underground-Literatur. Sein Debütroman Trainspotting und die gleichnamige Verfilmung mit Ewan McGregor machten ihn international bekannt. Viele weitere Romane folgten.

1    Leprakolonie

5-6-7-8, wer wird von uns plattgemacht?

Zahlen sind die große amerikanische Obsession. An welchen Zahlen lassen wir uns messen? Unsere bröckelnde Wirtschaft: an Wachstumsraten, Konsumausgaben, Industrieproduktion, BIP, BSP, dem Dow Jones. Unsere Gesellschaft: an Morden, Vergewaltigungen, Teenagerschwangerschaften, Kinderarmut, illegalen Einwanderern, Drogenabhängigen, registriert oder nicht. Wir als Individuen: an Größe, Gewicht, Hüft-, Taillen-, Brustumfang, BMI.

Doch am meisten Probleme verursacht die Zahl, die mir gerade im Kopf herumspukt: 2.

Der Streit mit Miles (1,86 m, 95 kg) war banal, schon klar. Dennoch besaß er genügend Zündstoff, um mich davon abzuhalten, die Nacht in seiner Wohnung in Midtown (= Geisterstadt) zu verbringen. Der Idiot hatte den ganzen Abend über seine Rückenschmerzen gejammert und sich mit dieser Heulsusen-Nummer um sein eigenes Vergnügen gebracht. Je feuchter seine Augen wurden, desto trockener wurde meine Möse. Während der letzten paar Minuten einer Episode von The Big Bang Theory zischte er mir dann ein »Psssst!« zu – echt jetzt, Alter, im Ernst? Und als Chico, sein Chihuahua, wieder mit diesem nervigen Gekläffe anfing, wollte er ihn partout nicht in ein anderes Zimmer stecken, sondern behauptete steif und fest, das glotzäugige kleine Mistviech würde sich gleich wieder beruhigen.

Tja, leck mich doch.

Als ich mich entschied, ihn zu verlassen, nahm er das nicht so gut auf: machte einen auf schmollendes Kleinkind, mit Schnuteziehen und Pflänzchen-rühr-mich-nicht-an-Pose. Mann, werd gefälligst mal erwachsen! Manche Typen sind einfach nicht cool genug, um angepisst zu sein. Selbst Chico, der dazu überging, mir aufs Knie zu springen, obwohl ich ihn jedes Mal wieder auf den Boden setzte, hat größere Eier.

Also mache ich mich wenige Minuten vor halb vier auf den Rückweg nach South Beach. Bis vor ein paar Stunden war es noch eine laue Nacht, ein tief hängender Mond und Unmengen von Sternen hatten den violetten Himmel mit Lichtsplittern übersät. Doch kaum lasse ich meinen röchelnden 1998er Cadillac DeVille an, den ich von meiner Mom übernommen habe, merke ich, wie das Wetter umschlägt. Ich mache mir keinen Kopf darüber, bis auf Höhe des Julia Tuttle Causeway – aus meinen Boxen scheppert Joan Jetts »I Hate Myself For Loving You« – plötzlich kräftige Windböen frontal gegen den Wagen drücken. Ich drossle das Tempo, weil der Regen auf die Windschutzscheibe prasselt und mich zwingt, durch die hektisch arbeitenden Scheibenwischer zu blinzeln.

