Alle Namen (eBook)

Trilogie der menschlichen Zustände, Band 2
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
304 Seiten
Hoffmann und Campe Verlag
978-3-455-81280-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alle Namen -  José Saramago
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Senhor José ist um die fünfzig und arbeitet im zentralen Personenstandsregister seiner Stadt, das alle relevanten Informationen zu Leben und Tod ihrer Bewohner dokumentiert. Privat sammelt er Zeitungsausschnitte über berühmte Persönlichkeiten, wobei er immer mal wieder auf die Akten seiner Behörde zurückgreift. Eines Tages gerät ihm zufällig die Karteikarte einer unbekannten Frau zwischen die Unterlagen. Neugierig geworden, macht er sich auf die Suche nach weiteren Informationen über die Unbekannte und gerät dabei auf gefährliche Abwege.

José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Cover
Titelseite
Für Pilar [...]
Du kennst den Namen, [...]
Über dem Türrahmen ist [...]
Außer seinem Eigennamen José [...]
Glücklicherweise gibt es nicht [...]
Die Entscheidung von Sr. José [...]
Persönliche Gründe unumgänglicher höherer [...]
Der Schlag traf so [...]
Anders, als man zumeist [...]
Die Achtung vor der [...]
Am folgenden Morgen, das [...]
Es ist eine Grippe, [...]
Nicht drei Tage, sondern [...]
Am nächsten Morgen fuhr [...]
An diesem Abend ging [...]
Dass die psychologische Zeit [...]
Als ich zu Ende [...]
Man betritt den Friedhof [...]
Sr. José fror in der [...]
Entschlossen, den versäumten Schlaf [...]
Sr. José schlief wie ein [...]
Über José Saramago
Impressum

Über dem Türrahmen ist ein schmales längliches, emailliertes Metallschild angebracht. Auf weißem Grund steht in schwarzen Buchstaben Zentrales Personenstandsregister. Die Emailleschicht ist gesprungen und an einigen Stellen abgeblättert. Die Tür ist alt, der letzte braune Anstrich löst sich, die Maserung des Holzes kommt hervor, sie erinnert an faltige Haut. Es gibt fünf Fenster in der Fassade. Kaum tritt man über die Schwelle, spürt man den Geruch nach altem Papier. Gewiß, es vergeht kein Tag, an dem nicht neue Papiere im Personenstandsregister eintreffen, von Individuen männlichen Geschlechts und weiblichen Geschlechts, die dort draußen geboren werden, aber der Geruch ändert sich nie, erstens, weil es die Bestimmung allen neuen Papiers ist, gleich nach Verlassen der Fabrik zu altern, und zweitens, weil gewöhnlich kein Tag vergeht, an dem nicht auf dem alten Papier, doch auch häufig auf dem neuen, Todesfälle eingetragen werden samt entsprechender Orte und Daten, wobei jeder mit seinen eigenen Gerüchen, die für die Schleimhäute in der Nase nicht immer beleidigend sind, etwas beiträgt, wie dies gewisse aromatische Ausdünstungen beweisen, die hin und wieder zart in der Luft des Personenstandsregisters liegen und die feine Nasen aufspüren als ein Parfüm, das zur Hälfte aus Rosen und zur Hälfte aus Chrysanthemen besteht.

Gleich hinter der Tür betritt man durch einen großen verglasten Windfang mit zwei Türflügeln den riesigen rechteckigen Raum, in dem die Angestellten arbeiten, vom Publikum durch eine lange Theke getrennt, die von einer Seitenwand zur anderen reicht, wobei es an einer Seite eine bewegliche Klappe gibt, durch die man ins Innere gelangt. Die Anordnung der Plätze in diesem Saal berücksichtigt selbstverständlich die vorgegebene Hierarchie, da sie sich jedoch, wie zu erwarten, in dieser Hinsicht harmonisch fügt, tut sie dies auch hinsichtlich der Geometrie, was dem Beweis dient, daß kein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Ästhetik und Autorität besteht. Die erste Tischreihe, parallel zur Theke, wird von acht Amtsschreibern eingenommen, die für den Publikumsverkehr zuständig sind. Dahinter, ebenfalls um die mittlere Achse angeordnet, die von der Tür ausgehend sich weit hinten in den dunklen Räumen des Gebäudes verliert, steht eine Reihe von vier Tischen. Dies sind die Tische der Amtssekretäre. Dann folgen die der Stellvertretenden Amtsvorsteher, und das sind zwei. Schließlich, isoliert und allein, wie es sich gehört, der Amtsvorsteher, den sie im täglichen Umgang Chef nennen.

