Drei Männer - drei Frauen (eBook)
133 Seiten
AtheneMedia-Verlag
978-3-86992-238-6 (ISBN)
Robert Jakob, Chemiker und Biochemiker, arbeitete zunächst in der Grundlagenforschung und im Pharmamanagement, ehe er Publizist wurde. Er ist Autor diverser Bücher und zahlreicher Artikel für Zeitungen und Magazine. Er war als Chefredakteur und Redaktionsleiter tätig, u.a. bei der NZZ-Gruppe.
Seine Neugier war verständlich, denn was machte wohl ein sechs- oder siebenjähriges blondes Mädchen mit keltisch anmutenden Zöpfen allein im Libanon?
„Ich heiße Christa“, erhielt er zur Antwort.
Die kräftigen Sonnenstrahlen, die das Wasser am Ufer noch verstärkte, erhellten ihr bleiches Gesicht. Ein paar kleine Sommersprossen auf jeder Wange gaben dem Mädchen etwas Keckes.
„Christa, es ist schon etwas spät. Möchtest du nicht lieber erst morgen weiter und die Nacht hier verbringen?“, schlug der Thraker vor.
Dabei dachte er auch an den starken Wind, aber dieser hatte urplötzlich abgenommen, so dass jetzt eine unerwartete Stille herrschte.
„Nein, das kann ich nicht, denn in Jerusalem wartet man bereits auf mich“, entgegnete die Kleine.
Dimitros spürte, dass er nicht mehr das Recht besaß, weiter zu fragen.
„Dann laß uns gehen!“, sagte er nur noch und senkte zeitgleich Kopf und Stimme.
Das ungleiche Paar machte sich schweigend, als kenne es sich schon eine Weile, auf den Weg zum Ufer. Dimitros zog seine Ledersandalen aus und ließ sie an einem Holzpfahl, der ihm ansonsten auch zum Anbinden von Vieh diente, zurück. Der Pflock stand an einer kleinen, unscheinbaren Biegung des Flusses. Dort gelangte die Strömung nicht hin. Daher stand das Wasser fast still, diente als sichere Viehtränke und sichere Einstiegsstelle gleichzeitig. Gleichwohl war das andere Ufer in guter Sichtweite. Mit ruhigem Gewissen konnte Dimitros hier sein Schuhwerk zurücklassen. Ihm war nie etwas gestohlen worden, und er selbst hatte nie in seinem Leben gestohlen oder irgendetwas Unrechtes getan. Auch kannte er selber das Böse nur vom Hörensagen. Drum ließ er seine Sandalen immer voller Gottvertrauen am selben Ufer zurück, bereit, sie nach getaner Arbeit wie ein paar alte Weggefährten wiederzutreffen. Dieser Ritus hatte sich tausende Male wiederholt. Er zurrte sich das Wams fest und nahm das Mädchen auf die Schulter. Dazu drehte er seine Handgelenke zum Himmel, griff ihr unter die Achselhöhlen und hievte sie senkrecht vor sich nach oben. Dann ließ er sie mit ausgestreckten Armen ein wenig nach unten auf seinen Nacken gleiten. Feingliedrig wie sie war, kam es ihm vor, als trüge er ein neugeborenes Lämmchen um seinen Hals gewickelt, so leicht war ihm die Last. Er vergewisserte sich, dass sein Furtgast bequem saß und stieg über die knappe Böschung. Das Wasser war weder warm noch kalt, weder reißend noch tot. Ganz leicht kräuselte es sich im Schlagschatten der Fluten. Tausendmal hatte er diesen Weg genommen, war genau an derselben Stelle ein- und an der gleichen Stelle auf der gegenüberliegenden Seite wieder ausgestiegen. Nie war er gestrauchelt. Kein einziges Mal musste er vorzeitig umkehren.
Doch kaum hatte Dimitros seinen ersten Schritt in die Fluten gesetzt, spürte er, dass etwas anders als sonst war. Er fühlte nicht die gleiche Sicherheit, die ihn für gewöhnlich auszeichnete. Am Gewicht der Kleinen konnte es nicht liegen, denn die saß wie ein Federchen auf seinem Nacken; ja selbst für ihr Alter und ihre Größe schien sie ihm leicht, so leicht, dass ihm unheimlich wurde.