Gerade als der Wolkenbruch überraschend nachlässt und die Tachonadel wieder Richtung fünfzig klettert, tauchen zwei Männer aus der jetzt sternenlosen, tiefschwarzen Dunkelheit auf, rennen mitten auf dem fast verlassenen Causeway auf mich zu und wedeln dabei mit den Armen. Die irren Augen des vorderen blitzen im weißen Schein der Straßenlaternen. Zuerst halte ich es für einen Scherz: besoffene Verbindungsstudenten oder durchgeknallte Drogenfreaks bei einer kranken Mutprobe. Doch dann, mit einem lautlosen Fluch auf den Lippen, kommt mir die Erkenntnis, dass es sich dabei um einen ausgeklügelten Raubüberfall handeln könnte, und ich sage mir: Halt jetzt nicht an, Lucy, sollen diese Arschlöcher doch zur Seite springen. Aber sie tun einen Teufel, und ich steige voll in die Eisen. Der Wagen gerät quietschend ins Schleudern, und ich klammere mich am Lenkrad fest. Es fühlt sich an, als würde ein Riese versuchen, es meinem Griff zu entreißen. Ein dumpfer Knall ertönt, gefolgt von einem rumpelnden Geräusch, und ich sehe, wie einer der Männer über meine Motorhaube stürzt. Weil der Motor aussetzt, kommt der Wagen abrupt zum Stehen. Ich werde zurück in den Sitz geworfen und die CD wird exakt in dem Moment abgewürgt, als Joan gerade loslegt, im Refrain alles in Grund und Boden zu rocken. Ich schaue mich um und versuche, aus der Situation schlau zu werden. Auf der Spur neben mir kann ein anderer Fahrer nicht so schnell reagieren: Der zweite Mann wird in die Luft katapultiert, dreht sich dort wie eine verrückte Ballerina und überschlägt sich mehrfach auf dem Highway. Der Fahrer macht keinerlei Anstalten zu halten, sondern rast unbeirrt weiter in die Nacht.

Dem seligen Arschloch unseres lieben Jesuskindes sei Dank, dass sonst niemand hinter uns ist.

Diese Typen sind keine Autodiebe, die haben weder genug Mumm noch genug Schiss für so ’ne Nummer. Der Kerl, den der andere Wagen angefahren hat, ein kleiner, bulliger Latino, kommt wie durch ein Wunder wieder auf die Beine. Die nackte Angst sickert ihm aus jeder Pore und scheint jeglichen Schmerz zu überlagern, den er empfinden müsste. Er vergeudet keinen Blick an den Arsch, der über mein Auto geflogen ist, sondern starrt panisch über seine Schulter in die trübe Nacht, während er sich weiterschleppt. Im Rückspiegel sehe ich den Kerl, den ich umgenietet habe. Auch er ist wieder auf den Beinen: Das blonde Haar in langen Strähnen mit Gel zurückgekämmt, hoppelt er wie eine halb verkrüppelte Spinne eilig auf die Büsche des Mittelstreifens zu, der die Fahrspuren Richtung Downtown von denen Richtung Küste trennt. Dann sehe ich, dass der Latino kehrtgemacht hat und auf mich zugehumpelt kommt. Er hämmert gegen mein Fenster, schreit: — Hilf mir!

Ich bin in meinem Sitz erstarrt, den verbrannten Geruch von Bremsklötzen und Gummi in der Nase, und habe keine Ahnung, was ich machen soll. Plötzlich kommt ein dritter Mann aus der Dunkelheit und mit zügigen Schritten über den Highway auf uns zu. Der Schock des Latinos hat offenbar nachgelassen, denn er stößt einen jähen Schmerzensschrei aus, bevor er weiter am Auto entlanghumpelt und sich neben das hintere Seitenfenster kauert.

Ich öffne die Tür und steige aus, stehe mit wackeligen Beinen auf der Fahrbahn, mein Magen dumpf und leer, als ein Knall ertönt und etwas an meinem linken Ohr vorbeipfeift. Seltsam entrückt, als wäre ich gar nicht selbst betroffen, wird mir klar, dass es ein Schuss ist. Darauf komme ich, weil der dritte Mann, der sich aus dem scheckigen Dunkel schält, mit einem Gegenstand in seiner Hand auf mein Auto zeigt. Es muss eine Pistole sein. Er ist jetzt fast neben mir, alles um mich herum gefriert zum Standbild, ich kann die Waffe nun deutlich erkennen. So endet es also, denke ich, während ich spüre, wie sich in einem urtümlichen Flehen um Gnade meine Augenlider heben. Doch der Schütze geht an mir vorbei, als wäre ich unsichtbar, dabei bin ich ihm nah genug, um ihn zu berühren, um sein glasiges kleines Frettchen-Auge im Profil zu sehen und sogar einen Hauch seines muffigen Körpergeruchs wahrzunehmen. Aber der Mann hat bloß sein kauerndes Opfer im Sinn. — BITTE! BITTE! NICHT …, bettelt der Latino neben meinem Auto hockend, die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt, eine Handfläche zur Abwehr ausgestreckt.