Die Verteilung der Aufgaben auf die Gesamtheit der Angestellten folgt einer einfachen Regel, welche die Elemente jeder Stufe verpflichtet, die gesamte ihnen mögliche Arbeit auszuführen, so daß nur ein geringer Teil an die folgende Stufe weitergereicht wird. Das bedeutet, daß die Amtsschreiber gezwungen sind, ununterbrochen von morgens bis abends zu arbeiten, während die Amtssekretäre dies nur hin und wieder tun, die Stellvertretenden Amtsvorsteher überaus selten und der Amtsvorsteher so gut wie nie. Das unablässige Hin und Her der acht Vorderen, die sich so schnell setzen, wie sie sich erheben, immer vom Tisch zur Theke laufend, von der Theke zu den Karteikästen, von den Karteikästen ins Archiv, dabei unermüdlich diese und andere Abfolgen und Kombinationen wiederholend vor der Gleichgültigkeit der Vorgesetzten, der unmittelbaren wie der weiter entfernten, ist ein unerläßlicher Bestandteil, wenn man verstehen will, wie es möglich war und bedauerlicherweise auch so leicht, Mißbräuche zu begehen, Unregelmäßigkeiten und Fälschungen, die den Kern dieses Berichtes ausmachen.

Um in einem Fall von solcher Tragweite nicht den Faden zu verlieren, ist es erforderlich zu beschreiben, wo die Archive und Karteikästen sich befinden und wie sie funktionieren. Sie sind grundsätzlich strukturiert oder, einfacher gesagt, dem Naturgesetz folgend, in zwei große Abteilungen unterteilt, die der Archive und Kartei der Toten und die der Kartei und Archive der Lebenden. Die Papiere derer, die nicht mehr leben, sind mehr oder weniger geordnet im hinteren Teil des Gebäudes untergebracht, dessen Rückwand von Zeit zu Zeit, infolge der unaufhaltbar steigenden Zahl der Toten, abgerissen und einige Meter weiter vorn wieder aufgebaut werden muß. Wie leicht zu folgern ist, sind die Schwierigkeiten, die Lebenden unterzubringen, wenn auch besorgniserregend, bedenkt man, daß stetig Menschen geboren werden, dennoch weniger dringlich und zudem bisher einigermaßen zufriedenstellend gelöst worden, sei es mittels mechanischen, horizontalen Zusammenpressens der einzelnen Akten in den Regalen, wie im Fall der Archive, sei es durch die Verwendung dünnen und extradünnen Kartons, wie im Fall der Kartei. Trotz des lästigen Problems der bereits erwähnten Rückwand verdient der vorausschauende Blick der damaligen Architekten, die das Zentrale Personenstandsregister entwarfen, uneingeschränktes Lob, da sie gegen die konservativen Ansichten gewisser kleinlicher, der Vergangenheit zugewandter Geister die Errichtung jener fünf riesigen Regalkonstruktionen vorschlugen und verteidigten, die hinter den Angestellten bis zur Decke reichen, am weitesten zurückgesetzt das obere Ende des mittleren Regals, das fast den Schreibsessel des Amtsvorstehers berührt, näher an der Theke die oberen Regale an den Außenseiten, und schließlich die beiden anderen sozusagen auf halbem Wege bis zur Mitte. Von allen Betrachtern als zyklopisch und übermenschlich angesehen, erstrecken sich diese Konstruktionen durch das Innere des Gebäudes weiter, als der Blick reicht, auch, weil ab einem gewissen Punkt Dunkel herrscht und nur Licht gemacht wird, wenn eine Akte eingesehen werden muß. Diese Regalkonstruktionen tragen das Gewicht der Lebenden. Die Toten, das heißt, ihre Papiere, sind weiter hinten untergebracht, allerdings weniger gut, als es die Achtung für sie erforderte, deshalb ist es so mühsam, sie zu finden, wenn ein Verwandter, ein Notar oder ein Justizbeamter ins Zentralregister kommt und Urkunden oder Abschriften von Dokumenten aus anderen Zeiten verlangt. Die Desorganisation dieses Teils des Archivs wird begründet und verschärft durch die Tatsache, daß es gerade die längst Verstorbenen sind, die am nächsten an der aktiv genannten Abteilung liegen, gleich hinter den Lebenden, und so, einer intelligenten Definition des Amtsvorstehers folgend, ein zweimal totes Gewicht bedeuten, vor allem, da sich äußerst selten jemand mit ihnen beschäftigt, nur hin und wieder erscheint jemand, ein exzentrischer Erforscher historischer Details von geringer Bedeutung. Wenn nicht eines Tages entschieden wird, die Toten von den Lebenden zu trennen, und man an einem anderen Ort ein neues Personenstandsregister errichtet, um dort nur die Verstorbenen unterzubringen, gibt es keine Lösung für die Situation, wie deutlich wurde, als einer der Stellvertretenden Amtsvorsteher zu ungünstiger Stunde den Einfall hatte, das Archiv der Toten in entgegengesetzter Richtung anzuordnen, weiter hinten die früher Verstorbenen und weiter vorn die kürzlich Verstorbenen, eine Anordnung, die, in seinen bürokratischen Worten gesprochen, den Zugang zu den zeitgenössischen Verstorbenen erleichtern sollte, welche, wie man weiß, Verfasser von Testamenten sowie Erblasser sind und daher leicht zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden und Anlaß zu Anfechtungen geben, solange die Leiche noch warm ist. Sarkastisch stimmte der Amtsvorsteher dem Vorschlag zu, unter der Bedingung, daß der Urheber dieser Idee nun selbst damit beauftragt werde, Tag für Tag die ungeheure Masse der individuellen Akten der früher Verstorbenen nach hinten zu schieben, damit die kürzlich Verstorbenen den dadurch gewonnenen Platz einnehmen könnten. Um diesen unglücklichen und undurchführbaren Vorschlag vergessen zu machen und auch, um von der Demütigung abzulenken, fand der Stellvertretende Amtsvorsteher kein besseres Mittel, als die Amtsschreiber um die Überlassung eines Teils ihrer Arbeit zu bitten, womit er, sowohl nach oben als auch nach unten, den historischen Frieden der Hierarchie verletzte. Mit dieser Episode wuchs die Nachlässigkeit, blühte die Ratlosigkeit, grassierte die Unsicherheit, und dies so weit, daß sich eines Tages in den labyrinthischen Katakomben des Totenarchivs ein Forscher verlor, der sich Monate nach jenem absurden Vorschlag im Personenstandsregister eingefunden hatte, um einige heraldische Forschungen anzustellen, mit denen man ihn beauftragt hatte. Er wurde wie durch ein Wunder nach einer Woche entdeckt, hungrig, durstig, erschöpft, delirierend, und hatte nur überlebt, weil er zu einem verzweifelten Mittel gegriffen hatte, dem Verzehr ungeheurer Mengen alter Papiere, die er nicht einmal kauen mußte, weil sie sich im Mund auflösten und weder lang im Magen blieben noch besonders nahrhaft waren. Der Chef des Zentralen Personenstandsregisters, der schon die Karteikarte des unvorsichtigen Historikers für seinen Schreibtisch angefordert hatte, um ihn für tot zu erklären, beschloß, den angerichteten Schaden zu übersehen, der offiziell den Ratten zugeschrieben wurde, und erließ eine dienstliche Anweisung, derzufolge unter Androhung von Strafe und Streichung des Gehaltes der Ariadnefaden zu benutzen sei, wann immer jemand sich in das Archiv der Toten begab.

Auf keinen Fall wäre es recht, die Schwierigkeiten der Lebenden zu vergessen. Es ist mehr als sicher und bekannt, daß der Tod, sei es aus ursprünglicher Unfähigkeit, sei es aus erworbenem Mißtrauen, seine Opfer nicht aussucht nach der Dauer des Lebens, das sie gelebt haben, ein Verfahren übrigens, dies sei nebenbei bemerkt, das, will man den Worten unzähliger philosophischer und religiöser Autoritäten Glauben schenken, die sich zu diesem Thema geäußert haben, im menschlichen Wesen indirekt auf...

Erscheint lt. Verlag 8.9.2014
Übersetzer Dr. Ray-Güde Mertin
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Literatur • Nobelpreisträger • Parabel • Roman • Romane • Schriftsteller
ISBN-10 3-455-81280-5 / 3455812805
ISBN-13 978-3-455-81280-0 / 9783455812800
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