Strandperlen (eBook)

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
300 Seiten
MIRA Taschenbuch (Verlag)
978-3-95649-436-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Strandperlen -  Tanja Janz
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Tschüß, St. Peter-Ording - Tante Lilo, nicht mehr ganz frische 70, muss aus Gesundheitsgründen in wärmere Gefilde ziehen. Aber was wird nun aus ihrer geliebten Strandperle? Entschlossen vermacht sie das Unternehmen ihren zwei Nichten Insa und Stephanie. Zwei gestandene Frauen, die sich nur vom Hörensagen kennen ... Für Insa ist der Nordseeort eine willkommene Abwechslung zum Schnellimbiss in Gelsenkirchen, für Stephanie die perfekte Fluchtmöglichkeit von ihrem betrügerischen Ehemann in Düsseldorf. Doch kaum erreichen sie ihr Erbe, knirscht der Sand im Getriebe ihrer Hoffnung! Denn statt einer schnuckligen Strandpension hat ihnen Tante Lilo einen heruntergewirtschafteten Campingplatz vermacht. Watt für ein Sommer am Meer ...



Tanja Janz wollte schon als Kind Bücher schreiben und malte ihre ersten Geschichten auf ein Blatt Papier. Heute ist sie Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen im Ruhrgebiet. Neben der Schreiberei und der Liebe zum heimischen Fußballverein schwärmt sie für St. Peter-Ording, den einzigartigen Ort an der Nordseeküste.

1. KAPITEL


Die rot-weißen Fahnen von Gosch flatterten im böigen Frühlingswind. Möwen flogen kreischend durch die klare Luft, auf der Suche nach nichts ahnenden Touristen, denen sie im Sturzflug den schmackhaften Fisch aus den Brötchen stibitzen konnten.

Kurgäste stellten ihre Räder in den Fahrradständern gegenüber des Fischrestaurants ab und schlugen die Kragen ihrer winddichten Softshell-Jacken hoch, als Lilo Ampütte vom Deichweg auf den belebten Platz an der Promenade abbog. Eine Damengruppe drehte sich neugierig nach ihr um und steckte tuschelnd die Köpfe zusammen, das verriet sie als Urlaubsgäste.

Unter den Einheimischen war Lilo bekannt wie ein bunter Hund. Von ihnen verdrehte schon lange niemand mehr den Hals, wenn sie der Alt-Hippie-Dame in einem ihrer wallenden Batikgewänder und mit dem klimpernden Perlenschmuck beim Einkauf auf dem Markt oder beim Strandgutsammeln begegneten.

Das war immerhin schon seit Ende der 60er-Jahre so. Damals hatte sie mit ihrer Hippie-Kommune einen Pfahlbau am Strand bezogen. Seitdem gehörte Lilo Ampütte zu St. Peter-Ording wie der zwei Kilometer breite und zwölf Kilometer lange Strand.

Ihre Hippie-Freunde hatte es nach einer Weile wieder aus St. Peter-Ording weg und an andere Orte der Welt gezogen, nach Ibiza oder Indien. Nur Lilo war geblieben, weil sie ihr Herz an einen einheimischen Maler verloren hatte. Das war jetzt über fünfundvierzig Jahre her.

Mit langsamen Schritten ging sie auf die Seebrücke zu, die nach etwa tausend Metern auf der großen Sandbank vor St. Peter-Ording endete. Ein letztes Mal wollte sie ihre Füße in die kalte Nordsee tauchen und den nassen Sand zwischen den Zehen und unter ihren Sohlen spüren. So, wie sie es in den zurückliegenden Jahren nahezu täglich getan hatte. Ein halbes Leben lang. Bei Wind und Wetter. Bei Regen und Sonne. Im Winter und im Sommer.

Keine Witterung hatte sie von ihrem geliebten Strandspaziergang abhalten können. Noch nicht einmal die reißenden Schmerzen, die sich anfänglich auf die Knie- und Fußgelenke beschränkt hatten und von ihr als Alterszipperlein abgetan worden waren. Deswegen wollte sie nicht gleich zum Arzt rennen und die Pferde scheu machen. Immerhin hatte sie in diesem Jahr ihren fünfundsechzigsten Geburtstag gefeiert und war bis dahin gut ohne Schulmedizin ausgekommen. Die war ihrer Ansicht nach Mumpitz und diente nur dazu, den Patienten Geld für teure Behandlungen und Medikamente aus der Tasche zu ziehen, die von keiner Krankenkasse bezahlt wurden.

Im Krankheitsfall vertraute sie sowieso eher auf die heilende Kraft von Kräutern und Gesundheitssteinen sowie auf positive Gedanken, als sich irgendwelche bunten Chemiebomben in Pillenform einzuwerfen.