Ganz langsam senkt der Schütze den Arm mit der Waffe, bis sie auf sein Opfer gerichtet ist. Von irgendeinem Instinkt getrieben, mache ich einen Satz, ziehe das Knie hoch und ramme dem Arschloch meinen Fuß direkt zwischen die Schulterblätter. Der dürre, schäbig aussehende Kerl stürzt mit dem Gesicht voran auf den Asphalt und verliert seine Waffe. Der Latino glotzt perplex und krabbelt dann auf die Pistole zu. Ich bin vor ihm da und befördere sie mit einem Tritt unter den Caddy. Den Mund zu einem O geöffnet, schaut er mich eine Sekunde lang an, bevor er aufsteht und eilig davonhumpelt. Ich werfe mich mit meinem ganzen Gewicht auf den Schützen, schürfe mit den nackten Knien über die Fahrbahndecke des verlassenen Highways, hocke mich rittlings auf ihn und lege beide Hände um seinen dürren Nacken. Er ist nicht kräftig (weiß, 1,65 m, 55 kg), aber er versucht noch nicht einmal, sich zu wehren, als ich ihn anbrülle: — DU DÄMLICHES ARSCHLOCH, WAS SOLL DER SCHEISS?

Ein paar heisere Baby-Schluchzer und dazwischen wehleidiges Gestammel: — Du verstehst das nicht … niemand versteht das … Ein weiteres Auto kommt herangeschlichen, beschleunigt und rast davon. Ich habe so eine Ahnung, dass der nächste Haufen Scheiße bereits auf mich herabsegelt. Ich blicke kurz auf und sehe, wie der Latino in Richtung der Büsche auf dem Mittelstreifen flieht, seinem weißen Compadre hinterher. Was für ein Glück, dass ich Turnschuhe anhabe, schießt es mir durch den Kopf, da ich eigentlich die Gladiator-Pumps favorisiert hatte, passend zu dem kurzen Jeansrock und der Bluse, mit denen ich Miles’ Schwanz in Stimmung bringen und ihn seinen Rücken vergessen machen wollte. Angesichts des hochgerutschten Rocks bin ich verdammt froh, an ein Höschen gedacht zu haben.

Wie aus dem Nichts quiekt mir eine hysterische Stimme ins Ohr: — Ich hab alles mit angesehen. Du bist eine Heldin! Ich habe den Notruf gewählt! Ich habe die Polizei informiert! Ich habe alles mit meinem iPhone gefilmt! Als Beweis!

Ich hebe den Blick und sehe eine kleine, dicke Tussi. Ein dichter, schwarzer Pony hängt ihr bis über die Augen. Sie ist 1,59 m, vielleicht 1,60 m groß und um die 100 kg schwer. Wie bei allen Übergewichtigen...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2015
Übersetzer Stephan Glietsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Sex Lives of Siamese Twins
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Amerika, USA, Miami, Medien, Schönheit, Reichtum, Fitness, Schlankheitswahn, Gesellschaft • eBooks • Fitness • Gesellschaft • Medien • Miami • Reichtum • Roman • Romane • Schlankheitswahn • Schönheit • USA
ISBN-10 3-641-15460-X / 364115460X
ISBN-13 978-3-641-15460-8 / 9783641154608
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