Er öffnete den Mund einen Spalt weit, dann fehlte ihm jedoch jedwedes Wort, und er konzentrierte sich wieder allein auf den nächsten Schritt. Das Bett des Flusses war fast topfeben. Hin und wieder ruhten breite, vom Wasser plangeschliffene Steine am Grund. Sie ragten jedoch so wenig aus dem Boden hervor, dass es unmöglich war, sich an ihnen die Zehen anzustoßen. Im schlimmsten Falle konnten sie einen unbedarften Wanderer ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen. Dimitros setzte den nächsten Schritt. Er traf dabei genau auf einen großen Stein. Jetzt erst spürte er das Gewicht des Mädchens ein wenig. Das beruhigte ihn, denn er hatte fast das Gefühl gehabt, alleine durchs Wasser zu waten, und da die Kleine schwieg, wurde ihm dieser Eindruck unangenehm. Die Macht der Gewohnheit gab ihm Rückhalt.
Als hätte es den Widerstand des Steines gebraucht, um seine Kraft auf den richtigen Weg zu leiten, fühlte sich Dimitros jetzt besser und sicherer. Mit dem nächsten Schritt stand er mit beiden Füßen auf der Steinplatte, wie eine antike Statue auf einem Sockel. Jetzt fühlte er das Gegengewicht der Kleinen wie eine willkommene Kraft, die seinen Füßen Halt gab.
Mit dem ersten Schritt in den Kies glaubte er ein wenig einzusinken. Aber das lag wohl eher daran, dass der Untergrund jetzt beweglicher wurde, und vor allem daran, dass der Thraker für sich allein über hundert Kilo wog. Die wenigen Pfunde des Mädchens machten da nicht mehr viel aus. Dimitros konnte für drei essen; das benötigte sein Körper für die Arbeit zu Feld und zu Wasser. Dick wurde er darüber auch im Alter nicht.
„Geht es dir gut?“, waren die ersten Worte der Kleinen, seit er die Sandalen abgelegt hatte.
„Danke für deine Frage, aber du brauchst keine Angst zu haben. Du bist ja so leicht. Wir kommen problemlos ans andere Ufer“, antwortete Dimitros, der immer bemüht war, seinen Kunden ein Gefühl der Sicherheit zu schenken.
„Findest du?“, entgegnete die Kleine.
„Natürlich, ich habe schon kräftige Knaben und Frauen auf meinen Schultern ans andere Ufer getragen.“
Während er das sprach, kamen sie in tieferes Gewässer. War es der Auftrieb des Wassers, das ihm jetzt bis zu Hüfte stieg, welcher den Körper leichter und die Last umso beeindruckender machte oder war Christa plötzlich wirklich viel schwerer geworden?
„Damit wollte ich nicht sagen, dass du ein Leichtgewicht bist“, meinte Dimitros beim nächsten Schritt.
„Ich trage auch einige Last mit mir herum“, entgegnete das Mädchen bedeutungsschwanger.
„Was meinst du mit Last?“
„Die Last meiner Jahre.“
Bei diesen Worten, wurde es Dimitros zum ersten Male etwas steif um den Hals. Als in sich gekehrter Mensch war er gegenüber jeder Form von Suggestion ganz besonders empfänglich. Mit dem Reden rund um das Wort Last schien auch wieder das Körpergewicht der Kleinen gegenwärtiger zu werden.
„Wie alt bist du denn?“
Seine Neugierde triumphierte zum ersten Mal über die Zurückhaltung.
„Eine Million Jahre“, antwortete Christa.
Das hielt Dimitros für einen Kinderscherz und schwieg. Hatte die Kleine mit ihren Sommersprossen nicht etwas Schelmisches an sich? Er watete weiter, spürte aber, dass ihm die nächsten Schritte immer schwieriger wurden. Christa lag wie ein Mühlstein auf seinem Rücken. Er fühlte sich unbehaglich.
„Das wird wohl das Gewicht von einer Million Jahren sein“, scherzte Dimitros in Gedanken für sich selbst.
Doch das Scherzen verging ihm jäh mit dem nächsten Schritt. Als er den Fuß hob, spürte er ein Ziehen im rechten Kniegelenk, als hätte er sein Kreuzband durch ungelenke Belastung gezerrt oder gar gerißen. Das Wasser war jetzt schon ein kleines bisschen kühler, und da seine Muskeln noch nicht warm und seine Bänder und Sehnen noch nicht richtig gedehnt waren, schmerzte die brüske...
Erscheint lt. Verlag | 5.12.2014 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-86992-238-9 / 3869922389 |
ISBN-13 | 978-3-86992-238-6 / 9783869922386 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 151 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich