Vier neue Nachrichten (eBook)

(Autor)

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2014 | 1. Auflage
272 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6045-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vier neue Nachrichten -  Joshua Cohen
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'Bei diesem literarischen Start-up möchte man von Anfang an dabei sein und keine Zeile verpassen!' New York Times'Vier neue Nachrichten' - gesendet von einer neuen, aufregenden Stimme aus den USA. Der junge New Yorker Autor Joshua Cohen, der schon jetzt mit Thomas Pynchon und David Foster Wallace verglichen wird, zeigt, wie radikal das Internet unseren Umgang mit Sex und Arbeit, Familienleben und Zukunftsplänen, unsere Art zu schreiben und unsere gesamte Identität verändert hat. Die 'Vier neuen Nachrichten' handeln von einem halbherzigen Drogendealer, der durch einen Blog im Internet bloßgestellt und in einen Strudel eskalierender Ereignisse gezogen wird; sie führen die Ödnis heutiger McJobs und deren platte Sprache ad absurdum; sie karikieren ein Schreibseminar an einer Provinzuni, das unter Anleitung eines gescheiterten New Yorker Professors zu einer grotesken Übung wird. Die Nachricht 'Gesendet' ist eine unheimliche Parabel über Internetpornografie, osteuropäische Mädchen und die Schattenseiten des vermeintlichen Fortschritts. Der New Yorker nennt Joshua Cohen 'eine Entdeckung', seine Texte 'hochintelligent: lyrisch und prosaisch, theoretisch und praktisch, komisch und ernsthaft zugleich'. Cohens virtuoser Sprache hat der für seine David Foster Wallace-Übersetzungen hochgelobte Ulrich Blumenbach eine kongeniale deutsche Stimme geliehen.'

Joshua Cohen wurde 1980 in New Jersey geboren und hat vielfach ausgezeichnete Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für seinen Campusroman Die Netanjahus erhielt er den National Jewish Book Award for Fiction und den renommierten Pulitzer Preis 2022. Er lebt in New York.

Joshua Cohen wurde 1980 in Atlantic City, New Jersey geboren und hat mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Pushcart Prize (2012) und den Matanel Prize in Jewish Literature (2013). Die Zeitschrift GRANTA wählte ihn 2017 zu einem der zehn besten jungen amerikanischen Autoren der letzten zehn Jahre. Im Wintersemester 2017/2018 war Joshua Cohen Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität Berlin. Für seinen Campusroman »Die Netanjahus« – erscheint im Frühjahr 2023 bei Schöffling & Co. – erhält er den National Jewish Book Award for Fiction und den renommierten Pulitzer Preis 2022. Ulrich Blumenbach ist seit 1993 literarischer Übersetzer aus dem Englischen und hat u.a. Werke von Stephen Fry, Nick Hornby, Jack Kerouac, Arthur Miller und Will Self ins Deutsche gebracht. Für Unendlicher Spaß (2009), die Übersetzung von David Foster Wallace' großem Roman, wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Übersetzerpreis der Ledig-Rowohlt-Stiftung und dem Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse. Er lebt in Basel.

Emission
McDonald's
Der Uni-Bezirk
Gesendet

McDonald’s

Ich schrieb an einer Erzählung, dem nächsten Dünnschiss von Hunderten, die ich routinemäßig zerknüllte (ich war noch nie blockiert gewesen, ein Schreibblock hätte mir gutgetan, aber), kam zu der Stelle in der Erzählung und – musste einfach aufhören, es war lächerlich!

Ich war an die Stelle gekommen, die kommen musste, die Stelle, die immer kam, die Stelle, wo ich sagen musste, was ich nicht sagen wollte, nicht sagen konnte – die da nichts zu suchen hatte, Vergiss meine Erzählung, erklärte ich meinem Vater, wovon ich da rede, das hat in meinem Leben nichts zu suchen.

Wovon redest du überhaupt?, fragte Dad und zeigte beim Lächeln seine Prothesen, verwundert darüber, dass er als Rentner mit etwas konfrontiert wurde, das wahrscheinlich so atemberaubend öde war wie er selbst – er selbst aber fiktionalisiert, als fiktionale Figur –, weil ich pleite bin und darum seine Klamotten trage, plus ich habe einen Bart wie er, weil wir beide fliehende Kinne haben. Ich war übers Wochenende nach Jersey gekommen, um ohne Alarmgeheul in meinem alten, hässlichen, nicht wiederzuerkennenden Zimmer zu schlafen und mir den Bauch mit Hausmannskost vollzuschlagen.

Ich sagte, Ich kann das Wort nicht sagen.

Wir waren in meinem Zimmer.

Ich lag auf dem Bett, er saß auf einem Stuhl, nippte an einem Glas Wein und starrte mich an.

Ich sagte, Du willst mich dazu bringen, es zu sagen.