Aber die Schmerzen wurden mit der Zeit immer schlimmer, und als Bernsteinwasser und Granatbäder, Meerpinie- und Lavendel-Essenzen ihr keine Linderung mehr verschafften und sie eines Tages gar nicht mehr aus dem Bett kam, um sich um ihre Urlaubsgäste in der Strandperle zu kümmern, ließ Lilo nach dem hausärztlichen Notdienst schicken.

Doch statt ihr erwartungsgemäß ein paar farbenfrohe Tabletten zu verschreiben, wies der Arzt sie zu ihrem Entsetzen sofort ins Krankenhaus ein.

Nach einer ausgiebigen körperlichen Untersuchung inklusive Blutbild, Röntgen- und MRT-Aufnahmen stand die Diagnose bald fest: Rheumatoide Arthritis.

„Arthritis? Sind Sie sich ganz sicher?“, hatte Lilo Dr. Petersen entgeistert gefragt, der ihr gegenüber an seinem Schreibtisch saß und mit ernstem Blick ihre Patientenkartei auf dem Monitor seines PCs studierte. In ihrer Vorstellung bekamen Arthritis nur alte Menschen – sehr alte Menschen, zu denen sie sich noch längst nicht zählte. Es konnte sich also nur um einen Fehler handeln, den es aufzuklären galt. Von vertauschten Patienten-Akten oder gar falschen Patienten im OP hörte man schließlich immer wieder mal.

„Ich fürchte, ja. Aus Ihren Befunden geht eindeutig eine Arthritis der Gelenke hervor“, war seine Antwort gewesen.

Ausgerechnet jetzt, hatte sie gedacht.

Auch nun, da sie sich wieder an das Gespräch erinnerte, verzog Lilo den Mund. Das schmeckte ihr gar nicht und passte noch viel weniger in ihren Zeitplan, der vorsah, dass sie die Strandperle für die kommende Saison startklar machte.

„Und was kann man dagegen tun? Krankengymnastik?“, hatte sie gefragt, nachdem sie sich schon fast mit dem Gedanken an eine schmerzhafte Bewegungstherapie angefreundet hatte.

„Tja, in Ihrem Fall reichen ein paar Einheiten Krankengymnastik allein nicht aus.“

Lilo hatte den Kopf geschüttelt. „Ja, na gut, ich hätte vielleicht etwas eher zum Arzt gehen können“, hatte sie widerwillig zugegeben, „aber bis jetzt war das nicht nötig gewesen. Ich war immer kerngesund und brauchte keine Ärzte. Außerdem bin ich keine von denen, die wegen jeder Kleinigkeit gleich sterbenskrank sind. Zumal ich keine zwanzig mehr bin. Kleine Wehwehchen gehören nun mal zum Älterwerden dazu.“

Dr. Petersen hatte genickt. „Gerade deswegen hätte ich mich gefreut, wenn Sie mit Ihren sogenannten Wehwehchen früher zu mir gekommen wären.“

Lilo erinnerte sich, dass sie geschluckt hatte. Du liebes Lieschen, hatte sie gedacht. Das hörte sich nicht gut an und hatte ihr gerade noch gefehlt. „Was soll das genau bedeuten?“, hatte sie wissen wollen.

„Wir könnten Ihre Schmerzen zum Beispiel durch eine Cortison-Therapie in den Griff bekommen.“

„Nein! Auf keinen Fall!“ Sie hatte die Arme verschränkt und energisch den Kopf geschüttelt. „Da müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen.“

Dr. Petersen hatte beschwichtigend die Hände gehoben. „Dann bleibt nur der Gedanke an einen Umzug in südliche Gefilde. Das Reizklima in St. Peter ist zwar für die meisten Kurgäste ein Segen und kann ein bedeutsamer Heilfaktor sein, doch in Ihrem Fall ist es pures Gift. Ihr Körper braucht ein trockenes und warmes Klima.“

„Hm“, hatte sie gebrummt, sich eine grau-braune Strähne ihres langen Haars aus dem Gesicht gestrichen und gefragt: „Sie meinen, ich soll St. Peter verlassen?“

„Als behandelnder Arzt kann ich natürlich bloß Empfehlungen aussprechen. Aber besser wäre es für Ihre Gesundheit in jedem Fall.“

Das war nun sechs Wochen her, und wie damals fragte Lilo sich auch jetzt, wieso das passieren musste. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, die ihr noch verbleibenden Jahre an einem anderen Ort als St. Peter zu verbringen. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr vorstellen, ohne das Rauschen der Nordsee einzuschlafen und aufzuwachen. Oder ihren Morgenkaffee zu trinken, ohne dabei in ihrem Schaukelstuhl vor der Strandperle die aufgehende Sonne zu genießen. „Was wird denn dann aus meinen Gästen und der Strandperle?“, sagte Lilo mehr zu sich selbst und runzelte die Stirn. „Ich kann das doch nicht einfach alles so aufgeben.“

Am Wärterhäuschen wurde die alte Dame von einem Elternpaar in wetterfester Kleidung überholt, das seine jauchzenden Kinder in zwei Bollerwagen hinter sich herzog. Die Räder rumpelten geräuschvoll über die Lärchenbohlenverkleidung der Seebrücke, während der Wind das Lachen der Kleinen aufnahm und davontrug. Am Geländer der rundlichen Ausbuchtung blieb Lilo stehen und spielte dabei gedankenverloren mit dem Bernsteinanhänger an ihrer Halskette.

Sie ließ den Blick über die endlosen Salzwiesen gleiten, die am Horizont mit den Wolken zu verschmelzen schienen. In der bewegten Oberfläche der gefüllten Priele spiegelte sich der mit Schäfchenwolken bedeckte Himmel wider. Hier und da entdeckte sie zwischen zartrosa Strandgrasnelken brütende Austernfischer und Rotschenkel. Diese Vögel kamen jedes Jahr im Frühling nach St. Peter-Ording. Lilos Lieblingszeit war allerdings der Spätsommer, wenn der Strandflieder blühte und die Salzwiesen in ein zartes Violett tauchte.

Doch dieses Naturschauspiel würde Lilo in der nächsten Zeit nicht sehen können. In der Strandperle warteten schon die gepackten Koffer und ein One-Way-Ticket nach Ibiza auf sie, wo ihre Hippie-Freunde Fred und Mora bereits ein Zimmer in deren Finca in Sant Carles vorbereitet hatten. Morgen um diese Zeit würde sie St. Peter-Ording längst verlassen haben und vermutlich schon den ersten Strandspaziergang auf der spanischen Insel hinter sich gebracht haben. Sie konnte es immer noch nicht glauben. In ein paar Stunden würde sie nicht mehr in ihrem geliebten St. Peter-Ording sein.

Lilo legte den Kopf in den Nacken und blinzelte in die Frühlingssonne, deren Strahlen einen Weg zwischen den Wolken hindurchgefunden hatte. Dann schloss sie die Augen und atmete die salzige Luft tief durch die Nase ein, bis der letzte Winkel ihrer Lunge mit Sauerstoff gefüllt war. Sie erinnerte sich an die alten Zeiten zurück, die sie mit ihren Hippie-Freunden verlebt hatte, und an ihre gemeinsame Lebensphilosophie, dass alles seine Zeit hat und dass das Leben von ständigen Veränderungen geprägt ist. Für sie ging es nun auf Ibiza weiter, was nicht das Schlechteste war. Wer loslässt, hat die Hände frei, dachte Lilo. Die Fähigkeit loszulassen war immerhin eine Disziplin, die Alt-Hippies wie sie perfekt beherrschten.

„Moin, Lilo. Da bist du ja!“, ertönte plötzlich eine bekannte Stimme neben ihr und riss sie aus ihren Gedanken. „Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde.“

Lilo öffnete die Augen. Neben ihr stand ein schlanker Mann in ihrem Alter, bekleidet mit einem schwarzen Anzug, hellem Hemd und einer grauen Krawatte, die er ein wenig schief geknotet trug.

„Ich...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2015
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anwalt • Belletristik • Berlusconi • Camping • Campingplatz • Cousine • Dora Heldt • Familienurlaub • Ferienhäuser • Fisch • Fische • Freundschaft • Gedanke • Geschichte • Grandhotel • Grand Hotel • High Heels • Hotel • Hotelzimmer • Jack Russell Terrier • Jack Sparrow • Kameradschaft • Kleidung • Macht Urlaub • Mensch • Miesmuschel • Mittagessen • Muscheln • Neuanfang • Nordsee • Nordseeküste • Notar • Ording • Ostseeküste • Restaurant • Roman • Romantik • Romanzen • Schulter • Sommerlektüre • Stand • St. Peter Ording • St. Peter-Ording • Strand • Strandkorb • Strandkörbe • Strandpromenade • Strand; St. Peter Ording; Neuanfang; Campingplatz • Telefon • Urlaub • Urlaubslektüre • Urlausbroman • Usedom
ISBN-10 3-95649-436-9 / 3956494369
ISBN-13 978-3-95649-436-9 / 9783956494369
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