Die Wände waren von abgenutztem Weiß, stellenweise mit Malerrollenflecken: Proben der Farben, die meine Eltern für die Renovierung in Erwägung zogen, diverse Pastelltöne und andere fast neutrale Töne, die ganz entschieden nicht zu mir passten. Bett und Stuhl gehörten nicht mir, sondern waren neu. Mein Kastenschreibtisch war genauso weg wie die Regale, das Zimmer sollte ein Gästezimmer werden, aber – wie Mom schon am Telefon am frühen Freitag betont hatte – ich wäre jederzeit willkommen.

Wie willst du mir erzählen, was passiert ist, wenn du mir das Wort nicht verrätst?, fragte Dad plötzlich, stand älter und grauer auf, fülliger und gichtgeplagt, nahm sein Glas von der Fensterbank und verließ beschwipst das Zimmer, aber vielleicht waren ihm auch die Füße eingeschlafen.

Nach dem Abendessen verschwand Mom zum Abwaschen und weil sie eine Freundin zurückrufen wollte, deren Anruf das Stroganoff unterbrochen hatte, während Dad und ich wie Extratischbeine sitzen blieben, bis er sagte, Versuch’s noch mal, und ich schilderte ihm die Erzählung:

Ich sagte, Es geht um ein Mädchen, fangen wir damit an, wahrscheinlich muss ich sie beschreiben. Ist sie hübsch?, fragte Daddy, ich sagte, Ich beschreibe sie als lohfarben (ich war nicht ganz sicher, was das bedeutete), mit rot gefärbten Haaren und zwei riesigen, mundgroßen Augen. Sie ist sexy?, fragte Dad und warf Mom einen Blick zu, die aus Ohr, Telefon und Schulter gerade zum Nachtisch ein Diät-Sandwich machte. Ich sagte, Für das Mädchen von nebenan ist sie wie das Mädchen von nebenan, soll heißen, sie hat was Schlampenmäßiges, ist aber auch total blutbedeckt, in der ersten Szene ist sie einfach blutig von Kopf bis Fuß. Klar ist sie das, sagte Dad (mit der Flasche beschäftigt; goss sich den Rest vom Petit Noir ein), aber kann man die verschiedenen Abschnitte eines Buchs Szenen nennen? Ich dachte, der Begriff wäre nur für Filme. Ich sagte, Bei einem Buch kann man von Szenen sprechen, aber wenn man bei einem Film Kapitel sagt, halten einen die Leute für einen Vollpfosten. Keine Frage, sagte Dad, trank einen Schluck, zwinkerte, und als er das leere Glas wieder auf den Tisch stellte, hatte das Geschirrklappern aufgehört, die Küche war leer, Mom schon oben, und ihr Lachen verschwebte in der Ferne und verschwand, in eine höhere Heiterkeit gelüftet – im Summen des Kühlschranks, dem Rödeln der Spülmaschine, der zwanghaften Munterkeit der Wanduhr.

Sie prallt auf dem Rücksitz auf und ab, sagte ich, Das ist die Eröffnung: Ihr blutiger Körper, in dem noch das Messer steckt, fliegt auf dem Rücksitz zwischen ihrer Lehne und den Lehnen von Fahrer- und Beifahrersitz hin und her – Moment, sagte Dad, Was denn nun schon wieder?, sagte ich, Wenn er beim nächsten großen Schwangerschaftsbuckel nicht aufpasst, fällt ihre Leiche runter, fällt auf die schmutzigen Fußmatten, auf den dreckigen Mattenstapel, wird zwischen ihrem Sitz und seiner Rückenlehne eingeklemmt.

Seiner?, fragte Dad, ich sagte, Wenn er nicht langsamer fährt.

Es ist Nacht?, fragte Dad, ich sagte, Ja oder so gut wie, die Sonne ist untergegangen, der Mond ist halbiert, woher weißt du das?, ihr Körper wird rumsend hin und her gestoßen.

Was ist das für eine Nacht?, fragte Dad, ich sagte, Es ist nass, die Ampeln blitzen auf wie Spotlights.

Sie stehen auf Grün, ein leuchtendes Fahrgrün, das Auto wird schnell gefahren.

Langsamer, sagte Dad, Wer sitzt am Steuer?

Ihr Freund.

Freund?

Fährt nach Südwesten, sagte ich, aus den Städten, in denen er aufgewachsen ist, in die Städte, in denen sie aufgewachsen ist, von arm zu reich, von kriminell zu kriminell bieder – viertelvoller bis leerer Tank, läuft auf Reserve, er schlägt die Zeit tot, er schindet Zeit.

Dad fragte, Wie heißt er?

Blutlachen bilden sich in den Sitznähten, das Blut bildet Pfützen, und das Radio ist aus, trotzdem dreht er es leiser, das ist ein gutes Detail, dass er den ganzen Lärm nicht aushält, er dreht die Lautstärke runter, runter, ganz runter, diesen ganzen Absatz lang dreht er nur die Lautstärke runter.

Warum macht er das?, fragte Dad, ich sagte, Das ist eine Kreisbewegung, quasi du erstichst jemanden, und dann drehst du die Hand aus dem Handgelenk, damit du noch Stücke von Leber und Milz erwischst.

Und das ist ein gutes Detail?, fragte Dad.

Neon zischt vorbei, Neon knistert, brutzelt? Die Windschutzscheibe wird im Spiegelbild zur Beschilderung. Seine Kehle brennt, die vom Freund, »seine Hände sind gespannt und bereit«.

Als ich diese Zeile schrieb – die Erzählung in der Mitte begann, wie ich merkte –, wusste ich, dass ich auch Zeit schindete (meine Hände waren gespannt, bereit): wusste, dass ich das Wort nicht sagen konnte, mich nicht dazu bringen konnte, das Wort ernst genug zu nehmen, um es in einer Erzählung unterzubringen (das Wort war sowieso kein Wort, war sogar weniger als ein Wort, war bedeutungslos, hatte keine makellose Vernunft, hatte keine echte Vorgeschichte oder Schönheit, es war sogar weniger als sein kleinster Buchstabe, es war nichts, es war reine Zerstörung).

Ich beschrieb also Sachen, dachte mir Sachen aus und beschrieb sie meinem Dad: Ampeln und Schilder und die Kehlen von Fahrern, fuhr mir im Schlaf mit Daumennägeln durchs Gesicht, was Verletzungen hinterließ, nahm das aufgegebene Rauchen wieder auf und trank nachts eine halbe Flasche Gluckgluck-Whiskey, stand spät auf, kam also spät zur Arbeit, wo ich im Internet mittelwestliche Zeitmengen mit der Suche nach einem bestimmten Kommentator verbrachte, der meiner Meinung nach Unmengen von lokalen Sport-Blogs unterhielt, aber unter einem Dutzend verschiedener verschiedengeschlechtlicher Pseudonyme, sowie nach Produktrückrufmeldungen zumal auf dem heimischen Automarkt, gab bei Suchmaschinen »Was stimmt nicht an meiner Erzählung?« ein, kam von der Arbeit nach Hause, machte mir immer noch Gedanken wegen der Erzählung, hasste sie und hatte das Gefühl, wenn ich das Wort in die Erzählung einfügen würde, wäre das, als würde ich Mom, die sich nach Enkelkindern sehnt, eine Freundin vorstellen, die eigentlich ein Mann ist, das wäre, als würde ich zum Abendessen Freunde in meine Wohnung einladen und ihnen dann Exkremente mit Gedichten darüber servieren, wie sehr ich Freunde hasse, und die Gedichte hätten auch noch Reime.

Es wäre falsch, das Wort in meiner Erzählung und damit in meinem Leben unterzubringen, nicht interessant in der Art, wie Ausländer ein Gastland mit ihrer Küche und Mode, mit ihren religiosoziokulturellen Bräuchen und Sprachen bereichern, sondern böse und destruktiv, Der Freund ist Ausländer?, fragte Dad, Ich versuche, dir die Erzählung zu erzählen, ohne sie zu erzählen, sagte ich, du solltest doch wissen, dass das viele Schriftsteller machen, Spielt sie in Amerika?, fragte Dad – Kurz gesagt, sagte ich, er fährt, weil ihre Leiche auf dem Rücksitz liegt, und ihre Leiche liegt auf dem Rücksitz, weil er sie umgebracht hat.

Der Freund könnte, sagte ich, zu ihrem Haus unterwegs gewesen sein; ursprünglich war oder sollte er es jedenfalls, sagte ich, durch die Haustür rein, dann die Treppe hoch, um in ihrer Schlafzimmerkommode nach dem Ring zu suchen, den er ihr geschenkt hat, dem Ring, den er, kaum hatte sie ihn angenommen, augenblicklich zurückhaben wollte, weniger den Ring als das Geld, das er dafür ausgegeben hatte, die Überstunden, die er bedeutete, Was macht er beruflich?, fragte Dad, Er kann aber nicht einfach unangemeldet in ihr Haus reinplatzen, an ihrer Familie vorbeistürzen, sie wohnt nämlich noch bei ihren Eltern, nach oben gehen und in ihrer Kommodenschublade wühlen, sagte ich, Bau, er arbeitet auf dem Bau, Was für einer Baustelle?, fragte Dad, Er hat sie mit einem Springmesser erstochen, sagte ich, das er in der Jackentasche immer dabeihat.

Er bringt sie mit einem Springmesser um, bloß um einen Ring zurückzubekommen?, fragte Dad, Aber genau da droht das Dilemma, sagte ich: Er ist eine Stunde lang durch die Gegend gefahren, ist mit einer Leiche auf dem Rücksitz stundenlang durch die Gegend gefahren und hat sich gefragt, was er machen soll, was...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2014
Mitarbeit Cover Design: Julian Opie
Übersetzer Ulrich Blumenbach
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Blog • Book of numbers • Erzählungen • Foster Wallace • Internet • Internetzeitalter • New York • New York Times • Postmoderne • Thomas Pynchon • Witz
ISBN-10 3-7317-6045-2 / 3731760452
ISBN-13 978-3-7317-6045-0 / 9783731760450
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